Full text: Lübeckische Anzeigen 1911 (1911)

er kaufmännischer Geist, als Pflege des Geistes der Spar⸗ 
wen tut der Marineverwaltung not. Gravol links.) 
Geh. Admiralitätsrat SGarms: Ein Verbot, von Detaillisten 
u kaufen, besteht nicht. Angesichts der großen Lieferungen, die 
ür die Marine notwendig sind, muß auch von den Fabrikanten 
ind Vroduzenten gekauft werden. 
Abg, Zeverinag (Soz.!: Der Torpedodirektor, in 
Vilhelmshaven ist an einer großen Erregung der dortigen 
Netallarbeiter schuld. Bei einem Unfall, bei dem Menschenleben 
n Gefahr waren, äußerte er: Was kümmern mich Menschenleben, 
neine Besehle sind auszufiihren. (Lebhaftes hört! hört! bei den 
Zoz.). Der Arbeiterausschuß ist von der Verwoltung um seine 
lutoritãät gehracht, deshalb ist es erklärlich, daß er übergangen 
vurde. Die Arbeiter wandten sich an den Metallarbeiterverband, 
der Direktor verhängte in rigoroser Weise Strafen, und bedroht 
ogar die Arbeiter mit seiner Waffe. (Hört! hört! b. d. Soz.) 
Nit solchen Grundsätzen kann jeder Esel Torpedodirektor sein. 
der Arbeiterausschuß mußte schließlich sein Amt niederlegen und 
ei den Neuwahlen wurden 20 Kandidaten der freien Gewerkschaft 
—A 
ichen Organisationen gewählt. Das ist ein Beweis des Ver⸗ 
rauens der Arbeiter zur Verwaltung. 
Staatssekretär v. Tirpitz: Wo Fehler gemacht sind, habe ich 
tets eingegriffen, in diesem Falle ist aber nichts zu beanftanden. 
der Torpedodirektor Jsendahl hat stets das größte 
Wohlwollen für die Axrbeiter gezeigt. Hie Arbeiter haben selber 
hr Vorgehen als verfehlt erkannt, deshalb find Weiterungen 
ermieden worden. Es bestanden dort Lohndifferenzen, die von 
nir zugunsten der Arbeiten entschieden wurden. Die Ordnungs⸗ 
trafen sind verhängt worden wegen Laschheit inbezug auf die 
Arbeitszeit. Diese waren aber keineswegs höher, als früher. 
Ddie ungehörige Aeußerung des Torpedodirektors über das Men⸗ 
henleben ist tatsächlich nicht gefallen. Der Bedrohung mit der 
Vaffe war ein tätlicher Angriff eines Arbeiters vorangegangen. 
bon unwürdiger, Menschenbehandlung ist keine Rede. Der 
Urbeiterverband hat eine Resolution beschlossen, die eine 
chwere Beleidigung des Offiziers aussprach. Aus dem weiteren 
verhe'ten des Arbeiterrerbandes geht klar hervor, daß. es sich 
ediglich um eine gaitatorische Machination handelt. GBeifall.) 
Abg. Dr. Weber (natl.): Ich kenne den Torpedodirektor 
Isendahl als einen Mann von modernen sozialpolitischen An— 
schauungen. In der Erregung gesprochene Worte sind beim 
Hilitär — in diesem Falle handellt es sich sogar um eine Stran— 
ung des Schiffes — nicht so hart aufzunehmen. Den Wunschen 
er Techniker sollte möglichst entsprochen werden. Ueber den 
Anfall des Unterseebgots Us enthält das heutige 
deipziger Tageblatt eine sonderbare Darstellung, wonach anae⸗ 
votene Hilfe abgelehnt, worden fei. 
Stagatssekretär v. Tirpitz: Eine Zurücksetzung der Hilfs⸗ 
echniker ist nicht zu konstatieren. Daß in irgend welcher Be— 
ziehung bei der Rektung, des Un3 und, feiner Maunschaft 
twas verabsäumt oder Hilfe abgelehnt wäre, glaube ich nicht, 
s handelt sich augenscheinlich nur um ein —** dem ich jedoch 
aachgehen werde. Mir ist nichts bekannt. 
