Full text: Lübeckische Anzeigen 1911 (1911)

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—— n U. März 191. 
Sonnabend, de 
Ausgabe A. 
— 
2 
Abend⸗Blatt Ur. 129. 
Aus den Nachbargebieten. 
Sansestãdte. 
Hamburg, 11. März. Geschenk für den Stadt— 
park. Wiederholt ist der Wunsch laut geworden, der opfer⸗ 
willige Sinn wohlhabender Mitbürger möge sein Augenmerk 
der künstlerischen Ausschmückung des künftigen Stadtparks zu— 
wenden. Wie wir erfahren, hat neuerdings Herr Dr. Troplo—⸗ 
witz, Mitglied der Baudeputation, für den Stadtpark eine von 
dem hieligen Bildhauer Arthur Bock modellierte Bronzegruppe 
„Jagd“, Diana mit Hunden darstellend, gestiftet. Diese wert⸗ 
volle Schenkung ist dem Vernehmen nach vom Senat mit 
lebhaftem Dank entgegengenommen worden. Die Gruppe islt 
bei L. Bock &K Sohn ausgestellt. 
Wer stiftet für den Lübecker Stadtpark den künstlerischen 
Schmuck, den dieser noch ganz entbehrt? 
Erweiterung der Sonntagsruhe. Der Bürger⸗ 
schaft wurde auf das an den Senat ergangene Auskunfts- 
ersuchen, ob und wann der Erlaß eines Ortsstatuts betr. die 
Erweiterung der Sonntagsruhe im Sinne ihres Beschlusses vom 
9. Juli 1910 zu erwarten stehe, die Antwort des Senates zur 
Kenntnis gebracht: Der Senat hat zu dem Beschlusse der 
Burgerschaft bisher nicht Stellung genommen, weil die Er⸗ 
orterungen über diese wichtige, nicht nur vielseitige wirtschaft⸗ 
liche Interessen berührende, sondern auch in die kirchlichen 
Verkältnisse tief eingreifende Angelegenheit noch nicht abge— 
schlossen sind. Der Senat vermag auch die Frage, wann eine 
Entscheidung zu erwarten steht, heute noch nicht zu beantworten 
und muß sich auf die Erklärung beschränken, daß die Sache 
tunlichst gefördert werden wird. 
Ein schweres Unglück, durch das ein Wienschenleben 
vernichtet und zwei weitere Menschen in große Gefahr ge— 
bracht wurden, ereignete sich Freitag vormittag auf der Vulkan— 
werft. Ein an dem neuen 200 To⸗Werftkran in erheblicher 
Höhe angebrachtes Gerüst, auf dem vier Arbeiter mit der 
Montierung des Krans beschäftigt waren, brach infolge des 
Entgleitens eines 300 kg schweren Eisenträgers plötzlich zu⸗ 
sammen und stürzte, die Arbeiter mitreißend, in die Tiefe. 
Einer der Abgestürzten war sofort tot. Zwei wurden schwer 
verletzt ins Hafenkrankenhaus geschafft, während der vierte 
mit leichteren Verletzungen davonkam. 
Tod einer Hamburgerin in München. In dem 
Müllerschen Vollsbad zu München wurde Mittwoch abend 
die 24 Jahre alte Studentin Elsa Pfeffer, die Tochter 
eines Hamburger Kaufmannes, tot aufgefunden. Anscheinend hat 
die junge Dame einen Schlaganfall erlitten. 
Schles wig⸗ Sohfte in. 
anwalt in Göttingen. Er wird sein neues Amt am 1. Mai 
übernehmen. 
