Full text: Lübeckische Anzeigen 1911 (1911)

zriffenz das beweist, daß wir energisch dagegen einschreiten. 
Beifall. 
Beinghiher Bevollmächtigter Generalleutnant Frhr. v. Gebsattel: 
der Abg. Schöpflin hat eine Beschwerde vorgebracht über einen 
nder, Pfalz, stattgebabten Vorbereitüngsunterricht 
nkatholischer Religion, der von altiven Offizieren und 
esuitenpatern (Gr. Heiterkeit) gegeben sein soll, Dieser Unter⸗ 
iht ist an junge Leute erteilt, die der Armee nicht angehörten. 
die Zeitungsnotizen — auf die ich bekanntlich nichts gebe (Heiter⸗ 
it) — hierüber waren falsch. Ob Jesuiten daran beteiligt waren, 
beiß ich nicht. Soviel mir, bekannt, dürfen Jesuiten nur vorüber⸗ 
ehend in Deutschland sich aufhalten. (Gr. Heiterkeit.) Ein 
ilitärarzt hat allerdinas einen, Vortrag gehalten, aber über 
Geschlechtskrankheiten und ihre schädlichen Folgen“, gewiß ein 
erdienstliches Werk. Ein aktiver Offizier, Unteroffizier oder 
rgendwelche Mannschaften waren daran nicht beteiligt. Die 
Militürverwaltung war an diesen Vorträgen nur insofern be⸗ 
eiligt, als sie Strohsäcke und wollene Decken zur Verfügung 
tellte. (Stürmische ee 
Abg v. Oertzen (Reichsp.): Die schweren Anschuldigungen 
vegen Mikhandlungen muß man auch erweisen. Die Ehren⸗ 
erichte sind doch wohl notwendig, insofern, als ein Offizier 
cch einmal Verfehlungen zu schulden kommen läßt, die nicht unter 
as Strafgesetzbuch fallen, und doch bei der Stellung des Offizier⸗ 
orps geahndet werden müssen. Der Deutsche zieht des Königs 
dock an, nicht um Geld zu erwerben, sondern aus einem 
ewissen Idealismus. Die Karriere ist nicht lohnend 
nd die,, Majorsecke macht ihr oft ein frühes Ende. 
NRit dem Unterschied machen zwischen Adligen und Nichtjuden sollte 
nan einmal aufhören. Wegen der Religion darf man 
einen Unterschied gegendie Juden machen. Es 
arf fich nicht darum handeln, ob es anständige Menschen sind oder 
icht. Wenn man bei Juden öfter Erziehimg und Taäkt verinißt, die 
ir den Offizier nötig sind, so hängt das zum Teil von der lang— 
ihrigen Unterdrückung ab, die bei uns lunge dauerte als in 3 
and oder Frankreich. In diesen Ländern kann Juden nichts nach— 
esagt werden. Schließlich sind unsere Juden anders im Westen 
18 im Osten. Ein überzeugter, Sozialdemokrat kann nach meiner 
Anficht überhaupt nicht den Wunsch hahen, Offizier zu werden. Auch 
arf sich die Militärverwaltung auf diese Dinge garnicht einlassen. 
Kriegsminister v. Heeringen: Ich möchte bitten, die Re⸗— 
'olutison Ablaß micht anzunehmen, die Vegründung liegt in 
illent meinen Ausführungen. 
Abg. Raab (Wirtsch. Bgg.): Um die militärische Kriegsbrauch- 
arkeit der Juden zu erweisen sollte man Judenregimen⸗- 
er formseren und in den Krieg führen. Die Statistik der Juden, 
ie sich 1870/71 ausgezeichnet haben, ist doch einigermaßen ver— 
ächtig. Die sozialdemokratischen Blätter überireffen mich vielfach 
in antisemitischer Gesinnung. Herr Kopsch hat mir gegenüber ge⸗ 
neint, ich sei vielleicht schon zuͤfrieden, wenn man mir überhaupt 
intwortet. Eine Liebe ist der anderen wert. Ich glaube, die Frei— 
innigen wollen mir ihre Geringschätzung ausdrücken, indem sie mir 
derrn Kopsch entgegenschicken. Erwünscht wäre uns eine amtliche 
AIngabe, wiebiel jüdische Soldaten nach China und Sudwest ge— 
angen sind. Die Abschlachtung meiner Person war recht bescheiden. 
