Full text: Lübeckische Anzeigen 1911 (1911)

Deutscher Keichstagq. 
(122. Sihung. 
Ausführ liche Wen y 
erlin, den 8. Februar. 
Am Vundesratstische: Dr. Lisco. Jebruar 
Das Haus setzt die zweite Lesung der 
Modelle zum Gerichtsverfassungsgesetz 
sort. Bei der Abstimmung über den Antrag Dahlem auf Abän— 
derung des bestehenden 863 dahin, daß die Geschäftsverteilung bei 
ven Landgerichten durch das Präsidium „in gemeinsamer Situng“ 
stattfinden solle, hatte sich gestern die Beschinßuünfahigkeit des Reichs⸗ 
ags ergeben. In der heute wiederholten Abstimmung wird der 
rat ulit piuger ede ane aee für den Antrag stim- 
nen die Sozialdemokraten, die fortschrittliche Volkspartei, dien 
ind die Mehrheit des Zentrums. e Vollspartei, dic Polen 
In 8SeI hat die Kommission den Zusaß vorgeschlagen, wonach 
vie Landgerichte so besetzt sein müssen, daß der Vorsitz in jeder 
dammer vom Präsidenten oder von einem Direktor heführt werden 
ann, soweit nicht aus besonderen Gründen eee n eine Ab⸗ 
veichung erforderlich ist. 
Bundeskommissar Geheimrat Dr. v. Tischendorf legte dar, daß 
iese Bestimmung eigentlich überflüssig sei, da das Sas ohnehin 
zorschreibe, daß die Gerichte mit der ersorderlichen Anzahl von 
IJ besetzen sind. Jedenfalls könne aus der Formel: „Tie 
Landgerichte müsssen so beseßt sein usw tein neuer Revisions- 
rund hergeleitet werden. 
Zu 8 62, der nach der Vorlage und den Kommisionsbeschlüssen 
leine Aenderung erfahren soll, haben die Sozialdemokraten e 
»en Zusatz beantragt: „Die Geschäftsvertellung muß so geregelt 
ein, daß die Zuständigkeit der Straffammern nach den Anfangs- 
uchstaben des Namens der Angeklagten und bei mehreren Ange— 
ilagten nach, dem Ansangsbuchstaben des Namens des ältesten An— 
zeklagten bestimmt ist. Maßgebend ist der Zeitpuntt der Finrei— 
hung der Anklageschrift. Für nachträglich verbundene Strafsachen 
bestimmt sich von der Verbindung an die ———— so, als wenn 
ir von vornherein als eine einheitliche Anklage erhoben wäre.“ 
Abg. Heine Sos.: Nachdem unser Antrag, die Geschäfteber— 
eilung durch das Plenum stattfinden zu lassen, abgelehnt ift, müffen 
vir auf. Kautelen für eine loyale Geschäftsverrteilung be— 
dacht sein. Es muß der Mögsichkeit, wie fie uto in der siebenten 
Deputativn des Berliner Stadtgerichts zum Ausbruck kam, alle voli— 
ischen Prozesse vor eine der Verwaltung besondersgenehm'e 
dammer zu bringen, ein Riegel vorgeschoben werden. Wn haben 
n den Mer Jahren die bekannte Brausewetier-Kammer gehabt, 
dessen, Schneidigkeit sich späterhin als auf, einem lange verborgen 
zgebliebenen Wahnsinn beruhend herausficllte. Dann hat sich die 
bierte Kammer unter Herrn Landgerichtsdirektor Dppermann get 
visse Berühmtheit erwoͤrben. Ebwohl das Landgerichtsprasdium 
ieuerdings Abhiife zu schaffen versuchte, ist doch noch gerade in den 
etzten Win en eese Peziell den Moabiter Prozeß 
ine Jolche nachträgliche Verwendung und ümnennung erfoigtwe 
nit die Staatsanwaltichaft sich einen beflimmfen —328 aussuchte 
»or den der ganze Prozeß zu kommen hatte. Daß sich die Slaals— 
nwaltschaft diesmal in ihrer Annahme getänscht hat, ist ja be— 
rannt. Für alle Fälle wollen wir folchen Mißbrauchen und Schie⸗ 
dungen vorbeugen. Wir schlagen bei mehreren Angeklagten die 
Rubrizierung nach dem Alter vor, nicht, wie es das Berliner Land— 
zericht J macht, nach dem Hauptangeklagten, denn das ist keine ganz 
bjeltive Norm. Die Staatsanwalischaft hat sich ja in dem Moabi— 
er Fall gegen den von mir angedeuteten Vorwurf verwahrt; sie 
sert wie sie angibt, das Verfahren beschleunigen wollen. Dann hat 
s An en Weg eingeschlagen, denn die gemein— 
——— ageschrift ist nicht sofnrt. sondern erit fpäter eingereicht 
eheimrat Dr. v. TDischendorf: Wenn der Antrag di 
»enz hat. eine Beschleunigung des Verfahrens zu eLe, 
önnte man damit einverstanden sein Die Praxis hat vhne Weite 
es dahin geführt, eine Willkür von vornherein z3 verhüten. 