Nach einer persönlichen Bemerkung des Abg. Severing 
Soz.) wird,. die Fortsetzung der Beratung auf Donnerstag 1 Uhr 
jertagt; außerdem Justizetat. 
Schluß 65 Uhr 
Preußischer Landtag. 
Abgeordnetenhaus. 
MN. Sitzung.) 
Berlin, den 16. Februar. 
Am Ministertisch; v. Dallwitz. 
hräsident v. Krücher eröffnet die Sitzung um 11 Uhr 18 Min. 
Lor der Tagesordnung erklärt 
Abg. Dr. Friedbera (natlib) Der Abg. v. Heydebrand hat 
zestern von neuem die Behauptung aufgestellt, daß der Fuührer 
inserer Fraktion im Reichstag, der Aba. Bassermann, den 
lusspruch getan habe, die Reichsfinanzreform stelle einen Raub— 
ug auf die Taschen des Volkes dar. Diese Behauptung des Abg. 
. Heydebrand muß umso mehr Wunder nehmen als der steno— 
raphische Bericht der Rede des Abg. Bassermann vorliengt uns 
eine Richtigstellung dieser Aeußerung bereits der Abg. Fuhrmann 
on der Tribüne des Reichstags gegeben hat. Nach diesem Ste⸗ 
iogramm hat der Abg. Bassermann folgendes gesagt: „Die gestri⸗ 
ren Verhandlungen über die Branntweinsteuergesetzaebung, 
namentlich die Berhandlungen mit den Schnapsbrennern, werden 
invergessen bleiben; das war eine Art Beutezug der landwirt⸗ 
chaftlichen Großbrenner gegenüber dem Groß⸗, Mittel- und 
dleingewerbe und gegenüber, den Konsumenten. (Lachen rechts.) 
Es eraibt sich also daraus, daß Herr Bassermann seine Aeußerung 
tur in Bezug auf die Branntweinsteuergesetzgebung gemacht hat 
Lachen rechts), und ich erwarte deshalh, daß der Abg. v. Heyde⸗ 
zrand die Gelegenheit wahrnehmen wird, seine Beschuldignung 
jegen Herrn Bassermann zurückzunehmen. Geifall bei den 
Nationalliberalen.) 
Darauf wird die Beratung des 
Etats des Ministeriums des Innern 
nit dem Kapitel „Landrätliche Behörden und Aemter“ forkgesetzt. 
Abg. Weissermel (kons.): Die Landräte müssen für ihren 
Dienstaufwand voll entschädigt werden. 
Abg. Busch (Hentr.); Die maßlose und unbegründete Hetze 
gegen den Kreisschulinspektor Dr. Heß, der zu unrecht beschuldigt 
vird, Propisionen bei der Lieferung von Schulbüchern bezogen 
zu haben, ist auf eine Annonce des Landrats im Kreise Wipper⸗ 
ürth zurückzuführen. Der, Minister, möge in diefer Beziehung 
Wandel schaffen. Bei amtlichen Bekannimachungen werden die 
Zentrumsblätter nicht genügend berücksichtigt. Die national— 
beralen Landräte des Westens sollen ebenso über den 
—⁊ stehen, wie das von den Landräten des Oftens gefordert 
vird. 
Aba. Dr. Schröder-Cassel (natlib.)!: Die Forderung, die der 
Vorredner zuleßt ausgesprochen hat, ist berechtigt. Eine Dienst— 
uswend masentschädigung für die Landräte halten auch wir fir 
iotwendig. 
Minister v. Dallwitz: Ueber den Fall Heß wird Bericht ein— 
efordert werden. Was die Ueberweisfung von amtlichen Nnnon⸗ 
en an die Presse betrifft, so billige ich vollkommen die Forde— 
ung, daß die Anzeigen ohne Rücksicht auf den parteipolitischen 
Ztandpunkt an die Blätter gegeben werden. Wir sind mit der 
Frage beschäftigt, ob Dienstaüfwendungsentschädigungen in höhbe— 
tem Maße als bisher den Landräten gewährt werden sollen. 