Die Aktion vom Sonnabend hat lediglich die Rede des Herrn 
dopsch geboren und, das war eine Fehlgeburt, 
Damit schließt die Debatte. Das Gehalt des Kriegs— 
ninisters wird bewilligt; die Resolution Ablaß, die 
geförderung der Juden lebiglich von der persönlichen Tüchligkeit 
hne konsessionelle Rücksichten abhängig zus machen, wird ab⸗ 
Ie Darauf wird die Westerberatung auf Dienstag 1 Uhr 
ertagt. 
Schluß 7 Uhr. 
Preubischer Landtag. 
Abgeordnetenhaus. 
37. Sitzung vom 27. Februar. 
Am Ministertisch: Sydow. 
Bizeprasident Dr. Kraumse eröffnet die Sitzung um 114 
Ur. 
Die zweite Beratung des Etats wird fortgesetzt beim 
Etat der Handels⸗- und Gewerbeverwaltung. 
Abg. Dr. v. Korn-Rudelsdorf (k.): Auf Grund einer Ver— 
ügung des Ministers ist eine Polizeiverordnung erlassen worden, 
opnach die Nokomobilenmit Iteen versehen 
ein sollen. Diese Vorschrift ist praktisch unausführbar. 
Geheimrat Jäger: Die eeng ist gerechtfertigt 
nit Rücksicht auf die Feuergefährlichkeit der okomobilen vhne 
Funkenfänger, sowie mit der Ruͤcksichtnahme auf die Feuerver⸗ 
icherungsyhesellschaften. 
Abg. Kindler (Vpt.) verlangt die Zulassung der für gut be⸗ 
undenen Junkenfänger fürr alle Lokomobilen. 
Abg. Felisch (k.): An der Baugewexrksschule werden 
umeist akademisch vorgebildete Lehrer angestellt. Wir halten es 
ber für erforderlich, daß auch Männer herangezogen werden, 
/ie qus der Praxis bes Bauhandwerks hervorgeßangen sind. Er⸗ 
oünscht ist auch eine Vermehrung der Baugewerksschulen. 
Abg. v. Schenckendorff A Die Mittel für gewerbliche 
xIrziehung sind im Etat sehr sparfam bemeffen. Dagegen befindet 
ich unsere ganze gewerbliche Erziehung felbst in hoch erfreulicher 
Entwicklung, indem sie in reichem Maßhe gewervliche Erziehungs⸗ 
inrichtungen schafft. Sehr zu begrüßen sind auch die von den 
Fortbildungsschulen' getroffenen Maßnahmen für die 
dugen duflege. Das gesamte in Blüte stehende Fortbiidungs- und 
rachschulwesen ist als eine große u be⸗ 
rachten, in der die im Erwerbsleben stehende ee ig 5 
ind tüchtig machen kann für ihr Fortkommen im Leben. Be fall) 
Abg. Kindler (Vpt.) wünscht bessere Besoldung der nicht⸗ 
kademischen Lehrer an den Baugewerksschulen und Pflege der 
eimischen, Bauweise. 
Handelsminister Sudow; Die Pflege der heimischen Bau—⸗ 
velse werden wir uns angelegen sein Jassen. üeber das Fort 
»ildungsschulwesen will ich mich jetzt nicht äußern. Bei der Er— 
irterung über das Gesetz betr. Regelung des Fortbildungsschul⸗ 
vesens, das dem, Hause demnächst vorgelegt werden wird, wird 
ich Gelegenheit finden, auf diese Frage zurückzukommen.Die 
stegierung, hat sich entschlossen, als Oberlehrer an den Bau-— 
ewerksschulen nur äkademisch vorgebildele Lehrer anzüsieflen. 
der Wunsch des Vorredners, das Gehalt der nichtakademischen Lehrer 
u erhöhen, dann nicht erfüllt werden. Es kann nicht als zweck⸗ 
näßig bezeichnet werden, die Besoldungsfrage jetzt anzuschneiden. 