Altona, 11. März. Zur geplanten Vermehrung 
»er Altonaer Garnison. Ter Magistrat beabsichtigt, dem 
Militärfiskus für den erforderlichen Kasernenbau des neuen 
Jußartillerie-Regiments ein beim Baurschen Rettungs⸗ 
zaus belegenes Gebäude zum Kauf anzubieten. — Eine 
MNillion Staatsbeihilfe für Altonaer Hafen⸗ 
zauten. Für Regulierung und Erweiterung des Altonae 
zafens sind, wie das Hamb. Fremdenbl. aus zuverlässiger 
uelle erfährt, von der preußischen Staatsregierung der Stad 
—EX 
Die Gesamtsumme für die Regulierung der Elbe und des 
Altonaer Hafens soll sich auf rund drei Mill. M 
»elaufen. Es ist zu hoffen, daß bereits in diesem Frühiahr 
chon mit den Arbeiten der Elbregulierung und den Hafen⸗ 
rweiterungsbauten begonnen werden wird. Bei der Elbregu⸗ 
ierung handelt es sich vor allem um die Verschiebung resp. 
entfernung des Querdammes, Hinaussetzung von Dückdalben, 
Anlegung eines neuen Fischereihafens bei Neumühlen usw. 
Flensburg, 11. März. Eingeäschert wurden in der 
Nacht zum Freitag die Wohn- und Wirtschaftsgebäude des Hof⸗ 
zesitzers Görrisen in Wanderup. Das Vieh wurde gerettet. 
Grolherzogtum Osdenbura, Fürstenturs Lübed. 
Oldenburg, 11. März. Die Einwohnerzahlen 
des Großherzogtums Oldenburg nach der letzten 
VBolkszählung stellen sich wie folgt: Herzogtum Oldenburg 
390 661, Fürstentum Birkenseld 50 4580, Fürstentum Lübed 
11 272, Großherzogtum Oldenburg 462 403 Einwohner. Städte 
iber 3000 Einwohner: Oldenburg 30 115, Bant (keine Stadt⸗ 
verfassung) 24 769, Delmenhorst 17 591, Heppens 15 272, Neu⸗ 
inde (keine Stadtverfassung) 7370, Nordenham 7481, Varel 6717, 
Brake 5366, Jever 4660, Vechta 3361, serner Eutin 6210 
Idar 6882 Einwohner. — Vier staatliche Eichämtern 
zeabsidrzeagt das großh. Ministerium für das Herzogtum einzu— 
ichten. Als deren Sitz sind Oldenburg, Brake, Varel und 
tloppenburg in Aussicht genommen, 
Oldenburg, 11. März Der Landtag hat das 
Zchulgesetz in zweiter Lesung angenommen. Die Bestimmung 
ver Ortsschulkommissionen wurde abgelehnt. Bei der Petition 
des Erbpächters Ernst Drückhammer zu Spechserholz hieß es 
Uebergang zur Tagesordnung. Die Eingabe des Gemeinderats 
der Gemeinde Gnissau, betr. Vertretung im Provinzialrat, wurde 
der Staatsregierung als Material überwiesen, ebenso die Petition 
des Gemeinderats Schwartau zur Prüfung der Aenderung der 
Hemeindeordnung. Der Antrag v. Levetzow (Feld- und Forst⸗ 
polizeigesetz wurde angenommen. Die Beschwerde einiger 
Hrundbesitzer des vorm. Amts Ahrensbök über das Verhalten 
des Ersten Staatsanwalts Dr. Benda in Lübeck, sowie die Ein— 
jabe der Gemeinde Schwartau (Verkauf des Dienstgartens des 
Amtsgerichts; wurden mit Uebergang zur Tagesordnung er⸗ 
edigkt. Die Petition der Dorfschaft Haffkrug (Dampferanlege⸗ 
zrücke) wurde der Staatsregierung zur Prüfung überwiesen. 
