Full text: Lübeckische Anzeigen 1911 (1911)

Was ymn die Lage des gewerbltchen Mittet 
stanudes anlangt, so hat kein Stand eine so umfassende 
Berufsbildung nötig, wie gerade der Handwerkerstand. Sier 
ist noch unendlich viel zu leisten. Staat und Gemeinden 
haͤben war in vieser Richtung schon besondere Maßnahmen 
getroffen. indem sie mit Silfe der Innungen das Lehrlings⸗ 
wesen reorganisiert, indem sie Meisterkurse nicht nur im 
eigentlichen Handwerl, sondern auch in der Buchführung, in 
den Bandelswissenschaften eingeführt haben. Aber es muß 
noch mehr getan werden. Nur durch eine gute Ausbildung 
auf allen in fein Gebiet schlagenden Fächern kann der kleine 
Geschaͤftsmann vor ernsthaften Verlusten geschützt werden. 
Daes ist auch einer der Wege, um die Schleuderkonkurrenz 
sn heutigen Submissionswesen zu beschränken, um die Schmutz⸗ 
konkurrenz, die sich die Handwerker gegenseitig machen, zu 
beseitigen. Die Schäden des Submissionswesens kann das 
Handwerk gilein nicht aus dem Wege schaffen. Bei jeder 
Submission wird es immer wieder Handwerker geben, die 
mal hinein wollen“. Zunächst wird es notwendig sein, ein 
für allemal damit zu brechen, daß der Mindestfordernde den 
Zuschlag erhält, wenn sein Gebot dem Kostenvoranschlag der 
Behörde nicht annähernd gleichkommt. Dieser Kostenvor⸗ 
anschlag kann unter Zuziehung von Sachverständigen aus 
dem Handwerk, die natürlich an der Submission sich nicht 
beteiligen dürfen und durch Handschlag an Eidesstatt zur Ver⸗ 
schwiegenheit zu verpflichten sind, einer Begutachtung unter⸗ 
worfen werden. Im weiteren ist es notwendig, größere 
Arbeiten nicht im ganzen aussuschreiben, sondern auf eine 
möglichst weitgehende Zerlegung der Arbeiten Bedacht zu 
nehmen. Auch die Lieferfristen sind möglichst ausreichend zu 
bemessen, damit auch kleinere Handwerker sich beteiligen können. 
Auch von der Ausbedingung einer Sicherheitsleistung kann 
in den meisten Fällen abgesehen werden. Das sind im 
großen Umrissen die Punkte, für die ich bei Besprechung 
des Submissionswesens eintreten würde, sei es, daß die Rege— 
lung auf reichsgesetzlichem, sei es hier in Lübeck auf bürger— 
— 
dem Handwerkerstand zu: Seid einig, söließen Sie 
sich zusammen, bringen Sie mehr Handwerker in 
bdie Bürgerschaft und treten Sie einzeln und in der 
Gesamtheit dem Hansabund bei, der auf eine reichs⸗ 
gesetzliche Regelung der ganzen Materie bereits hinarbeitet. 
Wir haben aber auch dafür zu sorgen, daß unser Arbeits— 
markt sowohl im Handwerk als auch in der Industrie einen 
nguten, tüchtigen Nachwuchs erhält. Zwar liegt das Volks— 
schulwesen nicht auf dem Gebiet der Reichsgesetzgebung, son— 
dern auf dem der Einzelstaaten, ich kam es aber hier ĩm 
Rahmen meines Vortrages nicht unterlassen, daß wir großes 
Gewicht auf eine möglichst gute Allgemeinbildung durch 
die Schule, auf eine theoretifche Weiterbildung durch die 
Fortbildungsschule und auf eine gründliche technische Aus— 
vildung im Betrieb legen müssen. 
Nun komme ich zur Arbeiterfragde. Meine soziale 
Gesinnung habe ich nie gewechselt, noch abgeschwächt. Den 
Armen und Elenden zu helfen, ist meine liebste Aufgabe. 