dann ist eine Vermehrung der Baugewerksschulen gewuünfcht. Es 
vürde zweckmäßig sein, in der Umgebung von Berlin derartige 
zeue Schulen zu gründen. Die Verhandlungen darüber sind 
liicht zum Abschluß gekommen, weil die Gemeinden einen ent— 
prechenden Zuschuß nicht gewähren wollten. Der weitere Nus⸗ 
au der Berliner Baugeworksschule ist Sache ber Stabt Berfin— 
der Abg. v. Schenckendorff hat bemerkt, daß der gegenwärtige 
ẽtat mit einer gewissen Knappheit das gewerbliche Erziehungs⸗ 
vesen behandelf, Wenn die Finanzverhältniffe besser werden, 
ann wird die Gewerbeverwaltung auch für diefe Zwecke wieder 
enügende Mittel zur Verfügung stellen. (GBeifall) 
Abag. Lieber (nl.) Aritt für eine Ausgleichung zwischen den 
sRehältern der akademischen und nichtakademischen Lehrer'an den 
haugewerksschulen ein. 
—T v. Arnim (kons.): Angesichts der Tatsache, daß in den 
etzten Jahren ausländische Ankeihen in großem Umfange auf 
inseren Markt kommen, bitte ich den Minister, mit der Zulassung 
rusländischer Anleihen vorfichtig zu fein. Eodann 
nöchte ich auf das agitatorische Vorgehen des Hansa⸗Bun⸗ 
es verweisen, der in einem Wahlaufruf ein Bild gebracht hat, 
muf dem die Industrie als ein starker Mann und die Landwirt⸗ 
chaft als ein schwaches Wesen dargesteillt wurde. Der Minister 
nöne den Handelskammern verbietlen, korporativ dem Hansa⸗ 
zund beizutreten. 
Handelsminister Sydow: Für unsere Volkswirtschaft ist es 
ucht nur wünschenswert, sondern auch notwendig, daß wir ein 
ewisses Quantum ausländischer, Anleihen im in— 
ändischen Besitz haben. Dadurch wird unserer In dustrie und 
serm Handel ein Absatz im Ausland geschaffen. Diese Beteili⸗ 
ung des Inlandes an ausländischen Werten muß aber eine ge— 
nisse Grenze haben: der inländische Geldmarkt darf nicht ge⸗ 
swächt werden. Das ist der Kern der ganzen Frage. Die Be⸗ 
stung des deutschen Kapitalmarktes mit ausländischen Papieren 
tin den letzten 6 Jahren von Jahr zu Jahr gestiegen zu einer 
jeit, wo wir mit der Emission inlandischer Anleihen zur Scho⸗ 
ung des inländischen Marktes zurückgehalten haben. In dem 
Raße nun, wie, dem inländischen Markt freies Kapital entzogen 
vird, muß sich der Zinsfuß steigern. Deshalb schien es mir gae⸗ 
oten, den ausländischen Emissionen bei uns ein gewisses Halt 
ntaegenzuxufen, und aus diesem Grunde ist die Warnung in der 
dorddeutschen Allgemeinen Zeitung erschienen. Die Qualität der 
uslandischen Papiere habe ich ganz unberücksichtigt gelassen, weil 
onst im Publikum die falsche Meinung entstanden wäre, daß die 
Zzapiere offiziös geprüft seien. Die Veröffentlichung sollte eine 
Varnung sein für die großen Banken; sie sollten darguf hinge— 
viesen werden, daß sie bei ihren Geschäften neben wirtschafttichen 
Rücksichten auch die Interessen der Allgemeinheit berücksichtigen 
nöchten. Was die Frage der Beteiligung der Handelskammern 
uim Hansa-Bund betrifft, so ist den Handelskammern nach 
dem Gesetz eine weitgehende Autonomie gestattet. Das Recht 
des Ministers ihnen gegenüber ist beschränkt; er hat nur 
darüber zu wachen, daß sie sich im Rahmen des Dedwed halten. 
das einzige Druckmittel des Ministers besteht in dem Antrag 
in das Staatsministerium, die Handelskammern aufzulösen. Nun 
vird gesagt, der en nnd sei gaus dem wirtschaftlichen in das 
olitische Gebiet ͤbergetreten. Ich bin nicht der Meinung. Es 
ehlt der Beweis dafür, daß der Hansa-Bund sich mit politischen 
ehen vesisttgi die mit wirtschaftlichen nichts zu tun haben. 
