Full text: Lübeckische Anzeigen 1911 (1911)

yen Richterzeitung, im Interesse der Unabhängiagkeit der 
ischter geäußert worden ist. Der Antrag habe auch aar keine 
nanzelie Tragweite. Redner beinrwortet dann einen weiteren 
Antrag, wonach die Geschäftsverteilung bei den Landgerichten 
naa durch das Präsidium, sondern durch das Plenum eriolgen 
spu. Wie notwendig dieser Antrag sei, beweise das Schicksal des 
Zsrektors Alexander Schmidt im Harden-Prozeß, der nach der 
Freisprechung Hardens von der Strafkammer in die Kivil⸗— 
ammier versetzt wurde, und das Schicksal des Kammergerichtsrats 
davanstein, der aus Anlaß seines Vorhaltens in dem Prozeß der 
o.0 Banterott bedrohten Milchzentrale gegen ihre Mitglieder 
dom Strafsenat, in den Kivilsenat versetzt wurde. Beide Herren 
jeien gemaßregelt worden, weil sie auch gegen volitische Gegner 
gerecht geurteilt hätten. 
Abag, Dahlem (entr.) beautraat, daß die Geschäftsverteilung 
zei den Landgerichten durch das Prasidium in gemeinfsamer 
Sißung, erfolagen soll, die ein mündliches Verfahren statt des 
sher ͤblichen schriftlichen Verfahrens ermöglichen soll. Der 
Antag folle die mißbräuchliche Anwendung des 8 68 des Ge⸗ 
richtsverfassunasgesetzes beseitigen. 
Staalssekretär Lisco; Wenn es vorgekommen sein Jollte. daß 
an einem preußischen Landgericht vonseiten des Präsidenten 
der Direktors mit Blanko⸗Unterschriften operiert worden ist, so 
mußte ich das entschieden, mißbilligen, Die, Anträge Stadit⸗ 
haden bitte ich abzulehnen. Man sollte es inbezug auf 
hden 8 63 beim Präsidium belassen, das aus dem Präsidenten, den 
Landagerichtsdirektoren und dem ältesten Rat bestebt. Diese 
erieh werden schon wiffen, was gie zu tun haben, 
Abg. Dr. Tahlem (Zentr.): Wirx wissen doch alle, daß in 
einer nzea' Heihe von Landgerichten die, Geschäftsverteilung 
riftlich emacht wird, und deshalb muß ich dabei bleiben, daß 
ie emeinsame Sibung zur Geschäftsverteilung notwendig ist, 
Eine Sitzuna im Monat würde genügen. 
GBcheimrat Frive: Ich muß diefer Auffassung widerlbrechen, 
lann aber namens der preußischen Justizverwaltung erklären, 
daß darauf gedrungen wird, daß die Geschäftsverteilung im 
muͤndlichen Verfahren geschieht. J 
neber den Antrag Dahlem wird, Auszählung nötig. Es 
stimmen mit Fa 90, mit RNein 92 Mitalieder. Das Haus ist somit 
beschlußun fäh ig. Die Bergtungen müssen abgebrochen werden. 
Bizepräsident Dr. Svahn setzt die nächste Sitzung auf Mitt⸗ 
woch 1Uhr feft mit der Tagesordnung: Fortsetzung der heutigen 
Beraiung. Schluß nach 38 Uhr. 
PreuBischer Landtag. 
Abgeordnetenhaus. 
21. Sitzung. 
Berlin, den 7. Februar. 
Am Ministertisch: v. Dallwitz. 
Präsident v. Kröcher eröffnet die Sitzung um 11 Uhr 15 Minulen. 
Erster Gegenstand der Tagesordnung ist die erste Beratung der 
Fuiwurfs eines 
Zweckverbandsgesetzes. 
Das Haus beschließt, bei der Veratung dieses Gesetzentwurfs 
ile Berlin betrefsenden Fragen auszuscheiden. 