Fener wurden? u. a. angenommen das Denkmalschutzgesetz für 
as Großherzogktum Oldenburg und die Regelung der Wander⸗ 
uarmenfürsorge und die Förderung gemeinnütziger Arbeits- 
nackweise 
er. Eutin, 14. Wiärz. Eine musikalische und 
turnerische Schnleraufführung fand Freitag im 
Schloß⸗Hotel statt, die gut besucht war. Den 
Schluhß bildete ein Tanz. Der Reinertrag wird 
zur Unterstützung bedürstiger Schüler des Gymnasiums 
und für andere gymnasiale Zwecke verwandt. — Verkauft 
haben die Struchschen Erben ihre za. 3 To. große Haus— 
parzelle an Schlachtermeister Johs. Schläfke. — Die Knabe—⸗— 
schen Erben, Fissau, verkauften von ihrem Grundbelitz ein 
Srundstück an Arbeiter Schröder und ein weiteres Grund—⸗ 
tück an Maurer Splittgerber daselbst. Eine za. To. 
große Wiese wurde an Miterben Stellmacher Knabe hier—⸗ 
lelbst Ubertragen. 
Dissau, 11. März. Ihr 100. Lebensijahr vollendet 
am 24. Marz Witwe Friederici bierselbst; sie ist die älteste 
Person der Ahrensböker Gegend, aber körperlich und geistig 
noch sehr rüstig. 
Lauenburg. 
vw. Lauenburg, 11. März. Die Erhöhung der 
Kreissteuern von 16 90 auf 18 00 wird auch eine Erhöhung 
der hiesigen Gemeindesteuer von 175 0 auf 180 90, wie im 
Jahre 1909 erhoben, zur Folge haben. Die Grund⸗-⸗, Gebäude⸗ 
und Gewerbesteuer wird wie 1910 mit je 200 64 Zuschlag zu der 
Staatseinkommensteuer erhoben werden. 
R. Ratzeburg, 11. März. Einquartierung. Unter 
Führung des Generalmaiors Freiherrn v. Lüttwitz-⸗Altona trafen 
gestern 13 Offiziere des Großen Generalstabes hier ein, die 
ich auf einer dreitägigen Reise befinden, um das Gelände für 
das hier im Herbst geplante Manöver der 33. Brigade zu 
zesichtigen. An dem Uebungsritt beteiligt sich auch der ürkische 
Major Lutfi Hüsni, der beim Regiment „Hamburg“ auf zwei 
Jahre als, Oberlt. zur Dienstleistung kommandiert ist. Von 
Ratzeburg Roeben sich die Herren heute nach Oldesloe. 
Decho w, 11. März Verpachtung der Gemeinde— 
jagd inkl. Dechower Zuschlag. Für das 551 ha große Gebilet 
wurden folgende Höchstgebote abgegeben: Naht-Hamtug 2005 
Mark; Beth-Lübed 2000 M; Bland-Hambu:?g 1869 M; 
Grundmann-Lübeck 1950 M. Der biserige Patoreis 
betrug nur 689 M. 
sch. Klein-Berkenthin, 11. März. Die Shweine-— 
gilde hielt Sonntag, 5. März, eine Generalversammlung ab. 
Der Vorstand wurde wieder⸗-, als 2. Gildemeister Shuhniacher 
K. Kahns hierselbst neugewählt. Die Einnahme im Rehnnnos- 
jahre betrug 1257,050. M, die Ausgabe 1429,80 M. so daß sich 
eine Unterbilanz von 172,83 Muergibt. Der Kasseubestand 
betrug Ende 1910 892,77 M. Es wurden 1353 19 Meallein 
rür Schaden gezahlt. Es wurde für jedes Schwein 15 Wf. er— 
hoben. Die Gilde besitzt zirla 180 Mitglieder, welche sich 
auf 15 Ortschaften verteilen. Der Gildeball sonn am zweiten 
Ostertage in Meiers Lo'al ghee aten werden. 
Jermischtes. 
Jungfraubahn. Bern, 8. T.ad. Bi a Fort⸗ 
schritt von 3 bis 4 m kann voraussichtlich die Jungsrau— 
bahn bis zu diesem Spätherbst die Station Jungfraujoch 
(3460 m) erreichen. Bis Jungfraujoch müssen noch 900 
m durchschlagen werden. Der zu überwinderde Hetar 
schied beträgt 110 m. 