83 liegt nicht im Interesse des Stagtes, daß ein Kampf wishen 
en verschiedenen wirtschaftlichen Faktoren geführt wird. Was 
„as vom Vorredner erwähnte Flugblatt des Hansa-Bundes be⸗ 
rifft, so wird es auch in den Kreisen des Hansa-Bundes sehr ent— 
chieden gemißbilligt. Solche Entgleisungen gestatten aber nicht 
zie Konsequenz, den Handelslammern zu verbieten, dem Hansa⸗ 
und sich anzuüschließen. (Beifall links.) 
Abg, Dr. Grunenberg (Ztr.): Duß die Reichsfinanzreform 
ucht schlecht gewirkt hat, zeigt unsere ganze wirtschaftliche Lage. 
daß beim Abschluß von Handelsverträgen manchmal den 
dücksichtslosigkeiten am Plaßtze sind, das beweist der Abschluß des 
dandelsvertrages mit Portugal. Bei der ve von öffent⸗ 
ichen Arbeiten sollte das Handwerk mehr berücksichtigt werden. 
die Bäckereibverordnung sollte möglichst milde gehand— 
abt werden. Die Zentralftelle sür Voltswohlfahrt hat sich so gut 
entwickelt, daß ihr weiterer Ausbau erwünscht ist. 
Abg. Dr. Schröder-Cassel (nl.): Mit den Ausführungen des 
MNinisters sind wir im wesentlichen einverstanden. Der Ton in 
den Versammlungen des Hansa⸗Bundes ist vornehmer als 
der in den Versemmlungen des Bundes der Laudwirte. Der In⸗ 
ustrie geht es nicht besser wegen, sondern trotz der Reichsfinanz⸗ 
ceform. Auch ist die allmähliche Besserung des Kurses Uunserer 
donsols nicht auf die Finanzreform zurückzuführen, sondern 
arauf, daß unsere großen Banken bei ihrer Beteiligung an den 
etzten Anleihen eine vernünftige Finanzpolitik getrieben haben, 
leber die Konsumvexreiné wird viel geklagt. Ich kann es 
erstehen, wenn kleine Beamte, die mit dem Senng rechnen 
nüssen, diesen Vereinen beitreten. Dagegen ist es etwos anderes, 
venn böhere Beamte es tun. Diese sollten doch bedenken, daß die 
Allgemeinheit die Beamtenbesoldungen aufbringen muß. Auch 
vir erwarten, doß die Bäckereiverordnung maßvoll gehandhabt 
vird. In der Reichsversicherungsordnung muß Vorsorge getroffen 
verden, daß das Ueberwiegen der Sozialdemokraten in den großen 
Irtskrankenkassen geschwächt wird. 
Abg. Rahardt (fk.); Der Fortbildungsschulunterricht darf nicht 
zurch überlastet werden. Die Lepen an 
en Fortbildungsschulen, insbesondere, an den Kunst⸗— 
tewerbeschulen müssen reformiert werden. Der jetzige Unterricht 
n diesen Schulen erzeugt vielfach ein halbgebildetes Proletariat, 
as für die Praxis und die Wissenschaft verloren ist. Die Gewerbe⸗ 
ufsicht solite hinsichtlich der Beschaffenheit der Betriebsräume nicht 
rigboros dehen gaht werden. Die — der Bau 8 r de⸗ 
ungen der Handwerkexr muß verstärkt, der Bauschwindel 
uuß schärfer angefaßt werden. Das bestehende Gesetz genügt nicht. 
Senn Sie heute der Hodra des Bauschwindels Dr Köpfe ab⸗ 
Iaher, so wachsen ihr morgen zwanzig neue. Wir bitten den 
Ninister, die dringenden Wünsche des Handwerks, die ihm die 
xxistenz ermöglichen, zu erfüllen. 
Hierauf wird die Weiterberatung auf Dienstag 11 VUhr vertagt. 
Außerdem kleinere Vorlagen. 
—A— v. Kröcher stellt für Dienstag eine Abendsitzung 
n Aussicht. 
Schluß 45 Uhr. 
