Full text: Lübeckische Anzeigen 1911 (1911)

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Donnerstag. den 19. Oktober 1914. 
Morgen⸗Blatt Kr. 530. 
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pantheistischen Anschauungen zum Christenglauben sei eine 
jsehr verschiedene. Der Grundgedanke aller pantheistischen 
Anschauungen aber sei der: das All oder die Welt sei 
Hott, Gott sei das All. Der Pantheismus erkenne also nur 
ꝛen innerweltlichen (immanenten), nicht den überweltlichen 
transzendenten) Gott. Zum andern sei ebenso schwer wie 
ine zutreffende Klarlegung des Pantheismus die Darlegung, 
was richtiger Christenglaube sei. Die heutigen Christen wichen 
eispielsweise in manchen Punkten von dem Glauben der 
Ipostel ab; überhaupt gebe es keine allgemeingültige Norm 
»afür, was Christenglaube sei. Die Bekenntnisschriften seien 
eine solche Normen und wollten es auch gar nicht sein; 
ie Bibel selbst werde bekanntlich recht verschieden gedeutet. 
zür den Christenglauben handle es sich in seiner Stellung 
um Pantheismus vornehmlich um die Frage, wie sich Gott 
und Welt zueinander verhalten. Fasse man diesen Punkt 
ns Auge, bestehe hierüber eine Meinungsverschiedenheit unter 
en Christen nicht. Ihrer Auffassung nach sei Gott nichl 
asselbe wie die Welt, sondern ein der Welt überlegenes 
eren Geschicke lenkendes persönliches Wesen. Der Pantheismus 
ei ein Versuch des Menschengeistes, die Mannigfaltigkeit der 
Welt und des Geschehens zu einheitlichen Gedanken zu ordnen. 
ßeim Christenglauben handle es sich beim Gottesbegriff 
im Religion. Könne man deswegen die beiden auf ganz 
erschiedenem Boden stehenden Größen miteinander vergleichen? 
yestsiehe. dah eine Gesamtweltanschauung durch logisches und 
mpirisches Denken nicht gewonnen werden könne. Das wolle 
war auch der Pantheismus nicht, aber er wolle darum 
»och an die Stelle der Religion treten. Auch der Christen⸗ 
laube gebe nicht die Erkenntnis von der Heiligkeit Gottes, 
ie nur durch inneres Erleben gespürt werden könne; aber 
ruch die Christen suchten Gottes Wirken im äußeren und in 
»en Verhältnissen der Welt mit dem Verstande zu erkennen. 
Zo ständen die beiden Größen doch auf einem gewissen ge— 
neinsamen Boden und dürften darum wohl miteinander ver— 
lichen werden. Der Pantheismus finde sich bereits in der 
ndischen und, was uns noch mehr interessiere, in der griechi 
chen Philosophie. Der Apostel Paulus habe sich daher 
uf seinen Missionsreisen in Griechenland mit dem Pantheis— 
nus auseinanderzusetzen gehabt. Er habe die pantheistischer 
ßedanken der Stoiker nicht vollständig verworfen, sondern 
mĩ manchen Punkten in seinen Predigten an sie angeknüpft, 
indererseits aber auch die AUnzulänglichkeit des Pantheismus 
icht verkannt, indem er von der griechischen Bildung sener 
zeit sagte, daß der wahre lebendige Gott ihr eine unbe— 
annte Größe geblieben sei. Im Mittelalter habe Spinoza 
die pantheistischen Gedanken wieder verbreitet. Er habe die 
Anschauung vertreten, die Substanz sei gleich Gott und 
ßott gleich der Natur: natura sivs deus, d. h. Gott und 
satur seien dasselbe, zwischen ihnen bestehe kein Unter- 
chied, es seien nur verschiedene Namen für dieselbe Sache. 