Der Antrag aber will etwas anderes er will dem Praͤsidium aan, 
estimmte Vorschriften über die Geschäftsverteilung machen. Der 
Korschlag ist unzweckmäßig. Ich möchte Sie dringend bilten, don 
iner unnötigen Reglementiererei abzusehen, Er würde nur zu 
zrößten Verwirrungen und Zweifeln Anlaß geben I 
General⸗Staatsanwalt Geheimrat Supoer: Der preußische 
Justizminister hat bereits im Abgeordnetenhause den Vorwurf. daß 
8, ich bei dem Mogbiter Prozeß hinsichtlich der Ueherwessung der 
Strafsachen an die sogenannte Lieberrammer um eine Schiebung 
andelte, energisch zurückgewiesen. Redner verliest einen Bericht der 
Staatsanwaltschaft zum Beweise, daß ein doloses Verhalten der 
Stagtsanwaltschaft in keiner Weise vorliegt. 
Abg. Seine: Der Bericht, den der Vertreter der Justizber- 
valtung vorgelesen hat, bestätigt nur. was ich gesagt habe. Die ur— 
prünalich zuständia gewesene Kammer hat sich tatfächlich geweigert, 
sie Umnennung vorzunehmen Die Staatsanwaltschaft mußte die 
verbundenen Sachen vor die Strafkammer bringen, die zuständig ge— 
vesen wäre. wenn die Sache einheitlich behandelt werden sollte. 
Die Staatsanwaltschaft hat vermutlich die Sache an die Lieber- 
Fammier gebracht, weil diese in dem Rufe stand. ungewöhnlich hohe 
Strafen zu verhängen. Darin hat sie sich nun geirrt. Es war ein 
wunderliches Verfahren. daß man die eigentlichen Gewalttätigkeiten 
exst nachher beim Schwurgericht verhandelte und die harmloseren 
Zachen vorher vor der Strafkammer. Damit wollte man dem 
Schwurgericht die Freisprechung oder die Kubilligung mildernder 
Imstände unmöglich machen. Solche Dinge sind geignet, das Ver⸗ 
rauen in die Justiz von nenem au erschütterrn. Man hat den 
Ztaatsanwälten von oben Vorschri*ten aemacht oder meni⸗ftfop 
Binke gegeben. 
ehene Supper: Der preußische Justizminister hat shon im 
Abqeordnctenhause exklärt. daß von einem Eöngriff,von oben 
in dem Moabiter Prozeßenicht im gerinasten, die, Rede 
zewesen ist. Es konnte neben ihm nur von mir die Rede sein, und 
a erklöre ich auf das bestimmteste, daß es mir nicht,einge— 
allen ist. in das Verfahreneinzugreifen. Zu einem 
Einariff in das Verfahren der Staatsanwaltschaft lag nicht die 
nindefie Veranlasfung vor. Es war der reine Hufall, daß die An- 
lage mit dem Rubrum Hagen begann. Es liegt auch nicht der 
nindeste Anhalt vor, daß die Staatsanwaltschaft in dieser Sache 
etwas getan hat, was nicht fair gewesen wärs. 
