Deutscher Reichstag.
(136. Sitzung.) J
Berlin, den 27. Februar.
Am Bundesratstisch: v. Heeringen.
Nachdem in dritter Beratung die Vorlage wegen weiterer
zukaffung von Hilfsmitgliedern im Kaiser—
sichen Patentamt nach einer kurzen Erörterung, an welcher
ich der Abg. Kiursch (Zentr.) und ein Bundeskommissar
heteiligen, eudgültig unveräudert genehmigt wurde, setzt das
aus die
⸗ Spezialberatung des Militäretats
bort und nimmt die am Sonnabend vertagte Debatte beim Gehalt
es preußischen Kriegsministers wieder auf.
Abig. Gröber (Kentr.): Die sozialdemokratischen Mitglieder
haben üus zum Vorwurf gemacht, daß wir zwar die Erhohung
der Offiziersgehälter, nicht aber die de Mannschastslöhne
bewilligk haben, Dieser Vorwurf nimmt sich recht senderbar aus
im Munde von Vertretern einer Partei, welche alle neuen Steuern
und soeben noch die Zuwachssteuer abgelehnt haben. (Sehr
richtigl im Zentrum.) Es ist auch nicht richtig, wenn durch solhe
Behauptung der Anschein erweckt wird, als ob für die Soldaten
in den letzten Jahren nichts bewilligt worden wäre; die Ausgabe
für das Putzzeug, welche auf den Etat übernommen worden ist,
beträgt 5 Millionen; das ist vielleicht für die Mannschaften be—
deutsamer als eine Erhöhung der Löhnung um ein paar
Pfennige, Ob die Ehrengerichtsordnung von, 1874
rechtsgüͤltig ist, ist eine noch wenig geklärte Frage. Soweit sie sich
auf Zivilpersonen bezieht, läßt sich ihre Rechtsgültigkeit nicht ohne
weiteres anerkennen, wenigstens bezüglich der Frage der Zeugnis⸗
und Eidespflicht denn dafuͤr fehlt jede gesetztiche Grundlage. Auch
bezüglich der Rechtshilfepflicht der Gerichte fehlt es an jeder
Handhabe; auch n oPperiert man mit einer preußischen Ver⸗
ardnung, auch hier bestehen weitgehende Zweifel. Nach der
Ordre von 1874 sind ja auch die Ehrengerichte gar keine Gerichte
mehr, sondern nur noch gutachtliche Behörden. Ein Ende karm
diesen Zweifeln nur bereitet werden, wenn man den Weg der
Gesetzgebung beschreitet. Bedenklich sind auch diejrnigen neuen
Beftimmungen über das Verfahren, welche die Stellung des An—
zeschuldigten verschlechtern. Die militärischen Personen werden
zuf Ehre und Pflicht vernommen, die Kivilhersonen werden ver⸗
eidigt. Was der Kriegsminister für diese Bestimmmngen ange⸗
führt hat, kaun die Bedenken nicht zerstreuen Der Hauptmangel,
—
über verabschiedete Offiziere zu Dern sitzen. Sier liegt die
große Gefahr vor, daß politische Momente bei den Enx—⸗
scheddungen der Ehrengerichte Einfluß gewinnen. Die Ent—⸗
scheidungen in diesem Verfahren können zur Vernichtung der
Ehre und der wirtschaftlichen Existenz eines verabschiedeten Offi—
ziers führen. Darum müssen Kautelen gesucht werden, wie sie
auch beim bürgerlichen Strafverfahren vorhanden sind, es müssen
die Rechtsmittel erweitert werden. Der Angeschuldigte hat keinen
Anspruch, bei der Vernehmung von Zeugen zugegen zu sein, er
müßte doch das Recht haben, an die Zeugen Fragen zu stellen.
Der Kontingentsherr entscheidet auch nur auf Grund schriftlichen
Materials. Man kann hier von einer Kabinettsjustiz sprechen.
