Deutscher Reichstag.
(124. Sitzung.)
Berlin, den 10. Februar.
Am Tische des Bundesrats: Wermuth, Dr. Lisco.
Die Spezialberatung der
Novelle zum Gerichtsversfassungsgesetz
wird fortgesetzt und zunächst die Abstimmung über 8 77 und die
daazu acstellten Auträge vorgenommen.
Der Antrag, Albrecht und Gen. (Soz.), die Straf⸗
aAmmern in der ersten und in der Berufungsinstanz mit einem
Richter und vier Schbren beseben, wird gegen die Simmien der
Antragasteller abgelehn.
Darauf erfolgt die namentlhiche Abstimmung über den
Antrag Müller-Meiningen (F. V.) und den mit diesem identischen
Antrau Gröber (K.), die Straikammern in beiden Instanzen mit
wei Richtern und drei Schössen zu besetzen. Der Antrag Vüller—
Meiningen-Gröber wird mit 175 gegen 142 Stimmen angenomi⸗—
nen:; dafür stimmen die Sozialdemokraten und die Fortschrittliche
LKollspartei, die Mehrheit der Nationalliberalen und das Henu—
rum, sowie die Polen, die Reformpartei und ein Teil der Wirt⸗
chaftlichen Vereinigung. Drei Abgeordnete enthalten sich der
— ——
ungs-Instanz mit drei Richtern) und der Antrag Dr. Meyer—
Kaufbeuren (Besetzung in erster Instanz mit zwei Richtern und
drei Schöfsen, in der Berufungs-Instanz mit drei Richtern und
wei Schössen) sind damit erledigt.
Zu 8 80 haben die Sozialdemokraten beantragt, die Schwur⸗
gerichte auch für alle mittelst der Presse begangenen Vergehen
and Verbrechen für zuständig zu exklären. Ein Antrag Müller⸗
Meiningen (F. V.) will das gleiche; es sollen aber die in den
8 18 und 28 des Reichspreßgesetzes von 1814 mit Strafe bedroh⸗
len Vernehen, sowie die nur auf Antraqg zu verfolgenden Beleidi⸗
ausen, ausgenommen sein, wenn 8 188 Str. G. B. maßgebend
st, oderwenen und so lange die Verfolgung im Wege der Vrivat⸗
lage geschicht.
Abn. Stücklen (Soz.) sagt zur Begründung des Antrags sei⸗—
ier Vartei, daß in Süddeutschland die Preßvergehen von alters—
jer den Schwurgerichten überwiesen seien, womit die besten Er⸗
ahrungen gemacht worden seien. Im, übringen Deutschland würde
die Durchführung des Antrages den Uebereifer vieler Staatsan⸗—
wälte, der Vreßfreiheit mit allen möglichen Mitteln zu Leibe zu
jehen, etwas eindämmen. Der Breslauer Staatsanwalt habe
die Gewobnheit, auch Leuten, die außerhalb Breslaus wohnen,
das sozialdemokratische Breslauer Blatt zuzuschicken, wenn sie
nach seiner Ansicht in demselben beleidigt würden, und sie um die
Stellung eines Strafantraas anzugehen, nur damit er Massen⸗
inklage erheben und härtere Verurteilung erzielen kann. Das Jei
ine Ueberschreitung der Amtsbefugnis des Staatsanwalts. Es
verde nur von Vorteil für das Volk und die Preßfreiheit
ein, wenn eine Anzahl künstlich konstruierter Preßprozesse unter⸗
leibe. Verurteilungen, die nur aus der beleidigenden Form eines
Artikels hergeleitet werden können. seien von einem Schwurge⸗
icht schwerer zu erlangen, als von einer Strafkammer. Die
reßdelikte eianeten sich deshalb ganz besonders für die Aburtei⸗
ung durch die Schwurgerichte, weil fie immer aus den Keitver⸗
zältnissen heraus verstanden und beurteilt werden müßten. Als
n Berlin das Wort von der „Rotte, nicht wert, den Namen Deut⸗