Abg. Seinze (nl.): Fur gewisse wenige Fälle kann, der Antrag 
ielleicht einen Mißbrauch verhüten aber ich glaube, daß vereinzelte 
Faͤlle nicht den Äusschlag geben können. Es empfiehlt sich gewisse 
Delikte, wie die über den unlauteren Wettbewerb, vor dieselbe Straf⸗ 
ammer mit besonders geschickten Richtern zu bringen. Das Wahl 
recht er — braucht micht notmendia zu. Mike 
bräuchen zu führen, 3 
an eoe (Soz.): Getade der Vorredner betonte mit größter 
Schärfe die Notwendigkeit, bestimmte VPiaterien vor best immte Kam⸗ 
nern zu bringen. Er will die Frage des unlauteren Wettbewerbs, 
e Ucheberrechtsfrage vor bestimmte Kammern verweisen. Vielleicht 
mich die Preßprozesse, die politischen Delitte? Auch da würden sich 
weifelsohne sehr geschidte KRichter sinden. Das wollen wir ja gerade 
erhuͤten, um nicht ein schlimmes Licht auf, die Rechtspflege fallen 
eu lassen. Die Ausführumgen des Kollegen Heinze erweisen die Un⸗ 
weisbarkeit unseres Antrages. Was ivir feit einem halben Jahr⸗ 
undert an politischen Prozessen, gegen das Zentrum, gegen die 
Fortschrittlichen, gegen Sozialdemokralen, was wir noch heute gegen 
dänen und Polen erleben, das kann wahrlich nicht dazu dienen, das 
gertrauen in die Rechtspflege zu stärken. Weshalb wurde denn die 
ßerbindung im Moabiter Prozeß durchaus bei der Dritten Kammer 
xeantragt und festgehalten? Ueber diesen Punkt, den der Genecral⸗ 
taatsanwalt nicht beantwortet hat, kommt man nicht hinweg. Ginge 
nan vor die Zweite Kammer, dann wären unendlich viele unerquich 
sche Debatten erspart worden und der Staatsanwaltschaft wäre kein 
Zorwurf zu machen gewesen, Von Beschleunigung kann gar keine 
Rede sein. Hagen und Genossen haben ja über einen Monat warten 
müfsen.* Wir sind nicht daran schuld, daß die Staatsanwaltschaft 
ich verrechnet hat, auch nicht daran, daß jeßt auf diese Kammer nach 
Noten geschimpft wird, weil sie sich durch falsche KReugen babe irre— 
ühren lassen. — 
Generalflaatsanwalt Supper: Ich habe vorhin durchaus nicht 
jesagt, die Staatsanwaltschaft habe das Rubrum Hagen haben 
pollen. Ich habe gesagt, es war dem Zufall überlassen. Die 
rsie Sache, die aus der Voruntersuchung kam, sollte sofort zur An— 
lage kommen. Die Sache trug das Rubrum Hagen. Es ist nichts 
veiler vorgetragen worden, als Mißtrauen gegen die Stagtsanwalt- 
chaft; die Staatsanwaltschaft kann es machen, wie sie will, bei ge⸗— 
vissen Leuten wird dem Mißtrauen immer begegnen. 
Abg. Seine: Wer Vertrauen verdient, findet es auch bei uns. 
Lachen rechts.) Ich habe ausdrücklich betont: In dem ersten Be— 
icht der Stanisanmaltichaft cheißt ⸗8 hereife man beabsichtige die 
nderen Sätze als Nachtragssachen zu behandeln, die Sache heiße 
Iso Hagen.“ Darauf wollte sich die Kammer nicht einlassen, aber es 
lieb schließlich bei dent, was die Staatsanwaltschaft wollte. Lehlere 
Jjat keinen Wert darauf gelegt, den Vorwurf, daß sie sich eine Kam— 
mer aussuchen wollte, von sich abzuschütteln. 
Generalstaatsanwalt Supper: Die Staatsanwaltschaft wußte 
zar nicht, als sie die ersten Nachtragsanträge erhob, welcher Buch— 
tabe kommen würde. 
Aubg, Dr. Heinze: Die Spezialgerichte, auf die ich 
singewiesen habe, haben sich außerordentlich bewährt. 
Abg. Fesne Spegialgerichte, Sachverständigengerichte, die 
urch das, Gesetz geschaffen werden, das ist eine ganz verschiedene 
aterie; sie biesen durch ihre ganze Organisation Sicherheit gegen 
zeamtenwilltür. Hier handelt es * darum, daß ein Staatsanwali 
ch den Richter aussuchen kann. Der Generalstaatsanwalt kennt die 
— nicht genau und folgt meinen Ausführungen nicht genau. Als 
„ie Verbindung beantragf wurde, war die Voruntersuchung abge 
chlossen, da waren ihr die Namen der Angeklagten genaudetannt. 
