Nationalliberale Kandidaturen und
Hegenkandidaten in 78 deutschen Wahlkreisen.
Am Sonnabend und Montag haben wir eine Liste sämtlicher
zisher aufgestellter nationalliberaler Reichstagskandidaten
Deutschlands nach Name, Beruf und Wahlkreis veröffentlicht.
Wir geben in folgendem hierzu einen Kommentar, indem wir
nsbesondere auf die Gegenkandidaturen eingehen.
Die Liste umfaßt 78 Wahlkreise, von denen gegenwärtig
30 in nationalliberalem Besitz sind. Von diesen 30 national⸗
iberalen Abgeordneten haben 24 auch für die Neuwahlen
eine Kandidatur wieder angenommen. Von den übrigen
47 Wahlkreisen, in denen nationalliberale Reichstagskandidaten
aufgestellt sind, werden gegenwärtig 9 von der Fortschrittlichen
Volkspartei, 12 von den Deutschkonservativen, 6 von den Frei⸗
onservativen, 6 von den Antisemiten, Christlichsozialen, Mittel⸗
tändlern, 5 vom Zentrum, 1 von einem Welfen und 8 von
Zozialdemokraten vertreten.
Gegen die Fortschrittliche Volksparstei richten
sich die nationalliberalen Reichstagskandidaturen in: Schwei—
nitz⸗Willenberg (Wamhoff gegen den Abg. Dr. Dove), Nord⸗
hausen (Prof. Trittel gegen Dr. Wiemer), Schleswig-Eckern⸗
körde (Mattsen gegen Spethmann), Tondern⸗-Husum (gegen⸗
wärtig Abg. Dr. Leonhart), Oldenburg-Plön (Gutsbesitzer
Hastedt gegen Dr. Struve), Sagen⸗Schwelm (gegenwärtig Abg.
Cuno), Zittau (gegenwärtig Abg. Buddeberg), Walded (gegen⸗
wärtig Abg. Potthoff) und Dessau⸗-Zerbst (Witting gegen den
Abg. Schrader).
Gegen die Deutschkonfservativen sind die na—
ionalliberalen Kandidaten aufgestellt in Insterburg-Gum⸗
zinnen, Angerburg⸗Lötzen, Schlochau⸗Flatow, Landsberg-Sol⸗
vin, Anklam-⸗Demmin (Reichstagspräsident Graf Schwerin⸗Lö—
witz), Randow⸗-Greifenhagen, Pyritz-Satzig (Gans Edler Herr
zu Puttlitzß, Greifenberg Kammin (Abg. v. Normann, Vor⸗
sitzender der konservativen Reichstagsfraktion), Bütow-Rum⸗
melsburg, Kolberg-Köslin (Abg. Malkewitz), Militsch-Trebnitz
Abg. .Frhr. v. Heydebrand), Glau-⸗Nimptsch (Abg. Rother).
Gegen freikonservative Mandate richten sich
zie nationalliberalen Kandidaturen in Breslau⸗Ost, Sanger—
zausen⸗Eckartsberga, Lüchow⸗Uelzen, Harburg (gegen Dr. Varen⸗
zorst), Borna (gegen General v. Liebert), Gotha, gegen die
Wirtschaftliche Vereinigung, Antisemiten und Christlichsoziale
in Goslar, Wanzleben, Oberwesterwald, Rinteln, Kassel,
Hiehen, gegen das Zentrum in Osnabrück, Immenstadt, Lohr,
Donaueschingen, Bingen⸗Alzey, gegen die Welfen in Göttingen
ind gegen die Sozialdemokraten in Kalbe⸗-Aschersleben, Han—
iover⸗Höchst-⸗Usingen, Wiesbaden, Hanau, Dresden⸗Land, Leip⸗
in-Land, Kannstatt
Inland und Ausland.
Deutsches Roich.