Der Abg. Gothein hat empfohlen, einmal die Stellung des Chefs
»es Militärkabinetts aus dem Etat zu streichen. Damit erreichen
wir nicht hviel. Es wird nur besser werden, wenn das nze Ver⸗
fahren geändert, ein Instanzenzug eingeführt wird. Bis dahin
wird das ehrengerichtliche Verfahren immer nur ein Verfahren
ein, das ein gerichtliches nicht genannt werden kann, das aller
rautelen eines gerichtlichen Verfahrens entbehrt. Eine Aende—
cung läge auch im Interesse des Ojfizierstandes selbst.
Der Kriegsminister hat gesagt, eine Zurücksetzung der
Juden sei unzulässig. Der Abg. Raab hat eine allgemeine
Debatte über die Judenfrage inszeniert, und zwar ohne Grund.
Was er an Witzen gegen die, Judenschwächen angeführt hat, war
—
entgegenzuführen. An die Stelle ruhiger Erwägung darf nicht
leidenschaftlicher Hatz treten. Ebenso wenig dürfen einzelne Vor⸗
kommnisse verallgemeinert werden. In der österreichischen Armee
sind die Israeliten bis in die höchsten Offiziersstellen wiederholt
aufgerückt. Unter 1000 österreichischen Offtzieren gibt es 81 Juden.
Italien, England, und Frankreich haben doch auch die Juden zu⸗
delassen und damit doch auch keine ungünstigen Erfahrungen ge⸗
macht. Sind denn die deutschen Israeliten aus ganz anderem
Holz geschnitten wie die Israeliten der übrigen Staaten? In den
Freiheitskriegen haben 16 Israeliten das Eiserne Kreuz erhalten.
In dem Bericht der verantwortlichen Militärbehörden ist ausge⸗
prochen, daß die Juden im preußischen Heer sich in Krieg und
Frieden bewuͤhrt und in der Erfüllung ihrer Pflichten niemandem
nachgestanden haben. 1870/71 haben 8378 jüdische Soldaten das
Eiserne Kreuz oder die entsprechende militärische Auszeichnung
der anderen Bundesstgaten, wie den Zähringer Löwen und
andere erhalten, u. a. über 100 jüdische Difiziere. (Widerspruch
bei der Wirtsch. Vereinigung und Zuruf: Aerzte.) Darauf kommt
es vor allem an, daß der Grundsatz des Gesetzes von 1869 den
auch der Kriegsminister hier betont hat, hiernach nicht überalf
durchgeführt wird. Bei den getauften, Juden findet man doch
kein Hindernis. Diese Tatsache ist viel beweiskräftiger als alle
Einzelfälle. Die Katholiken haben Anlaß, für ehrliche Durch⸗
Rihrung des erwähnten Varitätsgesetzes einzutreten, denn auf
diesem felben Gesetz beruht auch ihre Existenz. Wie die Juden,
so könnten auch morgen die katholischen Ordensmänner und
Frauen, die katholischen Beamten wie die Katholiken überhauvt
behandelt werden. Gerade wir, die wir für uns die Gleichbe⸗
rechtiaung fordern, sind bereit, uns uneingeschränkt auch für die
iche Gleichberechtigung des jüdischen Bekenntnisses einzu⸗
etzen.
Abg. Dr. Osann (natlib.): Die direkte Veranlassung zur
Zzurücknahme unseres Schlußantrages war die, daß wair eine so
erletzende und verhetzende Rede wie die des
Abg. Raab nicht unwidersprochen ins Land hinausgehen
lassen können. Es waren Vorwürfe, die mit dem Rüstzeug ver⸗
sogener Jahrhunderte versehen waren, bei denen neue Tatsachen
berhaupt nicht hervortraten. Sie stelite sich an der Hand anti⸗
e Schriften auf den Standpunkt, daß wir es bei den
Juden mit Staatsbürgern zweiter Klasse zu sun haben, denen
auf Grund ihrer Geburt und ihrer Religion allein schon nicht die
gleiche Berechtigung wie allen übrigen Staatsbürgern zuteil
werden darf. Der Kriegsminister et schon mit allem Nachdruck
darauf hingewiesen, daß er diese Tendenzen mißbilligt und be⸗
ämpft. Er hat sich gleich seinem Vorgänger auf den Standpunk!
estellt, daß konfessionelle Unterschiede nicht obwalten dürfen.
