Full text: Lübeckische Anzeigen 1911 (1911)

Zentrumsabgeordneten Dr. Heim ging aber hervor, daß auch 
im Schoße des bayerischen Zentrums keine besondere Neigung 
zur Annahme dieser Vorlage vorhanden ist. 
Wie der volksparteiliche Reichstagsabgeordnete Dr. Wiemer 
bei der zweiten Lesung der Heeresvorlage auf das Problem 
einer internationalen Verständigung über die 
militärischen Rüstungen zu sprechen kam, so hat gleich 
zeitig in der französischen Kammer eine Abrüstungsdebatte 
stattgefunden. Volle 189 Stimmen wurden in Paris zugunsten 
der Abrüstung abgegeben, obwohl Minister Pichon ihre Unaus— 
führbarkeit nachdrücklich betont hatte. Dieses Votum dürfte 
vor allem den englischen Admiral Freemantle betrüben, 
der offen ausgeplaudert hat, welche große Hoffnungen er auf 
das Zusammenwirken der Flotten Frankreichs und Großbritanniens 
setzt. Jenseits des Kanals nimmt aber augenblicklich das 
Schichsal der in erster Lesung vom Unterhause rasch ange 
nommenen Vetovorlagesalle Aufmerksamkeit in Anspruch 
Die konservativen Lords scheinen die Vorlage, die ihren Be— 
schlüssen nur eine aufschiebende Wirkung läßt, mit neuen Vor—⸗ 
schlägen über die Reform des Oberhauses beantworten zu 
wollen. Daß britische Truppen in Tibet eingerückt seien, war 
nicht minder eine Falschmeldung, als die sonstigen Nachrichten, 
die den Eindruck hervorriefen, daß Rußland und China 
am Vorabend eines Krieges stünden. In Wirllichkeit ver⸗ 
handeln beide Mächte wegen der in Rußlands Note ange— 
führten Streitpunkte, und da die diplomatische Gesamtlage für 
Rußland günstig zu sein scheint, so ist es wohl nur eine Frage 
kurzer Zeit, daß China nachgiht. Seine Antwort auf die 
russische Note enthält freilich gewisse Vorbehalte; an dem 
kndergebnis dürften diese wohl schwerlich etwas Wesentliches 
ündern. 
Inland und Kusland. 
Deutsches Roich. 
M. Der Kronprinz über seinen Ausenthalt in Jdcen. 
kallutta, 25. Febr. Gesandter v. ITreutler erklärte 
dem Vertreter sdies Reuter-Bureaus namens des Kron— 
prinzen: Seine Kaiserliche Loheit bringe aus Indien 
die inte ressantesten und ersreulichsten Eindrücke 
mit. Besonders schätze er die liebenswürdige Gastfreundlichkeis 
und die freundlichen Gefühle, die ihm, wo er auch reiste, privai 
und öffentlich in der Presse bezeigt worden seien. Diese höchsi 
angenehmen Erfahrungen werde der Kronprinz niemals ver 
gessen. Indien werde in seinem Herzen einen hervorragenden 
Platz behalten. Seine Reise jei durchaus erfolgreich 
gewesen. Ganz besonders habe sich der Kronprinz sür die Nord- 
grenze interessiert; hier namentlich sür die Gegend aͤm Khaibar⸗ 
pah und dafür, wie von wenigen Leuten hier im wilden Grenz⸗ 
lande die Ordnung aufrecht erhalten wird. Auf seinen Jagden 
habe er Einblick gewonnen in das Leben der Landbewohner. Der 
—— 
kungrege nachgegangen, habe sich mit zahlreichen Be 
amten der Regierung über Fragen des Unterrichts, der Hungers— 
not, der öffentlichen Einkünfte eingehend unterhalten, alle 
Bauten mit historischem, architektonischem Interesse besichtigt. Er 
habe das militärische System genau studiert und hege große Be— 
wunderung für die glänzenden britischen Truppen in Indien. 
In gesellschaftlicher Beziehung habe der Kronprinz die größten 
Erfolge erzielt, alle Klassen der Bevölkerung seien erfüllt von 
dem höflichen, bezaubernden, natürlichen und doch würdigen 
Wesen des Kronprinzen. Auch die deutsche Reisebegleitung habe 
sich sehr beliebt gemacht. Der herzliche Empfang des 
Kronprinzen sowie der Besatzungen der deutschen Kriegs⸗ 
chiffe sei dazu angetan, die Freundschaft der Eng län— 
»er und Deutschen in Kalftutta zu festigen. 