Sanfabund und Konkurrenzklausel. Der Hansabund hat
m Einvernehmen mit einer größeren Anzahl von Kaufleuten
ind Angestellten folgende Grundsätze für die Regelung der
onkurrenzklausel aufgestellt: 1. Die bisherige Vorschrift
es 8 74 des H⸗GeB.: „Eine Vereinbarung zwischen dem
Zrinzipal und dem Handlungsgehilfen, durch welche dieser
ür die Zeit nach der Beendigung des Dienstverhältnisses in
einer gewerblichen Tätigkeit beschränkt wird, ist für den
Sandlungsgehilfen nur insoweit verbindlich, als die Beschränkung
nach Zeit, Ort und Gegenstand nicht die Grenzen überschreitet,
durch welch; eine unbillige Erschwerung des Fortkommens des
ßandlungsgehilfen ausgeschlossen wird“, soll dahin ergänzt
verden, daß nach den Worten: „nur insoweit verbindlich“,
pinzuzufügen ist: „als berechtigte Interessen des Geschäfts ge—
chützt werden sollen und“. 2. Es ist erforderlich, festzu—⸗
etzen, daß die Konkurrenzklausel nur noch fär solche
dandlungsgehilfen zulässig sein soll, welche ein
Hehalt von mehr als 3000 M beziehen. 83. Die
Bereinbarung einer Konkurrenzklausel soll nur dann rechts—
virksam sein, wenn dem Handlungsgehilfen für die über
»ie Vertragsdauer hinausgehende Beschränkung seiner kauf⸗
aännischen Tätigkeit eine Entschädigung gewährt wird.
Malzerntrakt zu Heilzweden steuerfrei. Auf Grund des
4 des neuen Brausteuergesetzes hatten verschiedene nord⸗
zeutsche Steuerbehörden auch den zu Heilzwecken im großen
zargestellten Malzextrakt für steuerpflichtig erklärt. Auf dieser⸗
jalb erhobene Vorstellungen hat nun das Reichsschaßamt ent⸗
schieden, „daß nicht mur das mit medizinischen Zusätzen ver⸗
mischte und das zur restlosen Weiterverarbeitung zu Malz⸗
zuckerwaren und dergleichen bestimmte, sondern auch das reine,
in chemischen Fabriken zum Verkauf hergestellte, zähflüssige und
trockene Malzextrakt von der Brausteuer unter zweckentsprechen⸗
den Kontrollmaßregeln gegen eine mißbräuchliche Verwendung
reigelassen werden kann. Der Brausteuer sollen Malzauszüge
nsofern unterliegen, als sie mit der Bereitung von Bier,
zierähnlichen Getränken oder Essig in Zusammenhang gebracht
verden.“ Der Fabrikant, der hiernach Malzextrakt steuerfrei
yerstellt, hat insbesondere gelegentlich der in Absatz 3 von
11 der Ausführungsbestimmungen vorgeschriebenen Anmeldung
herstellungs- und Verwendungsweise des Malzextraktes anzu—⸗
geben und sich dabei ausdrücdlich zu verpflichten, es nicht
zur Bereitung von Bier, bierälmlichen Getränken oder Essig
1bzugeben.
Die neue Ausprägung von Silbermünzen. Zu der am
Mittwoch vom Bundesrat beschlossenen Ausprägung von Sil⸗
jermünzen im Betrage von 40 Millionen Mark schreibt der
dannov. Courier: Die Reichsbank ist noch nicht derartig mit
Silbermünzen ausgestattet, wie es das Verkehrsbedürfnis für
eine glatte Abwicklung der Zahlungsgeschäfte erfordert. In
erster Linie besteht ein Begehr nach Dreimarkstücken, während
Fünfmarkstücke nach wie vor nicht verlangt werden. Für
Zweimarkstücke ist ĩ letzter Zeit zur Befriedigung der Be⸗
dürfnisse des Weihnachtsverkehrs und für die Versorgung der
Schutzgebiete wiederum trotz der früheren starken Prägungen
ine stärkere Nachfrage hervorgetreten. Der Bundesrat hat
lich daher damit einverstanden erklärt, daß für 1911 40 Mill.
Mark zur Ausprägung gelangen, davon für 30 Millionen
Dreimarkstücke und für jes Mill. Zwei-und Ein—
markstücke. Wenn die vom Bundesrat beschlossenen Prä—
gzungen mit Ausnahme dieser 40 Millionen Mark beendet sein
werden, so sind dann an Silbermünzen 1054000 000
Mark vorhanden, d. h. 17,4 Mark auf den Kopf
der Bevölkerung von 1905. Die münzgesetzlich fest⸗
gesetzte Quote beträgt bekanntlich 20 Mark.