cher au tragen“ gefallen sei, habe die Staatsanwaltschaft eine
Henge Maiestätsbeleidigunas-Prozesse wegen der Kritik dieser
leußerung anhängig gemacht; die Strasfkammern seien durchweg
ur Verteilung gekommen, die bayrischen Schwurgerichte aber
—RD
hren Widerstand gegen einen solchen Antrag nur angeführt, wenn
x angenommen würde, würde die ganze Vorlage scheitern. Der
hauptwiderstand liege bei Preußen, wo die Regierung sich gegen
inen freiheitlichen Geist sträube und wo aus Sparsamkeitsgrün-
en das System der Hilisrichter si chbesonders unangenehm geltend
mnache. Durch die Lex Wagner waren die Pressedelikte wegen
Beleidigung mit außerordentlich hohen Strafen bedroht; umso
mehr wäre es geboten, die Vressedelikte den Geschworenen zu
iberweisen. Selbst die Germania habe sich gegen den Beschluß
es Reichstans wegen der Erhöhung der Strafe und die Befürch⸗
ung ausgesprochen, daß die Folgen dieses Beschlusses die Züch—
ung der Bußenjäger“ sein würde. Im Interesse der Preßfrei⸗
seit bitte ex, den sozialdemokratischen Antrag anzunehmen, nach⸗
jem der Reichsta.g sich bei bei früherer Gelegenheit durch den da⸗
naligen Staatssekretär Nieberding ins Bockshorn habe ijagen
afsen und einen gleichen Antrag abgelehnt habe Geifall b. d.
—R
Abg. Dr. Müller-Meiningene(f. V.): Ich muß die Aeußerung
)es Abg. Bassermann von einer rührenden Anhänglichkeit des deut-
chen Volkes an die Schwurgerichte dick unterstreichen. Machen
Sie nur den Versuch., die Schwurgerichte aufzuheben, und Sie
erden sehen, wie baid sich das Volk regen würde. Der Abg Gräf
bies neulich auf die Vorkommission hin, Die Feinde des Schwur—
gerichts haben es eben nicht gewagt, die Schwurgerichte abzuschaffen,
e wuhten sehr gut, daß die Schwurgerichte an ideale Güter des
zeuischen Volkes anknüpsen. Unsere jetzigen Schwurgerichte wären
Alerdings einer Reform im liberalen Sinne fähig. im Sinne des
zriandschen Vorschlages. AÄber auch wir waren vorsichtig, wir sas-
en nur, daß, wenn wir weitergehende Vorschläge machten, wir unse⸗
en Geanern Gelegenheit geben würden, reaktivnäre Gegenvorschläge
u machen. Aber eine Reform wollen wir dem deutschen Parlament
miter allen Umsständen vorschlagen die Ausdehnung der Zuständig-
bit der Echwurgerichie in Prehsachen. Was wir vorschlagen,
at sich in Süddeutschland qusgezeichnet im ganzen bewährt. Wider⸗
pruch im Zentrumm Ein hohber bahrischer Richter hat die Auffehen
rregende Reußerung getan, daß die Angriffe gegen die Urteile der
Ziraftammer darin ihren Grund haben, daß in Preußen, die Preßz-
elitte nicht vor den Schwurgerichten verhandelt werden. Es handelt
ich hier um eine ganz bedeutende Entlastung der politischen Ver-
niwortlichteit unserer Richter. die, damit der politischen Kampf-
rrena entrückt werden. Warum will man nicht,die in Süddeutsch⸗
and bewährte Reackung auf das ganze Reich, übernehmen? Wir
perden bei anderer Gelegenheit verfuchen, den 8 193 zu reformieren.
ich bitte nicht nur im Interesse der deutschen Presse, sondern im
Intereffe einer vom Verirauen des Volkes getragenen Rechtsent-
vicktung in aanz Deutschland, meinen Antraq anzunehmen.