Jedenfalls werden für diese Zwecke etwas höhere Mittel flüfsig 
jemacht werden. Ob eine veraͤnderte Organisation der Landrats- 
imter notwendig werden wird, wird der weitere Fortgang der 
Arbeiten betr. die Bexrwaltunasreform ergeben. 
Abg. Richtarsky (Zentr.) beklagt sich über das Vorgehen des 
andenie und der Amtsvorsteher im Kreise Leobschütz gegen das 
entrum. 
Abg. Träger (Fortschr. Vpt.) beschwert sich über die rigorose 
dandhabung der Vestimmungen über den Aufenthalt ausländischer 
⸗nisonarbeiter in Preußen. 
Abg. Dr. Mizerstki (Pole) beschwert sich über die Verdeutschung 
rolnischer Ortsnamen. 
Minister v. Dallwitz: Bei derartigen Neubenennungen handelt 
s sich meist um deutsche Ansiedlungen. Die Aenderung der Namen 
erfolgt in der Regel auf Wimsch der Ansiedler. An den Be— 
stimmungen über den Aufenthalt ausländischer Saismarheiter ton 
uichts geändert werden. 
Abg. Leinert (Soz.): Die Landräte sollen sich nicht als 
zolitische Beamte fühlen, die die untere Bevölkerung chikanieren, 
ondern sie sollen sich auf den Boden des Gesetzes stellen. In den 
Schulen soll nicht patriotische und gottesfürch— 
ige Gesinnunggepflegt werden (Widerspruch rechts), 
ondern die Kinder sollen befähigt werden, den Kampf umsz Dasein 
su bestehen. Der Landrat benutzt sein amtliche Stellung, um kon— 
ervative Politik zu treiben. So hat der Abg. v. Woyng als Land⸗ 
rat einmal erklärt, der Abg. Arning würde nicht wiedergewählt 
verden, da er, Woyna, die politische Gesinnung der Wähler kenne. 
Dder Landrat Schröder in Verleburg durfte Inge nicht mehr Land— 
at sein. Der wegen Geisteskrankheit entmündigte Landrat Frhr. 
m. Schenk ist auch noch immer im Am. 
Abg. Dr. v. Woyna (freikfons.): Unter der Fuchtel der Land⸗ 
räte hat das Volk nicht zu leiden wohl aber unier dem Terroris- 
us der Sozialdemokraten. Diese haben in der Provinz 
dannover mehrsach den Versuch gemacht, mitlere und Untetbeamte 
im Vertraueunsbruch und zur ANusliesetrung von amtlichem Material 
u verleiten. Ich kann es nicht ohne Weiteres zugeben, daß die 
andraäle parleipolitisch konservaliv sich betäligen. Der Bauernbund 
nifallet in der Provinz Hannover eine höchst bedenkliche Agitation. 
ind wenn die Landräte im Interesse des Friedens in ihren Kreisen 
eigegen parteipolitisch als Gegner auflreien, so sind sie dazu voll⸗ 
ommen berechtigt. Geifall vrechts.) 
Abg. Korfanty (Pole) beschwert sich über die ungesetzliche 
Inwendung des Versammlungs- und Vereinsrechts seitens der 
andräte chegzu die Polen. Ver Landrat ist heute in vielen 
källen nicht der Freund, sondern der Feind der Bevölkerung. 
Abg. v. Arnim ent Wenn der Abg. Leinert die Landräte 
ugreift, so können diese sich das zur Ehre anrechnen. Der Abg. 
resnert hat vom Reichslügenverband gesprochen; hätte er das 
ußerhalb des Hauses saten. so würde er mit dem Sirafgesetzbuch 
u Konflikt gekommen sein. 
Hierauf wird die Debatte geschlossen. 
Persönlich bemerkt Abg. Leinert Der Reichslügen⸗ 
erband dient zur Verleumdung der Sozialdemokratie. 