Die Berich!e der deuischen Gewerbeaussichtsbeam en für das
Jahr 1909 werden im „Reichsarbeitsblatt“ (1910, Nr. 12,
S. 911 -913) sunmarisch zusammengestellt. Die Gesamtzahl der
Fabriken und der diesen gleichzestellten Anlagen betrug im
Jahre 1909 267554 (1908; 259 617). In diesen Fabriken
waren 6 209 3205 (6 122 416) Arbelter beschã ligt; hiervon waren
1560 899 (4520 066) erwachfene männliche Arbeiter, 1190 241
dJ 150 033) Arbeiterinnen Uber 10 Jahre, 446 540 (440 258)
sunge Leute von 142ÿ16 Jahren und 11645 (12 062) Kinder
unter 14 Jahren. Zuwiderhandlungen gegen Gesetze und Ver.
ordnungen betr. die Beschäftigung von jugendlichen Arbeitern
»ezw. die Beschäftigung von Arbeiterinnen wurden in 13701
15 099) beʒzw. 6892 (7296) Anlagen ermittelt. Sie beziehen
ich meist auf Verstöhe gegen die Bestimmungen über Anzeigen
Verzeichnifse, Aushänge und Arbeitsbücher. Ueberarbeit er—
vachsener Arbeiterinnen wurde 1864 (1391) mal für 15509
10 015) Arbeiterinnen und 1962 8152 (1279 132) VUeber.
tunden bewilligt. In 2584 (2070) Betrieben wurden Aus—
nahmen vom Verbot der Sonn⸗ und Festtagsarbeit gestattei
uind wurden 112486 (686 937) Arbeiter in 1184 58724
928 1273) Aeberstunden zu dieser Sonntagsarbeit zugelassen
Die Vollszunahzme in Oftelbien ist, wie das vorläuflge
Ergebnis der Volkszählung für Preußen vom 1. Dezember 1910
beweist, wieder stark hinter der Durchschnittsziffer der Bevöl—
erungszunahme zurückgeblieben. Während nämlich das
zurchschnittliche Wachstum der Bevölkerung in Preußen 7,68 e
betrug, wurden in Ostpreuhen nur 1,65 00, in Westpreußen 3,76 00,
n Pommern 1,01 40, in Posen 5,71 00 und in Schlesien 6,74 o/0
zevölkerungszunahme konstatiert. Da in diesen ländlichen Pro—
inzen die Geburtenhaufigkeit nicht hinter der anderer preußi⸗
her Gebietsteile zurüchsteht, so läht sich die Tatsache geringerer
zolkszunahme nur aus der großen Abwanderung erklären,
ie in der mangelnden Ansiedlungsmöglichkeit der unteren Volks—
classen in den HSerrschaftsgebieten des Großgrundbesitzes be—
dingt ist.
heer und glotte.
W. Berliu, 6. Febr. R⸗P. D. „Zieten“ mit dem Trans⸗
jort der für „Planet“ abgelösten Besatzung auf der Heim—
eise ist am 6. Febr. in Genua eingetroffen und setzt morgen
ie Reise nach Southampton sort. „Viktoria Luise“ ist am
j. Febr. in Cadiz eingetroffen und setzt am 10. Febr. die Reise
nach Vigo fort. „Tiger“ ist am 5. Febr. in Hongkong einge—
trosffen. Torpedoboot „Taku“ ist am 5. Febr. von Hankau
iach Nanking abgegangen. „Sperber“ ist am 5. Febr. in Lindi
ingetroffen und geht am 13. Febr. von dort wieder in See
Lie 6. Halbflottille ist am 3. Febr. in Flensburg und die
1. Salbflottille in Eckernförde eingetroffen. „Stuttgart“,
Danzig“ und „Vrinz Adalbert“ sind am 2. Febr. von Kiel nach
zonderburg gegangen. „Prinz Adalbert“ ist am 3. Febr. und
Delphin“ aamm 4. ebr von Sonderburag nach Kiel gegangen.
—RESS
Neueste Nachrichten und Telegramme.