Sansabund Die im großen Saale der Handwerkerkammer 
in Berlin begonnene Tagung der Vorständeder Zweig—⸗ 
»zrganisationen des Hansabundes in allen Teilen 
Deutschlands war von zahlreichen Vertretern der 
srospe, Mittel-und Kleinindustrie, des Handels. 
Hßandwerker-— und Mittelstandes und Angestellten 
überaus zahlreich besucht. Mit einmütiger Begeiste— 
nung zand unter minutenlangem Beisall wurde die Abhal⸗ 
tung des ersten allgemeinen deutschen Hansa- 
tages auf den 12. Juni feslgesetzt. Daran schlossen 
sich Besprechungen über die Organisation und sonstige Ange⸗ 
legenheiten dees Hansabundes. Tie Tagung wurde mit einem 
brausend aufgenommenen Hoch auf den Hansabund und seine 
Leitung geeschlossen, indem auf die Sitzung des Ortsverbandes 
Grob⸗Berlin, in welcher der Abgeordnete Naumann am kom- 
menden Montag über die neudeutsche Wirtschaftspolitik refe⸗ 
rieren wird, hingewiesen wurde. 
Hefterreich⸗ Ungarn. 
W. Oesterreichnsche Delegationen. In fortgesetzter Be⸗ 
atung des Budgets des Auswärtigen Amtes trat Marakhl 
für den Dreibund ein, dessen Festigkeit allen Verfuchen seiner 
Gegner, die Bedeutung dieser stärksten Friedensgarantie her⸗ 
abzusetzen. widerstehe. Susteric erklärte, das Bündnis mit 
Italien, dessen Innigkeit alle Oesterreicher wünschten, dürfe 
nicht mit innerpolitischen Fragen in Zusammenhang gebracht 
werden. Redner wandte sich darauf gegen die Angriffe des 
Heiligen Stuhles und sprach die Zuversicht aus, daß es zwischen 
den beiden feindlichen Lagern der italienischen Bevölkerung 
zu einem Kompromiß kommen werde. Dann erst werde die 
Finiaung Italiens vollständig sein. 
Atalien. 
W. Preßitimmen zur Kronprinzenreife. Rom, 28. Febr. 
Popolo Romano schreibt: Nach dem Beschlusse des Kaisers 
wird der Kaiser sich in Rom vom Kronprinzenpaar ver—⸗ 
treten lassen, welches der schlagendste Beweis für die Ge— 
fühle sei, die die beiden Dynastien und Nationen verbinden. 
Jeder weitere Kommentar sei müßig. — Auch der Cor— 
riere della Sera spricht die Hoffnung aus, daß jetzt end⸗ 
lich die Polemik über die Kaiserreise ein Ende nehmen werde 
und fügt hinzu, daß das Kronprinzenpaar in Rom eine warme 
und sympathische Aufnahme finden werde, wie es die Be— 
ziekungen Deutschlands und Italiens verlangen. 
Frankreich. 
W. Briand tritt zurück. Paris, 25. Febr. Es wird 
ür sicher gehalten, daß das Kabinett Briand am 
Montag nachmittag zu rüdtritt. 
W. Paris, 25. Febr. Die dem Ministerium ergebenen 
Blätter tkadeln das Vorgehen der Opposition in 
scharser Weise. Die konservaliven. gemäfigten Blätter machen 
kein Hehl daraus, daß sie das Bleiben des Ka— 
binetts Briand wünschen, da dieses sonst einem 
combinistischen Ministerium Platz machen würde 
Ballkanstagten. 
W. Die neue bulgarische Kaudelspolisit. Sosia, 25. Febr. 
Der Finanzminister unterbreitete der GSobranie einen Ge⸗ 
setzentwurf, betreffend die Aenderung des allge— 
meinen Zolltarifs. Danach sollen die Einfuhrzölle 
für ausländische Artikel, die in den heimischen In— 
dustriezweigen a usgedehnte Verwendung sinden, herabge— 
setßt, die Ausfuhr von öndustriellen und Rohprodukten 
erleichtert werden 
Neueste Rachrichten und Telegramme. 