range Zeit hindurch habe Spinoza wegen dieser Lehre als 
in krafser Atheist gegolten, und sei darum verachtet worden 
fände des 18. Jahrhunderts aber sei an die Stelle der 
Lerachtung eine große Verehrung getreten, und er habe 
ahlreiche Anhänger gefunden. Spinozistische Ideen fFänden 
ich bei fast allen großen Philosophen der Neuzeit: Fichte, 
Z„chlegel, Hegel u. a., auch Schleiermacher zeige pantheistische 
zärbung in seinen Werken; Kant habe sich dagegen auf 
as entschiedenste gegen Spinoza ausgesprochen. Goethe habe 
eitweilig spinozistischen Gedanken zugeneigt, indem er von 
iner Gottnatur gesprochen habe, sich später aber wieder dem 
einen Theismus zugewandt. Pantheistische Anschauungen ver— 
räten dagegen wieder die Philosophen Fechner, Lotze und 
zduard von Hartmann. Was habe man nun von den Lehren 
»es Pantheismus zu halten vom Standpunkt des logischen 
Denkens? Der Gottesbegriff des Pantheismus sei unhaltbar 
ind den Zweck, die Welt zu erklären, erreiche der Pantheis— 
nus nicht. Ersteres habe schon Schopenhauer klar ausge⸗ 
prochen, indem er gesagt habe, der Gott der Pantheisten 
ei eine unbekannte Größe; Gott die Natur zu nennen, Jsei 
eine Herabwürdigung Gottes. HSHinsichtlich der Welterklärung 
tehe der Pantheismus mit dem Dualismus auf einer Stufe 
Der Pantheismus wie Dualismus wollten den vom Denken 
erkannten Zwiespalt zwischen Natur und Gott dadurch lösen 
yaß sie Geift und Natur als zwei verschiedene Erscheinungen 
»er Ursubstanz annehmen. Dabei bleibe aber die Ursache des ver⸗ 
chiedenen Auftretens ein und derselben Assubstanz unerklärt. 
Auch in anderer Hinsicht müsse der Pantheismus in manchen 
Punkten von seiner konsequenten Durchführung absehen, sei 
ilso nicht in der Lage, die rätselvolle Welt, ihr Entstehen 
ind Leben restlos zu erklären. Mit tiefer Beschämung und 
Trauer müsse man an die Zeiten denken, wo die Kirche in 
inchristlichen Haß und Mangel an Gottvertrauen zum Vantheis—⸗ 
nus neigende Christen verfolgt, gefoltert und getötet habe. 
Der Kampf um die Wahrheit müsse mit geistigen Waffen geführt 
verden und nicht mit äußeren Machtmäitteln. Kämpfe seien 
iuch von Gott und besser als Friedhofsruhe. Auch die mora— 
ische Verdächtigung der verstandesmähig Irrenden sei nicht 
im Platze, insbesondere nicht gegenüber den Pantheisten, die 
aus ihrer idealen Auffassung meust die Pflicht sittlichen Strebens 
ibleiteten. Ihre Lehre dürfe daher nicht als ein großer Irr— 
um zurückgewiesen werden. Als ein Verdienst sei es vielmehr 
u bezeichnen, daßj sie so entschieden die Immanenz Gottes 
etonten und sich demütig vor der Größe Gottes beugten. 
ie die Naturbetrachtung offenbare. Dieselbe Anschauung der 
von Gott überall durchwalteten Natur finde sich auch im 
Ilten Testament, einem Bestandteil des christlichen Gottes— 
laubens. Durch die Betonung der Innerweltlichkeit Gottes 
üge der Pantheismus also dem christlichen Gottesbegriff nicht 
eue Bestandteile hinzu, die ihm bisher fehlten. Dagegen mache 
r diese Gedanken noch klarer und sichere ihnen die Stellung, 
ie ihnen gebühre, z. B. gegenüber dem Wunderglauben. 
em PVietismus, dem kleinlichen Sorgen des Einzelnen. Ein 
Nangel des Pantheismus aber sei es, daß er dem Menschen 
essen Seele Frieden suche, nichts sagen könne von Liebe. 
Illmacht oder Weisheit Gottes. Diese Eigenschaften liehen 
ich aus der Natur nicht ablesen, könnten also auch dem 
sottesbegriff des Pantheismus nicht beigelegt werden. Daher 
jabe sich auch wohl Goethe auf die Dauer vom Pantheismus 
nicht befriedigt gefühlt, sondern sich im Alter wieder ganz 
dem Theismus zugewandt. Der christliche Gottesalaube biete 
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uns, was wir am Pantheismus vermissen: eine zwar nicht zu 
beweisende, aber doch mit bestem wissenschaftlichen Gewissen 
zu »ertretende und dabei gerade die tiefsten Anlagen des 
menschlichen Gemütslebens befriedigende Weltanschauung. 
