Full text: Lübeckische Anzeigen 1911 (1911)

Das alteste Denzma 
germanischer Dichtung. 
Die Gestalt des großen Hunnenkönigs Attila ist für die Ge— 
chichte der germanischen Sage von der größten Bedeutung, denn 
ist mit dem Schicksal des wichtigsten deutscheu Sagen helden 
SZiegfried seit frühefter Zeit aufs Junigste verknüpft. Wie in 
mftrem RNibelungenlied in Etzel die Erscheinung des geschicht- 
ichen Attila noch durchschimmert, so ist auch schon früher das 
Hild dieses machtvollen Herrschers mit dem Schicksal der Nibelun— 
gen verwachsen. Die grönländischen Attila-Lieder der Edda ge— 
jören wohl dem 11. Jahrhundert, an. Aber noch viel weiter 
uriück lassen sich Beziehungen Attilas zu altgermanischer n 
tud Sage verfolgen. Der Freiburger Germanist Prof. Friedrie 
aluge weist in einem Auffsatz der „Deutschen Rundschau“ auf die 
zpuren einer uralten gotischen Vichtung hin, die sich noch aus 
er lateinischen Ueberliefernug des gotischen Geschichtsschreibers 
Jordanes erkennen lassen. 
In der Darstellung des Schriftstellers, der fast hundert Jayre 
iach dem Tode der „Gottesgeißel“ schrieb, findet sich der Wortlaut 
iner poetischen Totenklage, die bei Attilas Leicheufeier eine Rolle 
pielte. Eine hunnische Uéberlieferung in der Sprache der Hun⸗ 
ien kounte der Gote, der die hunnische Sprache nicht mehr ver— 
tand, unmöglich besitzen. Es muß alio eine gotische Totenklage 
uf den Hunnenkönig gewesen sein, die im Gedächtnis der Goten 
veiterlebse. Hatten doch nach der Schilderung des Priscus, die 
Fordanes als Quelle vorlag, gotische Sänger in Attilas Halle den 
inhm des großen Heerkönigs verkündet! Ist doch auch Attilas 
veltgeschichtlicher Name nicht hunnisch, sondern gotisch! Das 
zotische atta (Vater) ist in das Diminutivum Attila Waeen 
erwandelt. Kluge unternimmt es, aus den durch den lateinischen 
dext hindurchschimmernden Nüancen altgermanischen Stils Geist 
uid Form dieses gotischen allitterierenden Liedes in deutscher 
lebersetzung wiederzugeben. 
Die Bedeutung des Abbildes eines germanischen Originals, 
ans im fünften Jahrhundert entstanden sein müßte, ist nämlich 
einzigartig und gar nicht hoch genug einzuschätzen. Diese Toten— 
lage, der inzige, wenn auch schwach und verworren zu uns her⸗ 
ringende Wiederhall aus der heldenhaften Frühzeit germanischen 
ebcis in der Vötterwanderung, ist das älteste Denkmal germani— 
her Dichtung überhanpt. Der Tod des Hunnenkönigs wird be— 
lagt in jenen knappen, gehaltenen Formen, in denen man wohl 
uch das letzte Lied auf einen germanischen Volksherrscher ange⸗ 
nmnt haben mochte. Der Held und seine Abstammung, sein an⸗ 
erbtes Volt und die unterjochten Völker werden genannt. Die 
rämpfe mit dem Römerreich zeigen ihn auf der Höhe seines Glücks. 
Alles Detail ist vermieden; die hunnischen Waffengefährten und 
griegerscharen brauchten nicht zu erfahren, was sie persönlich mit— 
rlebt hatten. In Frieden und Reichtum, mitten unter Festes— 
reuden ist der König gestorben. Nicht dem Feinde ist er erlegen, 
richt wie große Helden der Vergangenheit vor ihm der Hinterlist 
der eigenen Sippe. Aber trotzdem klingt ein elegischer Ton an: 
Attilg ist unicht gestorben, wie er gelebt, äls Krieger und Kämpfer. 