Minister des Innern v. Dallwitz: Die Erweiterung des Zweck· 
berbandsrechts ist wiederholt Gegenstand der Erörterung in diesem 
Hause gewesen. So ist im vorigen Jahre in einer Refolution die 
Staatsregierung aufgefordert worden, die Bestimmungen der Land⸗ 
Bemeindeordnung für die sieben östlichen Provinzen vom 3. Jul' 
1891 hetr. Verbindung von Gemeinden und Gutsbezirken behufs 
demeinsamer Wahrnehmung kommunaler Angelegenheilen auf alle 
Provinzen der Monarchie auszudehnen. Der Entwürf schlägt Ihnen 
Ane einheitliche Regelung der Materie für die ganze 
MNöonarchie vor. Während bisher nur Landgemeinden im Ver— 
‚ältnis zu einander oder zu Städten verbunden werden konnien, soll 
n Zukunft auch der Zusammenschluß von Stadt und Stadt zuiäffig 
ein. Die gemeinschaftliche Verwaltung soll sich auf eine Reihe von 
dommunalangelegenheiten, wie Armen⸗ und Krankenpflege, Schul— 
fragen und Wegebaulasten, serner auf Wasserleitungs⸗, Entwässe⸗ 
rungs⸗, Elektrizitäts:“ und Straßenbahnanlagen erfivecken. Wenn 
auch nicht zu exwarten steht, daß wir mit unseren Zweckverbänden 
zunächst solche Erfolge wie die englischen Unions haben werden, so 
hoffen wir doch, daß durch den Zusammenschluß von Gemeinden ein 
—DVVV 
Abg. Linz (HZentr.): Der Gesetzentwurs entspricht den Wünschen, 
die wir im vorigen Jahr der Regierung unterbreitet haben. Wir er⸗ 
warten, daß die Selbstperwaltung der Gemeinden 
möglichst wenig eingeschränkt wird. Das Gesetz wird 
noffentlich den immer mehr zunrhmenden Eingemeindungen einen 
Damm entgegensetzen. 
Abg. v. Brandenstein (kons.): Die Revißon und Ergänzung der 
bisherigen Bestimmungen über die Zweckverbände sind im ganzen 
und großen Verbesserungen. So ist es als Verbesserung zu betrachten, 
daß die Forderung, wonach die Gemeinden nachbarlich verbunden 
jein müssen, aufgegeben worden ist. Ebenso ist es eine Verbesserung, 
daß die Rechte und Lasten nicht lediglich nach dem Steuersoll bemessen 
werden sollen, sondern den Berbänden Freiheit gelassen 
werden soll. den Maßstab selbst zu bestimmen. Nicht einverstanden 
ind wir mit der Bestimmung, wonach Zwangszweckverbände auf An— 
tag eines Beteiligten errichtet werden können. Wir verlangen, das 
hinsichtlich der Aufgaben der Zweckverbände eine feste Grenze 
gezogen wird zwischen obligatorischen und fakulta— 
tüven Aufgaben.“ Wenn z. B. die Besorgung der elektrischen 
Kraft zu Verkehrszwecken, zu Bahnanlagen, als obligatorische Auf- 
gabe betrachtet wird, so kann es vorkommen, daß eine Gemeinde zu 
den Kosten einer Anlage herangezogen wird, von der sie gar keinen 
Yutzen hat. Hoffentlich werden der baldigen Verabschiedung des 
Hesetzes keine Schwierigkeiten bereitet. 
Minister v. Dallwitz: Für die Auflösung eines Zweckverbandes 
ist eine Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen vorgesehen Was 
den vom Vorredner befprochenen Fall beir. die Errichtung von 
Bahnanlagen betrifft, so sollen die Behörden in derartigen 
Fällen nicht ohne Grund zwangswelse vorgehen. Im 
desh zu bestimmen, welche Aufgaben obügatorisch und weiche fatul- 
sativ sein sollen, würde außerordentlich schwierig fein, weil in den 
verschiedenen Gemeinden die Ansichten fich hämg entgegenstehen. So 
ist z3. B. die Errichtung einer Volfsbibliothet in einer Gemeinde 
obligatorisch, in einer anderen fakultatip. 