—5* steht er auf dem Boden der Verfassung und der Gesetz⸗
sebung. Die konservative Parteqa, vertritt, wenn die
itungeauherungen recht haben, de eie Anschamung In
er Kreuzzeltung war vor einiger Zeit über die Stellung der kon⸗
ervativen Partei zum Antisemitismus eine, ich will nicht sagen
rogrammalische, wobl aber aufklärende Bemerkung enthalten.
—X————
ervative Kräfte lebendig sind. Der Programmpunkt der Kon—
ervativen, der 9 gegen die Juden richtete, riird also
iach der Entwickelung der Dinge und nach dem Gange
der Heit nicht mehr in voller Schärfie autfrecht erhalten.
Wenn ich auch annehme, daß es sich nicht um eine Privatäußerung
ser Kreuz⸗- Zeitung handelt, sondern daß sie von der Varteileitung
uspiriert ist, so wäre es doch erwünscht, wenn die konservative
Partei erklärte, ob sie diese Auffassung der Kreuz⸗-Zeitung für
richtig hält. Es muß aber gauch mit allem Nachdruck Gewicht
darauf gelegt werden, daß wir auch die mil itärische Tüch⸗
tigkeit für einen Bewerber um einen Offizierposten für erfor⸗
derlich erachten ( Hört! Hört!). Die Juden, die sich auf den VBoden
unseres heutigen Staates stellen, und in Staatsämter einzurücken
wünschen, wissen sehr wohl, daß sie sich einer peinlichen Prüfung
unterziehen müssen. Die militärische Tüchtigkeit, die Fähigkeit,
ein auter Vorgesetzter zu sein, muß, wie bei iedem anderen Be⸗
werber, auch bei den Juden gepriift werden. Die Acußexungen
des Abag. Raab waren lediglich auf antisemitische Handbücher ge⸗
tützt, sie mißten aber doch, wenn sie Beachtung finden sollen, mit
Tatsachen begründet werden; das ist aber nicht geschcehen. Da
die allgemeine Dehatte weiter geht, so sind wir genötigt, auch
noch gauf die Ausführungen der äußersten Linken zum Militäretat
urückzukommen. Den Sozialdemokraten ist die Kritik
Zolbstzweck, sie üben Kritik lediglich um der Kritik willen. Wir
vollen doch mit unserer Kritik — herbeiführen. Sie
commen immer noch mit dem Ladenhüter des Milizsystems, mit
den Mißhandlungen, die, je weniger ihrer werden, eine desto aus⸗
füͤhrlichere Behandlung erfahren, mit dem Duell⸗ Unfug. Leues
haben fie herzlich wenig vorgebracht. Die Erhöhung der Mann—
hafislohne wird verlangt, aber um die Durchführung dieser
Forderung lafsen sich die Herren lein graues Haar wachsen. Wir
saben unsererfeits daran festgehalten, daß an dem Wesenskern
mnferer militarischen Einrichtungen und uünserer militärischen
stüftung nicht gerüttelt werden darf; wir brauchen dee
bestausgerüsteten, Mannschaften und die tüch—
igsten Hffiziere. Die Offiziere der Grenzgarnisonen sollten
etwas mehr berücksichtigt werden; man sollte ihnen Gelegenheit
jeben, sich für die Examina auf der Kriegsakademie entsprechend
horzubereiten. Für die Bersüngungdes Offizierkborpe
nuhle mehr geschehen. Die großen technischen Fortschritte, die
semocht worden find, konnten gar nicht erreicht werden ohne
eistiges Zusammenarbeiten von Mannschaften und Offizieren;
ine Erziehung zum Kadavergehorsam hätte dieses Resultat nich!