Der Tod daheun galt nicht als das schönste Eüde eines solchen 
Lebens. Die Totenklage sucht solches Mißgeschick aussöhnend zu 
erklären; sie berichtete piedrü de er „froh unter Freuden 
tarb“. Ueberall strahlen germauße Anschauungen, Ausdrucks- 
weisen und Stilmittel durch die lateinische Paraphrase des Jor- 
anes hindurch; ihnen hat Kluge in seiner schönen Uebersetzung 
ine glückliche Form gegeben, die dies Kleinod altgermanischen 
veistes in einem hellen Licht erscheinen läßt: 
Der Edeltönig der Hunnen, Attila der Botelung, J 
Var gerper über Heldenvölker. Nie besaß ein Heerfürst 
or ihm 
die Oberhoheit zugleich über Ostleute und Gernianen. 
dömerstädte hat er bezwungen, ihre beiden Reiche bedroht. 
Zeine Gewalt fürchtet der Weltkreis. Aber Wohlwollen uünd 
Huld fand, 
Ver um Schonung bat und Schatzspenden bot. 
Ztets war das Kriegsglück mit ihm. Jetzt liegt unser König 
darnieder, 
Nicht durch Feindeshaud, nicht durch der Freunde Argete 
zriede herrscht im Volk, er verschied in Freude und Lust. 
ticht waltet hier Wehgeschick, nicht müssen Waffen hier rächen.“ 
Sin unbekanntes Land in Britisch-Indien. 
Es klingt fast unglaublich, daß es in unseren Tagen in einem 
Lande wie Indien, das seit so langer Zeit schon die zivilisatori— 
schen, Wirkungen der vbritifchen Dberhoöheit keunt, noch gänzlich 
unbekannte Gebiete geben, foil. Und doch ist es so, Das Gebiet, 
bon dem wir hier — nach einem interessanten Artikel des Wide 
World Magazine — berichten wollen, heißt Bustar und soll jetzt, 
vährend der Minderiährigkeit des Radschas, von dem englischen 
Beneral Fagan verwaltet werden. Der General hat es, um sich 
em Radsiha vorzustellen, mit seiner Gattin bereist; vorher war 
s noch niemals von einent weißen Fuß betreten worden. Der 
auptsächlich zu erforschende Teil des Landes Bustar ist ein aro— 
oer Bezirk, den die Eingeborenen Mahr nennen. Die Reise dort⸗ 
in war sehr schwierig, da von Fahrstraßen keine Spur zu finden 
t und nur schmale und gefährliche Fußsteige durch die Urwälder 
ren Generof Fanan wird feine Gattin ritten, so sane cs 
sim Schatten der Pyramiden. 
Von Alfred Nossig. 
Woenn ich in Kairo und Gizeh trotz der Kürze der Zeit, die mir 
u Gebote stand, alles Interessante besichtigen konnte, so verdanke 
ih dies nur der unschäßbaren Freundschaft Achmed Dudus. Ihn 
elbst aber, diese Perle unter den Dragonans, verdanke ich der be— 
edten Empfehlung, die zwei Oberlehrer aus Oppeln ihm aus— 
gestellt hatten. In diesem Dokument heißt es unter anderem: „Es 
Lird der Wahrheit gemäß bezeugt, daß Achmed Dudu die Reisen⸗ 
vor der dakschischheischenden Plebs vortrefflich zu schützen 
weiß.“ 
Das hatte mich gepackt. Denn man muß wissen, wie einem in 
Kairo die batjschischheischende Plebs zuzuseßen weiß. In langen 
Hemdchen, von der Farbe einer etwas zweifelhaften Unschald, 
schlängeln sich diese handfesten, schwarzen Beugel von allen Sei— 
sen an den Fremden heran. Unter dem ohrenbetäubenden Gebriill 
„Chowadsclia! Chowadschal“ (Herr! Herrl) bieten sie mit ko— 
iettem Lächeln Postkarten, scheußüche Erfrischiingen, allerlei Tou— 
ristenartikel, Esel, Kamelé und sich selbst an. Sie halten sich für 
inßerst dekorativ. Der eine will photographiert werden. Der an— 
dere erklärt sich bereit, nachdem man alles übrige abgelehnt hat, auf 
den Kopf der Sphinx zu steigen, um den toten Stein, zu beleben. 
