Full text: Lübeckische Anzeigen 1911 (1911)

tärischer Stellen allein die persönliche Tüchtigleit ohue Rücksicht 
wuf politische und konfessionelle, Ueberzeugung o r gesellschaft⸗ 
iiche Stellung entscheidend sein zu lassen, wurde abgelehnt. Der 
riegsminister erklärte, konfessionelle Unterschiede würden nicht 
gemacht, auch liege der Heeresverwaltung fern, den Adel zu be⸗ 
rorzugen. Schließlich wurde die zweite Resolution der forischritt- 
ichen Vollspartei angenommen, welche eine Reform des gesamten 
Militärstrafrechts, des Beschwerderechts und des ehrengerichtlichen 
ßerfahrens gegen Offiziere wünscht. 
Triedens präsenzstärke des Heeres. Die Budgetkom⸗ 
mission des Reichssstages naähm den Gesetzentwurfüber 
»ie Friedenspräsenzstärke an und bewilligte die Neu⸗ 
orderungen auf Grund desselben. F 
Naltionalliberale und Forischrittliche Volkspartei in der 
sheinprovinz. Zwischen den Nationalliberalen und 
der Fortschrittlichen Volkspartei in der Rhein— 
zrovinz ist für die nächsten Reichstagswahlen eine Einigung erzielt 
vorden. Von dem Abkommen werden die Wahlkreise Solin— 
jen und Elberfeld ausgenommen, da dort die örtlichen 
Verhandlungen keinerlei Schwierigkeiten bieten. In den Wahl⸗ 
reisen Remscheid, Lennep, Mettmann, Wetzlar—⸗ 
Ultenkirchen werden mit gemeinsamer Unterstützung Kandi⸗ 
daten der Forischrittlichen Vollspartei, in den übrigen rheinischen 
Wahlkreisen nationalliberale Kandidaten aufge— 
tellt. 
Der Deutsche Protestantenverein zum FJall Jatho. Aus 
Anlaß des Falles Jatho lädt der Vorstand des Deutschen 
Protestantenvereins in einem Aufruf zum Beitritt ein: „Durch 
das Versahren gegen Jatho wird das Recht der freigesinnten 
Gemeindemitglieder und Pfarrer in der Kirche bedroht. Wir 
ehen die Gefahr vor Augen, daß in unserer Kirche Roms 
brundsätze maßgebend werden. Demgegenüber können die frei⸗ 
sesinnten Glieder der Gemeinde ihre Rechte nicht auf dem 
berfasfungsmähigen Wege entsprechend zur Geltung bringen. 
Ddurch das indirekte Wahlvperfsahren, durch die Vorherrschaft 
»er Patrone und der orthodoxen Pfarrer ist der kirchliche 
diberalismus in den entscheidenden Synoden falt völlig aus⸗ 
geschaltet. Es bedarf einer Vertretung durch freie Vereine, 
um der Oeffentlichkeit und den Vehörden seine Anschauungen 
und Forderungen darzulegen und die Stärke seiner Anhänger⸗ 
chaft kundzugeben. Der Deutsche Protestantenverein hat von 
Anfang an sich die Aufgabe gestellt, eine solche Vertren 
ung zu sein.“ 
Oeste rreich⸗ Ungarn. 
Die Krakauer Ausfchreilungen im Abgevrdnetenhaus. Im 
Lbgeordnetenhaus wurde über die Interpellation betreffend die 
lusschreitungen an der Krakauer Universität im Zusammenhang 
nit der Berufung des Professors Zimmermann verhandelt. Der 
zultusminister erklärte: Die Bewegung der Studierenden sei 
uf eine gewisse Agitation zurückzuführen. Sachliche Gründe seien 
icht vorhanden, denn von der Absicht und dem Versuch soge⸗ 
annter Verklerikalisierung der weltlichen Fakultäten könne nicht 
ie Rede sein. (Zustimmung.) Er verurteile das Vorgehen der 
ztudenten, die, statt gegen das Disziplinarerkenntnis gesetzliche 
dechtsmittel zu ergreifen, den Streik begannen und die Vor⸗ 
‚sungen vereitelten. Er traf Vorsorge, die Schuldigen der 
ebührenden Bestrafung zuzuführen und die überwiegende, den 
lusschreitungen sernstehende Mehrheit vor Schaden zu be— 
vahren. 