Mãnner⸗Turnverein Lübeck. Am Sonnabend hielt der 
Berein seine ordentliche Hauptversammlung im Hohenzollern 
ib. Der Vorsitzende K. Bollmeier gedachte zunächst in ehrenden 
Worten der beiden verstorbenen langiährigen Mitglieder W. 
IAchsenfeld und G. Strunck. Die Anwesenden erhoben sich zu 
khten der Verstorbenen von ihren Sitzen. Ferner teilte der 
VBorsitzende mit, daß die Herren C. Petersen, W. Zander und 
y5. Scheel im Juni auf eine 28jähr. Mitgliedschaft zurückblicken 
onnten und ihnen aus diesem Anlaß das silberne Abzeichen 
erliehen wurde. Nachdem der Kassenwart seinen Bericht er⸗ 
lattet hatte, wonach das Vereinsvermögen 1477,90 Mebeträgt, 
ourde zu den Wahlen geschritten. Die ausscheidenden Vor⸗ 
tandsmitglieder, erster Kassenwart C. Evers, Schriftführer 
5. Kuhlmann und Gerätewart H. Jaeger, wurden einstimmis 
viedergewählt. Es sollen folgende Wintervergnügungen veran— 
taliet werden: Gesellschaftsabend 4. Nov., Pellkartoffelessen 
28. Nov. Schauturnen in der Hauptturnhalle am 10. Des. 
nit nachfolgendem gemütlichen Beisammensein im Vereins- 
okal, am 81. Dez. Silvesterball, am 11. Febr. 1912 
Stiftungsfest und am 2. März Gesellschaftsabend. Sämtliche 
Vergnügungen mit Ausnahme des Pellkartoffelessens finden 
m Kolosseum statt. Zu diesen Veranstaltungen wählte die 
Versammlung folgende Herren in den Festausschuß: Bauver. 
Mehrhof, Lehmann, Müller, Schohmaker, Möller, Stapelfeldt, 
Stiegmann, Störr, Vogt, W. Voß und Warnemünde. Es soll 
vieder GKine Tombola von 4800 Losen veranstaltet werden, 
u deren Betrieb eine Kommission gewählt wurde. Unter 
Verschiedenes wurden noch einige interne Vereinsangelegen— 
heiten besprochen. 
b. Staditheater. Aus der Theaterkanzlei schreibt man 
uns: Heute kommt der erfolgreiche Schwank „Meyers“ 
von Friedmann-Frederich zur Wiederholung. Morgen gelangst 
Millöckers reizwolle Operette „Der Bettelstudent“ zur noch—⸗ 
naligen Aufführung. Sonnabend findet bei kleinen PVreiser 
die letzte Aufführung des Schausprels Glaube und Heimat“ 
von Schönherr statt. 
b. Stadthallentheater. Aus der Theaterkanzlei schreibt 
man uns: Heute geht zum letzten Male Leo Falls Ovperette 
Die Dollarprinzessin“ in Szene. 
»Beim ersten Sinfonke-Konzert des Ver ins der Mujsel⸗ 
freunde am Sonnabend, dem 21. Oktober, wird als Solist der 
bekannte Klaviervirtuose Karl Friedberg aus Köln mit 
dem Beethovenschen Ps-dur-Konzert auftreten. Herr Friedbers 
zilt als einer der hervorragendsten Beethovenspieler, als solcher 
jat er bei dem letzten Beethovenfest in Bonn die gröhten 
Triumphe gefeiert. Von der Kritik ist Friedberg geradezu als 
Poet am Klavier“ bezeichnet, seine wandlungsfähige Technik 
und seine Fähigkeit der feinsinnigen Wedergabe unserer ersten 
Meister wird allgemein gerühmt. Man darf allo einen — Ersten“ 
jeines Faches in ihm erwarten. 