Abg. Dre Mrayer-Kaufbeuren (Zentr.): Die Ansicht des Vor⸗
edners, daß man mit der süddeutschen Regelung glänzende Exah⸗
ungen gemacht habe. muß ich dahin berichtigen, daß sie in Süd—
„eutschland, speaiell in Bayern nicht geteilt wird. Hört! Hört!)
die eigentlichen politeschen und Preßprozesse kommea bei uns nur
n seltenen Fällen, vor das Schwurgericht, sie werden im Wege der
hrivatklage verfolgt und kommen vor die Schöffen-
erichte und Strafkammern. Die Zuftandigkeit der Schwurgerichte
sat“ heir uns nur noch Bedeuiunge dei Religionsvergehen,
Maiestäts- Belseidigung und vor allem, bei Sittlichkeits.Delikten.
ẽ8 handelt sich dabei auch nicht um die Inaconrese, spnderm um
zlugblälter und pornographische senguise In diesen Sachen
Aaben sg die Schwurgerichte bei uns ni ß bewährt. Bei Maje,
dätsbeleidsgungen, die in Nordbeutschland zur Verurtei⸗
ung führen, findet bei uns der Staatsanwait nicht den Mut zur
Antsage. Ich erinnere auch an die eeee des Münchener
Schwuͤrgerichts vom 14. Juli 1910, wo ein 24 Jahre alter Schrift⸗
leller wegen Bücher schamlosester Art die der Abg Nüller-Meineagez
in Bahrischen Landiag selber als Schmutzerei ärgster Art bezeichnet
jat, freigesprochen wurde. Ich bin ein Freund der Schwurgerichte,
iber gerade deswegen möchte, ich, daß sie für das zuständig bleiben,
vozu“ fie hrer Natur nach bestimmt sind, für Verbrechen, die mit
zuͤchthausstrafe über 5. Jahren bis zu denen, wo es sich irm Leben
nd Tod des Angeklagten handelt. Ich kann daher auch nicht wün—
chen, daß der süddeuische Zustand auf das ganze Reich ausgedehnt
vird. Die aständige resse hat ebenfalls nicht das geringste In⸗
erefse daran, ein Ashl zu schaffen für Poxnographen und ähnliche
klemnente, von denen manche ihren Wohnsitz aus Norddeutschland
dach Suͤbdeutichland verlegt, haben. Eine Rechtseinheit möchte ich
eber in dem Sinne sehen, daß der norddcutiche Zustand aui Out
deutschland übernommen wird. d
Abg. Dr. Marcour (Zir.): Der Kernpunkt liegt darin, ob
das Juteresse des Angeklagten besser zwatt wird; wir
haben zu prüfen, wo der wegen eines Preßdelikts vor Gericht Ge—
ogene die meiste Garantie für eine objellive, vorurteilsfreie Beurtei⸗
ung findet. Was inimer wieder gegen die Ueberweisung an die
Herussrichter geltend gemacht wird, ist die Annahme einer Befangen⸗
eit des Richiers wegen seiner Zugehörigkeit zu einer hestimmten
olitischen Rärtei Wir finden aftihe Miiter in allen hürgerlichen
Parteien, aber der Schluß, daß ein Richter deshalb nicht zu einem
bjektiven Urteil imstande sei, geht zu weit. Er kann sich nicht un—
ewußt — nur darum kann ⸗s sich handeln — so von seinem per⸗
önlichen Parteistandpunkt beeinflussen lassen, daß er
richt mehr gerecht sein kann. Das mag in einem einzelnen Falle vor⸗
ommen, und die dann zustande kommenden, dem Vollsbewußtsein
vidersprechenden Urteile find nur Ausnahmen. Glauben Sie denn,
er Laie hätte keine politische Gesinnung oder 3 sie ab in dem
lugenblick, wo er zum Geschworenen bestellt wird? Der Richter ist
urch seine tägliche berufliche Beschäftigung an streng logisches Den—
en gewöhnt, er ist nicht so leicht der Gefahr ausgeseßt, sich als
Zzarteimann zu fühlen wie der gewöhnliche Mann aus dem Volke.
zassen Sie auch das Ablehnungsrecht bei den Geschworenen nicht
ußer acht. Der größte Vorzug der Vorlage ist die Einführung der
zerufung gegen die Strafkammerurteile. In dem Augenblick, wo
zie die Prepdelikte vor die Geschworenen verweisen, nehmen Sie
en Preßleuten die Möglichkeit der Berufung. Die sozialdemohrati—
chen Auträge sind vollständig unannehmbar. Wie die Strafgesetz-
eform auch ausfallen mag, ein Vorteil für die Presse kann es nie
ein, daß ihre Delikte vor die Schwurgerichte kommen. Im Inter—
sse der gesamten Presse liegt es, daß ihre Delikte vor den Berufs—
ichtern bleiben. Lehnen Sie daher die Anträge ab.