Generalstaatsanwalt Supper: So viel ich aus den Berichten 
ntnommen habe, hat die Staͤatsanwaltschaft die Nachtragsantlage 
zrhoben, unmittelbar nachdem die jeweilige Sache von dem Unter— 
uchungsrichter kam. 
Abg. Dr. Heinze: Es handelt sich nicht nur um Sonderge⸗ 
ichte und Spezialgerichte, sondern uͤm Spezialisierung von 
Sucuen des Landgerichts. — 
Abga. Heine: Der Vertreter des Justizministeriums hat wie— 
der von etwas anderem geredet als ich. Vie Verbindung ist erst 
beantragt worden, als die samtlichen Anklagen erhoben waren. 
Der Antrag wird gegen die Stimmen der Fortschrittlichen 
Lolkspartei, der Sozialdemokraten, Polen und die des Abg 
Bruhn abgelehnt. 
Zu 8 60 liegt ein Antrag Albrecht u. Gen. Soz.) vor, 
»en Paragraphen so zu fassen: „Die richterlichen Geschäfte an 
en Landgerichten dürsen in Strafsachen nur von den ständig an— 
jestellten Richtern wahrgenommen werden.“ 
Damit verbunden wird ein sich inhaltlich hiermit deckender 
Intrag Müller-Meiningen: dem 877 als Absaß 2 hinzu— 
ufügen: „Das Amt eines Mitgliedes einer Strafkammer darf 
ur von einem ständig angestellten Richter wahrgenommen wer— 
en. 
Abg. Stadthagen: In Bahyern ist die Hinzuziehung von 
Assessoren in den Strafkammern bereits ausgeschloffen. Zu einer 
Abweichung für die übrigen Bundesstagaten liegt kein Anlaß vor. 
zs handelt sich darum, daß die Urteilsfällung nicht beeinflußt 
ein darf von der Aussicht, angestellt zu werden oder nicht ange— 
tellt zu werden 
Abg. Dr. Müller-Meiningen (F. V.): Es ist bereits gestern 
on allen Rednern festgestellt worden, daß die Verwendung 
0n abhängigen Assessoren bei den Strafkammeru 
aiel mehr Aergernis hervorrüft, als bei den Zivilkammern. Das 
daus kann daher gar nicht anders, als feinen gestrigen Beschluß 
u 8 22a auf die Strafkammern auszudehnen. 
Staatssekretär Dr. Lisco: Die Anträge bewegen sich in ge⸗ 
iau derselben Richtung, wie der gestern zu ß 2 angenommene. 
da aber zu hoffen ist, daß dieser Beschluß in dritter Lesung wie⸗ 
her aufgehoben wird, so bitte ich Sie, diese beiden Anträge schon 
gleich jetzt abzulehnen. Der Geschäftsverteilungsplan des Laud- 
gerichts J Berlin zeigt, daß die Justizverwaltung sichtlich bemüht 
ist, dem Wunsche auf Eliminserung der Affesforen 
zei den Strafkammern so weit als möglich nachzukommen. 
Abg. Dr. Müller-Meiningen: Damit ist gezeigt, daß unser 
Wunsch bei gutem Willen der Justizverwaltungen durchgeführt 
verden kann. Die gestern von mir geltend gemachten Grüude für 
die Zivilklammern kreffen in erhöhtem NMaße sür die wichtigeren 
Strafkammern zu. Es wäre eine Inkonsequenz, für die wichtige— 
zen Sachen die Zuziehung der Assessoren zuanlassen, für die min— 
her wichtigen nicht. 
r Staatssekretär Liseo: Wenn auch die Justizverwaltung be⸗ 
nüht ist, möglichst nur ordentliche Richter bei den Strafkammern 
u verwenden, so wird der Vorredner doch nicht bestreiten können, 
daß Vertretungsfälle eintreten können. Wir müssen doch die Mög⸗ 
ichkeit des Austausches zwischen Zivil- und Siraftammeru haben. 
Abg. Dove (F. V.): geder ältere Richter wird bestätigen 
önnen, daß früher die Strafkammern zum großen Teu mit 
Assessoren besetzt waren. Wenn die friüheren Schwierigkeiten jetzt 
so gut wie ganz haben beseitigt werden können, so ist es doch unbe⸗ 
denklich, die Besetzung mit ordentlichen Richtern allacmein gefetz— 
tich vorzuschreiben. 