Gegen diese phantastischen Zudringlichkeiten gab es eben nur 
zin Mittel: Dudu. Dudu beherrscht ein Kauderwelsch von vier 
Sprachen; Französisch, Deutsch, Englisch und Italienisch. Er 
duzte mich vom ersten Augenhlick an ünd wenn er sich nicht ver— 
tändlich zu machen wußte, berührte er mich etwas unsanft mit 
einen schwarzen Händen. Er war überhaupt etwas kurz auge— 
zunden und sogar barsch. Er behandelte mich mit einer gewissen 
Aeberlegenheit, weil er die Dinge, die ich zum erstenmal sah, seit 
zielen Inren kannte. Aber er war doch ireu wie ein Landskuecht. 
„Wenn dumme Menschen dir etwas anbieten — lehrte ey 
nich - n'achete rien. Sag alroaxs (mit entschiedener Betonung): 
F— * 
äherte sich die bakschischheißende Plebs, so raffte —78— lan-⸗ 
ges weißes Kleid, mit schnippischer Grazie, trotz einer Pariserin 
zusammen und lächelte verächtlich. Als ich eine reizende kleine 
Peumie, die ein Händler mit anbot, eine Sekunde lang betrachtete, 
schlug er eine däͤmonische Lache auf. Troßdem interessierte mich 
de Mumie. Da neigte sich Dudu zu mir und rief mir mit höllischem 
Spott einige Worte zu, die jede Illusion zerstörten: „Imitation! 
Kerlin! Ritterstraße!“ 
In Gizeh wollte ich pflichtgemäß die Pyramide des Cheops 
ohotographieren und suchte die geesguetste Stelle für die Auf—⸗ 
aͤhme. Dudit lächelte mitleidig und übernahm die Führung. 
HYeit mathematischer Sicherheit ging er im Wüstenfand auf einen 
rstimmten Punkt los. „Viens ici!“ kommandierte er. „Hinunter! 
RNechts... Von hier aus haben les plus grands maitres seit 
reißig Jahren gemalt, gezeichnet, photographiert. Go on! Ver-— 
Iiß nicht abzublenden!“ Als die Aufnahme vollendet war, erhob 
Dudu feierlich die Hände zum Himnel. „Gräce à Dieu!“ rief er. 
„Hast du den Maun gefunden, den du brauchst?“ So war Dudu. 
Aber auch seine Landsteute waren in ihrer Art interessant. 
Ich stand ohen mit Dudu vor den Pyramiden, als ich von Kairo 
ich war, und setzlen dann ihre Forschungsreise zu Fuß fork. Has 
»epück wurde von Elefanten und von indischen Trägern fortge— 
hafft. Ein großer Teil des Gepäcks hestand aus billigen Baum— 
vollstoffen, bunten Glaskügelchen und kleinen Handspiegeln; dieser 
ram hatte die Aufgabe, das Mißtrauen der Eingeborenen zu be— 
iegen. Daß die Eingeborenen sehr furchtsam und Dirne 
varen, sahen die Reisenden schon, als sie sich dem ersten Dor 
iäherten: die Wilden oder Halbwilden, als welche die Einwohner 
on Bustar sich später offenbarten, hatten die beiden Weißen kaunf 
rblickt, als sie über Hals und Kopf davonliefen; zögernd kamen 
chließlich die Mäuner nähcr, nachdem man ihnen gesagt hatte, 
aß die Fremden eigens getommen seien um sich ihre berühmten 
zagden und Belustigungen auzusehen. ntite Jäger ließen sie sich 
— — 
jolfen dann dem Genera!l Fagan bei einer Tigerjagd, wofür sie 
n ihrer Freude allerlei Geschenke erhielten. Die Männer waren 
ilso gewonnen; mit den Frauen und Kindern hatte man nicht so 
eichtes Spiel: sie wollten sich, obwohl man ihnen gut zurebdete, 
ticht aus ihren Hütten hervorwagen. Da ersann Frau Fagan 
ine List, die von gutem Erfolge begleitet war. Sie legte ihrem 
ndischen, Dienstmädchen Kleider an, die denen der eingeborenen 
xrauen gen ähnlich waren, schmückte die Gewänder mit zahl— 
eichen Perlen und Spiegelchen und nahm dann das so aufge— 
utzte Madchen mit sich ins Doxf. Ais die einaeborenen Frassen 
uun sahen, daß ihre indische Schwester in so heiterer, freund— 
icher Weise mit der Frenmden plauderte, und daß sie mit so kost— 
arem Schmuck behängt war, faßten auch sie sich ein Herz;: sie 
amen allmählich näher und freuten sich über die Geschenke, die 
grau Fagan und ihre Dienerin, ohne zu geizen, verteilten. Die 
henerälin versuchte mit den Welbern auch eine Unterhaltung 
nzuknüpfen, aber sprachen einen ganz uünbekannten Dialekt. 