ODrüfunqs vorschriften für Seeschiffer. 
Die Ueberzeugung, daß die jetzigen Prüfungsvorschriften 
eformbedürftig seien, dringt in immer weitere Kreise. In seiner 
zitzung vom 29. Februar hat derNantische Verein nach 
inem eingehenden Referat von Professor Dr. Bolte eine Anzahi 
eitsätze in dieser Angelegenheit angenommen, deren wichtigster 
„ie Einführung eines „Schiffer auf mittlerer Fahrt“ ist. Die— 
elbe Forderung wurde von Professor Dr. Schil ling auch in 
jer letzten Sitzung des Nautischen Vereins in Bremen 
rhoben. Nach einem Bericht der Weser⸗Keitung trat zunachst 
ßrof. Dr. Meldau für eine Verschärfung der Prüfungsvorfchriften 
ür Kapitäne und Offiziere ein, indem er davon ausging, daß trotz 
iner mehrfachen teilweisen Modernisierung die setzt eiwa vierzig 
Jahre geltenden Prüfungsvorschriften nicht mehr den Anfordbe- 
ungen genügten, die an den Schiffskapitän gestellt würden. Die 
prderung einer wesentlichen Reorganisation der Prüfungsvor— 
hriften wird in erster Linie erhoben von einem Teil der Rheder, 
ie von ihren Kapitänen größere Kenntnisse im Seerecht und in 
avariesachen, größere Fertigkeit im schriftlichen Gebrauch der 
eutschen Sprache und eine größere Allgemeinbildung verlangen. 
in zweiter Linie erheben die Kapitäne und Offiziere der Handels⸗ 
aarine selbst die Forderunn. An dritter Stelle kommen die 
dehrer an den Navigationsschulen und die Mitglieder der Prü— 
ungskommissionen. 
Eine Reformbedürftigkeit der heutigen Vorschriften wird also 
ast allerseits egeben, Der Grund ift weniger darin zu suchen, 
aß die in Frage kommenden Gegenstände nicht auf den Schulen 
zelehrt würden, sondern in dem rein mechanischen Prüfungsver- 
ahren. Vom Verein der Kapitäne und Offiziere der Handels⸗ 
narine wird eine allgemeine wesentliche Erschwerung der Prü⸗ 
ung durch starke Vermehrung der Prüfungsgegenstände und der 
Zedingungsaufgaben velangt. Gleichzeitig wird das Verlangen 
iach gkademischem Untexrricht erhoben. VDiese Vorschlage geben 
um Teil viel zu weit. Die Zeit und die Kosten des Schulbesuchs 
vürden dadurch dermaßen gesteigert, daß der Berus Minderbe⸗ 
aittelten zum großen Teil versperrt würde, so daß die Rheder 
vomöglich unter großem Offiziermangel zu leiden hätten. Die⸗ 
elben Bedenken kann man gegen die von vielen Seiten erhobene 
jorderung hegen, daß nur solche Schüler zum Besuch der Navi— 
ationsschulen zuzulassen seien, die bereits das Einsaͤhrigen⸗ 
Jeugnis besäßen. Dadurch würde die städtische Bevölkerung viel 
u sehr begünstigt, der Zugang außerordentlich erschwert, und 
er oft mit Mühe und Not erworbene Berechtigungsschein gebe 
uch keine sichere Garantie für die geistigen Fähigkeiten des Be— 
itzers. Annehmbarer sei schon der Vorschlag einer Aufnahme⸗ 
rüfung. Dadurch würden wenigstens völlig ungeeignete Ele⸗ 
nente ferngehalten, nur müßte diese Aufnahmeprüfung dann anuch 
tuf allen Schulen vom Reich beaufsichtigt und ernsthaft gehand 
abt werden. 8 
Sehr zu empfehlen sei die Eünrichtung einer Ober- 
la sIe. Wir fänden solche auch bei anderen Bernfen, z. B. vei 
en Schiffsingenieuren. In ihr könnte man dann Hauch einen 
nehr gkademischen Betrieb einrichten und gerade die Gegenstände 
aehr betonen, deren Kenntnis nicht so sehr für die Bestehung. der 
etzigen Prüfungsvorschriften, als für die Berufstätigkeit felber 
vünschenswert ist; auch könnien die Kenntnisse in allen Gebieten 
1 wünschenswerter Weise vertieft werden. Es sei die Frage, ob 
ie Oberklafse der Schifferklasse folgen oder mit ihr parallel laufen 
oll. Die Forderung nach einer Oberklasse werde schon seit zehn 
jahren erhoben; sie sei aber noch nicht durchgedrungen, sondern 
ie habe, indem man die für die Oberklasse neu vorngeschlagenen 
brüfungsgegenstände den ohnehin schon überlasteten Schiffer⸗ 
lassen gufnätigte, bis jetzt nur dazu beigetragen, die Oberfläch⸗ 
ichkeit der Ausbildung zů erhöhen. V 
An den Vortrag schloß sich eine eingehende Diskussion. Prof. 