Geroßbritannien. 
Die Fifcherei im Weißen Merre. In Erwiderung auf eine An⸗ 
rage wegen des der Duma vorgelegtenGesetzentwurfes über die 
lus dehnung der Fischerei⸗ Grenzen von 3 auf 12 Meilen im Weißen 
Deere erklärte im Unterhause der Unterstaatssekretär MKin⸗ 
ron Wood, der britische Botschafter in Petersburg habe in 
dieser Angelegenheit bei dem russischen Minister des Aeußern be— 
eits Vorstellungen erhoben und sei kürzlich angewiesen worden, 
zei der russischen Regierung einen offiziellen Einspruch gegen den 
Borschlag einzulegen, der dahin gehe, die Fischereigrenzen in Ruß⸗ 
and übecr die gewöhnliche Entfernung von drei Meilen auszudeh⸗ 
ien. da dies den allgemeinen anerkannten Grundsätzen des in⸗ 
ernationalen Rechts widerspreche. Sir Edward Grey sei sich der 
Wichtigkeit der berührten britischen Interessen voll bewußt 
Amerila. 
Die mexilanische Rebolulion ish niedergeschlagen. Die um 
Juarez noch lagernden Insurgenten sind tatsächlich gewöhnliche 
—— 
inigten Staaten geflohen. Alle anderen Rädelsführer sind hin—⸗ 
gerichtet worden. 300 Regierungstruppen umzingelten nachts ein 
zaus, in dem die Verschwörer vermutet wurden. Diese vertei— 
digten sich mit Gewehren und Revolvern; außer zwei Frauen, 
die man schonfe. wurden alse von den Trunnen erschossen 
eueste Nachrichten und Telegramme. 
Wt. Berlin, 10. Febr. In der Sitzung der Kommission 
für das Schiffahrtsabgabengesetz gab der Staats⸗ 
etretär des Auswärtigen Erklärungen ab, die vertraulich waren. 
Die Bierichte, die in einigen Blättern über die Erklärungen 
mf Grund von Indiskretionen veröffentlicht wurden, sind 
ielfach sinnentstellend. Im besonderen bezog sich die Wen— 
zung, daß der Staatssekretär die Opposition gegen den Ge— 
etzentwurf im Auslande nicht tragisch nehme, lediglich auf 
vie Protestrundgebungen ausländischer Interessentenkretse. Die 
Erkiärungen auswärtiger Regierungsstellen berührte der Staats⸗ 
ekretär hierbei nicht. 
W?e Berhin, 10. Febr. Der Magistrat hat beschlossen, 
er Stadtverordnetenbersammlung die Erhebung eines 
Zuschlages zur Einkommensteuer von 110 und zur 
ßrundsteuer von 165 Prozent bei gleichzeitiger Erhebung einer 
dustbarkeitssteuer vorzuschlagen. 
W“ San Antonio (Mexiko), 10. Febr. Nach einer Mel—⸗ 
zung aus Chihuahua hat angeblich in der Nähe von Mula 
zwischen 300 Revolutionären und 280 Mann Regierungstruppen 
rin zwölfstündiger verlustreicher Kampf stattgefunden. 
kinzelheiten fehlen noch. 
Wit. San Anmionio (Mexiko, Chihuahua), 10. Febr. Nach 
iner weiter Meldung waren im Kampfse bei Muta s(nicht 
Mula) die Regierungstruppen die Angreiser. Sie wurden 
mit starken Verlusten zurückgeschlagen. 
Wt. Port⸗gu⸗Prince, 10. Febr. Die Revolution auf 
füaitiist unterdrückt worden. Das Land ist ruhig. 
Wt. Berlin, 10. Febr. Der Siemens⸗-Schuckert-Ballon machte 
heute vormittag seine dritte Versuchssahrt. Das Luftschiff 
chlug zunächst die Richtung nach Johannisthal ein, um „P 6“ 
einen Gegenbesuch abzustatten und kehrte dann zur Ballon⸗ 
—A— 
ks umkreiste mehrmals die Ballonhalle und führte während 
dver Fahrt Mansöver in verschiedenen Höhenlagen bis zu 500 
eter aus, die hauptsächlich den Zwech hatten, den Einfluß 
zer in der Zwischenzeit angebrachten Stabilisierungsflächen 
u erproben. Die Versuche sielen zur vollen Zufriedenheit 
uus. Nach 254 Stunden erfolgte die Landung glatt in der 
Ballonhalle zu Biesdorf. 