Am folgenden Tage waren die Fraueii schon dreister gewor— 
den; b güngen jetzt ungernfen ins Zeltlager und verlangten 
unte Stoffe, Perlen und Spiegelchen. Die Freundschaft zwischen 
en beiden Parteien wurde dann von Tag zu Tag inniger, und 
ie Weiber revanchierten sich für die ihnen erwiesenen Aufmerk— 
amkeiten, indem sie der Gencralin aus Baumrinde gefertigte 
dleider schenkten. Als Frau Fagan ein paar Tage später schon 
twas von dem Dialekt der Eingeborencn verstand, ertlärte sie 
en Srauen, daß die Regierung, ihres Landes 
hre den RNuftrag gegeben, habe, Medizin zu ver— 
eilen und die kranken Leute gesund zu machen. Es 
and sich sofort ein alter Mann, der sich als Versuchskaninchen her— 
‚ab und eine von den Arzneien schlückle; das Erperiment gelang 
zroßartig. Von diesem Augenblicke an war Frau Fagan — die 
nit gutenn Bedacht die Arztrolle spielte, weil sie als Frau sich leichter 
Is ihr Gatte den scheuen Weibern und Kindern nähern könnte — 
äglich von medizinheischenden Eingeborenen geradezu unilagert; sie 
oußte schließlich kaum noch, wie sie aller Wünsche befriedigen sollte. 
durz, die Rollen waren jetzt direkt vertauscht, denn von Sihn an 
uchten nicht mehr die Welßen die Eingeborenen, sondern die letzteren 
die Weißen auf. 
Der General hätte sich in dem wildromantischen Lande sehr wohl 
ühlen können, wenn ihm nicht die Zauberer und die Hexen manchen 
Lerdruß bereitet hätten. In Bustar hat man nämlich große Fuxcht 
vor den Zauberern, und wenn ein solcher gepackt wird, geht es ihm 
— schlecht; trotzdem gibt es viele Eingeborene, die sich Ine 
ich ihrer Zauberkünste rühmen. Das führt oft zu Streitigkeiten 
und, Revolten, die manchmal mit grausamen Exekutionen der un— 
zlückseligen Zauberer enden. Einer Frau, die im Verdacht der 
Hexerei steht, werden sämtliche Haare abgeschnitten; zur Warnung 
uͤr andere werden diese Haate dann an einen Baum gehängt. Bei 
ieser Gelegenheit sei auch erwähnt, daß in Bustar eine Mutter ihren 
nißgestaltelen Sohn ohne weitertes töten darf, weil ein Krüppel als 
ine Schande für die ganze Familie betrachtet wird. 
Die Ehen werden in Bustar nicht so früh geschlossen wie in 
indern Teilen Indiens. Die jungen Maner verheiraten sich 
iicht vor dem 16. oder 18. Lebensjahre. Wenn die Eltern eines 
ungen Mannes glauben, daß es Zeit sei, den Sohn zu verhbei— 
aten, macht sich der Vater in Behleitung einiger Freunde auf 
ie Reise, um für den Sprößling eine Braut suen, er geht 
eradewegs in ein Dorf, in welchem er eine passende Partiẽ zu 
inden hofft. Vor der Ausreise werden natürlich alle Glück oder 
ünglüch verheißenden Vorzeichen genau veachtet. Wenn ssich 
z. g im Augenblick der Abreise kLin bestimmter Vogel hören 
ßt, kann aus der Sache nichts mehr werden, da die Ehe sonst 
vochst nuglücklich sein würde, Wenn aber kein Vogel singt, geh! 