züwege bringen können. Wir müssen die allgemeine Durchführung
der allgemeinen Dienstpflicht wünschen. Die Bevorzugung der
Jeberzähligen ist vom Uebel. Der Dienst im Heer soll nicht als
nz 33 sondern als eine Ehre empfunden werden. (Beifall
Abg. Schöpflin (Soz.): Die Rede des Dr. Osann war augen ⸗
cheinlich gehaliten, um sich der Regierung und den Konserpativen
u empfehlen. Kachen — Wir be—
treiten, daß unsere Kritik Selbstzweck sei, wir haben das nicht
iotwendig. Man schaffe Abhilfe, dann haben wir leinen Aaita-
ionsftoff mehr. Die Behandlung der Juden in der
Armee, widerspricht augenscheinlich der verfassungßmähigen Gleich⸗
ꝛerechtigung der Konfessionen. Die Verwaltung könnte Besserung
chaffen, aber sie will nicht. Hier beruft man sich auf das Volks—
empfinden. während man sonst das Volk mit Füßen tritt. Der
reußische Ädel sollte seine Fähigkeiten durch jüdisches Blut
vieder auffrischen, Gerade die antisemitische Paxtei hat jüdischen
Heschäftsfinn gezeigt. Die badischen Flugblätter, die ietzt
das Werk eines Verrückten sein sollen, sollten erst gegen uns aus-
denußt werden. Wir möchten den Verfasser gern kennen lernen.
un dem Byiffinaschen Erlaß ist der springende Punkt. datz
ein preußischer General sich derart über unsere Immunität
zuüßern konnte. Ueber den Fall Gramm hat, der württem⸗
bergische General sich in persönlichen Angriffen geäußert, ein der-
irtiges Verfahren find m.ir seit langem gewohnt, es beweist nichts.
Rißhandrlungen werden immer, noch zu milde bestraft; sie
ommen daher noch immer viel zu häufig vor. Dexr Kriegsmini-
ter schreitet augenscheinlich „icht so scharf gegen Mißhandlungen
in wie sein Vorgänger v. Einem und ist deshalb aum Teil mit
aran schulb. In der deutschen Armee soll es keine Roheiten und
Brutalitäten geben.
Abg. Kopscheu(f. V.): Alle die Angriffe und personlich ver⸗
etzenden Ausführüngen des Herrz Raabe begen
msere jüdischen Mitbürger sind nicht geeignet, diese zu treffen; es
genügt sie nicdriger zu hängen. Der Aba. Liebermann von
Zonnenberg bekam einmal vom Abg. Richter zu hören: Der Abg.
Lebermann von Sonnenberg macht die antijüdischen Witze, weld
die Konservativen gern hören, die selbst zu machen sie sich aber z
bornehm halten. Nun reichen die Ausführungen des Herrn Raat
an Witze micht heran, und sie sind auch von der Rechten nicht mit
Heilerkeit aufgenommen worden, im Gegenteil war der Wider⸗
villen gegen die Rede des degg im Haufe allgemein. Aber dem
seriegsminifier muüssen diese Ausführungen doch zu denken ge—
geben haben. Er hat zugegeben, daß gewisse antisemitische Re⸗
gungen im Offizierkorps vorhanden seien, und hat sie in diesem
Jahre auch gemißbilligt, während er sie im vorigen Jahre noch
mit antisemitifchen Redewendungen zu erklären versücht hatte.
Allen Mahnungen zur Sparsamkeit hat der Kriegsminister den
Hinweis darauf entgegengesetzt, was ein unglücklicher Krieg wohl
dem Laude kosten würde. Mit solchen Argumenten kann man
R Abstrich zurückweisen. Gewisse Gouverneur;
tellen, die wir in der Kommission streichen wollten, betrachtet
das Volk als Sinekuren, in sie kommen Herren hinein, die großen
Einfluß haben, manchmal einen größeren als der Kriegsminister
felbst. VDie Armeeinspekteuve haben mit der Schlagfertigkeit der
Armee nichts zu tun, fie dienen mehr der Etikette. Auch die
Fürsten soliten etwas mehr Rüchksicht auf die Lage der Finanzen
sehmen. In der Kommission wird mitunter gespart, aher im
Plenum wird alles wieder umgestoßen. r könnte bei Ka⸗
sernenbauten gespart werden. Wenn, die Militärverwaltung bedee
Bafthaus bo hrkottiert, wo Sozialdemokvaten verkehren, dann
mußte sie auch die Restauration des Reichstages hoykottiecen. Hat
der Kriegsminifter auch das Spielen der Miütärkapelle im Wahl⸗
kreise Sprottau verboten, wo einmal die Konservativen und So⸗
zialdemokraten ihre Verbrüderung gefeiert haben? Die Militär⸗
erwaltung hat ihre Politik selbst in das Heer hineingetragen. Der
ricgsminsster hat anerkannt, daß ein autes Turnen für den
ünrdienft wünschenswert sei, aber abgelehnt, daß die guten
urner eine kürzere Zeit dienen sollen. Das ist sehr zu bedauern.