W“ Merlin, 25. Febr. Die Nordd. Allg. Zig. schreibt: 
Bei der Abstimmung über die Heeresvorlage hiel— 
sen die bürgerlichen Parteien, mit Ausnahme der Polen und 
veniger Eigenbrödler, in erfreulicher Geschlossenheit zusam— 
nen. Nach eingehender Vorbereitung in der Kommission nahm 
hie zweite Lesung nur einen Tag in Anspruch. Denkt man 
an die schweren Kämpse um frühere Heeresvorlagen zurüch 
so wird man gern den Umschwung anerkennen, der sich untern 
en Parteien in der Behandlung der Wehrfragen vollzogen hat. 
ODie Prinzipien, nach denen die Heeresverwaltung den ruhigen 
ind sicheren Ausbau der Armee regelt, haben sich durch— 
esetzt und bilden nicht mehr den Gegenstand heftiger par—⸗ 
amentarischer Kontroversen. Der seste Wille der Nation 
ie Schlagfertigkeit des Heeres unbedingt gewahrt zu sehen 
entrücte diese Grundfragen der nationalen Selbstbehauptungç 
dem Parteistreite mehr und mehr. Selbst von sozialdemo— 
kratischer Seite wird es für nützlich gehalten, gelegentlich ein 
leine theoretische Verbeugung vor den vaterländischen Empsin— 
ungen zu machen. In der Praxis bei den Abstimmungen 
persagte die Sozialdemokratie freilich auch diesmal und bracht« 
damit den bürgerlichen Parteien die Scheidelinie zum Be— 
vußtsein, die durch keine Wahlabmachung zu verwischen ist. 
baie ungeschmälerte Annahme der Vorlage wurde einmal durch 
zie Darlegungen der Heeresverwaltung erleichtert, die keinen 
Zweifel darüber ließen, daß nur das unbedingt Notwendige 
Jefordert würde und sodann durch die befriedigenden Er— 
flärungen, die von der Reichsfinanzverwaltung über die 
deckungsfrage abgegeben werden konnten. 
Die Nordd. Allg. Itg. meldet: Die Prinzessin Vie— 
oria Luise begleitet das Kaiserpaar auf befondere Ein⸗ 
adung des englischen Königspaares nach London. 
W. Braunschweig., 25. Febr. Das Großherzogs⸗— 
»aar von HSessen hat heute nachmittag die Rückreife 
rach Darmstadt angetreten. Das Herzogspaar Johann 
Albrecht geleitete die Gaste nach dem Bahnhoß. mo sie sich 
herzlichst verabschiedeten. 
W. Budapest, 25. Febr. Der frühere Ministerpräsiden! 
Baron Desider Banffy ilt schwer erkrankt. Sein Zustand ijst 
dedenklich, 
W. Bombay, 25. Febr. Ter Kronprinz richtete vor 
einer Abreise an den König von England solgendes 
Telegramm: Ich vermag zwar nur meine wärmsten Danbk— 
sagungen zu wiederholen, ich kann aber unmöglich Indien 
erlassen, ohne Dir nochmals meine herzlichste Dankbarkeit für 
deine Güte auszusprechen, wodurch meine Reise durch In— 
ien einen so wundervollen und ersolgreichen Verlauf ge— 
nommen bat. Dein ergebener Neffe Wilhelm. 
Charlotteuburg, 25. Febr. Friedrich Sptielhagen 
tarb heute, ohne das Bewußtsein wiedererlangt zu haben. 
Er kränkelte seit Ottober. Daer plötzliche Tod seiner Lieb 
lingstochser Tonie war ihm sechr nahe gegangen. Von diesem 
Xugenblick an hatte er alles Interesse am Leben verloren. 
W. Sumburg, 25. Febr. Der für die Reederei F. Laeis? 
ruf der Werft von Blohm & Voß neuerbaute Viermaster 
„Peking“ ist heute nachmittag 250 Uhr alücklich wo m Sta⸗ 
velgelaufen. 