Heute bestehen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern so 
scharfe Gegensätze, daß sie zu einer beklagenswerten Spal— 
tung in unserm Volkstum geführt haben. Ich meine aber 
wer die großen nationalen Gesichtspunkte in den Vorder— 
grund treten läßt, daß wir alle zusammengehören, darf 
auch das Wohl des Arbeiterstandes nicht aus dem Auge ver— 
lieren. Wenn es heute dem Arbeitnehmer, sei er Arbeiter 
oder technischer oder kaufmännischer Angestellter, nur sehr 
schwer möglich ist, sich eine eigene Existenz zu erringen, so 
ergibt sich daraus mit Notwendigkeit die Fortführung 
der sozialen Gesetzgebung. Wir dürfen uns nicht 
auf den Standpunkt stellen, es ist genug, die Kompottschüssel 
ist voll, so lange wir um 800000 bis 900 000 Menschen 
jährlich wachsen, so lange wir einen Bevölkerungszuwachs mit 
einer Steigerung unseres Handels und unserer Export⸗ 
industrie aufweisen, so lange dürfen wir auf Fortentwicke— 
lung der wirtschaftlichen Sicherheit unserer breiten Unter—⸗ 
schichten, nämlich der Arbeiterschaft und der in abhängiger 
Stellung befindlichen und immer stärker werdenden Hälfte 
des Mittelstandes, der Privatangestellten, nicht nur nicht 
verzichten, sondern müssen weiterbauen. Der größte Stand 
unserer Volksgenossen muß unsere größte Sorge sein. Wir 
alle haben gemeinsame Interessen, und es ist nicht wahr, 
wenn man sagt, daß wir keine gemeinsamen Interessen haben. 
Wir sind ein Volk von starkem Zusammengehörigkeitsgefühl, 
von starkem Nationalbewußtsein, mag die So— 
—— 
drückt die Ouvertüre die kleinbürgerlichen Szenen, die sich 
heim Heben des Vorhanges auf der Bühne abspielen, und 
odor der Kerkerszene ist die große Wirkung eben dieser Vor—⸗ 
gänge abgeschwächt; so aber durchlebt man die ganze Oper, 
insonderheit die letzten ergreifenden Momente, noch einmal. 
Die herrliche Ouvertüre wurde mit so genialer Nachempfindung 
des von Beethoven Gedachten und Gewollten wiedergegeben, 
daß das Publikum förmlich mitgerissen wurde und dem 
Dirigenten mit starkem, aus dem Herzen kommenden Beifall 
daukte. Der stets regen Phantasie unseres Oberregisseurs 
Beyer hatten wir wieder eine reizende Neuerung zu danken: 
Der erste Alt war in zwei Teile geteilt, und zwar spielten 
ich die ersten Szenen in einem kleinen, bürgerlich ausge— 
tatteten Zimmerchen ab, was einen weit inkimeren Eindruck 
herverrief: Es fiel der Vorhang vor dem Marsch und erst 
vbann erblickten wir die Bühne als Gefängnishof. Am Schlusse 
zatte Frau Matzenauer sich ungezählte Male dem voll— 
besetzten Hause zu zeigen und durch lauten, herzlichen Beifall 
Dank und immer wieder Dank entgegen zu nehmen für das 
unvergleichlich Schöne, das ihre Kunst uns geboten. Der 
eiserne Vorhang war längst gefallen und das Haus dunkel, 
ols das Publikum noch imbeweglich, wie eine Mauer, stand 
und vergeblich auf das Wiedererscheinen der großen Künstlerin 
wartete. M. Stiehl. 
Wirkungsvorstellung für die Literarische Gesellschaft zu Lübeck. 
Dichter⸗ und Tondichter-Matinée. 
„Rokoko“. 