Präsident v. Kröcher ruft den Redner zur Ordnung. 
Abg. Leinert (Soz.): Ich bin sprachlos, daß der Präsident 
den Reichslügenverband in Schutz nimmt. 
— v. Kröcher ruft den Redner zum zweiten Male zur 
rdnung. 
In weiteren persönlichen Bemerkungen der Abgg. Hrsch 
Zoz.) und v. Arnim Font bedauert —9— Dr. Schifferer 
iallib.) Zur, Geschaftsordnung, daß, ihm durch den Schluß, der 
eballe die Gelegenheit genonimen sei, den gestrigen Bemerkun⸗ 
en des Abg. Inen entgegenzutreten. 
Beim, Kapite 
—— — von Berlin und Umaebung 
er 7 
Abg. Dr, Liebknecht (Soz.); Wenn der Polizeipräsident 
Jagomw in die Verkehrsverhältnisse eingreift, so fördert er 
ichk den Verkehr, sondern er st d rtihn. Das zeigt u. a. die 
eng des Wagenverkehrs in der Friedrichstraße. Abg. Gro⸗ 
t at sich herausgenommen, 558 Partei als zelotisch zu 
ezeichnen. 
Prasident v. Kröcher: Das gehört nicht zum Kapitel, Polizei⸗ 
erwaltung von Berlin“. 
Abg. Liebknecht: Der Polizeiminister — 
Praͤsident v. Krocher; Ich nehme an, daß Ihnen das Wort 
ntfahren ist. Ich wünsche nicht, daß Sie es woiter gebrauchen. 
dagerr isi töniglicher Staatsminister des Innern. (Bravo! 
echts. 
Abg. Liebknecht fährt fort: Auf Grund einer Verfügung des 
Ninisters des Innern wurden unsere Jugendorganisationen auf⸗ 
selöst. Die Polizeibeamten werden wie Hunde gegen die so zi⸗ 
idemdrtratischen Organisatlonen gehetzt. Daß bei 
en Moabiter Vorgüngen von den Polizeibeamten Lockspitzelei 
eirieben worden ist, kann dem Polizeipräsidenten nicht unbekannt 
seblieben sein. Eiun Polizeipräßident, der sich derartig 
erhaßt gemacht hat kann nicht mehr feines Amtes in zuträglicher 
Weise walten. Und die Varteien des Hauses lassen es sich ge⸗ 
allen, daß der Minister den Polizeipräsidenten gedeckt hat. Es 
nnf dem Minifter zugerufen werden, daß er seine Pflicht tut 
ind den Polizeipräsidenten rektifiziert. (Präsident v. Kröcher 
uft den Redner zur Ordnung.) Die Ungesetzlichkeiten werden 
wir immer bekämpfen. (Präsident v. Kröcher ruft den Redner 
ur Sache.) Das Volkrecht steht auf unserer Seite. 
Ninister v. Dallwiz: Da der Berliner Polizeipräsident 
vegen der ungeheuren Verdächtignng der Lockspitzelei gegen den 
Kedakteur des Vorwärts Klage erhoben hat, so brauche ich kein 
Vort zu der Behanptumg des Abg. Liebknecht zu verlieren. Gegen 
ie Freie Volksbühne, deren Bildungsbestrebungen voll⸗ 
ommen anerkannt werden, soll nur eine Entscheidung des Ober—⸗ 
erwaltungsnerichts herbeigefübrt werden, ob sie im Sinne des 
zesetzes als Verein anzusehen ist, da sie 35 000 -40 000 Mitalieder 
at. Was die sozialdemokratischen Jugendorgani— 
atonen betrifft, so ist durch eine Enticheidung des Oberver— 
valtunasgerichts vom 14. Oktober vorigen Jahres festaestellt 
vorden, daß sie nicht gesetzlich sind, weil sie volitische Vereine 
ind, denen Personen unter W8 Jahren nicht augebören dürfen. 
lußerdem verfolgen sie den Zweck, bei jngendlichen Personen von 
5—18 Jahren den Klassenhaß au schüren. 