Abg. Dippe (natl.): Selbst die größten Freunde des Gesetzes 
verden nicht annehmen, daß dadurch für Rheinland-Wesifalen und 
dannover mit einem Mal paradiesische Zusiände entftehen werden. 
Aber der Entwurf gibt die Möglichleit, gemeinnützige Einrichtungen 
zu reffen, die einzelne Gemeinden zu schaffen haͤusig du schwach find, 
und bietet die Gewähr, daß das ommunale Lrebenzehoben 
wird. Der Zwangbei der Bildung der Verbaände follle in 
ñ gtich st milder Form ausgendt werden Euft hoch diedelun 
er allgemeinen Verhälsnisse durch die Gencinden. die sich zusammen⸗ 
chließen wollen. im Wege freier Vereinbarung, sollsen die Behörnden 
ingreisen. Wir hoffen, dah der Entwurf so heslaltet wird daß wir 
hm unsere Zussimmung nicht versagen werden 
Abg. Frhrv. Zedutz (freiktons). Den Grundzügen des Entwurfé 
me wär zu. Bei widersirebenden Gemeinden haben wir 
eehende Kaulelen. Vei der zwangsweisen Vildung von Ver— 
den xnügt die Entscheidung des Oberpiäsidenlen. Die Kreise 
en ehenfalls in das Gesetz einbezogen werden. Wir erwarlsen, 
ede Behörden ausreichenden Gebrauch von dem Gesetz machen 
Abg. Dr. Flesch (fortschr. Vp.): Wir werden unsere Stellung 
rohme bon der Gestaltung der vorlage in da Kommissson abͤ— 
angig machen. Ganz unannehmdarr erscheinen uns diejenigen 
hestimimungen, nach denen Städte unter einander zwangsweise zu 
Berbänden vereinigt werden können. Der Hinweis auf Berlin isi 
gicht stichhaltig, weil hier ganz außergewöhnliche Verhältnisse vor— 
liegen nzuläfssig ist auch die Errichtung von Zweckverbänden 
iuf Antrag einer beteiligten Gemeinde. Das dann unler Umfianden 
u einer Vergewaltigung einer größeren Stadt durch eine kleine 
Borortgemeinde füͤhren. 
Abg. Hirsch Berlin (Soz.): Wir können dem Gefetzentwurf in 
ber vorliegenden Fassing nicht zustimmen, weil er einen schar 
en Eingriff in die Selbstverwaltimg der Gemeinden bedeutel. Abg 
Linz will die Eingemeindung beschränkt wissen; wir halten dagegen 
die Eingemeindung für ein erstrebenswettses Ziel 
Abg. Vr. Wuermeling (Hentr.): Neine politischen Freunde stehen 
em Gesetzentwurf im wesentlichen günstig gegenüber und wünschen, 
aß Zwangsmiitel so wenig wie moͤglich angewendet werden. 
Abg. Ecer⸗-Winsen (nath.): Es handelt sich für uns wenigen 
im die formale Ausdehnung der bestehenden Bestimmungen über die 
zildung von Zweckverbänden auf die westlichen Provinzen, als viel⸗ 
gehr um die Vorganische Fortentwickelung der ganzen Einrichtung. 
dot allem er warken wier von dem Gesetz eineruhige Weiter— 
ntwickelung der kommunalen Verhältnisse. 
Abg. Dr. v. Woyna freikons.): Meine politischen Freunde haben 
zen dringenden Wunsch, daß auch die Kreise in das Gesetz einbezogen 
verden Der kommiumalen Enzwickelung muß möglichst vie! 
Spielraum gelassen werden. 
Abg. Cassel (Fortschr. Vpt.): Wir halten nur diesenigen Zweck⸗ 
derbande für ersprießlich, die unter der Einigkeit aller betelligten Ge— 
neinden zustande kommen. Ich würde es bedauern. wenn durch die ses 
Besetz notwendige Eingemeindungen verhindert würden. 