W. Berlin, 10. Febr. Die Frau eines Steuer— 
rerhebers wurde gestern abend auf dem Wege zur Post 
m Flur eines im Norden der Stadt belegenen Hauses von einem 
Nanne angefallen, der ihr Pfeffer in die Augen warf und 
zie Tasche mit den für die Steuerkasse bestinkmten 1100 M 
mtrißk. Der Räuber ist entkommen. — Ein zweiter Raub—⸗ 
infall ereignete sich in der letzten Nacht im Westen, wo ein 
dräulein auf der Haustreppe von einem Manne überfallen, 
sewürgt und durch einen Messerstich in die Backe verwundet 
vurde. Der Täter, der ebenfalls entkommen ist, raubte eine 
vertvolle Steinmarderboa. 
We Berkin, 10. Febr. Der freikonservative Landtags⸗ 
bgeordnete Schmidt-Nakel erlitt heute vormittag in seiner 
Pohnung in der Wilhelmstraße eine schwere Gasver— 
iftung. Er wurde in bewußtlosem Zustande aufgefunden 
ind ins Elisabethkrankenhaus gebracht, wo er bis nachmittags 
»as Bewußtsein noch nicht wieder erlangte. Sein Zustand 
gilt als bedenklich. 
W. Leipzig, 10. Febr. Heute früh stie hen in der Nähe 
des Bahnhofs Stötteritz zwei Strahenbahnwagen zu⸗ 
ammen, wobei mehrere Personen verletzt wurden, davon 
inige schwer. 
W. Amsterdam, 10. Febr. Der ehemalige Schiffs⸗ 
doch der Marine, Sigrist, welcher am 13. Januar Rem⸗ 
zrandts Gemälde „Die Nachtwache“ durch mehrere 
Messerstiche schwer beschädigte, wurde zu einem Jahrr Ge⸗ 
rämgnis verurteilt. 
W. Saag, 10. Febr. Die Billiton-Gesellschaft 
rhielt gute Nachrichten. In den Bergwerkenbei Mang⸗ 
rar ist die Arbeit fast äaberall wieder aufge- 
rommen, im anderen Bezirken war sie nicht unterbrochen. 
die europäischen Beamten wurden nicht belästigt. 
W. Paris, 10. Febr. Aus Hull wird gemeldet: Im Kiel— 
aum des aus Dünkirchen eingetroffenen französischen Dampfers 
Hero“ wurden die Leichen dreier Hafenarbeiter 
zefunden, die offenbar durch Einatmen von Kohlengas 
zetötet wurden. Neben den Leichen lagen halbgeleerte Cham— 
agnerflaschen. 
W. London, 10. Febr. Nach einer Lloydsmeldung aus 
Fossack (Westaustralien) ist die russische Bark „Glen⸗ 
zank“ mit 1800 Tonnen Kupfererzladung in der Nähe von 
Lossack gänzlich wrack geworden. Die gesamte Be— 
atzung, ein Mam ausgenommen, ist ums Leben gekommen. 
Wt. Nilolajew, 10. Febr. Sier herrscht außerordentliche 
sKälte. Der Verkehr der AUslandsdampfer wird mit 
zilfe dreier Eisbrecher ermöglicht. Die Passagierdampfer der 
dinie Nikolajew —Odessa stellten zeẽtweilig ihre Fahrlen ein. 
We Trimidad (Colorado), 10. Febr. Im Bergwerk Coke⸗ 
jale wurden durch oine Explosion 17 Bergleute ver« 
chüttett. Davon wurden zwei gerettet. Man befürchtet, 
vaß die übrigen tot sind. 1 
Wt. Damville (Virginia), 10. Febr. Hier wurde ein 
Erdbeben verspürt. 
Ddie Pest in Ostasien. 