Mittagsvorstellung für die Literarische Gesellschaft zu Lübeck. 
schen Schauspielhaus in Hamburg. 
Das Menuett und Finale aus Mozarts D-dur-Sinfonie, 
unter Blumanns Leitung heiter und leicht gespielt, leitete stim— 
mungsvoll hinüber zur einführenden Ansprache Direktor Hage— 
manns. Der geschmackvolle Arrangeur der Matinse enthüllte 
ein farbenprächtiges Vild jenes einzigartigen Zeitalters voll— 
endeter Gesellschaftsbildung, der sich alle anderen Gesichts— 
punkte unterordnen sollten. Natürlich lieh Dr. Hagemann 
seinem Gemälde, im Hinblick auf das Kommende, die hellsten, 
dransparentesten Farben. Wenn er auch das bittere, plötzliche 
Aãsdemokratte dagegen sagen was lie will, em echtes beut 
ches Volk, und wir mussen die Rolle durchführen, die 
wir im Interesse unserer Gesamtkultur, unserer Gesamtnation 
als deutsche zu erfüllen haben. n e an e 
Im weiteren ging der Redner zu einer Erörterung über 
die deutsche Kolonial- und Auslandspolitik über. Sierbei 
tellte er vor allem die Marokkoaffäre und den Tripoliskrieg 
in den Vordergrund. Im Interesse eines vollen Gedeihens 
der deutschen Industrie und Arbeiterschaft trat er energisch 
ür eine klare, zielbewußte Auslandspolitik ein. Um aber 
ine solche klare, zielbewußte Auslandspolitik treiben zu können, 
»edürfe es der Heranziehung weiterer, frischer Kräfte. Es 
zgehe nicht an, und es habe keine sittliche Berechtigung, daß 
ms einem kleinen Kreise alter Adelsfamilien 
und Großgrundbeslitzer sich fast ausschließlich die 
Männer rekrutierten, in deren Händen die auswär⸗— 
ige Politik ruht. Der Kaufmann, der Kolonist müsse 
in Kolonialfragen mitzusprechen haben. In diesem Sinne 
volle er für das Mitbestimmungsrecht des Volkes eintreten 
ind dann dem Vaterlande gern und freudig geben, was 
»s zur Wahrung der Volkswohlfahrt, des Friedens und 
der nationalen Ehre bedürfe. 
—Die fin a n iette Lage des Reiches erfordert, so 
uhr der Redner fort, die weiseste Sparsamkeit in 
ßeeres⸗ und Flottenfragen. Nicht falsche Sparsam— 
keit am unrechten Orte, wohl aber Sparsamkeit bei 
iberfläüssigen Pomp, militärischen Schau— 
tbetllungen und dergleichen. Was zur Verteidigung unferes 
Baterlandes notwendig ist, werden wir gern bewilligen. 
Insere Lage zwischen den Weltvölkern ist eine solche, daß 
oir das allergrößte Interesse an der Erhaltung des Welt— 
riedens haben müssen. Das aber hängt nicht allein von 
ins ab. Es kann der Frömmste nicht im Frieden bleiben, 
venn es dem bösen Nachbar nicht gefällt. Und wie die 
Dinge liegen, sind wir mehr als jedes andere Volk auf 
insere eigene Kraft angewiesen. Deshalb muß unser höchstes 
Ziel sein, die Verhältnisse in unserem Vaterlande so zu ge— 
talten, daß jeder sich als Staatsbürger wohl fühlen kann. 
Wie aber soll Vaterlandsliebe gedeihen, wenn wir unsere 
goistischen Interessen über die Interessen der Allgemeinheit 
etzen, wenn wir die Lasten für die Heeres- und 
Flottenvermehrung in so einseitiger Weise auf— 
»ringen lassen, wie es bisher geschehen ist. Nur 
venn wir diesen Standpunkt verlassen, dann wird auch 
»ie wahre, echte Vaterlandsliebe, die bei manchem verloren 
gegangen ist, wiedergewonnen und erhalten bleiben. Will eine 
Nation groß werden oder sich ihre Größe erhalten, so kann 
ie es nur, wenn alle national denken, fühlen und auch 
handeln. Die Größe einer Nation baut sich auf dem Willen 
aller Staatsbürger auf. 