W. Berlin, 6. Febr. Der Kaiser ist der historischen
dommission für die Provinz Hannover, das Großherzog⸗
um Oldenburg, das Herzogtum Braunschweig, das Fürsten⸗
um Schaumburg⸗-Lippe und die Hansestadt Bremen als Pa-
ron beigetreten.
xN. Lemberg, 6. Febr. An der Teschnischen Hoch—
chule wurden die Vorlesungen wieder ausgenommen.
W. Paris, 6. Febr. Nach Meldungen aus Melilla
purden fünf Europäer auf dem Landwege aus dem
departement Oran nach Melilla am linken User des Muluya⸗
lusses von Rifleuten angegriffen. Ein Europäer
ntkam, die übrigen wurden ermordet. Die Leichen
burden von Spaniern gefunden und nach Melilla gebracht.
W. Paris, 6. Febr. Bei der Ersa zwahl im Departe—⸗
nent Ardeche wurde Chalamel (Linksrepublikaner) mit 8606
Stimmen gewählt gegen Vincent (Soz.-Radikaler), welcher
3139 Stimmen erhielt. Das Mandat war bisher im Besitz der
zoz.Radikalen.
W. London, 6. Febr. Der König und die Königin trafen
im 2 Uhr nachmittags aus dem Bucdinghampalast zur Par⸗—
amentseröffnung in Westminster ein. Sie wurden auf
iem ganzen Wege von der Menge jubelnd begrüßt.
W. Konstantinovel, 6. Febr. Amtliche Meldungen
iber den Brand des Gebäudes der Pforte bestätigen,
»aß das Gebäude des Staatsrates vollständig, die des Groß—
vesirats und des Ministeriums des Innern teilweise abgebranni
ind. Dagegen blieben das Auswärtige Amt und die Archive
invesehrt. Es darf als festgestellt gelten, daß das Feuer zu—
ällig entstanden und nicht böswillig angelegt ist.
In einer Konferenz der jungtürkischen Kammerpartei teilte
ser Obmann mit, der Aufstand im Yemen trage nach den Er—⸗
sebungen der Regierung keineswegs den Charakter einer allge—
neinen arabischen Bewegung. Auswärtige Einwirkungen seien
uicht festgestellt.
W. Teheran, 6. Febr. Das Parlament beschloß mit
roßer Mehrheit, den Vertrag mit dem deutschen Instruk⸗
eur für Maschinengewehre auf weitere fünf Jahre
u verlängern.
Wt.. Newyork, 6. Febr. Aus Cap BSaitien (Gaiti)
vird gemeldet, der von den Revolutionären sür die Präsi⸗
entschaft vorgeschlagene General Leconte suchte in dem Deut-
chen Konsulat Zuflucht. Ferner wird gemeldet, daß die Re—
»olutionäre die Städte Le Trou und Quamaminth (7) einage⸗
nammen haben. J
W. El Paso, 6. Febr. Die Infurgenten zerstörten
estern früh den Eisenbahn des Obersten der Bundesarmee Ra⸗
»ago. Es entspann sich ein Kampf. Zwei Insurgenten und
.70 Mann der Bundesarmee sind gefallen. Rabago ist mit
300 Mann der Umzingelung durch die Revolutionäre entronnen
and gestern abend in Juarez eingezogen, von der Bevölkerung
ebhaft begrußt.
—SSSS̊̊Ä—3—adsdeg
—— M
Wt. Berlin, 68. Febr. Der 23jͤhrige Leutnant Stein
„om Telegraphenbataillon Nr. 8, kommandiert zur Versuchsab⸗
eilung der Verkehrstruppen, der heute morgen Fluüge auf
»em Döberitzer Militärflugfelde unternahm, stürzte, als er
m Gleitfluge niederging, aus einer Höhe von zwanzig Metern
ib. Er erlitt einen Schädelbruch und war sofort tot.
Wt. Berlin, 6. Febr. Zu dem Zugzusammenstoß
im Baumschulenweg vird noch amtlich gemeldet, daß
zie Schul dfrage ziemlich geklärt ist und daß als Schul—
ziger an dem Unfall der Lokomotivführer des vom Pots—
»amer Bahnhof kommenden Zuges in Frage lommt. Dieser
iberfuhr das Haltesignal und rannte dem anderen Zug in die
Flanke. Die Zahl der Leichtverletzten hat sich inzwischen auf
7 erhöht, da sich noch mehrere Personen gemeldet haben.