Kiel⸗ß 11. März. Zur Erkrankung des Prinzen 
Adbdalbert ist zu berichten, daß nach der ganzen Art der 
Erkrankung angenommen wird, daß der Prinz in etwa zehn 
Tagen das Betit wieder verlassen kann. — Der neue Ober— 
taatsanwalt, Geh. Justizrat Günther, ist 1883 geboren. 
Referendar wurde er 1878, Assessor 1881, Staatsanwalt 1885 
n Lüneburg. Von 1893 bis 1899 war er Staatsanwalt in 
*alle (1895 Staatsanwalischaftsrat), 1800 wurde er J. Staats-⸗ 
die Presse. 
Von Zacharias UVopelius. 
Aus dem Finnischen übersetzt von Georg Jäger. 
Drei Adler sind mit ausgebreiteten, stets wachsenden Schwin⸗ 
gen aus dem Ei des Gedankens hervorgeflogen: Das ge—⸗ 
sprochene Wort, das geschriebene Wort, das ge⸗ 
druckte Wort. Alle sind verkörperte Gestalten ihrer körper⸗ 
losen Mutter: des Gedankens; indessen ist die erste ein ver—⸗ 
hallender Laut, die zweite eine vergängliche Form, die dritte 
lebt in der Illusion: Zeit und Raum unbegrenzt zu be— 
herrschen. 2 
Ich nenne sie eine Illusion, denn auch das gedruckte 
Wort hat seine Grenzen im Material und im eigenen Dasein 
der Menschheit; diese Illusion erhebt das gedruckte Wort 
jedoch zu einer Weltmacht. Jedes gedruckte Wort, das nicht 
freiwillig lebt und stirbt für den Tag, heischt Anspruch darauf, 
sich an alle zu wenden, auf alle zu wirken und alle zu 
übertleben. 
Ich sprach von der Buchpresse. Nun werde ich von 
dem periodisch gedruckten Worte reden, das vorzugsweise die 
Presse genannt worden ist. Ihr Leben ist das der Tagesfliege; 
man reißt sich um die Zeitung, wenn sie herauskommt. Länder 
und Reiche kann sie erregen, kam erfreuen durch das pul⸗ 
sierende Leben des Augenblicks, kann betrüben, verletzen und 
heilen; allein: morgen ist ihr Inhalt so vergessen, als wäre 
er nie erschienen.. 
Im Kindesalter der Tagespresse behielt die Zeitung am 
morgenden Tage noch ein Erbteil von Gedanken und Ereig⸗ 
nissen, die zu leben verdienten. Sie ward eingebunden, mit 
Regilter versehen, und Forscher suchten dort Material für Ge— 
schichte oder Tageschronik. Diese Uebung gehört jetzt zu den 
Seltenheiten. Alles lebt und wird geschrieben für die Fragen 
des Tages, die morgen von anderen verdrängt werden. Das 
ODrakel von heute ist morgen Makulatur. Nur wenige Büchereien 
belassen noch ihre Börter mit diesem wertlosen Rudstande 
eines verflossenen Lebens. 
Und gleichwohl kann nur der Bureaukrat, und nicht einmal 
er, die Bedeutung der periodischen Presse als einer Großmacht 
des Augenblicks lenanen. Sie drängt überall ein, beruhrt alles 
und hinterlaäͤht stets — wiederholte Eindrücde, die sich nach 
und nach, wenn nicht zu einer Ansicht oder Ueberzeugung, so 
doch immer zu einer gewissen Anschauungsart auswachsen. 
Sage mir nicht, daß du nur der Neuigkeiten wegen täglich 
eine Zeitung liest, deren Ansichten du nicht teilst, ja, die du 
geringschätzt. „Sage mir, mit wem du umgehst, und ich will 
dir sagen, wer du bist.“ 
Das Wort ist Geistesnahrung; man genießt nicht täglich 
dieselbe Speise, ohne sich danach wohl oder übel zu fühlen. 