Paris, 10. Febr. Der Pekinger Korrespondent des New— 
yhork Herald meldet über die Vest: In Tschantschu wurden 
sestern 800 Pestleichen verbrannt; gestern starben allein 
00 Personen. Der Norden der Mandschurei ist von der Seuche 
zereits dezimiert. Die Japaner haben die ganze koreanische 
vrenze durch einen Militärkordon abgesperrt. Im chinesi— 
chen Staditeil von Charbin hat die Zahl der Todesfälle 
twas abgenommen. In Mukden zählt man 449, in Tschifu 
00 Todesfälle, darunter zwei französische barmherzige 
Schwestern. In Fudsjadian hat die Vollsmasse die Stadt⸗ 
derwaltung verjagt und verschiedene Läden geplündert. 
Deutscher Reichstag. 
W. Berlin, 10. Februar. 
Am Bundesratstisch: Dr. Lisco, Wermuth, Generalstaats⸗ 
ainwalt ESupper. Das Haus ist sehr gut besucht. 
Die zweite Lesung der Novelle zum Gerichtsver⸗ 
'afsungsgesetz wird fortgesezt mit der Abstimmung über 
77, Besetzung der Straflkammern. Zunächst wird der Antrag 
Ulbrecht und Genossen (Soz.), die Strafkammern mit einem Richter 
ind vier Schöffen zu besetzen, abgelehnt. Dann wird über den 
Intrag Müller⸗Meiningen (f. Vp.) namentlich abgestimmt. Nach 
»em Antrag sind in erster und zweiter Instanz die Strafkammern 
nit zwei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und mit drei 
zchöffen zu besetzen. Ein Antrag Gröber (Itr.) deckt sich mit 
iesem Antrag. Von 320 abgegebenen gültigen Stimmen sind 
75 fur und 1242 gegen den Antrag. 3 Abgeordnete enthalten 
ch der Abstimmung. Der Antrag ist somit angenommen. 8 77 
eird mit dieser Aenderung angenommen. 
Zu 8 80 beantragen die Sozialdemokraten, die Vrehßdelikte 
or das Schwurgericht zu verweisen. 
Abg. Stücklen (Soz.) empfiehlt diesen Antrag und bemerkt: 
dadurch werden die Strafkammern entlastet, auch dem Interesse 
er Angeklagten wird damit gedient, da bei den Schwurgerichten 
nehr Richter aus dem praktischen Leben das Urteil fällen. Ins⸗ 
„esondere leiden die sozialdemokratischen Redakteure unter dem 
isherigen Zustande, sowohl bei Privat-, wie auch bei Maiestäts- 
zeleidigungen. In Bayern und Baden hat sich die Praxis, die 
zreßvergehen vor den Schwurgerichten abzuurte'en, vorzüglich 
zewährt. Es ist deshalb nicht ersichtlich weshalb aer Bundesrat 
ich so sehr gegen unseren Antrag sträubt. Damit wollen wir 
richt sagen, daß die Schwurgerichte unsere Ideale sind. Bei der 
luswahl der Geschworenen wird die Bevölkerung zu sehr gesiebt. 
„mmerhin aber halten wir die Schwurgerichte noch für die beste 
dechtsform. Jetzt, wo die Preßfreiheit durch die Loxx Wagner 
nit den hohen Strafen erdrosselt werden soll, ist es um so 
rötiger, die gelehrten Richter von dieser Rechtsprechung auszu⸗ 
chließen und diese dem Schwurgericht zu überlassen. Lassen wir 
uins nicht abschrecken durch ein abermaliges Unannehmbar. 
Abg. Dr. Müller-Meiningen (Fortschr. Vp.) beantragt 
leichfalls, die Preßdelikte mit gewissen Ausnahmen vor die 
-7chwurgerichte zu stellen: Ein Idealgericht erblichen wir in un⸗ 
erem heutigen Schwurgericht nicht; eine liberale Reorganisation 
väre dringend erforderlich. Wir nehmen aber davon Abstand, 
im nicht die reaktionäre Gegenwirkung wachzurufen. Ich bitte, 
en Antrag anzunehmen. 
Abg. Dr. Ma,er⸗Kaufbeuren (Z3tr.): Die Ansicht des Vor— 
edners. daß sich die Aburteilung der Preßdelikte vor den 
Schwurgerichten Süddeutschlands sehr gut bewährt habe, wird 
yort in weiten Kreisen nicht geteilt. Die meisten Fällo werden 
zuf dem Wege der Vrivatklage verfolgt. Die Schwurgerichte 
reten nur bei Religions⸗, Majestäts- und Sittlichleitssachen 
ein. Wieist handelt es sich nicht um Zeitungen, sda 
ern um Flugblätter und pornographische Produrse. Au 
om Standpunkt der anständigen Vresse aus ist die Ausdehnun 
»es süddeutschen Rechtsstandpunktes auf ganz Deutschland mi 
vünschenswert. Sie will auch nicht. daß ein Asyl geschaffe 
verde für Pornographen und ähnliche Elemente. 