Minister v. Dallwitz: Was die Frage betrifft, ob Berlhin und 
eine Umgebung zu einem Verbande in den allgemeinen Gesetzentwurf 
inzubeziehen sein so haben die Verhandlungen zwischen der Stadt 
Zerlin und den umliegenden Kommunalverbünden über, die Bildung 
ines Verkehrszwedverbaudes die Unmöglichkeit einer frei— 
willigen Vereinigung auf diesem Gebiet ergeben. 
Abg. Furbringer (natl.): Das Prinzip der Freiwilligkeit 
muß bei der Bildung der Zweckverbände gewahrt bleiben. Ein 
JIwann hierbei wird oft zur Folge haben, daß der Friede zwischen 
Ztadt und Land gestört wird. — 
Abg. Graf Spee (Zentr): Durch das Gesetz soll die Eingemein⸗ 
dung nicht unmöglich gemacht werden. Wir erwarien aber. daß durch 
das Gesetz der üͤberhandnehmenden Eingemeindung, besonders im 
Westen. entgegengewirkt wird. 
Abg. Wingler (tkons.): Wir bedauern. daß das Gesetz nicht die 
Wchei gibt, daß auch Kreise zu Zweckverbänden sich vereinigen 
—X 
Abg. Dr. Iderhoff (fk) schließt sich dem Vorredner an. 
Der Gesetzentwurf wird einer Kommilsslion von 28 Mitglie 
dern überwiesen. 
Hieauf vertagt sich das Haus. 
Nächste Sitzung Mistwoch 11 Uhr: Zweckverband Groß Verlin 
Schluß gegen 4 Uhr. 
— —â— 
1 — — —— 
Etwas über Narretei und Narren. 
Von Dr. J. Fröhlich. 
Jahrhrmderte lang ist es vielen ein Bedürfnis gewesen, sich 
inen Hof- oder Hausnarren zu halten, um sich an dessen ojt⸗ 
mals recht derben Spaßen zu belustigen. Derlei Lustigmacher 
gab es schon im Altertüm. So wied von Philipp von Maze 
donien erzählt, daß er viel Gefallen an den Spaäßen und 
Schwänken der Narren fand. In Athen bestand zu seiner Zeit 
ꝛin Narrentlub, dem er 3000 . zin Ermunterung in ihren Geiße 
lungen der Torheiten ihrer Mitbürger zusandte. Auch sein, zwar 
geistig arößerer, aber weniger witziger Sohn Alexander der 
Große hielm sich Hofnarren, unter denen Plütarch besonders einen 
gewissen Athenophanes und Protus hervorhebt, von denen der 
erstere ein seiner Schmeichler des „Gottes Alexander“, der andere 
ein lustiner Zecher war. Alexander ruhte nicht eher, als bis er 
den Letzteren zu Tode getrunken hatte. Plautus nennt diese 
Possenreißer des Altertums „Fliegen und Mäuse“, weil sie stets 
in fremden Tischen nagten, oder auch „Schatten“, da sie ihren 
derren wie solche folgen mußten, um stets zur Hand zu sein. 
Manche unter ihnen wurden von ihren Gebietern oft schrecklich 
behandelt, wie die Hofzwerge des Nero und des Heliogabal, die 
vohl zahlreiche Fußtritte, und Ohrfeigen, Nasenstüber, und 
sippenstöße, ost aber nach längerer Hungerperiode nur in Wachs 
Jachgebildete Speisen vorgesetzt erhielten. In der gricchischen 
und römischen Komödie finden wir schließlich ebenfalls Narren. 