Lassen Sie mich zum Schluß die großen Punkte noch— 
nals zusammenfassen: National: ich bin froh, daß ich 
ein Deutscher bin und will mit allen Kräften dazu beitragen, 
daß mein Vaterland stark und geachtet in der Welt da— 
teht. Freiheitlich: ich will keinen Polizeistaat, 
einen Staat, in dem wenige Mächtige das Wort haben, 
einen Klassenstaat, keine Unterdrückung des freien 
Worts. Sozial: ich will in erster Linie denen dienen, 
ie es schwer im Leben haben, die mit der Not kämpfen 
nüssen; aber ich will dabei keine einseitige Klassenpolitik 
reiben und bin ein Gegner der allgemeinen Gleichmacherei 
Ich ärgere mich nicht, wenn es jemand besser geht als mir. 
Kicht jedem das Gleiche, aber ich sagte es schon vor 
Jahren — jedem das Seine. — Das ist im großen 
und ganzen der Niederschlag meiner Anschauungen, den ich 
nisammenfasse in die Naumann-Worte: „Für des deutschen 
Bolkes besseres Los, — Für ein einig Deutschland, mächtig 
und groß, — Für deutsche Treue und deutsches Recht, — 
Wollen wir kämpfen in Treue echt.“ 
Den mit donnerndem Beifall und ohne Zwischenfälle auf— 
zenommenen Ausführungen des Herrn Klein folgte eine ergän— 
jende Ansprache von dem Reichstagsabgeordneten 
Dr. Wiemer. 
Er stellte zunächst zwei nationale Gesichtspunkte in den Vor—⸗ 
dergrund. Das war einmal seine Zurückweisung der Behauptung 
von gegnerischer Seite, dan die Fortschrittspartei einen Mangel 
an nationalem Empfinden zeige. Seit ihrem nunmehr 50— 
ährigen Bestehen habe vielmehr seine Partei bewiesen, daß 
ie voll und ganz auf dem Boden des Reichsgedankens stehe. 
Sie sei es zuerst gewesen, welche die Einigung Deutschlands 
uinter Preußens Führung propagiert habe. Das Entscheidende 
Ende all der Herrlichkeit und ihr fast spurloses Verschwinden 
yvon der Weltbühne nicht verschwieg, so unterstrich er doch, 
chon im Inleresse der Einheitlichkeit, verwandte Züge und ging 
in den grellen Widersprüchen; düsteren Mystizismen und gäh— 
ienden Abgründen jener widerspruchsbvollen Zeit vorüber. Und 
vann entschleierte die Gardine eine allerliebste, vornehm bewegte 
Hesellschaftstzene. In einem reichen Gartensaal bewegten sich 
n anmutigsten Gruppen Damen und Kavaliere des ancien 
6gime, bequem lässig, und doch jede Bewegung unter der 
dontrolle raffinierten Anstandes. Das Sofa, neben der Kom— 
node und der Vitrine das charatteristische Möbel der gesel— 
igsten Zeit, bildet auch hier den Mittelpunkt. In seine 
Polster schmiegen sich fächerschwingende Damen, auf seine ge— 
chweifte Lehne stützen sich die Kavaliere, um nahe den rosigen 
Ohren der Schönen bewundernde oder suffisante Bemer— 
ungen zu tuscheln. Das zirpende Spinett spielt ein 
leines Fräulein in Stöckelschuhen und weißer Perüde: Papa 
zaydn hat das Wort. Dann drückt der Herr des 
»auses; der Ordensbandgeschmückte, einem dunkeläugigen 
zerrn ein Album in die Hand, schön in Seide de— 
»unden, und die naiven, altklugen, drolligen 