Dr. Schilling meinte: Der Hauptnachteil liege darin, daß alle 
Fahrzeuge über 400 Kubikmeler (bei Schleypern solche über 1000 
kuhikmeter). abgesehen von der Nahfahrt, von Schiffern auf 
roßer Fahrt geführt werden müßten. Bei der großen Verschöie 
enartigkeit der Ansprüche aber, die an einen Schnelldampfer— 
apitaän und an den Kapitän eines ganz kleinen Fahrzeugs. das 
ucht im der Nahsahrt beschaftigt ist, gesteut wuroen, fuyre cs i 
mlöslichen Schwierigkeiten, wenn alle dicselbe Prüfung bestelen 
nüßten. Die heutige Prüfungsordnung biete keine Gewähr da— 
ür, daß der Prüfling sich alle für den Schnelldampfer-Kabitem 
rforderlichen Kenntnisse gneigne, und eine auf den zukünftigen 
zührer eines Riesendampfers zugeschnittene Prüfung könne man 
icht von jedem verlangen, der später auf einem Seeschlepper oder 
inem kleinen Frachtdampfer fahre. Eine Lösung dieser Schwie⸗ 
igkelt sei nur möglich, wenn man noch eine neue Kategorie von 
dapitänen schaffe, die man Schiffer auf mittlerer Fahrt nennen 
önne. An sie seien etwa die Ansprüche der jetzigen Schiffer- 
rüfung zu stellen, während man an die zukünftigen Schiffer auf 
wroßer Fahrt wesentlich gesteigerte Anforderungen stellen müsse. 
die Oberklasse denke er sich ohne Berechtigungen, als eine ganz 
reiwillige Betätigung für Schiffsoffiziere, die sich fortbilden 
vollen. Ihr Besuch sollte erst etwa zehn Jahre nach dem abge⸗ 
egten Schiffer-⸗Examen erfolgen und ihr Betrieb ein akademischer 
ein. Sie solle dem älteren Schiffsoffizier die Kenntnisse über 
bandelsrecht, Havarie und dergl. übermitteln, die der Kapitän 
esonders braucht, und die heute zwar auch auf den Schulen schon 
zerührt, aber von den Schiffsoffizieren in der langen Zeit bis 
ur Beförderung zum Kapitän wieder vergessen würden, falls fie 
icht während dieser Zeit vom Kapitän selber darin unterwiesen 
vürden, was aber nur allzu selten geschähe. 
Infpektor Heyden war für eine Verschärfung der jetzigen 
A 
Bedingungsaufgaben würden. Er sprach sich gegen' die Ein— 
ührung eines Schifferpatents auf mittlerer Fahrt aus. Der 
zchiffer auf mittlerer Fahrt brauche genau diefelben nautischen 
deuntnisse wie der Schiffer auf großer Fahrt, und in der Ab— 
renzung des Betätigungsbereichs liege eine Härte für den Kapi— 
än und die Rhederei. Ebenso äußerte sich Oberlehrer Renner, 
er betonte, gerade die Navigation an der Küste sei das 
chwierige. Der Unterrichtsstoff reiche aus, aber auf die münd— 
che Prüfung müßte viel mehr Gewicht gelegt werden. Kapitän 
jötticher wünschte, daß mehr Wert auf die englische Sprache 
elegt werde. Oberlehrer Mühleisen bemängelte, daß Seerecht 
ind Seemannschaft nur im deutschen Aufsatz geprüft würden, und 
nöchte, daß sie neben Deutsch zu selbständigen Gegenständen der 
chriftlichen Prüfung würden. Schließlich wurde zur weiteren 
zeratung eine Komission eingesetzt, der die Herren Prof. Dr. 
zchilling. Claus Dreyer, Kapitän Felljuch, Inspektor Heyden 
ind Oberlehrer Renner angehören follen. 
hütte und Höhlenhaus in Nord und Süd. 