Abg. Gräf⸗-Weimar (W. Vgg.): Die Geschworenen haben auf
ie Beweisaufnahme und die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der
ze- und Entlastungszeugen keinen Einfluß. Ein weiterer Mißstand,
ber den die Geschworenen mit Recht klagen, ist darin begründet. daß
e leinen Einfluͤß auf das Strafmaß besitzen. Wenn die GEeschwo—
enen wissen, der Angellagte kommt mit einer geringen Gesängnis—
lrafe davon, so werden vielleicht manche Schuldigsprüche erfolgen,
on denen die Geschwoxenen jetzt absehen, weil sie glauben, das
urteil könnte vielleicht duf mehrere Jahre Zuchthaus lauten. Des—
alb habe ich mich auch in der Kommission bemüht, den Geschworen⸗n
inen Anteil an der Bemessung der Strafe einzuräumen. Aus dieser
neiner Haltung geht hervor, daß ich durchaus ein Freund der
-chwurgerichte bin. Wir sind aber der Meinung, daß der Antrag
Nüäller-Meiningen abzulehnen ist; die Herren können
roh sein, wenn nicht der Antrag gestellt wird, die norddeutsche Reges
ung auf Süddeutschland auszudehnen.
Abg. Dr. Müller-Meiningen: Nach meiner Erinnerung hat Herr
gräf sich gestern doch als Gegner der Schwurgerichte üherhauut be—
annt. Daß Herr Mayer-Kaufbeuren sich gegen die Schwurgerichte
uͤr Preßvergehen ausspricht, wundert mich garnicht, folgt er danmtt
och nur dem Beispiel seiner Parteigenossen. welchen die Semplicijfis
nus⸗ und andere Prozesse der letzten Jahre etwas sehr im Magen
egen. Aber wie kann man denn von den sfüddeutschen
Ichwurgerichten als einem „Ashl für Pornographie“ sprechen?
z3 ist ja zugegeben, daß ein Münchener Schwurgericht in einem ein—
esnen Fall ein merktwürdiges Urteil erlassen hat; beweist das auch
ur das geringste gegen das Schwurgericht als solches? Was hat
ne solche Verallgemeinerung in der Debatte für einen Wert, wenn
icht zugleich die Objekte der Beschwerde, die belressenden Reate an—
egeben und vorgeträgen werden? Ich erinnere die Herren die be—
Ȗders gewisse Sittlichleitsprozesse im Auge haben, an das treffende
rleil. welches der berühmte Erzgießer von Miller über den Vegreff
er Sittlichteit und des Geschmacks gefällt hat. Auf dem Gebiete
bird es zu einer Einigung zu kommen sehr schwer sein. Die Mehrheit
er süddeutschen Bepölterung steht in diesem Punlte auf unlerer
2eite.
Abg. Stadthagen (Soz.): Die Presse hat ganz befonders die Ab.
rieilung durch Laien in den Schwürgerichten nötig. ZSelbst die
naien, wie fie augenblicklich in den Schwurgerichten infolge dxs
ie bung?⸗Ehstems gaben ziehen wir den Berufsrichtern vor Vie
aatsanwälte suchsa die Krilik Oppositioneller zu unserdrücken durch
e Erhebung von Anklagen und Erzjelung von Urteilen Darauf
It ein Schwurgericht nicht hinein. Verurteilt worden sind durch die
trafkammern eine große Zahl meiner Parteigenossen, nachdem der
ßahrheitsbeweis geführl war, ich möchte sagen, weil der Wahrheetse
eweis geführt war; das wäre bei den Schwurg-richten nicht ge—
hehen, infsosern ist ihnen politische Boreingenommene
et nicht nachzuweisen, wie dies bei den Staatsanwälten im
zuystem liegt. Ich biite Sie dringend, unsern Antrag anzunehmen
Der Antrag Albrecht wird gegen die Stimmen der Sozialdemo—
raten abgelehnt, der Antrag Müller-Meiningen gegen Frei—
nnige, Sozialdeinokraten, Polen und einige Nationalliberale.