Siernauf vertant Hb da Halis. 
Dy e ere 
Aba, v. Seydebrand N: Ich finde in den Worten des Abg. 
VJ edberg eine Bestätigung dessen. was ich gesiern 58* 
Nächste Sitzung Donnerstag 11 Uhr: Fortsetzung der heuti⸗— 
gen Beratung. 
Schluß 56 Uhr. 
Neue Wunder der Chemie. 
Der aufsehenerregende Vortrag, den Prof. Emil Fischer in 
Anwesenheit des Kaisers aus Aulaß der Konstituierung der 
zaiser Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft im 
ultusministerium gehalten hat, wird jetzt in der von Prof. 
»inneberg herausgegebenen Internationalen Wochenschrift ver⸗ 
ffentlicht. Er gibt einen umfassenden Ueberblick über die er—⸗ 
aunlichen Erfolge, die die Chemie in den letzten Jahren er⸗ 
ungen hat, und vermittelt weiteren Kreisen die Kenntnis einer 
deihe von hochbedeutsamen Resultaten der Forschung. 
Auf dem Gebiete der Radioaktivität gibt er Kunde von einer 
zrfindung des Prof. Otto Hahn, der in den Umwandlungs⸗ 
zrodukten des bei der Fabrikation von Gasglühstrücpfen ge⸗— 
rauchten Thoriums mehrere radioaktive Elemente entdeckt und 
as wichtigste davon Mesothorium genannt hat. Dieses Hahnsche 
Zräparat, die Bromverbindung des Mesothoriums, ein weißes 
Zalz, das dieselben durchdringenden Strahlen aussendet wie das 
ntsprechende Salz des Radiums, könnte in Deutschland allijähr— 
ich aus den wertlosen Rückständen der Thorium-Fabrikation ge⸗ 
vonnen werden, sodaß dadurch die Radiumnot, die bisher in 
deutschland herrschte, beseitigt sein dürfte. Auch in der anor⸗ 
anischen Chemie, die man vor 30 Jahren fast für abge— 
lossen hielt, sind durch ganz neue Hilfsmittel, wie die hohen 
emperaturen, die starken elektrischen Ströme, neue wichtige 
esultate erzielt worden. So ist die direkte Verwandlung der 
uft in Salpetersäure gegenwärtig in das Stadium der Groß— 
ibrikation eingetreten, denn in Norwegen wird in der Nähe 
mes mächtigen Wasserfalls ein Riesenwerk von deutschen Fa⸗ 
iken in Verbindung mit norwegischen Ingenieuren errichtet. 
er Kalkstickstoff wird durch ein originelles Verfahren aus 
alziumcarbid und Luftstickstoff bexeitet, und, schon ist ein 
ritites Verfahren angekündigt, das darauf hinausläuft, 
en atmosphärischen Stickstoff direkt mit Wasserstoff zu 
smmoniak zu vereinigen. Die Herstellung solcher Stickstoff⸗ 
erbindungen ist für die Landwirtschaft von höchster Be— 
eutung, da sie sie als künstlichen Dünger verwendet. Da nun nach 
em Urteil von Sachverständigen die deutsche Landwirtschaft leicht 
as Doppelte, ja das Dreifache des heutigen Verbrauchs an Stick⸗ 
— — bei Verringerung der Preise aufnehmen könnte, 
o sind der chemischen Industrie hier Aufgaben von großer nationaler 
zJedeutung eröffnei, denn bei einer Vermehrung des künstlichen Dün⸗ 
ers würden sich vielleicht die Ernten so steigern lassen, daß Deutsch⸗ 
and in Bezug auf Bodenprodukte vom Ausland unabhängig wäre. 