3 hinaus in die Ferne. Ist man in dem Awͤblten Vorfe au⸗ 
gelangt, so macht man den Eltern der Braut einen ersten Besuch 
ind schließt den Heiratsvertrag, indem man in heiterster Stim— 
nung gewisse Verlobungsgetränke trinkt; dieser erste Besuch, der 
nit uünferer Branutschau zu vergleichen wäre, heißt Deknee. Geht 
illes gut, so folgt der „Deknée“ die „Mungani“, worunter die 
ffizielle Werbung zu verstehen ist. Cin paar Wochen später 
vird der „Pait Bhet gefeiert; es ist dies eine Art Hochzeits⸗ 
Aner, das von den Eltern des Bräutigams gegeben wird. Nach 
em Essen gilt, ohne daß weitere Zeremonien erforderlich sind, 
ie Ehe für gsen und die Braut geht für wenige Tage in 
as Haus des Bräutigams, um dann wieder ius Elternhaus zu— 
ückzuükehren. Wieder ein paar Tage später schickt der junge Ehe— 
naun den. Eltern seiner Frau ein Geschenk, das aus Reis und 
ieuen Kleidern besteht. Einen Tag darauf wird die jnnge Frau 
„son ihrer ganzen Familie zum Hause des Gatten begleitet, um 
iun für immer dort zu bleiben. Wenn nach dem „Pait Bhat“ 
jer eine stattliche zarawane anriicken sah. Nach einer Weile ber— 
iochte man zu erkennen, daß es nur ein Touristenpaar war, dem 
twa dreißig arabische Kamel- und Feltreiber als Ehrenkompag 
je sich angeschlossen hatten. Der Reisende — ein kleiner Herr mit 
ufgestülpter Nase — war ein böhmischer Lehrer, der an derartige 
hrenbezeugungen so wenig gewöhnt war wie seine bescheidene 
zattin. Er wien sogar einigermaßen verletzt zu sein, denn die 
Ahrer der Ehrenkargwane stießen ihn in ihrer lebhaften Art mit 
sem Finger vor die Brust und riefen ihm in immer impertinen- 
erer Weise zu: „Toi chameau, la femme bourriquel!“ „Frech⸗ 
seitl“ meinte der Böhme, der diese Ausprache wörtlich deutete: 
Du bist ein Kamel, deine Frau eine Eselin!“ 
Ich hatte einige Mühe, ihm zu erklären, daß seine braven Be— 
leiter in ihrer lapidaren Art ihm ein Kamel, seiner Frau eine 
Fselin zur Verfügung stellten. Selbstredend gegen entsprechen— 
en Batschisch. Die Araber schienen ihrerseits geradezn empört zu 
ein, daß man die aeenn Tiere zurückgewiesen hatte. „Das,“ 
viefen fie, auf das Kamel deutend, ist der Enkel Napoleous, und 
die da“, hierbei wurde die Eselin vorgezerrt, „ist die Tochter 
Zarah Bernhardts!“ So gerne ich nun auch den Leuten den Ge⸗ 
allen getan hätte, ihre Tiere für blaublütig zu halten, dieser 
Ztammbaum erschien mir doch unglaubwürdig. Plötzlich blitzte 
z in mir auf. Die Araber hatten wieder in einer Ellipse ge— 
prochen. Das Kamel war ein Nachtomme des Tieres, das Na— 
joleon vor den Pyramiden geritten; ähnlich stand es mit der au— 
eblichen Tochter Sarahs. 
Einen großen Vorzug besitzen übrigens die Menschen und die 
kiere in diefem Lande. Sie haben Rhyihmus im Körper, die Mu— 
kder Bewegung, das unbewußt Malerische. Insbesondere 
die Bewohner des am Gizeh augrenzenden Dörfcheus El— 
taffra, welche die Pflicht haben, dieses Wiistenstück mit pittoxes— 
en Gestalten zu beleben, leisten das Höchste an schaukelndem Da— 
hingleiten in verwegener Drapierung. Das reine Kamerifutter. 