Einen reizvollen Einblick in die Entstehungsgeschichte unseres 
Vohnhauses eröffnete der Kal. Garteninspektor Willy Lange in 
inem Vortrage, den er in der Hauptversammlung des Deut⸗ 
chen Vereins für landliche Wohlfahrts⸗ und Heimatypflege hielt. 
In einer langen Reihe von fesselnden Lichtbildern, die er selbst 
ruf seinen Wanderungen durch den Norden und den Süden 
Furopas gewonnen, zeigte er die beiden Urformen meyschlicher 
dehausungen, wie sie sich nebeneinander entwickelt haben; im 
itenhaus des Nordens und dem Höhlenhaus des Südens. Wie 
er Botaniker und Zoologe die Lebewesen in engstem Zusammen⸗ 
jang mit ihrer Heimat, mit ihrem Wohn⸗ und Standort zu ver⸗ 
tehen vermag, so ist auch die Art, wie der Mensch seine Woh— 
iuug schafft, aus den Bedingungen zu erklären, die ihm die 
ꝛeimat bietet. VJ 
Die Hütte, die für den Norden die charalteristische Erschei— 
rungsform ist, finden wir noch heute da, wo die Lebensbedin⸗ 
sungen den Menschen zum Nomaden machen. Der Lappe baut 
n seiner Landschaft mit ihren Sümpfen, Mooren, Bergen und 
ßletschern, in der sich nur krüppelhafter Baumwuüchs entwickelt 
uind in der er dem Renntier, das ihm den Lebensunterhalt ge⸗ 
vährt, nachzieht, Zelte aus dürftigen Stangen und Fellen, das 
ypische Nomadengebhäuse; und nur im WBinter, wenn auch die 
senntiere sich in die Täler drücken, baut er Hütten in der Tundra, 
nit Moorvolstern bedeckt, die im Sommer lebendig werden mit 
der grünenden Landschaft. Dieselbe Form der Hütte erscheint 
iberall, wo, wie bei den Köhlern, Waldarbeitern und Hirten die 
bensßaltung sich im Sommer vorübergehen? ni, 
ie einst Regel war, wieder nähert: in der Köhlerhütte wie in 
er Hütte eines englischen Torfbrenners, die sich von der lappi⸗ 
chen Tundrahütte nur wenig unterscheidet. Und daß diese Hütte 
vohl imstande war, recht wohnlich zu werden, zeigte das an⸗— 
iiehende Bild eines englischen Heidehauses, mit Efeu berankt 
ind mit wohlgefügtem Dach. In diesem keimhaften Hüttenhaus 
rkennt man bereits ein Streben nach oben, eine Entwicklung in 
enkrechter Richtung, die zum Ausbau eines Obergeschosses führt 
ind so den Uebergang bildet zu der neuzeitlichen Bildung des 
dachhauses. Die Entwicklung, die die Hütte durch Einführung 
es ecligen Grundrisses anstatt des runden sowie durch Nerwen- 
ung festerer Materialien beim Seßhaftwerden der Bevölkerun 
ꝛrfährt, lätzt sich am besten in Skandinavien verfolgen, wo — 
Jeute noch urwüchsige Gebäudeformen finden, die bei uns länagst 
ausgestorben sind, Hier setzt auch die Stockwerkbildung bereits 
in einer Zeit im Holzbau ein, die in Deutschland keine sichtbaren 
Spuren mehr hinterlassen hat. Bei uns ist das Holzhüttenhaus 
mit seiner hochstrebenden senkrechten Richtung wesentlich dem 
valdreichen Gebirge und seinem Vorlande eigen geblieben. Was 
aus ihm werden konnte, zeigt etwa das Beispiel von Wernigerode; 
einen gewaltigsten Stil aber hat es im Schwarzwaldbans ge⸗ 
vormt; auch an den nordischen Holzkirchen sieht man, wohin 
Ius der nordische Hüttenhaus-Stil entwickelt werden 
onnte. 