luch mit der Bereitung der Metalle hat sich die wissenschaftliche 
Lhemie erfolgreich beschäftigt. Das letzte auf diesem Gebiete ist eine 
eue Sorte von Eisen, das Elektrolyt-Eisen, das sich durch seine 
ußerordentliche Reinheit von allen anderen bekannten Sorten, die 
mn Handel sind, Insiene Die organische Chemie, die alle 
ie komplizierten chemischen Stoffe im Pflanzen⸗ und Tierkörper 
mfaßt, ist mit der Riesenaufgabe beschäftigt, mit Hilfe der organi— 
hen Synthese aus wenigen Elementen, unler denen der Kohlenstoff 
ervorragt, nach wunderbaren Methoden alle die Kombinationen der 
rganischen Welt aufzubauen, ähnlich wie der Baumeister aus dem⸗ 
lben, Backstein die verschiedenartigsten Gebilde erstehen läßt. Die 
zahl der genau untersuchten organischen Verbindungen läßt sich heute 
uf, 150 000 schähen, und jedes Jahr kommen 8—9000 hinzu. Es 
ißt sich deshalb ausrechnen, daß am Ende dieses Jahrhunderts die 
ene Chemie den Formenreichtum der Lebewelt —J und 
serreich zusammengenomimen. erreicht baben wing Ducch bie tünn 
iche —AA von Eiweißstoften, Kohlenhydraten, Feulen uw. 
leht die organische ene in engster Beziehung zu den biologischen 
Rlssenschaften, sodaß sie bernfen ist, an der Löfung der großen Rat— 
el des Shens mitzuarbeiten, an den Problemen der Ernährung, dez 
Wachstums, der Vererbung, bes Alterns und der mannigfachen krank 
jaften Störungen des normalen Zustandes. 
Daneben vdat aber die organische Chemie auch für die 
hemische Industrie und viele andere Gewerbe den reichsten 
Ruͤhen deftiflet. So ist z. B. eins der häufigsten Kohlenhadrate, 
die Zellulose, das Material für unzählige Industrie⸗Produlte ge⸗ 
vorden Papier, Kollodium, gßeluloid, photographische Films 
auchlofes Pulver, künstliche Seide, künstliche Haare, künstliches 
eder das alles wird aus Zellulose verfertigt. In der Farb— 
lboff⸗Industrie hat die Ardeit des Chemikers den natuͤrlichen Farb⸗ 
toff Ichon fast völlig verdrängt. Das synthetische Produkt ist 
iamlich nicht mur viel reiner und schöner, sondern auch erheblich 
illiger. Die Kultur der Indigopflanze ist beispielsweise in 
Indlien schon auf ein Sechstel des früheren Umfangs zurückge⸗ 
angen und wird voraussichtlich bald ganz verschwinden. Auch 
ie Asiaten färben heute ihre Woll- und Baumwollstoffe mit deut⸗ 
chem Indigo, von dem im Jahre 1909 für 38 Millionen Mart 
rportiert wurde. Die Untersuchung der wichtigsten Farbstosie 
)er Lebewelt, des Blattgrüns und des Blutfarbstoffs, hat das 
nerkwürdige Refultat ergeben, daß die beiden Stoffe chemisch nahe 
erwandt find, daß also eine Art Blutsverwandtschaft zwischen 
Tier⸗ und Pflanzenreich besteht. Großartige Perspektiven für das 
Aufblühen neuer Induüstrien eröffnen die, künstliche Herstellung 
don KHautschukt und Kampfer, der ießt bereits im aroßen künstlich 
gewonnen wird. 
Sehr wichtig ist auch die Auffindung neuer Heilmittel, um die 
die synthetische Themie fich im engen Bunde mit der Medizin be— 
mühie Das Veronal, das Adrenalin, das Salvarsan Ehrlichs 
iind solche durch die Chemie gewonnene, für die Heilkunde sehr 
vichtige Mittel. Die Synthese des im Tee und Kaffee ent— 
sallenen belebenden chemischen Stoffes, des Kaffeéins, stellt auch 
die Möglichkeit in Aussicht, diese Getränke künstlich zu bereiten, 
venn man erst so weit ist, auch das Aroma des Tees und des 
Faffees fynthetisch herzustellen. Großes hat die Chemie in der 
diechstoff⸗ Industrie geleistet, die heuie allein in Deutschland 
Waren im Werie von 40-60 Millionen Mark produziert. Es ge⸗ 
zört schon eine feine Nase dazu, um die künstlichen Produkte von 
zen natürlichen Düften des Flieders, Jasmins, Maiglöckchens und 
der Rose zu unterscheiden. 