der Kriegsminister hat in der Wehrordnung die Hand⸗
habe dazu, ausnahmsweise tüchtige Turner zu berücksichtigen.
dies wurde auch die Zahl der Fälle vermindern, wo die Schüler
höhererLehranstalten 8 ehen Der
unister solite die sportlichen Veranstaltungen möglichst fördern und
nterftützen. Er hat eine Zurücksetzung aus konfessionelben Gründen
gemißbilligt. Wie steht es aber mit der Zurücksetzung ge—
vpisser Stände? Ein Präparandenlehrer aus dem Osten be—
fich darüber, daß seine Kameraden trotz guter Zeugnisse nicht
befoͤrdert worden sind. Das Oijfizierkorps macht also Standes⸗
imlerschiede. Der Regimentskommandeur hat in dieser Sache eine
Macht, die keine andere Behörde hat. An diesem Punkte muß die
Abhilfe einsetzen. Wer kontrolliert die Entscheid ungen der Kom⸗
——
Vertrauen zwischen Offizieren und Nannschaften zu stärken. Diesen
—A gewiß die oberen — aber in den unteren In⸗
stanzen ist es gend anders. Ich habe die feste Ueberzeugung, daß
niemand die ißhandlungen irgendwie billigen oder ver-
eidigen könnde. Gewiß sind die Mißhandlungen Ausnahmen, und
sch weiß, daß Mannschaften und Offiziere mileinander als Kame—
naden im Freg vorkehren. Es muß aber auch das vrechte Verhält⸗
nis zwischen Heer und Volk bestehen. Zum Begriff des Volks—
jeeres gehört, daß alle konfesstonellen und Standesunterschiede im
e odeh Der e iser müßte mit noch mehr
Lnergie vorgehen, damit solche Klagen verschwinden. Aber von dem
Veisten Volksheeres sind wir leider noch weit entfernt. Bei-—
all linké
AKriegsminister, v. — Der Abg. Kopsch hat darauf
ngewiesen, daß im Etat 8 Ienug wenig von Spar—
am keit zu bemerken sei. Ich will mich auf Varlegungen nach
ieser Richtung nicht einlassen, sondern nur —8 hinweisen,
daß der Etat für 1811, abgesehen von der Heeresverstärkung, die
eine Ausnahme bildet, ein onger brßen den Etat für 1910
— 3 i Jeder von Ihnen
weiß, daß der Etat für 1910 bereits ein Wenlger gegen den Etat
sue 1909 aufwies. Jeder von Ihnen weiß auch, daß der Etat
1900 bereits sehr sparsam aufgestellt war. Ich meine, diese
drei Jahre müssen Ihnen den Beweis geben, daß die Militär
verwaltung ehrlich und redlich bestrebt ist, sich nach der Decke
zu strecken. Sehr richtig! rechts.) Man ist wieder auf meinen
Erlaß über den Verkehr von Offizieren mit ein
zelnen Abgeordneten zu sprechen gekommen, leider un—
ler ziemlich großen Uebertreibungen. Selbstverständlich ist mein
Erlaß nicht so gemeint, daß jedes Gespräch zwischen einem
Offizser und einem Abgeordneten verboten werden soll. (Wider⸗
pruch links.) Wie ist denn das möglich? Das iee
setzt sich aus so vielen Lebensschichten ziusammen, hat so innige
Beziehungen zu allen Parteien daßz es gar nicht
mönlich ist, nach dieser Richtung überhaupt eine Anordnung zu
treffen. Die — IJ richtet sich lediglich gegen die Gesuche
die altive Offiziere an Abgeordnete in der ausgesprochenen Ab
sicht verbreiten, hier einen parlamentarischen Druck auszuüben,
Sie dazu zu bewegen, derartige Gesuche, bei denen sie sich imGe
gensatz ihren Vorgesetzten I — hier vorzuvringen