Abg. Gröber (3.): Namentlich mit Rücksicht auf die zukünftige 
Zusammenseßung der Strafkammern erfter Instanz halten wir es für 
ringend notwendig, dem Antrage“ ftatizugeben. 
Bei der bisherigen Besetzung der Strafkammern mit fünf Richtern 
iel die Beteiligung cines Assessors nicht so fehr ins Gewicht. Wenn 
iber in Zukunft ein Kollegium aus zwei Kichtern und drei Laien ent 
cheiden soll, fo ist die Zugiehung eines Affeffors neben dem Land— 
erichtsdirektor sehr bedenklich An eine absichtliche Rechtsbeugung 
eenkt natürlich lein Mensch, aber der Hilfsrichter läuft doch selbu 
Sefahr hinsichtlich des Urteils über seine Qualifitfation. Tritt er für 
eine abweichende Meinung mit Entschiedenheit ein, so kann es sehr 
richt kommen, daß ihm das Zeugnis ausgestelft wird. es fehlen ihm 
e für die Kollegialberatung notwendigen Eigenschaften; er ist 
igensinnig, rechthaberisch, oder wie man' es neunen mag. Um in 
inem Zweirichler⸗ Kollegium zu sitzen, dazu gehört eine auserwählie 
—A Erwägungen bitte ich 
ringend, die Konsequenz des gestrigen Beschlusses zu ziehen. Es 
oüre ein innerer Widerspruch. wollte man Hilfsrichter für die verant 
vortungsvolleren Sachen zulassen. 
Abg. Stadthagen (Soz.): Wenn Aburteilungen durch einen 
tichter und vier Assessoren, wie es vorgekommen ist. erfolgen, so kann 
nan sicher annehmen, daß die Assessoren blindlings der Ansicht 
es Richters folgen. Ich bitte dringend um Annahme des Antrages. 
Abs. Bassermann (ul.): Es ist festgestellt, daß es heute schon 
nöglich ist, bei einer ganzen Reihe von Gerichten allgemein nur ftän— 
ig angestellte Richter in den Strafkammern zu verwenden. Dann 
vird es natürlich auch bei allen anderen Gerichten so eingerichlet 
verden können. Was steht dann dem entgegen daß wir, was heute 
chon die Regel ist, gesetzlich kodifizieren. Es könnse doch eine Zeit 
onnnen, wo sich aus Mangel an genügendem Richtermaterial der 
rühere Zustand wieder herausbildet. Das Interesse des Angekllag— 
en. nur von ständigen Richtern abgeurteilt zu werden, steht höher als 
ie etwaige Störung, die in den Strafkammern eintreten tann. 
Serade weil künfstig, in den Strafkammern erster Instanz nur Jwei 
Juristen sitzen, muß die Auswahl besonders forgfältig sein. Deshalb 
ist die Zuziehung von Assessoren hierzweifeltos 
nicht angebracht. 
Der Antrag Müller-Meiningen wird angenom— 
men; die Parteien stimmen geteilt 
8 73 erweitert die gegenwärtige Rompetenz der Straf— 
ammern als erkennende Gerichte unter entsprechender Be⸗ 
chränkung der bisherigen Kompetenz der Schwurgerichte. Sie 
ollen zuständig sein u. a. auch füc die Verbrechen der ürkunden- 
älschung, für die Amtsverbrechen und die nach der Konkurs— 
irdnung und nach dem Dypeduengeset strafbaren Verbrechen 
SAetrügerischen Bankerotts usw.). Hie Sozialdemokraten 
vollen diese Delikte dem Schwurgericht belassen. Der gleiche 
Antrag ist von dem Abg. Dr. Ablaß gestellt. IJ 
Abg. Zietsch GSoꝛ befürwortet den Antrag. Eine Anzahl 
ieser Delikte, z. B. betreffend qualifizierte Urkundenfälschung. 