Zu 8 81 befürwortet Abg. Stadthagen einen Untrag, wonach die
rei richlerlichen Mitglieder des Schwurgerichts ständig ange—
ellte Richter sein müssen, als eine einfache Konsequenz der
vIng bisher zur Beseitiaung des Hilfsrichtertums gefaßten Be—
lüsse.
Der Antrag wird mit knapper Mehrheit gegen die Rechte, einen
Teil des Zentrums und der Nationalliberalen Angenommen.
Hinter dem 6. Titel soll als neuer Titel 634: Berufungs-
enate für Strafsachen s 99, 1 bis 99, 3 eingeschaltet wer⸗
en. Nach der Vorlage sind bei den Vandgerichten gegen die Straf⸗
ammerurleile Berufungssenate zu errichten Nach 8 99, 1 der Vor⸗
age sollten sie in der Besetzung mit 5 Richtern entscheiden; die
»ommisslon will sie nur für die Hauptverhandlung mit 5,
onst mit 3 Richtern besetzen. In erster Lesung hatte die Kom—
uission für die Hauptverhaäͤndlung eine Vesetzung mit 3 Richtern
nd 2 Lalen beschlossen. Die Sozialdemokraten wollen die
— aus 2 Richtern und 5 Schöffen zusammensetzen.
bg. Mühller-Mteiningen will sie bei den Oberlandesgerichten ein—
iier und in der Beßs Bna mite Pitern und 3 Laien entscheiden
affen.
Abg. Bafsermann (natlib.): Es handelt sich hier um einen
lten Streitpunkt, der schon seit Jahren zu Rußeinandersetzungen
eranlassung gegeben hat. Die einen wollen die Berufung an das
berlandes gericht gehen lassen, die anderen sie bei den Landgerichten
richten. Es ist natürlich, daß die Berufung an ein Gericht höherer
Rdnung geht. Man hat nun gesagt, das Volk würde es nicht ver⸗
ehen, wenn man bei demselben Gericht auch die Berufungsinstanz
ilden würde; es würde dann das Vertrauen zu dem Gericht er—
chüttert werden. Auf der anderen Seite wurde die Meinung ver⸗
eten, daß praktische Gründe dafür sprächen, die ee
ammer beidemselben Gericht zu lassen, wo die erste Ent—
heidung fiel.. Auch ich bin dieser Ansicht. Für die Volksauf—
issung ist es im großen und ganzen ganz gleichgültig, wo die Beru—
ung ate Es kommt nur darauf an, Fehlsprüche zu ver—
neiden. Der Hoauptgesichtspunkt aber ist der, daß, wenn man die
Berufung an die Oberlandesgerichte brächte, baraus große Verwir⸗
ung enfstehen könnte. Es würden Umständlichleiten für die Ange—
aglen sich ergeben, ein großer Aufwand für die Staatskasse bei ver—⸗
nögenslosen Angeklagten, abgesehen davon, daß die Oberlandes-
erichte oft sehr weit auseinander liegen; das ist aber nicht aus⸗
hlaggebend. Ich befürchte. paß unwillkürlich das Bestreben sich
eltend machen wird, die Beweisaufnahme einzuschränken. Deshalb
zöchte ich dafür sein, daß wir es bei den Landgerichten belassen.
Zas die Zusammensetzung der Berufungssenate be—
rifft, so will ich die Gründe nicht wiederholen, die gestern schon für
ie Beteiligung der Laien gesagt worden stnd. Der Staatssekretär
at gestern darauf hingewiesen, daß es sich in der Berufungsinstangz
m eine kritische Würdigung, der Entscheidung erster Instanz handle
sch kann diesen Einwand nicht als durchschlagend, anerkennen. Ich
in für die Zuziehung der Laien in Konseauens der gestern
u 8 77 gefaßten Beschlüsse.