Im Orient liebten es gleichfalls die Mächtigen, sich Hos⸗ 
tarren zu halten, und von hier aus verbreitete sich nach den 
reuazzügen diese Sitte auch nach Europa und faßte namentlich 
in Deutschland festen Fuß. Es kam aus der Mode, sich von 
Troubadours, Barden und fsahrenden Rittern Lieder vorfingen 
and Märchen erzählen zu lassen, und an ihre Stelle traten, oder 
es bildeten sich auch aus einzelnen von ihnen privilegierte Lustig⸗ 
macher, die an den Höfen ihr Brot fanden, Erklärlicherweife 
waren sie sehr verschiedener Art, ie nach dem Charakter der 
Fürsten. In Frankreich z. B. nahmen fsene Stelle Männer wie 
Bruisquet und Angeli ein, feine und geistreiche Hofleute, die sich 
amentlich durch bedeutendes Erzählungstalent anszeichneten, 
vährend die deutschen Hofnarren ganz anderen Schlages waren. 
venn wir auch unter ihnen zuweilen geistig hervorragende Leute 
intreffen. So manche sind geradezu als Kämpfer für Wahrheit 
ind Recht, Licht und Freiheit zu bezeichnen, andere waren Muster 
zer Treue und Unbestechlichkeit. Unter dem Schutz des Narren- 
jsewandes vermochten sie oft viel Gutes zu stiften, denn was kein 
inderer zu sagen wagte, das durften sie lich ungestraft erlauben, 
ndem sie ihren Worten den Schein des Scherzes verliehen. 
„Die Tracht der Narren war eine solche, daß man sogleich 
hre Eigenschaft erkannte. Ihr oft kahlgeschorenes Haupt zierte 
die Narrenlappe oder Gugel (vom lateinischen cuenius), ein 
ugelförmiger oder turbanartiger Kopfputz, wie ihn jetzt noch die 
Bergleute zu tragen pflegen. Schan im 16. Jahrhundert verbant 
man damit Efelsohren oder einen Hahnenkamm, einen ausge— 
ackten Streifen roten Tuches, der von der Stirn bis in den 
Nacken lief und die Gugel der Narren auf diese Weise von denen 
der Gelehrten und gemeinen Leute unterschled. Den erfteren 
zum Spott, zierte sodann ein breiter, ausgezackter Kragen die 
Zchultern der Narren, während an ihren Kleidern Schelien an— 
jebracht wurden, die übrigens in früherer KZeit, seit dem 9. Jahr- 
zundert, überhaupt bei Fürsten und vornehmen Damen beliebt 
varen. Man brachte diese Schellen an der Kappe, an den Spibßen 
der Eselsohren, an der Brust, am Gürtel oder sonstwo an und 
»erwendete sie zuweilen auch als Knöpfe. Die Mitglieder der 
Narrengesellschaft, die Graf Adolf von Kleye im Jahre 1381 
tiftete, mußten ebenfalls samt und sonders Schellen tragen. Das 
Szepter des Narren endlich bildete der Narrenkolben, der 
zrsprünglich aus einem Rohr bestand, später aber aus Leder in 
Vestalt einer Herkuleskeule gefertigt wurde, die man vermittelst 
eines Riemens umhängen konnte. Zuweilen war dielser Kolben 
oben mit einem die Zunge lang herausstreckenden Narrenkopf 
oerziert; er diente sowohl als Angriffs-, wie auch als Ver— 
eidigungswaffe. 
Unter der großen Zahl der Hofnarren befindet sich, wie ge⸗ 
agt, eine ganze Menge, die sich durch ihren Geist und wahrhaften 
Witz auszeichneten, wobei jedoch zu berücksichtigen ist, daß der 
Humor und Witz früherer Zeiten ein ganz auderer als unser 
heutiger war, weshalb uns manches, das damals als sehr geist. 