b. Kunstgewerbeschule für Maler. Seit einer Reihe von 
Jahren besteht bekanntlich an der Kunstschule in Lübeck wäh— 
rend der Wintermonate ein kunstgewerblicher Kursus sür Maler, 
der sich in weiten Kreisen vollste Anerlennung erworben hat, 
da die Leistungen der Schüler dieses Kursus den strengsten 
Inforderungen entsprachen. In diesem Kursus ist jungen Ma— 
ern, Gehilfen, Söhnen von Meistern ⁊c. Gelegenheit geboten, 
ich während der Wintermonate, die sie sonst untätig zubringen 
nüssen, jene Fähigkeiten und Kenntnisse anzueignen, welche 
ie zur erfolgreichen Ausübung ehres Berufs, besonders in 
hezug auf geläuterten Geschmack und künstlerische Durchführuns 
»er im Fache vorkommenden Arbeiten, befähigen. Der Unter⸗ 
icht ist ein Atelier-Unterricht, da dieser allein ermöglicht, 
eden einzelnen Schüler nach seinen Fähigkeiten und unter 
Berücksichtigung seiner Vorkenntnisse zu beschäftigen. Die 
Nethode des Unterrichts schlieht sich durchaus den Anforderun—⸗ 
sen der Praxis an und umfaßt u. a. das Zeichnen und Malen 
son Flächendekorationen, Flachornamenten nach eigenem 
kntwurf, Ornamenten in den hauptlächlichsten jeßt verlangten 
Ztilarten mit Berücksichtigung der profanen und kirchlichen De— 
orationsmalerei. Besonderer Nachdruck wird auf das figür— 
iche Zeichnen gelegt und dasselbe sowohl nach Gips als nach 
»em lebenden Modell (Kopfmodell und Akt), sowie das Blu— 
nenmalen gelegt. Weitere Fächer sind u. a. das Malen von 
ekorativen Stilleben ꝛc.; woran sich ornamentale Kompositions⸗ 
ehre (Stillehre), malerische Perspektive und Schattenklonstruk— 
ion, Farbenlehre ꝛc. schließen wird. Die Hilfsfächer können zum 
kdeil in den Abendstunden in den betr. Kursen der Handwerker⸗ 
ind Gewerbeschule besucht werden. Der Unterrichtsstoff ist 
erselbe wie an der Münchener und Wiener Kunstgewerbeschule, 
rotzdem ist das Schulgeld, wie wir hören, billiger als an 
llen auswärtigen Schulen. Junge Maler haben in der Praxis 
aft selten Gelegenheit, sich in feineren, künstlerischen Ansprüchen 
jenügenden Arbeiten zu versuchen, so dah ihnen der Besuch 
ieses Kurses schon aus diesem Grunde besonders anzuraten ist. 
In der Tat finden auch Schüler, die den Kursus durchgemacht 
saben, stets sofort dauernde und lohnende Beschäftigung in 
»en ersten deutschen und österreichischen Geschäfian. Anmel—⸗ 
»ungen nimmt Herr Prof. v. Lütgendorff, Pferdemarkt 19. 
ntgegen. Für solche, die aus der nächsten Umgebung unserer 
S5tadt stammen, gewährt die Eisenbahndirektion gewöhnlich 
Z„chülerfahrkarten zu sehr ermähigtem Preise Der Kursus 
währt bis Ostern 1912. 
d. Verein zur Fürsorge für entlassene Gefangene und sitt⸗ 
sich Verwahrloste. Es sei an dieser Stelle noh einmal auf 
»en Vortrag über ,Ausdehnung und Bekämpfung des Mädchen⸗ 
andels“ hingewiesen, den auf Einladung des Fürsorgevereins 
jeute, Donnerstag, abend 8 Uhr, Herr Maior a. D. Wagener 
m grohen Saale der Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger 
Tätigkeit halten wird. Gäste (Damen und Herren) sind will— 
kommen. Nach dem Vortrage wird in engerem Kreise noch eline 
Besprechuns des behandelten Themas erfolgen. 
b. Oeffentliche Trinkerfürsorgestelle Lübed (Parade Nr. 1) 
Nächste Sprechstunde am streitaqg, dem 20. d. M. abends 
6—7 Ubr
	        
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