Pers ische Justiz. 
Persien, das jetzt im Mittelpunkt des politischen Interesses 
zeht, weist in den inneren Einrichtungen seiner Verwaltung noch 
v wunderliche und primitive Formen auf, wie sie sich der zivili⸗ 
erte Europaͤer kaum vorstellen kann. So ist es dort z. B, noch 
semlich unbekannt. daß ein Beamter bezahlt wird. Er macht sich 
ielmehr selbsi bezahlt und wendet noch große Summen auf, um 
iberhaupt eine Verwaltungsstelle zu erhalten. Wie der aus 
Hersien stammende Schriflsteller Leon Medem im World Magazine 
mitteilt, muß 3. B der Gouverneur einer Stadt oder einer Pro⸗ 
binz an die Siaatskasffe viele taufend Mark jährlich zahlen für das 
Privileg, daß er nun als Gouverneur die Steuerschraube stark 
mziehen darf. Der Bürgermeister einer großen wersischen Stadt 
hat wieder 100 bis 1500 Beamte unter sich, von denen nur die 
benigsten, die den Hausdienst verrichten, Koch, Kutscher usw. 
hestimmte Gehälter beziehen. Die Einkommeün der Uebrigen 
ichten sich nach ihrer Geschicklichkeit, den Untertanen guf, irgend 
ine Weise Geld zu entlocken. Die Beamten werden deshalb in 
ßersien mit einem Haß betrachtet, wie etwa zur Zeit von Christi 
Heburt die römischen Zöllner von den Juden. 
Der Rechtsgang ist ziemlich regellos, und jeder, der mit dem 
hericht zu tun bat, dars darauf gefaßt sein, größere Summen 
pfern zu müssen, um sich des guten Willens der Beamten zu ver⸗ 
ichern. Das einzige, wodurch sich die versische Justiz aus 
zeichnet, ist die Grausamkeit der verhängten Köcxiu- 
trafen. Von.Besserung der Verbrecher dSiraf⸗ 
een i' Gefänetttält mamdhtereret 
⸗ollzug ist vielmehr darauf aus, den —— 
w 7 x e 7 
etel auf seigfiert Ana ein Ladendiebstahl. Kann 
er Di⸗r azate Summe bezahlen, dann mag er ohne Körper⸗ 
lefieicht ausgehen: sonft wird ihm durch den Knoxpel am 
nccen Ende seiner Rase ein Loch gebohrt, durch dieses Loch ein 
Strick gerogen, und er wird nun an diesem ungeheuer schmerzen⸗ 
en Zaum als warnendes Beispiel an den Läden vorbei über den 
Narfkt der Stadt geführt. Der Beamte, der dem schaulustigen 
Zublikum diefen graufamen Anblick gewährt, sammelt während 
2s Ganges von den verschiedenen Ladenbesitern Geld ein, aleich— 
am als klingende Anerkennung für die Strenge, die er dem Dieb 
at zunen werden laffen. Das Loch in der Nase heilt zwar wieder 
u. der es bleibt eine Narbe, die deutlich erzähit: Schau mich 
n, ich bin ein Ladendieb.“ Eine solche verhältnismäßig Jeichte 
zestrafung wird Jedoch nur bei einem Gelegenheltsdiebe verhängt, 
er irgend eine Kleinigkeit genommen hat. Wer eine Geldbörse 
iehlli. vder irgend etwas anderes Wertvolles, dem wird eins der 
hren vom Henker mit einem Messer aufgeschlitzt. Zwar kann er 
ann durch deichickte Drapierima des Turdans dieses nie mehr 
erschwindende furchtbare Merkmal verdecken, aber dem, der seine 
hren nicht zeigt, traut man in Versien schon von selbst nicht mehr. 
ind zumeist wird das Mal soaleich bemerkt, sodaß es eine ewige 
Frandmarkung darstellt, ganz abgesehen von dem Schaden. den 
das Gehör dadurch erleidet. 