AUber auch die wandelnden Tierfriese, die man überall auf der 
Landstraße erblickt, sehen wie komponiert aus. Ein Zug von Ka— 
nelen, In Taue aueinandergektettet, eröffnet und abgeschlossen 
zurch Büffel, auf deren Rücken Frauen hocken, und durch Esel, 
ruif denen die Führer der Karawaue reiteen. Au der Spitze und 
zanz rückwärts je ein Hund. Symmetrisch verteilt, der Höhe nach 
ogestuft, bewegt sich ein derartiger Fries rhythmisch wie nach den 
zläugen einer Musik, die wir nicht hören. 
Manchmal ändert sich die Anordnung. Die Esel und die 
Gelehrten“, hier durch die erfahrenen Karawanenführer veortre⸗ 
e, kommen nach dem bekannten Napoleonischen Rezept in die 
Htitte, an der Spitze schreitet ein Kamel, das ein kleiner Junge 
In Seil lentt. Es ist ergötzlich zu sehen, welchen unsagbar er— 
daunten, ja wrisen Ausdruck das Kamel annimuit, wenn es 
inem folchen Kerlchen folgt. Es scheint zu sprechen: Du Kuirps, 
venn ich wollte“ ... Diefes Kamel kam mir, wie ein Symhol vor: 
Das riesige Aegypten, das von der kleinen Okkupation am Halfter⸗ 
band geführt wird. Und ich mußte au die nationalist'sche Bewe— 
gung denken, die Revolte des ägyptischen damcgls 
.. Das Tier mit schrecklichen Gobärden. 
Urplötzlich anfing scheu zu werden.... 
In der Tat, sieht man in den eeen von Kairo die paar 
lattaeta minten, arbig lächelnden zungen Leuten, die in ihren Kba⸗« 
1 
den eerng aus irgend welchen Grunden brechen, sind sie 
perpflichtet, dem krostlosen sungen Manne eine andere Frau zu 
hesorgen, und zwar muß disse Frau der ihm verweigerten körper⸗ 
lich nb gelis —83 per sein. Es sei noch er— 
wähnt, daß alle Ehen im Februar geschlossen werden * 
Vermischtes. 
Seltsame Redbnerpulte. In England konnte man kürzlich das 
ungewöhnliche Schauspiel erleben, daß ein Redner aus seinem 
igenen Sarg heraus eine Predigt hielt. Es war ein Offizier der 
heilsarmee, der sich jenes Symbols der Sterblichkeit als Redner— 
ribüne bediente; der Sarg wurde vor Beginn der Predigt auf 
ine Plattform getragen, und dann betrat der Prediger feinen 
Totenschrein, um die Hörer durch die Macht seiner Sprache zu 
erbauen. Der Gedanke, so erzählt dazu eine englische Wochen- 
ichrift, war übrigens nicht neu, denn bereits vor einigen Jahren 
zielt ein Mitglied von Dr. Dowies zionistischer Gemeinschaft, der 
Rev. James Walker, aus einem Sarg heraus Vorträge, wobei er 
„um Ueberfluß noch ein mächtiges Stundenglas auf seinem unge— 
wöhnlichen Rednerpult aufstellte. Lord Russel hat einmal von 
dem Außensitz einer Staatskarosse eine lange Ansprache gehalten, 
ind bald fanden sich auch Rachahmer, die diese Improvisation des 
erlihmten Staatsmannes zur Regel machten und vom Kutscher— 
bock herab den Geist des Volkes zu erleuchten trachteten. Eine 
der merkwürdigsten Stätten, um durch die Macht des Wortes zu 
wirken, hat sich zweifellos der Mormonen-Geistliche J. C. 