reich galt, jeßgt geradezu als albern und läppisch erscheint. Wenn 
vir dieses nicht übersehen, wird es auch erklärlich gefunden wer⸗ 
sen, daß von einzelnen dieser Hofnarren sogar ausführliche, im 
druck erschienene Biographien existieren, in denen nebst den 
Schicksalen der Betreffenden auch ihre treffendsten Sprüche auf⸗ 
»ewahrt sind, Den ersten Rang unter ihnen nimmt wohl der 
ustige Rat Maximilians, Kunz von der Rosen ein, der von 
einem Kaiser sehr hoch gehalten wurde, und der diesem auch 
mehrfach die löblichsten Dienste leistete. Wiederholt schlug er für 
die Rettung seines geliebten Herrn sein Leben in die Schanze 
und seine Biographen sagen daher auch von ihm: „Er war ein 
Edelstein unter den Narren.“ 
Außer den Fürsten hielten sich auch die geistlichen Herren 
und überhaupt jeder von Adel, sofern es ihm seine Mitlel er⸗ 
laubten, Hofnarren. So hatte der Kurfürst von Köln seinen 
Lustigmacher in der Person eines Junkers Wießweiler, drei 
Bischöfen von Passau diente Hans Giel als Narr. Er starb 1568 
ind wurde im Passauer Dom beigesetzt, wo ihn sein Grabstein 
n Schellentracht zeigt. Als sich der Abt von Marchthal einst mi 
er Ausführung eines Gebäudes in großartigem Stil abmühte 
ind mit den Baumeistern lange berieß, sgate sein Narr Matthiat 
u ihm: „O, wie närrisch bist Du, daß Du Dich mit so viel Ge— 
chäften beladest! Setz' Dich doch lieber in Deinem Kämmerleir 
u einem Becher guten Weins und diene Gott in Ruhe!“ Zu— 
veilen lieh man fsich gegenseitig Narren, wie Graf Christobph zu 
?tolberg, von 1524 his 1881 Domherr zu Halberstadt, feinen 
Litmacher Ebold dem Grafen Ernst zu Regenslein. seinen 
Neffen. Als dieser starb, wollte der Domherr den Eboid wied 
haben, allein die Witwe weigerte sich, ihn, „dieses teure Andensen 
in ihren verstorbenen Gatten“, herauszugeben. „Es soull uns ene 
Warnung sein, keinen Narren wieder au verleihen,“ so schrirö 
schließlich der Graf. 
Die Vermehrung der Hofnarren führte schließlich dazu, daß 
das Land zualeich mit Narren und Spisbuben übersäet wurde, 
indem viele Gauner sich vom ersten besten Adligen ein Narren— 
vatent ausstellen lieen, um unter dieser Firma Schelmen⸗ und 
Schurkenstreiche ausͤben zu können. Auf den Reichsstagen von 
1495 bis 1575 wurden daher gegen diesen Unfug, und namentlich 
gegen die Titular-Narren, strenge Beschlüsse gefaßt, die jedoch 
wenig fruchteten. Erst die französische Hofssitte verdrängte zu 
Anfang des 18. Jahrhunderts endlich die Hofnarren von den 
europäischen Hösen. ausgenommen den russischen Hof, wo um 
diese Zeit erst ihre Blüte, aber in neuer, durchaus origineller Art 
hegann. Peter der Große und die Kaiserin Anna benutzten das 
Institut der Hofnarren zur Zügelung und Züchtigung ihrer Um— 
zebung, indem sie diejenigen, die irgend eine Torheit begangen 
zatten, zu Hofnarren ernannten. Auf diese Weise wurde bei—⸗ 
wpielsweise der Fürst Galizin Hofnarr, weil er im Auslande die 
Religion gewechselt hatte, und der Fürst Wolchonsky erhielt, weil 
er sehr lustig war, als, Sofnaxr den Titel eines Auffehers über 
die Windhunde der Kaiserin. In Rußland fanden sich auch weib⸗ 
liche Hofnarren, namentlich zur Zeit der Kaiserin Katharina II. 
Ein Liebling des Volkes war anch das Breslauer Johannerle, 
deren Bildnis zu Anfang des 30jährigen Krieges in buntem 
Farbendruck auf allen Pfefferkuchen-Umschlägen varadierte. Ein 
Porträt von ihr in Lebensgröße besitzt die gräklich Schaffgottsche 
Bibliothek zu Warmbrunn in Schlesien 
Etwas vom Luxus. 