Solche Versiuche sind vielleicht an sich ziemlich harmlos, aber
hre, Folgen können sehr 855 sein, denn damit wird die Armee
direkt in das parteipolitische Getriebe hineingezogen. (Sehr Lich
tig! re Man male sich nur einmal aus: Wenn akttive Offi
ziere, die Beziehungen zur konservativen Partei, zum Zeutrun
oder zu den liberalen Parteien haben, sich an Abgeordnete der
erschledenen Partelen wenden und, hier im Reichstag, werden
nun diese Wünsche besprochen, so würde die weitere Folge sein
daß die Reden, die hier gehälten werden, sich im Offcaienepe
viderspiegeln und im Kasino fortgesetzt werden. Tann sind m
nicht weit entfernt davon, daß wir Zentrumsoffiziere, konfer
bative und liberale Ofifziere haben, und die Armee steht, mitle
im Parteigetriebe. Der Reichstag sollte doch damit einverstander
fein daß ich alles tue, um die Armeevöllig aus den
ßarteigetriebe, heraussszulassen. Wenn Sie mir
cht glauben wollen, so denken Sie an die Ersahrungen in nicht—
deutschen Staaten, die wahrhaftig nicht dazu ermutigen, die Ur
nee dem vparteipolitischen Getriebe näherzubringen. Eebhafte
Zuftimmung rechts.) Wir miüissen verlangen, daß die Armee ab
fseits von allex Politik ruhig ihre Pflicht und Schuldigkeit tut
und sich auf ihre Aufgabe, die Verteidigung des Vaterlandes
vorbereitet. Darauf kommt es an, nicht etwa daß ich hätte eine
Scheidewand ziehen wollen, Geifall.) Die beiden Vorredner
ub dann auf die Verhältnisse unserer Jüdischen Mit—
bürger in der Armee eingegangen. Ich brauche keine
Rahnung, daß ich für meinen Teil keinen Unterschied, nicht nu—
des Glaubens wie des Standes wegen, machen sonl. Mir steher
mi Augenblick zu meinem Bedauern die Zahlen nicht zu
Verfügung, wie viele Lehrer zu Offizieren befördert sind
Bis 1808 erhielten, wenn ich irre, von den gedienten Lehrern.
N pgt. die Qualifikation zum dteserveoffizier; wie viel de
sind, weiß ich nicht. Ich sehe ein, wir müssen immer noch mehr
Stalistik treiben. (Heiterkeit.) Im nächsten Jahre werde ich berei
sein, Ihnen auch diese Frage zu beantworten. Eins kann ich schor
heute erklaͤren: ein Unterschied wird nicht gemacht. Gewiß sind
und das betone ich immer wieder, antisemitische Regun—
en hier und da auch in der Arxmee bewußt oder un
— vorhanden. Wundert Sie das? Geiterkeit.) Ein Volks
heer muß doch abfärben von den Bestrebungen, die im Volke über
haupt vorhanden sind. Deshalb ist es ja auch so schwer, dagegen
zu arbeiten. Ich mißbilligees und arbeité an meinen
Stelle dagegen, Der Erfolg aber ist sehr schwer. Anti—
emitische Tendenzen in der sregen Form, wie es behauptet ist
jaben wir tatsächlich nicht. Kein Vorgesetzter ist darüber im BZwei
—
ist bemängelt, dog der Kommandeur eine so große Macht
befugnis hatte. Sie kommen damit auf eine Grundlage zu
F gzu der unser istziertorve und seine Stärke in gewisser
aen r Der Kommandeur, der mit einer gewissen
unbeschränkten Vollmacht ausgerüstet ist, trägt die Verantwortung
dem Allerhöchsten Kriegsherrn gegenuͤber, daß das Offizierkorpt