Williams ausgesucht, als er vor einiger Zeit in Utah, in der 
Salzseestadt, als Kanzel — eine Badewanne benutzte. Die Blech— 
wanne wurde halb mit Wasser gefüllt auf eine Tribüne gestellt, 
dann trat der offenbar zu Demonstrationen neigende Mormone 
in die Wanne und predigte eine halbe Stunde lang über „Rein— 
heit“. Der verstorbene englische Politiker Sir Frank Lockwood 
leitete einmal eine politische Versammlung von der Höhe eines 
Heuwagens herab. Es war gerade zur Zeit der Heuernte; ur— 
sprünglich sollte die Versammlung in der Dorfschule stattfinden, 
da man aber bei den dringenden Erntearbeiten auf kein genügend 
großes Anditorium rechnen konnte, kam man auf den Einfall, 
die Versammlung auf dem Felde abzuhalten, und Sir Frank 
Lockwood kletterte auf einen hochbeladenen Heuwagen, um seine 
Wähler für die gute Sache zu begeistern. In der Hitze des Wahl— 
tkampfes sind die enalischen Politiker inbezug auf ihre Redner— 
ribünen überhaupt nicht wählerisch; so kounte man vor einigen 
dahren in Plymouth den Parlamentarier Sir Edward Clark am 
dai auf einem Haufen von Fischerkörben balanzieren sehen. Ein 
dorb war über den anderen geschichtet, und auf der Spitze dieses 
»edenklich wackelnden Turmes hatte der eifernde Politiker seine 
iebe Not, die Wucht seiner überzeugenden Gestikulation mit den 
Besetzen des Gleichgewichts im Einklang zu halten. Auch Cham— 
zerlagin verzichtete in den Tagen seiner politischen Wirksamkeit 
sorglos auf das Dekorum. Er wollte einmal den Hafenarbeitern 
eine Rede halten, und da eine geeiguete Tribüne oder ein er— 
höhter Standort nicht aufzufinden war, kletterte er kurzweg in 
den rußgeschwärzten Förderkorb eines mächtigen Dampfkrans, 
ließ sich über die Köpfe der Versammlung hinaufwinden und 
predigte von hier aus, die Orchidee im Knopfloch und das 
Monokel im Auge, sein politisches Glaubensbekenntnis. Aber 
auch die Geistlichen Englands und Amerikas scheuen nicht davor 
zurück, auf Kosten der guten Form die Gelegenheit beim Schopf 
zu packen. So sah man vor einigen Jahren den verstoxbenen Dr. 
Parker von dem Führerhäuschen einer Lokomotive herab seine 
Predigt halten. Die höchste Kanzel aber hat wohl der Bischof 
Bickersteth erklommen, als er einmal vor einer Gemeinde von 
Fischern und Seeleuten von dem Kuppelraum eines Leuchtturms 
zerab seine Exbauungsrede hielt. 
Das neueste Gretna Green. Die kleine Stadt Reno in Ne— 
jada, die vor wenigen Jahren kanm über ihre Nachbarschaft 
zinaus bekannt war, konstatiert mit Stolz, wie sehr sich der 
Vohlstand der Stadt gehoben hat, seitdem Reuo sich zum ameri— 
anischen Gretna Green und zuͤxr populären Ehescheidungsmühle 
»er Vereinigten Staaten entwickelt hat. Mit schönem Selbsthe— 
vußtsein weisen die Zeitungen von Reno darauf hin, daß das 
zefchäft sich dauernd in erfreulich aufsteigender Linie bewegt. 
Nan veröffentlicht jetzt die Monatsbilanz für den Februar, sozu— 
agen den Marktbericht über die letzten vier Wochen, und kon— 
atiert voll Freude, daß in den 28 Tagen des Februars in dem 
einen Städtchen nicht weniger als 76 Ehen geschlossen und 
2 Chen gelöst wurden. Der für die Bürger von Reno im ersten 
lugenblick Besorgnis erregende Tiefstand des Ehescheidungsge— 
— DVVD — 
zeuen Aufträgen so überhäuft, daß sie der Nachfrage kaum ge— 
ügen können. Außer den 32 Ehescheidungen, die vom Gerichte 
ratifiziert wurden, sind im Februar noch 47 Ehescheidungsklagen 
ingereicht worden, die einstweilen der Erledigung, harren. Da 
die Scheidungskandidaten längere Zeit in Reno leben müssen, 
iind Gastwirte, Ladeninhaber und Bürger mit der Februarbilanz 
ehr zufrieden; 
—— ee5— — 
tinniformen, mit dent Ryhrfstöckchen in der Hand, unbew-ffnet 
spazieren gehen und die Gewalt im Lande vorstellen, so erscheint 
e Illusson. des ähyptischen Nationalismus. daß an den 
Knirps⸗ leicht abschutteln könne, begreiflich. Die Zurückhaltung 
iund der Tatt der Ottupation find bewunderungswürdig. Besucht 
nau aber die berühmte Zitadelle, in der Ibrahim-Pascha die 
Mamelucken niedermetzeln ließ, und von deren Zinnen der letzte 
er Mamelucken auf seinem Roß so geschickt heruntersprang. daß 
rentfliehen konnte — windet man sich da oben durch das Laby⸗ 
ingt düsterer, schwindelnd hoher Mauern durch, hinter deuen sich 
enorme Waffen- und Munitionsmagazine befinden, so überzeugt 
* sich wie gut die höflichen Enaländer für alle Fülle vorgesorgt 
haben. 