eufzenden und schmachtenden Lieder hören wir, wie Hölty 
Sleim, Kästner, Weißer, Jacobi e tutti quanti sie 
im murmelnden Bache, im Hain der Nachtigall oder an sonst 
inem geeigneten Plätzchen sangen. Der Kavalier reicht dae 
BZuch einer jungen Dame, und schalkhaft spielerische Reime 
chmeicheln sich ins Ohr und lösen behagliche Heiterkeit aus 
Tazwischen erfüllen köstliche kleine Lieder und Arien jedes Herz 
nit süßem Wohllaut, begleitet von den zarten Tönen der 
ilten Spinetts. Dankbar nähern sich die Kadaliere den hol den 
Zängerinnen, wie Honigseim ist ihr Lob, doch selten ohne 
as Pfefferkorn einer kleinen pikanten Pointe. Plaudernde 
hrurpen finden und lösen sich, aus dem Gartensaale loct 
er Blick in liebliche Landschaft mit lustwandelnden Pärchen 
dun läßt ein reiferetr Edelmann sich den Lehnsessel von zwei 
dienern in die Mitte des Gemäaches stellen. Behaglich schmiegt 
r sich hinein, mit listigem Wohlwollen mustert er die auf 
zorchende Versammlung und liest ihr dann die prächtigen 
dierfobeln eines Lichtwer, Gleim, Gellert, gus denen es bies 
veilen wie das Sausen einer unsichtbar geschwungenen Pritsche 
vei der nationalen Gesinnung sei, daß man sie wentiger stän⸗ 
dig a uf den Lippen als mehr im Herzen bekunde. Sodann 
nahm der Redner Gelegenheit, die Stellungnahme seiner Par⸗ 
zei zu den Militärvorlagen und der Besetzung von Staatsstellen 
im Reich eingehender zu begründen. Er trat ferner für völlige 
Bleichberechtigung a ller Erwerbsstände ean, verlangle eine frei— 
heitlichere Gestaltung der Handelspolitik und bekundete im In— 
eresse des gewerblichen Mittelstandes die Bereitwilligkeit seiner 
Partei, ihm in seiner Sorge um die Existenz weitgehende 
Unterstützung zu gewähren. Das gelte zwar nicht der Befür— 
vortung des Befähigungsnachweises, wohl aber der Förderung 
»on Unterrichtskursen, der Verbesserung des Bezuges von Roh— 
toffen und des Absatzes der Produkte, sowie einer zweck⸗ 
näßigen Regelung des Gefängnis⸗ und Innungswesens. 
Bei Berührung der Interessen des neuen Mittelstandes hob 
er insbesondere die Bestrebungen seiner Partei hervor, noch 
in dieser Herbstsessien das neue Pensionsgesetz für Privat— 
angestellte in den Hafen zu bringen. Auf die Arbeiterfrage 
eingehend, wies er hin auf den regen Anteil seiner Partei an den 
sozialen Reformen, insbesondere hob er dabei die Mitarbeit 
an der neuen Reichsversicherungsordnung hervor. Gerade hier 
ei eine große Anzahl von Anregungen und Anträgen seiner 
Pactei entwachsen, von denen einer der arbeiterfreundlichsten 
die Herabsetzung der Altersgrenze von 70 auf 65 Jahre ge— 
wesen sei. Von einer Unüberbrücbarkeit des Gegensahes von 
Arbeitern und Arbeitgebern könne keine Rede sein, das zeige 
ich u. o. deutlich darin, datß gerade in Wahlzeiten die Sozial⸗ 
demokhratie sich als geneigt zeige, ihren Anhängern mit liberalen 
Ideen zu kommen und ihr frasses Ziel möglichst zu ver— 
züllen. 