Absg. Dr. Varenhzorft (Rp.) begzieht sich auf, seine früheren Aus-
ihrungen gegen die ZuziebungvponSchöffen in der Be—
ufungsinstanz. Den Antraa Müller Meiningen lehnt er aus den
on dem Abg. Bassermann angeführten Gründen ab.
Staatsselretär Dr. Lisco: Ueber die Zuziebhung von Laien in
er Berufungsinstanz sind heute weitere Aussührungen nicht mehr
ötig. Die Berufung bei den Oberlandesgerichten einzulegen, möchte
uch ich mit den von dem Aba. Bassermann angeführten Gründen
xkämpfen. Es kommt hinzu, daß die Erfahrungen, die man mit den
etachierten Strafkammern gemacht hat, im allgemeinen
eine günstigen sind. Wir, möchten nicht, daß sich diese in Preußen
peniastens nicht sehr günstigen Erfahrungen, bei den Berufungs-
engten wiederholen. Der Eventualantrag Müller-Meiningen, wo—
ach es der Landesjustizverwaltung überlassen sein soll, an welche
Ferichte sie die Berufung leiten will, würde einer nicht wünschens-
verten Willkür die Wege ebnen.
Abg. Dr. Müller-Meiningen: Wir haben trotz aller Gegen-
ründe, die geltend gemacht worden sind, den Antrag, die Beru'ung
ei den Oberlandesgerichten einzulegen, eingebracht. Das Gebilde,
elches die Verufungssenate bei den Landgerichten darstellen, hat
zinding ein Gebilde mit tragikomischem Charakter genannt. Wir
ehaupten, daß schon nach wenigen Jahren die gllaemeine Unzu⸗
iedenheit sich gegen dieses Gebilde wenden wird. Die Berufung ae⸗
irt doch nach der Volksanfassung an ein Gericht höherer Instanz.
nn daa niic mäalich if mossen r menstenä dah der M⸗2
uch einer Alternatir,e gemacht wird. Der Staasssetretr
harnt vor einer solchen Willkür; er fürchtet, daß die süddentjge
zsaaten dennoch mit ihren kleinen Oberlandesgerichte VBeget
bieder kommen und sagen werden, sie hätten die bessere Justiz als
ie norddeutschen Staaten. Im Interesse der süddeutschen Staated
ind zur Erreichung des großen Hieles, daß auch Preußen kleiner,
Iberiandesaerichts-Bezinke schafft, bitte ich diesen, Antrag anzuneht
nen, Wollen Sie dieses alles nicht, so müssen wir uns darauf u.
ückziehen, daß die Laien bei den Berufungssenaten an den Vang
erichten zugelassen werden, wie es bei 8 77 bereits entschieden ist
Abq. Stadthagen Soz.): Wir haben entsprechend der Militär.
verichts-Ordnung die Bexufnnassenate ans zwei Richtern und
ünf Schöffen zusammenzusetzen vorgeschlagen und empfehlen Ihnen
nerflter Linie diesen Vorschlag.
Abg. Gröber (HZentr. spricht sich gegen den Haupt- und den
fventual-Antrag Müller-Meiningen, dagegen für die Annahme des
Intrages Müller-Meiningen aus,. in der Berufungsinstanz der
Senat aus zwei Richtern und drei Laien zusammenzansetzen.
Abg. Müller-Iserlohn (f. V.) bemerkt gegenüber dem Abg.
Müller-Meiningen, daß die Oberlandesgerichte Köln und Celle sich
instimmig gegen die Verlegung der Berufung an die Oberlaudeg
gerichte ausgesprochen hawen. Die UNeberweisung der Berufung an
eeenehide eine au aroße Erschwerung für alle Beteiligten zuf
olge haben.
Abq. Gräf-Weimar: Ich verstehe nicht, wie die Freisinnigen
yom liberalen und unitarischen Standpunkt einen solchen Antrag
tellen konnten; er würde an Stelle der Rechtseinheit die Zer
plitterung setzen.