Abg. Dr. Marcour (Ztr.): Auch der gelehrte Richter is 
stets imstande, seinen persönlichen Standpunkt hintanzusetzen 
und auch Prehdelikte rein objektiv zu beurteilen. Mißgriffa 
und gar zu strenge Urteile, wie sie während des Kultur— 
kampfes geschaffen wurden, sind immer nur Ausnahmen. 
Abg. Graef-Weimar (w. Vgg.): Wir meinen, die Haupt. 
mißstände beim Schwurgericht sind, daß die Geschworenen keinen 
kinfluß auf die Beweisaufnahme, auf die Beurteilung der 
Slaubwürdigkeit der Zeugen und auf das Strafmaß haben 
Die Anträge bitte ich æbzulehnen. Wir sind die wahren 
Freunde der Schwurgerichte. 
Aba. Mülber⸗Meiningen (forischr. Vpt.): Die letzte Be 
merkung pafßt nicht zu den vorgestrigen Ausführungen de— 
Vorredners, wo er sich osfen als Gegner der Schwurgerich« 
vekannte. Daß dem Zentrum die Simplizissimus-Prodesse 
oen Magen gefahren sind, ist nicht unsere Schuld. Daß 
Bayern das Asyl für Pornographen geworden sei, ist ein 
ungeheure Uebertreibung. Ich warne davor, aus einem ein— 
sigen Prozeß Verallgemeinerungen zu ziehen. Ich bitte, unsere 
Antrag anzunehmen. 
Abg. Stadthagen (Soz.): Die Presse hat das gröpte 
Interesse daran, vom Schwurgericht abgeurteilt zu werden. 
Theoretisch ziehen wir das Schwurgericht, wenn auch die Aus— 
wahl der Geschworenen weitherziger vorgenommen werden soll, 
dem Berufsrichterkollegium vor. In vielen Fällen lassen sich 
odie Berufsrichter doch von politischer Leidenschaft zu schwereret 
Beurteilung von Preßdelikten, namentlich gegen die Sozial— 
demokraten, bewegen. 
Die Anträge wurden abgelehnt. 
Zum Paragraphen 81 beantragen die Sozialdemokraten 
folgende Fassung: Die Schwurgerichte bestehen aus drei rich— 
erlichen Mitgliedern mit Einschlußz des Vorsitzenden, welche 
ständig angestellte Richter sein müssen und aus 12 zur Ent— 
scheidung der Schuldfrage berufenen Geschworenen. 
Nach kurzer Befürwortung durch den Abg. Stadthagen 
wurde der Antrag angenommen. 
Paragraph 99 und folgende regeln die Zusammenstellung 
der Berufssenate für Strafsachen. Die Berufssenate sollen 
rußerhalb der Hauptverhandlung in einer Besetzung von dref 
Mitgliedern einschließlich des Vorsitzenden entscheiden. In der 
Sauptverhandlung sollen sie mit fänf Mitgliedern einschlieh— 
lich des Vorsitzenden besetzt werden. 
Die Sozialdemokraten beantragen zwei Mitglieder unv 
fünf Schöffen, wobei die richterlichen Mitglieder ständig an— 
jestellte Richter sein müssen. — Die Fraisinnigen wollen 
3 Berufungssenat mit zwei Richtern und drei Schöffen be— 
etzen. 
Die Abgg. Bassermann natlib.) und Varcanhorst (Rpt.) 
treten für die Beschlüsse der Kommission ein. 
Staatssekretär Lisco: Ich bitte Berufungssenate am Orte der 
Landgerichte und nicht Oberlandesgerichte zu bilden. Die Laien⸗ 
ichter bitte ich hier abzulehnen. 
Abg. Müler⸗Meiningen: Wir bitten Sie, für die Be— 
rufung gegen Strafkammerurteile Berufungssenate bei den 
Oberlandesgerichten zu bilden. 