richtig zusammengesetzt ist und nach allen Richtungen dienstlic
und außerdienstlich seine Pflicht tut. Wenn man ihm eine de
Verantwortung auferlegt, muß man ihm auch die entsprechende
Macht geben. Man kann unmöglich dem Kommandeur von oben
Aerunter den Befehl geben, daß er den annehmen soll und den nicht
Ich habe Ihnen am Sonnabend einen Fall, von dem mich der Abg
Bothein in Kenntnis gesetzt hatte, eingehend vorgeträgen, dei
des Reserveoffizier-Aspiranten Daunenbaum
Sie haben darauf gelacht. Mit Lachen bringen Sie die Tatsach
nicht aus der Welti, daß alles, was dieser Herr behauptet hatte, falsch
war (Hört!, Hört!), und daß man solchen Gesuchen gegenüber, die
frühere inriae wii gegen Herren von Zivil vorbringen
Vorsicht üben muß. Was soll von der Zentralstelle geschehen? Sol
ich bei Seiner Maiestät befürworten, daß der Assessor Dannen⸗
baum, trotzdem er ein schlechter Reiter ist und die Prüfung schlecht
bestanden hat, zum Offizier gemacht wird. (Heiterkeit.) Dazu
lieat die Sache andererseits wieder zu ernst. Wir haben die unbe⸗
Aingteste Pflicht, nur solche Persönlichkeiten in die Führerstellen
hineinzubringen, die geeignet dafür siud. Das ist eine Pilicht
gegen unsere Mannschaften, und wenn wir von der Fentralstelle
entgegen der Auffassung der unteren Instanzen eingreifen wollten
so würde das eine Pflichtverletzung sein. GSehr richtig!) Ich
habe im vorigen Jahre genau denselben Standpunkt einge—
nommen, Sobald ein Fall vorkommt, wo der Grundsatz der
Gleichberechtigung greifbar verletzt ist, da schreite ich ein,
und es ist in früheren Jahren der Beweis dafür geliefert wor—
den. Die Wabl der Offiziere durch das Offizierkorps ist eine
andere feste Säule unseres Offizierkorps. Trotz, dem Abg.
Gothein. der das im vorigen Jahre auch bezweifelt hat, halte
ich das Recht des Offizierkorps, seine Mitalieder sich selber zu
wählen, für eins der freiheitlichsten Institute, die wir haben. Um
die Homogenität im Oifizierkorps aufrecht zu erhalten, darf an
dieser Wahl durch das Offizierkorps niemals gerüttelt werden.
(Lebh. Hustimmung rechts.) Aber selbstverständlich, wenn ein Offi—
ierkorps etwas im Gegensatz zur Verfassung oder zu den Aller—
befohlenen Gesichtspunkten tun würde, so würde der
Allerhöchste Kriegsherr nicht zaudern, Remedur zu schaffen.
Hierin liegt der beste Beweis, daß bei uns durchaus kein sogenann⸗
er Kadavergehorsam gefordert wird, sondern daß ieder seine
elbständige Ansicht haben soll. Der Abg. Schöpflin hat wieder
iber den Bissingschen Erlaß agesprochen; der wäre eine
Nobilmachung gegen Unbekannt, und eine solche der deutschen
Armee nicht würdig. Diese Aeußerung zeigt, daß der Abgeord—
nete — verzeihen Sie, ich will ihn nicht verletzen — keine Ahnung
von der Sache hat. (Lebh. Zustimmungs. Was treiben wir denn
im Frieden? Die Mobilmachung gegen Unbekannt, gegen, den
äußern Feind! Wissen wir denn, gegen wen der nächste Krieg
zu führen ist? Und doch müssen wir darauf vorbereiten. Die
Armee muß ich für alle Aufgaben, die an sie hexantreten können.