Nachdem noch Abg. Dr. Wagner-Sachsen (dk.) darauf hin—
gewiesen hat, daß der Antrag Müller-Meiningen auch vom
Standpunkt derer, die für die Beteiligung von Laien eintreten,
richt annehmbar sei, wird zur Abstimmung geschritten. Für die
Berufung an die Oberlandesgerichte stimmen nur die Freisin—
rnigen, Polen und die Reformpartei; der Eventualantrag Mül.
er-⸗Meiningen wird gegen die Stimmen der Freisinnigen ung
zolen abgelehnt, der Antrag Albrecht gegen die Stimmen der
Antragsteller und einiger Mitglieder der fortschrittlichen Volks
partei. Der Antrag Müller-Meiningen, die Be—
ufungssenate bei den Landgerichten mit 2 Richtern und 3 Schöf—⸗
en zu besetzen, wird in namentlicher Abstimmung mit 166 gegen
122 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen angenommen. LBei—
all und Gelächter.)
Vizepräsident Schu f mehrfache Anfrage um 5 Uhr
nit, daß Anträge auf weinere namentliche Abstimmungen zur
zJeit noch nicht vorliegen, daß es abex fast unmöglich sein würde,
olche auf morgen zurückzustellen, weil dadurch die weitere Bera—
ung der Vorlage eventuell verhindert würde.
Nach 8 99,2 kann die Landesjustizverwaltung anordnen, daß
? Mitglieder des Berufungssenats einem Ober—
andesgericht entnommen werden.
Abg. Dr. Heinze (natlib.) bekämpft einen Antrag Müller⸗
Meiningen, wonach diese Befugnis in eine Verpflichtung ver—
vardele werden soll, ebenso tritt er einem Antrag desselben Ab—⸗
zcordneten entgegen, einen Senats-Präsidenten des Oberlandes—
zerichts auf die Dauer eines Geschäftssahres zum Vorsitzen⸗
den des Berufungs-Senats zu bestellen.
Staatssekretär Dr. Lisco: Ich kann Sie auch nur dringend
zitten, diesen Antrag abzulehnen.
Beide Anträge werden abgelehnt. Zu 8 109 befürwortet
Abga. Dr. Dahlem (Zentr.) einen Antrag, wonach der Vor⸗
itkzende einer Kammer für Handelssachen vom Prä—⸗
idium des Landgerichts bestimmt wird. Gegenwärtig sei dies
in. Obliegenbeit des Justizministers, der sie aber heute schon
inem Präsidium übertragen kann. Es werde mit seinem Antrag
einheitliches Recht geschaffen
Staatssekretär Dr. Lisco: Ich kann Ihnen nur dringend
»mpfehlen, diesen Antrag abzulehnen. Sie würden ein ganz
Prinzip einführen und auch nicht einheitliches Recht
en.
Abg. Bassermann (natlib.) erklärt sich ebenfalls gegen den
Antrag und verweist den Abg. Dahlem mit seinen Wünschen an
der Preußischen Landtag.
sach weiteren Bemerkungen der Abag. Dr, Dahlem vund
De. Heinze wird der Antrag Dahlem abgelehnt.
Sinter dem 7. Titel soll ein neuer, Titel 7a eingeschaltet
verden: S 118, 1 bis 118, 39 unter der Ueberschrift Schöffen
uind Geschworrene. Die Abga, Albrecht und Gen. (Soz.)
zrautragen, dafür zu setzen Volksrichter.
Aba, Frohme (Soz.): Unser Vorschlag bedeutet eine Verr.⸗
»nfachung des, Gesetzes. Der Name Volksrichter trifft
zas Wesen dieser Laienrichter und ist prägnant. Ausschlaggebende
ründe können dagegen nicht geltend gemacht werden. Schwierig⸗
eiten sind nicht zu befürchten.
Oberlandesgerichtsrat Dr. Schultz: Wir bitten den Antrag
izulehnen. Eine Verschönerung der Sprache wird daywrit nicht
rreicht. Sprachlich wäre ein Volksrichter nicht ein Richter aus
»em Volke, sondern ein Richter Üüber das Volk. Indes
urauf wäre kein zu großer Wert zu legen, aber bei den Kauf⸗
nonns⸗ und Gewerbegerichten haben wir guch Laienrichter, und
die Sltrafrichter, soweit sie Laien sind, als Volksrichter zu bezeich⸗
nen, würde Unklarheit und Verwirrung bringen, Es wäre auch
nick zweckmäßig, den Berufsrichter und den Valksrichter ein—
auder gegenüherzustellen.