W. Wilhelmehaven, 25. Febr. In einer von Marine⸗ 
»ffizieren besuchten Bar kam es zwischen einem Leut⸗ 
rant und einem Handlungsreisenden zu einem Wort⸗ 
vechsel, im Verlauf dessen der Handlungsreisende dem 
Rffizier einen Schlag ins Gesicht versetzte. Der 
deutnant wollte den Schlag erwidern, wurde aber von Zivi 
isten daran gehindert. Er verließ mit einem ebenfalls wie 
er selbst in Zivil gekleideten Kameraden das Lokal, kehrte 
iber bald wieder zurück und verlangte die Karte des Rei— 
enden. Als ihm diese verweigert wurde, suchte er noch— 
nals seine Wohnung auf, legte wieder seine Zivilkleidung an 
ind bewaffnete sich mit einem Revolver. In die Bar zu— 
ückgekehrt, gab er auf den Reisenden mehrere Schüsse ab. ohne 
edoch zu tresfen. Dagegen wurde eine Bardame durch Streifs 
chüsse leicht verletzt. 
W. Reytjavik, 256. Febr. Ein Fischereidamprfer aus 
Bremerhaven stramdete am 21. Februar auf Solheimsand 
Die Besatzung von 7 Mann il ungekommen, darunter 
alle Offiziere. 
Deutscher Reichstag 
W. Berliu, 25. Februar. 
Die Weiterberatung des Etats wird beim Militäretat, 
Titel Kriegsminister, fsortgesetzt. 
Abg. Gans Edler Herr zu Putlitz (kons.): Mit der Auf— 
tellung des Etats sind wir einverslanden; wir können nicht zu— 
zeben, daß er Sparsamkeit vermissen läßt. Die jetzige Arniee 
einteilung ist nicht zu entbehren. Wir können nur solche Dinge 
urüdstellen, die für die Armee nicht absolut notwendig sind. In 
dem Streben, dem Luxus in der Armee entgegenzutreten, möge 
die Verwaltung fortfahren. Viele Militäranwärter dürften mit 
iner Versorgung als Ansiedler sehr zufrieden sein. Von einer 
Bevorzugung des Adels im Avancement kann nicht die Rede 
ein. Die Armee als eine der ersten Grundlagen des Staates 
nuß unangetastet bleiben. Unser Heer steht trotz aller Angriffe 
och immer einzig in der Welt da. Der Fortschritt unserer Volks— 
zildung ist herbeigeführt worden durch die Zucht des Heeres 
Das Rückgrat ist die Freundschaft, die das Offizierkorps mit dem 
triegsherrn verbindet; das kann uns niemand nachmachen. Ein 
veiterer Vorzug des Heeres ist, dalnes ein Volksheer ist, zu— 
ammengesetzt aus allen Ständen. Trotz aller Mihtöne wird er 
o bleiben. Die Einzelheiten der Grundlage können sich ändern 
iber die Grundlage muß bleiben. Das liegt im Interesse aller 
Parteien; das ist das nationale Band, das alle verbindet. 
Abg. Dr. Paasche (natlib.): Den letzten Worten des Vor— 
redners schliehe ich mich an. DTas Heer hat in der Erziehung 
bes Volkes so Großes geleistet und so Großes geschaffen, wie 
es kein onderes jemals erreicht hat. Aber die Kritik müssen 
vir uns vorbehalten. Deshalb bedauern wir den Erlaß des 
Kriegsministers, der den Offizieren den Verkehr mit Abgeord-⸗ 
neten verbietet. Wir können das Urteil Sachverständiger bei 
unserer Kritik nicht entbehren. ECs ist bedauerlich, dah es ver— 
schiedenen Männern bürgerlichen Namens nicht möglich ist, ihre 
Söhne in den Kapallerie-Regimentern unterzubringen. Trotz 
Anerkennung aller Traditionen muß hier Abhilfe ageschaffen 
werden, wie es z. B. in Oesterreich der Full iit. Hier sommt 
die Somogenität Des Offizierkorps nicht in Frage. Auch iß 
es Tatsache, dahß seit Jahrzehnten sein Jude mehr Offizier ge— 
worden isi. Dafür ist nicht die Michtigkeit mabgebend gewesen, 
jndirekt ist die Verwaltung daran ischuld. DTie Resolution Ab— 
laß geht uns aber zu weit. Für die Ofsiziere der Grenz⸗Regi— 
menter sollten Erleichterungen geschaffen werden. Die Spaͤr— 
samkeit wird noch immer nicht lonsequent durchgeführt; bei Liefe 
rungen könnte immer noch wirtschaftlicher verfahren werden, 
ebenso wie bei Kasernenbauten. An dem Militärersatz wird da— 
gzegen zu viel gespart, ähnlich bei den Ofsizieren in den Inva— 
idenhäusern. Die verallgemeinerten Angriffe des Abgeordneten 
Noske setzen das Ansehen des Heeres unberechtigt herab. Der 
rzieherische Geist des Heeres muß dem Volk erhalten bleiben. 