Schwer verletzt sind, wie bisher gemeldet, 6 Personen. Der
Betrieb wurde um 124 Uhr wieder aufgenommen.
Wt. Zizikar, 6. Febr. Seit Veginn der Pestepidemie
ind hier ungefähr 1000 Todesfälle vorgekommen; in der letzten
Zen sterben täglich 40 his b0 Personen.
Deutscher Reichstag.
W. Berlin, c Februar
Auf der Tagesordnung steht zunächst die Interpel
lation des Abgeordneten Grafen Kaniz betreffend Maj
nahmen zur Vermeidung einer Ueberschwemmung des deutsch
Beldmarktes mit frem den Wertpapieren und eines un
mäßigen Abflusses deutschen Kapitals nach dem Auslande.
Staatssekretäär Dr Delbrüd erklärt sich bereit, die Inte:
pellation Ende dieser oder Anfang nächster Woche zu dech
worten.
Es folgt die zweite Lesung der Novelle zu im Gerichts
verfassungsgesetz, der Strafprozeßreform und des da,
gehörigen Einführungsgesetzes.
Abg. Dr. Brunmstermann (Reichspartei): Wir wünschen di
Vorlage möglichst bald zu verabschieden. Wir werden deshalt
tommissansbeschlüssen zustimmen und lehnen die Abänderung-
anträge der Sozialdemokraten ab.
Abg. Stadthagen (Soz.) befürwortet einen Antrag, dem
j 3, der besagt, daß die Zulassung zur Vorbereitung für de—
Justizdienst nicht vom Nachweis eines bestimmten Vermögen⸗
der Einkommens abhängig gemacht werden darf, hinzuzufügen
kbenfowenig darf die Zulassung von der politischen oder kon—.
essionellen Gesinnung oder Betätigung des sich zur Aufnahme
nn den Vorbereitungsdienst Meldenden abhängig gemach
verden. Auch den Kindern von Minderbemittelten und Ar
zeitern darf die juristische Karriere nicht verschlossen werden
Deshalb sollte man zum mindesten das „bestimmte“ Ver mögen
in der Kommissionsfassung streichen. Weiter beantragen wir
als 8 322 einzufügen, daß die Entfernung aus dem Vorbe
¶inasdienst nur auf Grund des Dissiplinargesetzes erfolger
arf.
Abg. Müller-⸗Meiningen (Volksp.): Wir halten den Kom—
missionsbeschluß für einen Fortschritt. Den sozialdemokratischen
Anträgen stimmen wir zu, obwohl sie an und für sich selvst
berständlich und überflüssig sind. Die Entfernung aus dem
kichterstande wie aus dem Vorbereitungsdienst sollte nur durch
das Disziplinarverfahren möglich sein.
Abg. Dziembowski (Pole): Auch wir stimmen den An—
trägen zu.
Abg. Wellstein (Zentr.): Ich bitte, alle Anträge abzu—
lehnen, denn die in ihnen geforderten Bestimmungen sind nicht
rur selbstverständlich, sie stehen vielmehr ganz klar in der Ver—
fassung und dem Gesetz. Der Vermögensnachweis ist nötig,
damit der junge Jurist sich nicht durch Nebenverdienst seine
Tätigkeit zersplittern muß.
Abg. Müller⸗Meiningen: In der Verfassung stehen nur
allgemeine Grundzüge; nähere Bestimmungen sind durch Spe—
zialgesetze nötig. Eventuell müsse ein Reichsdisziplinargeseß
dieser Vorlage hinzugefügt werden.
Abg. Heine (Soz.): Der Antrag will die Unabhängig—
leit der Richter schätzen. Der Moabiter Prozeß macht dies
nötig; denn es ist von hieraus versucht worden, dem Gericht die
Arbeit vorzuschreiben, indem gesagt wurde: Die Polizeibeamten
haben nur ihre Schuldigkeit getan. (Sehr gut b. d. Soz.) Mit
welchem Recht kommt der Justizminister dazu, den Vorsitzenden
des Prozesses zur Rede zu stellen, wie er sich seine Rechts—
belehrung konstruiert habe? Das war Provokation und Ein—
schüchterung des Richterstandes. Wir wollen durch unsere An—⸗
cräge der Gerechtigleit helfen, die eine Grundlage sein soll für
die öffentliche Wohlfahrt. Geifall b. d. Soz.)