Es aibt ja Zeitungen ohne Tendenz, wie man konsequente 
And energische findet. Folge den Wendungen des Wetterhahns 
uind die Gewohnheit wird dich ebenso richtungslos machen. 
Die Zeitungspresse ist in unserer Zeit der permanente Red⸗ 
nerstuhl, wie die Schreibfeder zum perpetuum mobile ver— 
vandelt ist. Niemand, nicht einmal der Kätner, nicht einmal 
as Schulmädchen, das ein ihm zugängliches Feuilleton ver— 
chlingt, entgeht ihrem Einfluß. Tagesmeinungen, Kritik und 
debensanschauungen werden dem Leser fertig hergerichtet ser 
iert. Er braucht nicht zu suchen, zu fragen, zu denken, sich 
richt zweifelnd und prüfend zu einer Ueberzeugung durchzu⸗ 
ämpfen. Ungebeten kommt sie jeden Morgen zu ihm mit dieser 
inbekannten, redenden Zunge, die eine öffentliche Meinung vor—⸗ 
tellt und deren geheimnisvolle Macht zum großen Teil gerade 
darin liegt, daß sie unbekannt ist. — Man hat den Namen 
des Verfassers unter den Leitartikein der Zeitungen einführen 
vollen, und dieses wäre ja eine wünschenswerte Kontrolle: 
in Mann hinter dem Worte; indessen, die meisten Schrift— 
eitungen bleiben bei der möglichsten Anonymität, da ein Name 
dem Worte den Nimbus des orakelhaft Unbekannten raubt. 
Und so bewirkt die Gewohnheit, leine Meinung stets aus 
einem Präsentierteller vorgesetzt zu sehen, die Gleichgültigkeit 
sich selbst um die Prüfung der vorliegenden Frage zu bemühen 
Nur wenige besitzen Selbständigkeit genug, wiederholten Ein⸗ 
lüssen zu widerstehen. «Einige protestieren, schliehßen sich jedoch 
allmählich der Ansicht an, die ihnen Tag um Tag hinter⸗ 
hracht wird. 37 
So sind es die Zeitungen, welche Meinungen hervorrufen 
ind gleichzeitig den Schein erwecken, als seien sie nur deren 
Irgane. Und der Leser, das große Publikum, entwöhnt sich 
nehr und mehr der eigenen, selbständigen Prüfung, indem er 
ine solche auszusprechen glaubt, wenn er aus dem Beutel 
riederholt, was zuvor im Sacke war. 
Wenn Zeitungen die Tagesansichten klären, entwideln und 
n Brennpunkten zusammenfassen, muß mam gleichzeitig ihrem 
äglichen Einfluß den Mangel an Gruündlichkeit und wirklicher 
leberzeugung zuschreiben, der nun allgemein in den soge— 
jañnten gebildeten Gesellschaftskreisen vorwaltet. Man ließ 
etzt mehr, als je zuvor, aber flüchtig und vergißt geschwind 
der eine Eindruck verdrängt den anderen; man scheut die 
Denkmühe und wählt leichte Lektüre. Die Oberflächlichkeit 
des Lesers entspricht derjenigen der Schriftsteller. Nur in 
Monatsschriften sucht man e twas Durchdachtes. Das Manu—⸗ 
tript der Zeitungen ist kaum trocken, wenn es dem Setzer 
ugeworfen wird; und dieser, der während der halben oder 
zanzen Nacht von der wilden Jaad der Buchstaben abgenutz! 
vird, wirft in derselben fieberhaften Eile seinen Abzug dem 
chläfrigen Korrekturleser zu. Es ist die Nachtarbeit der Bäder— 
gesellen, damit das Publikum, das in Ruhe schlief, sein frische⸗ 
VErot zum Morgenkaffee fertig finde. 
Zeitweilig treten deutliche Zeichen auf, daß eine so bedeu⸗ 
ende Staatsmacht wie die Zeitungspresse einer wirlsamen Kon⸗ 
rolle bedarf. Die Zensur, der Kerkermeister des freien Wortes, 
»ie Müden filtriert und Kamele verschluckt, ist ebenso ohn⸗ 
nächtig. wie verhaßt. 