ührt zu 10 Jahren Zuchthaus, und es geht nicht an, diese dem 
zchwurgericht zu entziehen. Durch die Verweifung derartiger 
ztrafsachen vor das stärker besetzte Schwurgericht, wie es bisher 
var, wird dem Interesse des Angeklagten wie der Rechtfprechung 
iberhaupt gedient. Beim veträßerischen Bankerott 
ind die Geschwoxenen vielfach zum Urteil befähigter als der ge⸗ 
ehrte Richter. Gegenwärtig wird von vielen Seiten gegen die 
zustitution der Schwurgerichte Sturm gelaufen, deshalb soll man 
jon ihrer Zuständigkeit auch nichts abbröckeln. Auch PreEß—⸗ 
»elikte sollten dem Schwurgericht überwiesen werden. Wir 
reten mit Entschiedenheit für die ungeminderte Beibehaltung 
er Schwurgerichte ein, wenn es, wie der Essener Meineidsprozeßz 
vor 16 Jahren beweist, auch nicht ausgeschlossen ist, daß anch ein 
olches Gericht nicht frei von Irxtümern ist. 
Abg. Dr. Ablaß (fr. Vp.): Mein Antrag bewegt sich in der⸗ 
elben Richtung wie der sozialdemokratische. Das Vorgehen der 
zerbündeten Regierungen bei Einbringung der Vorlage ist wider⸗ 
pruchsvoll. Sie. machen eine Verbeugung vor den Schwur— 
exichten. Bisher aber wollten sie den Schwurgerichten einen 
leil ihrer Kompetenzen entziehen. Wir halten fest an 
—»o wmno,—1 ——— — X— 6 4— —— 50 661700— 
richts. Es beruht auf durch und durch gremantic,ea Gieuns 
anschauungen; es ist errungen worden in iner BZeit, wo z 
vendig war, das Recht auf eine breite Basis zu stellen. 
Schwuͤrgericht hat in seiner Rochtsprechung bisher dem, Reiht 
einpfinden des Volkes Rechnung getragen. Deshalb sollten“!* 
nans hiten, hier etwas zu ändern. Weun die zweite Fustaz 
Ztraftamnierfachen künftig, nur aus gelehrten Richtern befthen 
oll, wie die Regierung will, dann müssen wir umsomehr au 
Kompbetenz der Schwurgerichte festhalten. Man behaupet⸗æ, —— 
ein Laiengericht in verwickelten Sachen nicht rechtsprechen könn 
Es kommt eben, darauf an, daß icht Juristendeutsch, sonder 
zutes richtiges Deutsch von den Richtern gesprochen wird, un 
zdaß sie den Stoff so meistern, daß sie ihn den Geschworenen — 
inandersetzen können. Gerade in Urkundenfälschungssachen tann 
ich der Geschworene sehr gut zurechtfinden. Der Beamte hat 
der Rechtsprechung kein besonderes Vorrecht zu beanspruchen 
eine Verbrechen gehören vor die Schwurgerichte. Zmh bitte Sie 
ich gegenwärtig zu halten, daß Sie den ersten Schritt auf der 
bschüssigen Bahn der Beseitigung der Schwargerichte tun, wenũ 
Sie das Schwurgericht in sol Hen Fällen nicht für zuständig halten 
Es kann auch leicht dahin kommen, daß die Regierung 
demnächst mit einem Antrage auf eine weitere Abbröckelung de 
Inndeewn der Schwurgerichte kommt. Principiis obssta. (Beiiq 
inks. 
Oberlandesgerichtsrat Dr. Schultz: Mit so allgemeinen. 
Redewendungen ist die Frage nicht abgetan. Dieser Punkt steht 
im innigsten Zusammenhang, mit der prinzipiellen Stellung dee 
EEntwurfs zur Schwurgerichtsfrage. Wir haben eine Aenderung der 
Schwurgerichtszugeständigkeit vorgeschlagen auf die Gefahr hin 
mißverstanden zu werden. Dieses Mißverständnis haben 
vrr auf das gründlichste geerntet. Man glaubt, wir wollten das 
Schwurgericht so abbröckeln, daß das Fundament nicht mehr 
jält. Wir könnten fast sagen: Wir danken für das in uns gesetzü 
Mißtrauen, denn es gibt uns Gelegenheit, offen und klar aus 
zussrechen, wie die Sache wirklich gedacht ist. Wären wir wirt 
lich Feinde des Schwurgerichts, so hätten wir ietzt leicht ge— 
jabt, nicht mit kleinen Mittelchen, sondern mit der Beseitigung 
orzugehen, denn mit der Abbröckelung von einigen wenigen 
zrozent der HZuständigkeit, auf denen wirklich die Autorität der 
—„chwurgerichte nicht beruht, würden wir nichts erreichen. Wir 
eber in einer Zeit, in der der Kampf gegen die Schwurgerichte 
'o heftig ist wie nie zuvor. Wollte die Regierung den Schwur 
jerichten zuleibe gehen, so wäre jetzt der gegebene Zeitpunkt ge— 
vesen. Die Kommission, die die Strafprozeßreform vorbereüte 
at, hatte bereits vorgeschlagen, die Schwurgerichte durch grofst 
ichöffengerichte zu ersezen, wie überhaupt die Anhänger der 
chöffengerichte die grimmigsten Gegner der Schwurgerichte sind. 