Dder sozialdemokratische Antrag wird gegen die
dtimmen der So⸗aioldemokraten und der Forischrittlichen Volks-
xrtei aAbgelehnt. *
8 As, iaulet in der Kommissionsfassung: Schöffenamt und
9eschworenenamt sind Ehrenämrter. Nur ein Deutscher
aun Schöffe und Geschworener sein. Bei der Berufung zum
Schöffen⸗ und Geschworenenamt soll, soweit das Gesetz nichts
ir dere⸗ bestimmt, kein Unterschied nach der Zugehörigkeit zu
ꝛiner bestimmten Berufsart oder Gesellschaftsklasse gemacht
verden.
Abg. Frohme (Soz.) begründet einen Antrag Albrecht u.
Hen., in Absatz 1 hinter dem Worte „Deutscher“ einzufügen:
Oder eine Deutsche'. Durch die Zulassung der Frauen
um Schöffen⸗ und Geschworenenamt würde eine Art Vorschule
ür die Frauen geschaffen.
Ferner beantragen die Abag. AIbrecht, und Gen. für den
weiten Absatz folgende Fassung: Die Wahl der Schöffen
rfolgt auf Grund allgemeiner, gleicher, direkter Wahl durch die
„olljaͤhrigen Einwohner des Amtsgerichtsbezirks, die Wahl findel
iach den Grundsätzen der Verbältniswahl statt.
Der Antrag auf Kulassung der Frauen wird gegen die Stim⸗
nen der Sozialdemokraten und der Abagg. Träger und Cuno (F.
3). und der Antrag, bezüglich der Wahl gegen die Stimmen der
Zzozialdemokraten Abgelehnt. Die Kommissinynsfassung wird
ngenommen.
Die 88 118,3 und 118,4 bestimmen, wer zum Schöffen- und
Heschworenenamt nicht berufen werden soll. Nach 8 118,3 sollen
ruch die Dienstboten nicht bernfen werden.
Abg. Frohme befürwortet die Streichung dieser Ausnahme.
S8 handle sich um eine ungerechtiertigte Herabsetzung der Dienst-
zoten.
Der Antrag wird abgelehnt.
In 8 1184 wird in Uebereinstimmung mit der Vorlage von
er Kommission vorgeschlagen, Volksschullehrer nur
um Schöffenamt berden Jugendgerichten zu—
usassen. 34
Ein Antrag Gräfe (Sachsen) (Rfpt.) will dic Lehrer allge⸗—
nein zu Schöffen und Geschworenen zulassen.
Die Abag. Albrecht u. Gen. wollen den Passus streichen,
ußerdem auch Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft von der Be⸗
ufung ausschließen. Die Streichunn des Passus betr. die Volks⸗
hullehrer beantragen auch die Abgg. etzel u. Gen. (natlib.),
benso die Abgg. Kölle u. Gen. (W. VBaq.). Die Abag. Trä⸗—
rner u. Gen. beantragen folgende Fassung: Frauen sollen
um Schöffenamt bei den Jugendgerichten berufen werden.
Abg. Dr. Hahne(dk.): Der Abg. Gräfe ist leider verhindert,
einen Äntrag persönlich zu vertreten. Meine politischen
Freunde haben ihre Stellung mit Rüksicht
suf die dargelegten Gründe der Verbüundeten
degierungen geändert. Es war ertlärlich, daß die
zchitlverwaltungen zur Heranziehung der Volksscyhnllehrer nicht
o ohne weiteres ihre Rustimmung geben würden aus schultech⸗
zischen Gründen. Andererseits sind die Lehrer für das Schöffen—
ind Geschworenenamt vorzüalich geeinnet, wie ihnen denn auch
ohe Anerkennung von den Verbündeten Regicrungen ausge—
rychen worden ift Es hat sich heransgestelst daß die Befürch—