Sest der Stromschnelie einen Vanun engegen undui 
Wasser wird die Ufer überfluten! Wirhsaner ist die eigen:;: 
zegenseitige Kontrolle der Zeitungen: Wort gegen Wort. Andsi. 
zegen Ansicht, Recht gegen Unrecht, Wahrheit gegen Lüg. 
Verteidigung gegen Lästerung —, wo diese Rechtspflege un— 
oarteiische Richter findet, was leider nicht immer der Fall i,. 
Weder Zeitungen noch Publikum sind von menschlichen 
Schwächen freizusprechen, von Brotneid, Parteigeist und Recht— 
haberei. Die einzige vollwirlssame Kontrolle wäre die der 
Leser, der Abonnenten. 
Kauft nicht, lest nicht und unterstützt nicht die Schund⸗ 
literatur, und sie wird Hungers sterben. 
Wo aber trifft man allgemeines, entschlossenes Rechtsgefühl 
genug für solche Handlung? 
Wo eine anrüchige Presse lebt und blüht, da ist eine 
Gesellschaft nichts Vesseres wert. 
Bei uns sind Versuche in dieser Richtung noch mißlungen. 
Unsere Zeitungen verkaufen ihr Wort nicht, sie sind nicht be 
ifechbar, erniedrigen sich nicht zum gehorsamen Diener der Re— 
zierung oder Goldfürsten. Es ist noch eine anständige Presse. 
Was man ihr vorwerfen kann, ist: verdrießliche Zanksucht ohne 
Humor, ohne das Salz des Mustterwitzes, und daß sie leicht 
persönlich wird. Die Eleganz des Stils fehlt durchaus und 
die Volemik in kleinen Fragen verliert sich (mit finnischem 
Eigensinn) ins weite, während man große Ansichten vermißt 
und die höheren Lebensfragen, die über den täglichen Horizont 
hinweg reichen, meistens unberührt bleiben. 
Das Amt des Schriftleiters, das bisher einen Nebenerwerd 
— bei anderen Geschäften — bildete, geltaltet sich nach und nach 
zu einem Berus. Es nimmt nun die volle Zeit eines Redakleurs 
in Anspruch, es erfordert ein offenes Auge, scharfes Urteil, viele 
Vorstudien, Takt und Biegsamkeit. Leicht erschlafft es und nutzt 
rasch ab. 
Die Gewohnheit, un bekannt und bald schmeichelnd, bald 
spöttisch allgemeine Ansichten auszusprechen, gibt dem Zeitungs⸗ 
mann in seinen eigenen Augen ein Gewicht, dem seine Persön- 
lichleit nicht immer entspricht. Er bat Anspruch, Staatsmann 
ind Staatsökonom, Kritiker und Reporter zu sein, während er 
gleichzeitig Chronist, Neuigkeitsfischer und Geschäftsmam ist. 
Sein lauschendes Ohr wellt überall; seine Aufmerksamkeit 
nerteilt sich nach tausend Richtungen, und dennoch soll er die 
Situation schnell und kurz erfassen. 
Wenige genugen diesen Ansprüchen ganz. Zum Koch wird 
man ausgebildet, fristet sein Dasein jedoch als Bratenwender;: 
und daher sieht man in diesem verzwidten Berufe oft schiff⸗ 
brũchige Existenzen, die in anderen Aemtern nicht fortkamen 
oder tauglich waren. 
Da die Presse noch in den Windeln lag, diente ich ihr 
wanzig Jahre hindurch als Publiziik. Ich erkenne sie als ein 
Staatsbedürfnis an und als die redende Zunge unserer Zeit; 
ndessen reserdiere ich mir meine Ueberzeugung. Ich verschlinge 
ie nicht wie das frische Brot am Morgen; ich schweige und höre.
	        
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