Die Entwicklungsreihe dagegen, die die Behausung des Süd⸗ 
änders durchmachte, nimmt ihren Ausgang von der Höhle. Sie 
st die ursprüngliche Wohnungsform bei Holzmangel, Baustein⸗ 
nangel, Winterkühle und Wasserarmut in lößartigem, leicht zu 
öhlendem Boden. Solche charakteristischen Höhlendörfer findet 
nan noch in der spanischen Sierra Nevada; nähert man sich diesen 
zon der entgegengesetzten Seite, so sieht man nur Schornsteine. 
And die Erinnerung an diese Urform erhält sich auch im Höhlen⸗ 
zaus, in dem typischen Haus des Südens mit dem flachen Vvach, 
nit den wenigen Fenstern und mit Schattenkühle im Innern, das 
—B—— 
veise in den Ebenen des Nordens den Stil des landwirtschaft⸗ 
ichen Hauses beeinflußt hat, so macht sich auch die terrafssfierte 
dulturlandschaft des Mittelmeergebiets geltend, indem die Hänfer 
jzalb höhlenartig an den Abhang geklebt werden, mit möglichster 
lusnutzung jeder bewässerungsfähigen Fläche. Die Häuser 
chmiegen sich eng an den Fels und gehen so mit der Natur, der 
ie entstammen, eine innige Verbindung ein, die wir als künst⸗ 
erische Harmonie von Natur und Mensch empfinden. Tritt man 
on außen an eine solche Höhle heran, so vermutet man nicht, 
zaß im Innern ein wohnungsartiger Eindruck in unserem Sinne 
erreicht wird. Die Bewohner dieser Höhlenhäuser übertragen 
hren Stil dann auch auf ihr Festhaus, die Kirche, die ganz 
benso fensterlos ist. Wenn nun die einzelnen Höhlenhäuser zur 
Straße zusammenrücken, so sieht man nur Türen, mit Vorhängen 
ersehen, hinter denen dunkle Räume liegen; denn man lebt, 
arbeitet, ißzt auf der Straße. Das horizontal gelagerte Höhlen— 
haus flietzt mit seinem Nachbar zusammen, gibt die Selbftändig⸗ 
leit auf, die es eigentlich schon bei seiner Entstehung nicht hatte, 
veil es im großen Körper des Berges oder Abhangs aufgeht. 
Im Norden dagegen behält jedes Hüttenhaus, auch wenn es 
ur Stadtstraßze mit anderen zusammenrückt, seine Selbständigkeit 
inter eigenem Dach, getrennt durch schmale Hohlräume, wie es, 
zesonders typisch in alten Straßen Bremens oder Lüneburgs zu' 
eobachten ist. Auch aus dem höher entwickelten Stadthaus des 
Südens spricht deutlich der Höhlenbau, ja ein Rengissance-Palast 
ceinster Form ist ein künstlerisch gesteigertes Höhlenhaus mit 
Horizontalentwicklung. In den Alpen, die eine Natur- und 
Lölkerscheide zwischen Nord und Süd bilden, geht die Haussoem 
eine Paarung ein: das Alpenhans in seiner vollkommenen Ent— 
vicklung erscheint als ein flaches Höhlenhaus mit aufgesetztem 
hüttenhaus, eine Verbindung der Elemente von hyrizontalem 
Steinbau und vertikalem Holzbaut. „Das Hüttenhaus dem Mor— 
cu, , das Höhlenhaus dem Süden,“ sagte Lanuge gegen den 
Zchluß seiner Darlegungen, „so scheiden es die Alpen. Die neuen 
Siedlinasbaumeister hat ein, richtiger Instinkt geseitet, wenn sie 
as Hüttenhaus wieder zum Typ neuzeitlicher Bauweise erhoben. 
Messel und Geßner haben den Vertikalstit dem nördischen 
Ztraßenbild wiedergegeben, gegenüber dem südlichen Horizontai- 
til. Beste Anfänge lassen Bestes hoffen für die Rkunit.“ “n,
	        
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