Staatssekretär v. Lisco: Der Vorredner hat seine An—
rräge mit Angriffen auf den Justizminister, der heute im
Landtage bei der Beratung des Julstizetats beschäftigt ijsl
und auf den Reichskanzler begründet. Der Jultizminister soll
Landgerichts direktor Unger zur Rede gestellt haben. Das
trifft nicht zu. Er wollte sich nur informieren für die Be—
ratung des Justizetats. Einschüchterung und Beeinflussungs⸗
ersuche haben dem Reichskanzler völlig sern gelegen. (Lärm
ovei den Soz.) Er steht viel zu hoch und denkt nicht daran.
(Ruf: Sollte es wenigstens nicht. Er soll gesagt haben,
die Schutzleute hätten nur ihre Pflicht getan. Das Wort hat
er nicht gebraucht. Ich muß derartige Bemerkungen, als ob
in ungesetzlicher Weise Beeinflussungen beabsichtigt gewesen seien
entschieden zurückweisen.
Abg. Heine (Soz.): Im Bericht des Reichsanzeigers steht
das Wort nur. Diese Lobpreisung der Schutzleute geschah,
als vor dem Gericht fsestgestellt war, daß Frauen und Mädchen
in einer zuhältermäßigen Weise beleidigt und beschimpft wor·
)en waren von preußischen Beamten in Uniform und im
oͤniglich preußischen Dienst. Er hätte die Betätigung der
Schutzleute tadeln sollen, sonst übernahm er die Verantwor—
tung für die Wiederholung solcher Fälle. (Sehr richtig!)
Mogabit hätte leicht ein neues Essen werden können. (Seh
richtig!)
Abg. Wagner⸗Sachsen (kons.): Der Justizminister hatte
das Recht, sich über den Tatbestand zu informieren. In
anderen Fällen hat die Sozialdemokratie solche Maßnahmen
an der khöchsten juristischen Stelle verlangt.
Abg. Stadthagen (Soz.): Moabit ist sür unsern Antrag
ein Schulbefriel, ta sächlich ist der Vo sitzende vom Justizminister
zur Rede gestellt worden. Wir wollen nur die Unabhängig—⸗
keit der Richter, insbesondere die der preußischen stabilisieren.
Abg. Ablaß (Vpt.): Politische Prozesse sollten so selten wie
möglich vorkommen, jedenfalls sollen nichtpolitische Prozesse
nicht zu politischen gestempelt werden, wie es bei beiden
Moabiler Prozessen der Fall war. Wir stimmen dem sozial
demokratischen Antrage zu.
Abg. Heine (Soz.): Von autoritativer Stelle darf in
schwebende Verfahren nicht eingegriffen werden. Ich bitte
namens der Kommission um Ablehnung der Anträge.
Nach kurzer Geschäftsordnungsdebatte, in der Abg. Müller⸗
Meiningen behauptete, der Berichterstatter habe nicht obiektiv
herichtet, wird der sozialdemokratische Antrag abgelehnt. Als
8 beantragen die Sozialdemokraten, daß zum Richter nicht
rnannt werden darfs, wer länger als fünf Jahre das Ver—
valtungsamt oder das Amt eines Staatsanwalts bekleide!
zat. Dsen Richtern soll die Annahme von Orden und Ti
tulaturen verboten sein.
Ein Antrag der Freisinnigen will den Richtern die An—
nahme von Orden und Ehrenzeichen verbieten, ausgenommen
Kriegsorden und Rettungsmedaillen.
Abg. Stadthagen (Soz.) begründet den Antrag seiner
Partei. J
Abqg. Mulsler⸗Meiningen: Der sozialdemokratische Antrag
ist für uns unannehmbar. Wir halten es für besser, das
Drdensverbot gesondert zu behandeln. — Beide Anträge wer—
den abgelehnt.
Nächste Sitzung Dienstag 1 Uhr: Fortsetzung. Kleine
Vorlagen.