Wir haben uns gesagt, die mit den Schöffengerichten 
gemachten Exfahrungen sind wohl befriedigend, aber das 
zchöffengericht hat sich nur in kleinen einfachen Sachen erprobt, 
st bisher nur ein Anhängsel unserer Strafiustiz gewesen. Dem— 
gegeriber steht das Schwurgericht, das ein erhebliches Gebiet ge⸗ 
habt hat, zugleich aber Sachen, die sich nicht für seine Zuständig⸗ 
eit eianen. Wollen wir gerecht über beide Gerichte, über die 
Laienbeteiligung in dieser oder jener Form urteilen lernen, so 
müssen wir erst die beiden Gerichte aleichstellen 
Indem wir jetzt die Schöffen bei den Strafkammern einführen, 
un wir einen großen Schritt, um zu sehen, ob sie sich dort besser 
als bei den Schwurgerichten bewähren merden. Auf der anderen 
Seite müssen, wir, um nicht ungerecht gegen das Schwur 
gericht zu sein, ihm die Sachent abnehmen, die nicht für das—⸗ 
selbe passen, sonst erleichtern wir seinen Gegnern die Kritik gar 
zu sehr. Wir werden sehen, wie die Sache sich späterhin gestalten 
vird. ob wir die Schwurgerichte beibehalten oder algemein zum 
Schöffengerichtssystem übergehen. Um dies zu entscheiden, fehlt 
es bis jetzt an Erfahrungen. Wir wollen entgegen den 
barfrühten Vorschlägen auf Beseitigung, das 
Schwurgericht erhalten, und zwar in seiner ietzigen 
Form, lediglich unter zweckmäßigerer Abgrenzung seiner Zu— 
standigkeit. Die Vorredner haben es mit ihren Einwendungen 
zecht leicht genommen. Zunächst handelt es sich um die vielen 
leinen unbedeutenden Sachen, Lappalien, die bei muoerg u 
Umständen zu ganz geringen Strafen führen und in keinem Ver— 
hdältnis stehen zur Aufbietung des schwurgerichtlichen Apparats. 
In juristischer Beziehung handelt es sich um Fragen, in die sich 
o Geschworenen kaum hineindenken konnen, an brwigtelte dre— 
gisterfiihrung, um die Organisation der Behörden in ihren Be⸗ 
ziehungen zu einander, allerhand Manipulationen des kauf⸗ 
münnischen Lebens, Rechtsbeariffe wie die der öifentlichen 
Urkunde und der Zahlungseinstellung, über die sich 
chon mancher Jurist den Kopf zerbrochen hat. Diese 
Fragen sind derart unübersichtlich, daß sie sich 
einem delphischen Orakelspruch nähern. Für die Geschwore— 
nen ist eine Rechtsbelehrung darüber geradezu eine Tortur. 
Vie Frage, wie überhaupt solche Verbrechen vor die Schwur⸗ 
zerichte gekommen sind, hat der Abg. Zietsch schon ganz richtig 
dahin beantwortet, daß es in der Hoͤchststrafe seinen Grund hat. 