Abschreckuna und Warnung ist also das Prinzip der persischen 
vustig, die daher befirebt ist, jede Strafe so schmerzhaft und nach⸗ 
rüctlich wie nur möglich zu gestalten. Die Behandlung der 
zerbrecher wird mit, einem großen Raffinement von 
zrausamteit durchageführt. So werden schwere enge höl—⸗ 
erne Bander fest um die Fuß⸗ und Handgaelenke gelegt, so— 
aß der üebelläter nut mit Mühe und Schmerzen gehen kann. Durch 
en harten Druck schwillt das Fleisch an und beraubt den Gepeinig- 
en aͤllmählich jeder — TI Es ist ein entsetzlicher 
inblick, wenn man eine Schar solcher mühsam sich, hewegender 
drüppel an diesen Holzbändern aneinander gefelsselt fieht. Die 
trase, die dem Rauber droht, besteht im Abhaden der rechten Hand 
is zum Handgelenk. Es soll ihm auf diese Weise die Möglichkeit 
enommen werden, seine Untaten weiter zu verüben. Den gleichen 
ffekt erzielt man auch auf die Weise, daß die Sehnen des Fuß⸗ 
elenks durchschnitten werden, sodaß der Bestrafte für den Rest seines 
ebens nicht mehr gehen, sondern nur noch mühsam kriechen kann. 
Nan sollte meinen, daß einige wenige solchet grausigen Erempel, die 
iner ganzen Stadt zur Warnung dienen müssen, genügen würden, 
im allem Räuberwesen, allen Gewalttätigteiten und allen Dieb— 
tählen ein Ende zu machen. Aber die menschliche Natur scheint un— 
erbesserlich, und der Verbrecher gedenkt nur selten bei der Aus— 
rührung seiner Taten der furchtbaren Strafe, die seiner harrt. Auch 
hofft er immer noch, dem schweren Arm der Gerechtigkeit zu ent— 
gehen. Die berittene Polizei Persiens, die zum Teil aus kühnen 
und tapferen Kurden besteht, macht ihnen das freilich schwer. Toch 
zibt es noch im modernen Persien Freiplätze“, die vor seder Strafe 
chũtzen, ganz so, wie Altäre und Tempei der alten Griechen. Der 
gerbrecher, der das Innere einer mohammedanischen Moschee be— 
reten hat oder sich in den Hof des Hauses eines Priesters jlüchtet, 
rf nicht berührt werden; so erhält er durch diese Zufluchtestätte 
Jeit, um sich der Hilse seiner Freunde zu versichern und iraend ein 
stittel zur Flucht zu finden. 
Unmenschlich ist nicht nur die Behandlung der für schuldig Er 
därten, sondern auch die der Verdächtigen. Um das weständnis 
iner Schuld zu erpressen, wird die furchtbare Vastonade angewandt 
das Schlagen mit Stöcken auf die bloßen Fußsohlen; oder dem Ge— 
angenen wecden glühende Kohlen auf den glattgeschorenen Kopf ge⸗ 
egt usw. Die Vollziehung der Todesstruse, die nicht selten durch 
rausame Verschärfungen sich zu einem langen Schauspiel von 
Aual und Blut ausdehnt, geschieht öfsentlich, ebenfalls im Einklang 
nit der Theorie, dem Volle ein echt eindrucksvolles Bild von dei 
därte der Strafe zu geben. Eine nicht beabsichtigte Wirkung isi 
——— Folterungen und des ns 
amen, gleichsam stückweisen Tötens wilde unn Instinkte in der 
Nenge aufgewühlt werden und eine blutige, n Stimmung in 
veiten Schichten herrscht, die sich bisweilen in schweren Explofione 
der Nalkspput entsänt *
	        
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