Man schreibt aus Paris: 
Den Krach der Eleganz verkündet ein Mitarbeiter von La 
Vevue, der ziemlich wehmutig an den berühmten LArtikel Marcel 
Prévofts erinnert, i dem der Akademiker vor laum drei oder 
dier Jahren den Sieg der Eleganz in dem Jahrtausende alten 
Kampf gegen die Schonheit feierte. Die Eleganz, der Chic sind 
verschwunden, und an ihre Stelle tritt der Luxus oder richtiger 
das Geldprotzentum. Heute kann nur diejenige Dame als Königin 
des Tages angesehen und gefeiert werden, die das Gold mit vollen 
Händer hinauswirft, um sich in Prunk und Geschmeide zu zeigen. 
genn man vor einem Jahrhundert noch die Schönheit einer Frau 
decamier, noch vor wenigen Jahren die Eleganz einer Céerilie 
Zorel mit Begeisterung begrüßte, so gibt heute der Luxus einer 
Schaufpielerin wie Franlein Lantelme einzig und allein den Ton 
an. Ein bekannter Pariser CEhroniquenr erzählte kürzlich das 
Zwiegespräch awischen einem Pariser und einem Provinzler, die 
auf ihrem Bumrel durch die Rue de la Paix einer der achtzig 
oder hundert Modeköniginnen begeaneten. Und der Pariser zählt 
eirem verblüfften Freunde aus der Provinz der Reihe nach auf, 
was die Dame am hellichten Tage auf sich trägt: Einen Hut mit 
den vorgeschriebenen drei Reiherfedern für 1500 Francs, falsche 
Haare für 1000 Francs, ein einfaches, aber reich gesticktes Samt⸗ 
.id für 1500 Franes ein Spitzenhemd für 300 Francs, einen 
ihbertu-Unterrock für M0 Franes, Strümpfe mit Spitzeneinsatz 
ür 100 Francs, einen Zobeimantel für 250 000 Franes, an Ge⸗ 
schmeide ein Verlenhalsband, eine kleine Kette, ein Armband, eine 
⸗51dene Geldbörse, allo durchweg Keinodien, die man am hell⸗ 
lichten Tage tragen kann und die also nur 150 000 Francs kosten, 
zusammen rund eine balbe Million, was so den Durchschnittspreis 
einer Modedame in Paris darstellt. 
Und nidt nur in Paris, sonders in allen europäischen und 
amerikanischen Haupistaͤdten herrscht die gleiche Luxuswut. Die 
Köniein Marie Antoinette trug, wie ein Geschichtsschreiber uns 
berichtet, einen kostbaren Mantel im Werte von 100000 Livres, 
rine wahre Lappalie im Vergleich zu dem, was heute im Broad— 
way für eine halbwegs sensationelle Toilette gezahlt wird. Ferrero 
erzähl: darüber eine sehr bezeichnende Anekdote. Eine New Norker 
Millionärin, die in Frankreich wohnt, gab in ihrem Schloß in 
der Tourgine ein Fest zu Ehren eines italienischen Vrinzen aus 
der königlichen Familie. Der Schneider hatte ihr am Morgen zwei 
Kostüme aus Tüll gebracht, die fast gleich waren, ein schwarzes 
inRein weißes. Das erste kostete 40 000 das andere 30 000 Francs. 
Als die Summe bezaht war, zerbrach sich die Dame den Konpf dar— 
iber, auf welche Weise sie diese Wunderwerke in der aleichen 
Nacht zeigen könnte. Bei Schauspielerinnen ist das nicht schwer, 
sie können bei sedem Akt ihr Kostüm wechseln. Für einfache Damen 
Ir Wel:t muß das Mittel erst noch gefunden werden, um mit 
Silfe von Vausen und Dekorations-, wie Toilettenwechsel ihre 
Fest und Empfänge zerteilen zu können. Aber die reiche Dame 
der kleinen Anekdote hatte hinreichend Phantasie und fand des— 
helb auch eine Möglichkeit, während desselben Diners sich in zwei 
Röben bewundern zu lassen. Sie erschien zuerst mit der weißen. 