unbedingt vorbereiten. Es würde eine Pflichtverletzung sein, wenn
wir uns nicht auch überlegen wollten, was gegen ebentuelle Auf—
stände zu tun ist, Da diese Aufgabe verfassungsmäßig besteht
muß die Armee sich dafür vorbereiten. Was würde eintreten
wenn wir solche Vorbereitungen nicht träfen? Die Befehlshaben
würden überrascht werden und es würden viel mehr Mißgriffe
gegen die Bevölkerung vorkommen, als sie im Ernstfalle, den, Got:
verhüten möge, wirklich eintreten werden. Ter Abg. Schöpflin
hat bemängelt, daß der Passus gegen die Abgeordneten
in dem Erlaß enthalten war. —X bedauere das auch, aber
es wird ihm nicht, unbelannt sein, daß in weiten juristischen
Kreisen Zweifel bestehen, ob unter dem Artikel 831 der Reichsper-
fassung nur die Strafhaft für Abgeordnete zu verstehen ist odern
auch die Präbentivhaft. Ich spreche heute kein eigenes Urtei
aus. Ich weise nur darauf hin, daß solche Zweifel bestehen, und
da dies der Fall ist, so ist es doch nicht zu verwundern, daß das
an irgend einer Sielle mal jeinen Ausdruck findet. Der Ver—
teiler der Badischen Flugblätter, ist ein Erdarbeiter
dessen Sache vor den Borgere Gerichten behandelt wird
Die Mißhandlungen sind gewiß eine unangenehme Sache,
aber jeder Offizier bedauert sie Bʒ (Lachren links: seh
richtig! rechts) Wir suchen sie einzuschränken; das
ist meine verflüchte Pflicht und Schuldigkeit, daran braucht man
mich nicht zu mahnen. (Lebh. Bravyo! rechts; Unruhe links.
Sie gehen auch zurück, wir wollen darin aber nuch mehr er—
per Wir doerr nicht aee evangelische und jüdische
sondern nur zhe Soldaten, die ihre Schuldigkeit zu
lun haben. Für die Vorbereitung durch die Sozial
demokratie danken wir aber. Ihre (nach links) Aqgi—
ation begleitet die jungen Leute in die Kaserne und begrüßt sie
zei ihrem Austritt. Das beweist Ihre Presse, die den Tod bes
Schweines rühmlicher nennt als den Tod ves Soldaten auf dem
-zchlachtfelde (FJfnil rechts; Unruhe links), oder die gerade vergus
agt, wir wollen den Leuten den Kasernendienst verekeln. Wir
vollen die Leute zu kriegsbrauchbaren und selbständigen, Men⸗
chen erziehen. (Sehr richtig! rechts.) Die gerichtlichen Urteile
sind auch nicht alle nach meinem Geschmack, das kommt auch bei
den Sozialdemokraten vor. (Heiterkeit.) Gewiß sind manche Ver
gältnisse verbesserungsbedürftig. Sie aber (ach links), wollen
das Vertrauen znschen Offizieren und Manuschaften erschüttern
Nach Ihren Schilderungen muß auch das Auslaud annehmen
daß unsere Armee, die 1080 große Siege ersocht, jettt verlotter
st“ Schmutzige Wäsche sollte man hier nicht waßben, wenn
chon, wie Herr Schöpflin zugestanden hat, scharije Ssne einge
reten ist. Jede sachliche Kritist ist uns angenehm, sie führt zur
Besserung. Für Haudel und Wandel, auch zum Wolzle der
irheitenden Klassen, soll der Friede hewahrt werden, has st abe,
iicht möglich, wenn die deutsche, Armec daucernut
eruntergesetzt wird. Das Ausland gewinnt da eine vorig
alsche Auffassung von unserer Wehrfähigleit, und das schlägt
zicht zunn Wohl des Vaterlandes aus. (CCebh. Brauo!)
Sächsischer Benollmächtigter Generalmador Fyrhr. v. Salza und
richtenau: Die vom Ahg, ESchöpflin vorgagrachten Mißhand
ungsfälle im 17. Ulanen-Regiment sind teils weit ühber—
rieben, teils bereits längst gesiihnt. Der sächsische König hat in
einem Erlaß seine schärfste Mißbilligung ausgesprochen und
schwerste Ahndung ähnlicher Fälle verlungt. Die Vorwürse gegen
hen Regimentschef waren völlig ungerechtfertiagt. Ter Prozent—
satz der Mißbandlungen ist in Sachfen in ständigem Sinten bo