Abg. Branudys (Pole): Der bewaffnete Friede ist zu teuer 
erkaufst durch Opfer an Geld und Menschen. Das platte Land 
ieidet hauptsächlich darunter; den Bauernsöhnen sollte man den 
Ddienst möglichst erleichtern. Auch sollte man die Soldaten in 
richt zu entfernte Garnisonen legen. Die Disziplin beruht auf 
Frömmigkeit. Darum muß auch für die religiösen Bedürfnisse 
der Soldaten entsprechend gesorgt werden. Die Polen werden im 
Heer verschiedentlich zurückgesetzt, und doch sind sie eine staatser⸗ 
jaltende Partei. 
Abg. Liebermann (wirtsch. Vag.): Die Aussführungen der 
herschiedenen Redner beweisen, wie die Beschäftigung mit dem 
roßen Organismus unseres Heeres lelbst frühere Gegner zwingt, 
hn lieb zu gewinnen. Den Klagen der Handwerker könnte 
elbst abgeholfen werden. Der Erlaß des Kriegsministers 
betreffend das Verbot für die Offiziere, sich mit den Abge— 
ordneten in Verbindung zu setzen, richtet sich nicht gegen be— 
rechtigte Beschwerden, sondern gegen Klatschereien. 
Abg. Stücklen (Soz.): Ein Vollsheer ist unser Heer noch 
nicht, denn in ihm kann nicht jeder ohne Rüchsicht auf die 
Abstammung zu den höheren und höchsten Stellen aussteigen. 
Der Erlaß des Kriegsministers bedeutet tatsächlich eine Her⸗ 
wWsetzung der Wgeordneten. Disziplin auf Straffurcht be— 
ruhend nennen wir Kadavergehorsam. Eine Verhetzung der 
Rekruten liegt uns sern, wir legen ihnen nahe, ihre Pflicht 
zu tun, aber sich nicht schikanieren zu lassen. Die Zustände 
in der Fremdenlegion hat die Arbeiterpresse eingehend be— 
leuchtet. Das angebliche sozialdemokratische Flugblatt für die 
badischen Soldaten, in dem zu Gehorsamsverweigerung auf— 
gefordert wird, ist das Werk eines Waohnsinnigen oder Lod— 
spitzels gewesen. Damit sollten jedensalls auch die hier ver⸗ 
langten Ausnahmegesetze vorbereitet werden. Das Rücgrat 
des Staates sind nicht die Soldaten, sondern die Steuerzahler. 
Unsere Kritik ist berechtigt. (Bravo! bei den Soz.) 
Abg. Gothein (Vpt.): Die Versicherungsprämie, die wir 
in Gestalt unserer Heeresausgaben zahlen, beträgt reichlich 
in Prozent unseres Volksvermögens, ist also viel zu hoch. 
Sie muß herabgesetzt werden durch eine passende Verstän— 
zigung zwischen den Mächten. Für die Militäranwärter kann 
unter den heutigen Verhältnissen nicht genügend gesorgt wer—⸗ 
den, daher muß die Zahl eingeschränkt werden, auch da⸗ 
dadurch, daß Unteroffiziere zu Leutnants avanzieren. 
Kriegsminister v. Heeringen: Cin verlorener Sieg bostet 
uns mehr, als die Haltung eines starken Heeres. Die Re— 
iruten werden seit längerer Zeit nach dem Verkältnis der 
rorhandenen Wehrfähigen ausgehoben. Die Offiziere der 
Srenzgarnisonen sind tatsächlich übel dran. Um dem ab⸗ 
zuhelfen, ist inzwäschen viel getan worden. In der Klei— 
zung arbeiten wir so sparfam und wirtschaftlich wie möglich; 
»er einzelne Mann kostet im ganzen 71 Muäährlich mit 
Paradesachen. Die Ehrengerichte ordnen kein Duell an, son⸗ 
dern erörtern die Vorgänge, die zu Konflikten gesührt haben. 