Nach kurzer weiterer Debatte werden der sozialdemokratische 
Antrag und die freisinnigen Anträge, die die Angliederung der 
zerufungssenate an die Oberlandesgerichte rerlangen, abge—⸗ 
ehnt und der Antrag Müller-Meiningen, die Berusungssenate 
nit zwei Richtern und 3 Schöffen zu besetzen, mit 166 gegen 
122 Stimmen angenommen. 
Eine Reihe Paragraphen wurden unter Ablehnung lämt⸗ 
licher dazu gestellter Anträge nach den Kommissionsbeschläffen 
angenommen. 
Bei Titel 7a, Schöffen und Geschworene, begründet 
Abg. Frohme (Soz.) einen Antrag, diese Ueberschrift unizu— 
ändern in Vollsrichter. 
Oberlandesgerichtsrat Schulz: Ich bitte, den Antrag ab⸗ 
zulehnen. Der Gegensatz zwischen Berussrichtern und Volks— 
richtern würde unnötig verschärft werden. 
DTer Antrag wird abgelehnt. — 
Paragraph 118 betrisst das Schöffen- und Geschworenen⸗ 
vmt. Ein sozialdemokratischer Antrag Albrecht will auch 
Frauen als Schöffen bezw. Geschworene zulassen. 
Abg. Frohme begründet den Antrag. Als Abg. Frohme die 
Rednertribüne verlassen will, erinnert ihn Vizepräsident 
Spahn daran, daß noch ein anderer sozialdemokratischer An—⸗ 
rag betreffend das Wahlverfahren zum Schöffenamt vorliege. 
Große Heiterkeit. Abq. Frohme begründete auch diesen 
Antrag. 
Beide Anträge wurden abgelehnt, ebenso ein weiterer An⸗ 
trag der Sozialdemokraten, der die Dienstboten zum Schöffen— 
und Geschworenenamt zulassen will. Nach der folgenden Be— 
timmung sollen die Volksschullehrer nur zum Amte der 
Schöffen bei den Jugendgerichten berufen werden können. Ein 
Antrag Kreth (kons.) will diese Bestimmung streichen. Das⸗ 
elbe wollen Anträge Kölle (w. Vgg.) und Wetzl (natlib.) 
Abg. Hahn (kons.): Unser Antrag soll berechtigten Strömun⸗ 
sen im Volke entgegenkommen. Wir lassen uns an Lehrer—⸗ 
reundlichkeit durch die Herren im Roten Hause nicht über⸗ 
reffen. (Lärm links.) Wir gründeten ein eigenes Lehrer— 
olatt. (Zuruf: Was zahlt der Bund der Landwirte dazu?) 
Diese unerhörten Invektiven weise ich zurück. (Lärm.) 
Abg. Kopsch (Vpt.): Interessant ist, daß Abg. Halhen 
ich i dentifiziett mit dem neuen deutschen Lehrerverein. Dus 
wird draußen gehört werden, daß er als Anhängsel des Bun— 
des der Landwirte angesehen wird. Die Unabkömmlichkei 
der Lehrer ist nicht stichhaltig, wenn wegen Paraden, Volks— 
Vieh⸗ und Berusszählungen ohne Bedenken die Schule aus 
ällt. Daß die Lehrer selbst das Schöfsenamt ablehnen, triff 
nicht zu. 
Abg. Wet (natlib): befürwortet einen Antrag seiner 
Partei. der ebenfalls die allgemeine Zulassung der Volls 
chullehrer als Laienrichter verlangt. 
Ein Vertreter der preußischen Unterrichtsverwaltung stellt 
est, daß lediglich sachliche Motibe gegen die Zulassung der 
Lehrer zum Schösfenamt sprächen. 
Nach weiterer Debatte wird ein Schlupantrag angenommen. 
der Passus, nach dem die Volksschullehrer nur als Schösfen bei 
den Jugendgerichten zugelassen werden, wird gegen die Stimmen 
der Polen gestrichen, ihre Zulassung als Schösfen überhaupt 
damit beschlossen. 
Darauf vertagt sich das Haus. Nächste Sitzung Sonn— 
abend 11 Uhr: Inierpellation betr. Ueverschwemmung des 
beutschen Gesdmarites mit fremden Wertpapieren. Fortsetzung 
er heutigen Debatte
	        
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