Eia Murmeln der Bewunderung empfing die duftige Spitzen⸗ 
worke. „Ein Meisterwerk.“ sagte alle Welt. Bald darauf näherte 
sich eit Diner, der eine Schüssel Rebhühner mit dunkler Trüffel⸗ 
sauec trug, seiner Herxin. tat so, als ob er stolperte, und ließ den 
Inhalt der ganzen Schüssel sich auf sie exgießen. Die Gäste 
prachen noch mit Bedauern über den 8wischenfall, als die Herrin 
des Hauses, die sich in ihr Zimmer zurückgezogen hatte, mit einer 
länzenden neuen schwarzen Robe exschien, die sie anstelle der be⸗ 
chmutzten weißen angezogen hatte. Der geschickt ausgeheckte Plan 
hatte einen großen Erfolg. 
Der Verfasser kommt sodann auf die Studie van Vors' über 
den Luxus in New Nork zu sprechen, der u. a. versichert, daß 
ran mindestens hundert Damen in der Hauptstadt der Ver— 
einigten Staaten aufzählen könne, die jährlich 100 000 Franes für 
bhre Toiletten aufwenden können. Mehr als taufsend andere be— 
znügen sich mit 75000 Frances, während weitere fünftausend ge⸗ 
wungen sind, ihre Toiletten-Ausgaben auf 3000 Francs monat⸗ 
lich zu beschränken. Von den ganz großen Damen hat noch jede 
jhre kleine Manie. Eine, die dem Taschentuch-Luxus ergeben ist, 
zeigt die letzten Neuheiten ihrer Semmlung. Da sie nichts ge⸗ 
nügend Driginelles in Amerika zu finden vermochte, hat sie ihre 
Bestellung in Paris zum Preise von 300 Franes das Dutzend auf⸗ 
aegeben. „Aber, man mußte dieses Modell für mich schaffen,“ 
fügte sie Hinzu, „und deshalb mußte ich gleich zwölf Dußtzend 
kaufen.““ Eine andere ist für Seidenstrümpfe eingenommen. „Diese 
da haben 1000 Franes das Paar gelkostet,“ sagt sie und fährt be⸗ 
dauernd fort: „Ich kann fie leider nicht wieder erneuern, denn 
der Mann, der sie webte, ist blind geworden.“ „Was machen Sie 
m Sommer mit Ihren Winter-Kleinodien?“ fraate eine dieser 
ↄrotzenden Amerikanerinnen eine Ausländerin von sehr vor— 
nehmer Abkunft, deren Vermögen etwas geschwunden war. „Ich 
krane sie,“ erwiderte die Fremde einfach. Man sah sie mit einem 
Schauer des Mitleids an. 
Weiterhin wird dargelegt, daß die Luxusdamen darauf be— 
stehen, daßn selbst die einfachsten Toiletten, wie die Tailors, durch 
Zutaten und Hüte möglichst verteuert werden. Der Grund dafür? 
Damit die bescheidenen Frauen der Bourgeoisie nicht durch ge— 
rhickte kleine Schneiderinnen unsere Eleganz nachahmen können.“ 
And da ruft Gomez Carillo aus: „Aber Sie besitzen ja gar nicht 
die Eleganz, meine Damen. Die Eleganz ist wie die Schönheit 
o Vorrecht der Grisetten des Quartier Latin, der Kokotten von 
Montmartre, der kleinen Provinz-Schauspielerinnen. Ihnen, 
ven Modeköniginnen, genügt der Luxus. Sie lieben die Edelsteine 
nich. wegen ihres göttlichen Feuers, wegen ihrer wunderbaren 
Reflexe, sondern wegen ihres Wertes. Sie bestellen sich Lurus⸗ 
kstiime, nicht weil fie Ihre Körper harmonisch kleiden, sondern 
weil sie mit Gold aufgewogen werden müssen. Sie tragen unge— 
heure Hüte, die wie Schirme mit Federkronen aussehen, weil 
eder von ihnen ein Vermögen darstellt. Die Eleganz ist Ihnen 
ber versggt“
	        
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