Es ist einfach Schematismus gewesen. Man hat sich gesagt, wo 
auf mehr als fünf Jahre Zuchthaus erkannt werden kann, wuß 
das Schwurgericht eintreten. Diesen Schematismus wollen wir 
jetzt beseitigen, denn die hohen Strafen stehen in den abzutrennen— 
den Delikten auf dem Papier. Wann wird bei diesen kleineren 
Sachen jemals auf fünf Jahre Zuchthaus erkannt? Die Laien 
wirken ja bei diesen Delikten bei der Neuorganisation der Straf⸗ 
tammern, und zwar in einer ersprießlichen Weise mit. In dieser 
Beleuchtuͤng bitte ich Sie, die Sachlage zu betrachten. Ich richte 
einen warmen Appell an die Freunde des Schwurnerichts und an 
emigene die fich ein Urteil vorbehalten haben über das— 
elbe, der Regelung des Entwurfs zuzuftimmen. Sier werden da— 
durch erreichen daß die Schwurgerichte in unveranderter Form 
erhalten bleber, und zwar für das Gebiet, für das sie ihrer Ratur 
nach geschaffen sind. Dann wird sich zeigen, ob sie der gegen sie 
uftretenden Kritik gewachsen sind oder vielleicht in einer späteren 
Zzukunft durch Schöffennerichte erseut merden Geifall.) 
Abg. Dr. Varenhorst (Np.): Im Gegensatz zu meinem be⸗ 
rühmten Landsmann, dem früheren Justizminister Dr. Leon⸗ 
jyardt, bin ich ein warmer Freund des Schwur— 
lerichts. Seit einigen Jahren macht sich a eine 
Strömung gegen die Samurgerichte geltend; sie sind vn— 
vpulär geworden, weil behauptet wird daß 
ie in so vielen Fätlen zur Freisprechuna kämen, 
Ich will das dahingestellt sein lassen. Es sind allerdings jetzt 
zielfach Freisprüche von Schwurgerichten gefällt, wo man viel⸗ 
leicht einen Schuldspruch hätte erwarten können, aber man kann 
den Grundsaßtz aufstellen, daß, da so viele Verbrecher in der Welt 
herumlaufen, es schließlich auf einen mehr oder weniger nicht an⸗ 
kommt. Der Kernpunkt ist doch, daß die Urteile vom Volisbe⸗— 
wußtsein getragen werden, und das ist unstreitig beim Schwur⸗ 
gericht in ganz besonderem Maß der Fall. Deshalb soll man sfie 
nicht antasten. Dann aber ist es erforderlich, guch für eine richtige 
Ausgestaltung des Verfahrens zu sorgen. Da tut der Abg. 
Zietsch den Schwurgerichten keinen Dienst, wenn er den Kom— 
missionsbeschlüssen durch seinen Antrag entgegentritt. Die jetzt 
dem Schwurgericht zu entziehenden Delikte betreffen Fälle, in 
denen ganz geringe Strafen verhänat werden. Vedenken Sie, 
velche Kosten gerade durch das Schwurgericht entstehen, wie 
guge sich der Angeklagte in Untersuchungshaft befindet, die bei 
Schwurgerichtssachen doch jedesmol verbängt wird; bedeuken Sie 
ie Unxruhe und die schlaflosen Nächte für ihn und seine Familie 
deshalb spricht doch gerade das Interesse des Angekagten dafür 
oenn seine Straftat nicht der Zuständigkeit der Schspurgericht 
interliegt. Beim betrüg crischen Bankerott und der 
jJleichen handelt es sich aber nicht un: Tatfraoen, die der Geschwo 
zene beantworten soll, sondern um die sihwierigsten Rechts 
rxggen, die ein Laie kaum versteht. Es ist schon hervorgehoben, 
daß der Rechtsanwalt jedesmal die Geschworenen ablehnen wird, 
die darüber unterrichtet sind. Da zur Verurteilung betanntlich 
mehr als 7 Stimmen nötig sind, fo werden immer soviel Ge— 
chworene vorhanden sein, die nichts von der Sache verstehen, das 
es zu einem Freispruch kummt. Es ist deshalb richtiger, die Rom— 
missionsbeschlüsse bestehen zu lassen. (GBeisall.) 
Abg Seine: Die Debatte scheint sich zu einer Abwehr ge— 
gen die Angriffesauf die Schwnrgerichte gestalten z31 
vollen. Auch der Regierungsvertreter scheint die Schwurge— 
richte „zum Fressen“ lieb zu haben. Wo sind denn die Kreise 
u denen gegenwärtig eine so starke Mißtseimmung gegen die 
Zzchwurgerichte vorhanden ist? In den Amtsstuben war die 
Mißstimmung gegen eine Konzession an den Freihcitsgedaulen 
mmer vorhanden, das vergißt eine Bureaufratenscele nicht 
dmmor und immer sind die Versuche wiederbolt worden, dene'
	        
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