Auch einen, Gang ins agyptische Nationalmuseum sollte 
niemand unterlassen, der in Kairo weilt. Man empfäugt hier 
sewisse Eindrücke, wie sie kein anderes Museum bieten kann. In 
iumittelbarer Naͤhe der Fundstätten gelegen, nimmt das ãgyp⸗ 
ische Nationalmuseum in seinen unteren Raäumen neue Ausgra⸗ 
ungen in dem Zustand auf, in dem sie ans Tageslicht gefördert 
vurden. Nichts Interessaukeres als die riesigen, verstümmelten 
Zlanien, an denen noch dieErde klebt, in der sie duͤrchJahrtausende 
seschlumimert. Und andererseits diese wie funkelnagelnenen, in 
Hold und frischen Farben erglänzenden Mumiensärge, die aus 
en hermetifch⸗verschlossenen Gräbern unwversehrt herausgeholt 
duͤrden, fo wie man sie einst hineingestellt hatte. In unhemlich 
dahe, gleichfam persönliche Berührung mit den alfen Aegyptern 
aden uns die Vitxinen, in denen die aus ihren Umwicklungen 
crausgeschaͤlten einbalsamierten Könige und Würdenträger lie— 
en. Da sieht man das kühne, geierartige Erobererprofil Sethis J. 
der eingeschrumpfte, kahle Kopf wirkt wie eine antike, mit grü— 
ser VPatina überzogene Bronze. Einen schauerlichen Eindruck 
acht eincg lachende Munne, Ammamit, einst Vriesterin der heili⸗ 
en Kub Hertor. Sie trägt noch ihr überreiches, in winzige Löck— 
hen gedrehtes Haar und zeigt grinsend die weißen Zähne. 
rappant find die Mumien aus der Ptolomäerzeit, bei denen 
der Sarge in der Höhe des Kopfes mit einem zuwellen vorzüglich 
emalten, Bildnis des Verstorbenen geschmückt ist. Es sind diesel— 
en dunklen, etwas weichlichen Gesichter, dieselben großen schwar⸗ 
Augen,“ wie sie die heutigen Aegypter, in den Straßen von 
ard anfweisen. Ueber den unerbörten Reichtum au Mumien, 
en das Musenm birgt, staunt man zunächst. Nach und nach aber 
»eginnt diese Fülle beängstigend zu wirten. 
Ja, es wird einem, unheimlich bei diesem Aufmarsch gewesener 
Vtdenschheiten; aber die glatten, stilisierten Wohenen der Mu⸗ 
enarge lacheln mit unerschütterlicher Ruhe. Den ägyptischen 
zildwerken haftet eine gewisse überlegene Ironie an, die beson⸗ 
ers in dem vinen des großen Felsensphinx in Szeh zum Aus- 
ruck fommt. Miit diesent moquanten Zug um die Mundwinkel 
n betrachtet er die Menschen seit fuͤnftausend Jahren. Die 
zroßen Eroberer, welche auf, ihren Siegeszügen vor ihn hintra⸗ 
en, waren Eintagsfliegen, für ihn. Selbst als die Mamelucken 
scin Gesicht als geuveee benutzten und ihn die Nase zerschossen 
cheie er ironish. Dieses uralte agyptische Rätselwesen velachel 
die Verganglichteit der menschlichen Dinge. 
—
	        
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