Für sie bleibt die Kabinettsorder von 1844 maßgebend. Nach 
dem Gesetz ist die Zurüchsetzung wegen der Konsession un— 
gesetzlich. Die Nichtbeförderung der Juden ist ungesetzich. 
Antisemttische Neigungen bestehen in der Armee nicht. Die 
Mannheimer Flugschriften sind doch wohl kein Zufall. Wir 
nüssen Difziplin halten. Das wird uns schwer gemacht, weil 
ie Rekruten verhetzt in die Kaserne kommen. Ich misbillige 
vie jeder Offtzier die Mißhandlungen aufs allerentschiedenste. 
Die alten Soldaten hängen an ihre Regimenter — dach 
richt, weil fie wie Hunde behandelt werden —, das hat 
Züdafrika bewiesen, wo ein Offizier für einen Soldaten dur⸗ 
tete, blutete dieser sür ihn. So soll es auch in Zukunft 
zleiben. (Lebhaftes Bravo! rechts.) 
Abg. Graf Carmer (kons.): Ter Kriegsminister sollte die 
Jeineren und mittleren Städte im Osten, die früher eine 
Sarnison hatten, wieder mit einer solchen belegen. Den 
aͤrmeren Soldaten sollte jährlich eine Heimatreise gewährt 
werden. Geifall rechts.) 
Abg. Linz GRpt.): Der organisierte Handwerkerstand und 
die Heimarbeiter miussen in höherem Maße als bisher bef 
ven Reichslieferungen und bei den Lieferungen der Militär—⸗ 
verwaltung berüchssichtigt werden. Die Forderungen der Mili— 
taͤranwärter lassen fich hoffeentlich bald erfüllen. 
Abg. Raab (w. Vgg.): Die Juden gehören nicht nur 
einer anderen Religion an, auch einer anderen Rasse. Wirklich 
ernste Neigung zum Militärdienst, insbesondere für den Kriegs⸗ 
fall, dürfte bei den Juden nicht bestehen. Die Frage des 
ũdischen Ofstziers, seine Hineinbringung in das Heer, bedeutet 
ine Verpflanzung der Komik in das Heer. Wir müssen 
unser Heer vor diesen zersetzenden Elementen schützen. (Bei 
kall bei den Antisemiten.) 
Darauf wird der Antrag auf Schuß der Debatte eingebracht. 
Abg. Wiemer (Vpt.): Angesichts der letzteren Rede des 
Abg. Raab widerspreche ich dem Antrage und bezweifle die 
Beschlußfähigkeit des Hauses. 
Abg. Heinze (natlib.): Mit Rüdsicht auf diese letzte Rede 
iehe ich meine Unterschrift unter dem Schlußantrag zurüd. 
Bewegung.) 
Abg. Frir. v. Hertling: Auch ich ziehe aus demselben 
Grunde meine Unterschrift zurück. (Allgemeine Unruhe.) 
Abg. Raab: Die Herren mögen antworten, ich stehe zur 
Verfügung. 
Darauf wird die Vertagung beschlossfen. Montag 2 Uhr⸗ 
Fortsetzuna. 
Heer und Flotte. 
W. Kiel, 25. Febr. Admiral a. D. Vaschen ist keuke 
im Alter von 76 Jahren gestorben. 
W. Berlin, 25. Febr. „Scharnhorsit“ mit dem stellver— 
tretenden Chef des Kreuzergeschwaders ist am 25. Febr. von 
Amoy nach Tsingtau in See gegangen. „Freya“ ist am 
25. Febr. in Southampton eingetrosfen und setzt am 7. März 
zie Reise nach Kiel fort. VPotstation für „Deutschland“ bis 
zum 27. Febr. vorm. Kiel, vom 27. Febr. nachm. bis zum 
6. März nachm. Wilbelmshaven. vem 7. his 8 März nachm. 
Nremerkaven. dann Kiel
	        
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