Die Ausführungen des Herrn Dr. Wiemer, dessen be— 
'annte Taktik es ist, in den Vortrag hineingeworfene nichts 
agende Schlagwörter sozialdemokratischer Halbstarker gebührend 
tief zu hängen und in ein Nichts zu zerpflücken, wurden 
viederholt durch größzre Kundgebungen unterbrochen. Eine 
Beruhigung trat erst ein, als sich im Saale nur noch die 
„anständigen Sozialdemokraten“ befanden. Dieser Ausdruck, 
der aus dem eigenen Kreise fiel, verdient entschieden be— 
ondere Beachtung. Mit großem Applaus trat Herr Dr. 
Wiemer ab. Die kurze Diskussion brachte noch eine Ent— 
gegnung des Kandidaten Klein auf den Zwischenruf „Wahl— 
echtsräuber“. Dr. Wiemer wies zum Schluß die unsinnige 
KTonstruktion „Ausbeuter und Ausgebeutete“, die der ein— 
ige sozialdemokratische Diskussionsredner in die Versamm— 
ung hineinschleuderte, sehr wirkungsvoll zurück. Die Ver— 
ammlung wurde bereits um 614 Uhr geschlossen. Sie stellt 
nach ihrem ganzen Verlauf einen großen Auftakt in dem 
bürgerlichen Reichssstaägswahlkampf dar. 
———— — 0 05e 2k.ee,,,e,e,errerrreer—— 
Neueste Nachrichten und Telegramme. 
Der Tripoliskrieg. 
W. Rem, 16. Okt. Corriere d'Italia meldet aus Tri— 
polis: Nach der Uebernahme des Kommandos durch General 
Caneva wurde in der katholischen Kirche ein Dankgottes— 
dienft abgehalten. Dem Gottesdienst wohnten General 
Caneva, die Behörden, das Konsulatskorps und zaählreiche 
Offiziere bei. Land- und Marinetruppen leisteten Ehren— 
bezeugungen. 
Giornale d'Stalia meldet aus Taserta: VEinige italienische 
Offiziere legten, als sie Kunde von ihrer Freilassung erhielten, 
eine große Freude an den Tag und gaben ihren Kameraden, die 
noch in Caserta bleiben werden, ein Dincr. Türlesche Offiziere 
und Soldaten tauschen mit den italienischen ODifizieren und 
Soldaten tauschen mit den italienischen Offizieren und Soldaten 
Freundschaftsbeweide, sie sind erfreut über die brüder— 
liche Behandlung, deren sie teilhaftig werden. 
Der Herzog und die Herzoginvon Aosta besuchten in 
Neapel das Hospitalschiff des Malteser Ordens. Graf Brazza 
begrüßte im Namen des Großmeisters die Ritter, denen die 
Fahne des Ordens anvertraut worden sei. Das Hospitalschiff 
ging sodann nach Tripolis in See. 
Corriere d'stalia veröffentlicht ein Telegramm aus 
Smyrna des Inhalts, daß die 10000 Personen umfassende 
italienische Kolomie immer beunruhigendere Nach— 
richtenn erhalte. 200 Italiener, zum größten Teil Arbeiter. 
wurden von einer Eisenbahngesellschaft, bei welcher sie arbei— 
teten, entlassen, wodurch der Verkeyr in Unordnung geraten 
ist. Die Italiener werden im Hafen bonkbottiert und die 
Seagelboote neapolitanisser Fieccher beschlagnahmt. 
—ñi— 
klinat. Allgemeine Heiterkeit und Händeklatschen lohnt dem 
trefflichen Gesellschafter, als er mit einer famosen, etwas zwei⸗ 
schneidigen Vointe das Buch zugeklappt hat. 
Und dann will die Jugend ihr Recht: Das erste Pau 
tanzt ein Menuett zu Boccherinis süher Weise, und zwei 
weitere Paare machen den Beschluß der Assemblee mit einer 
Gavrotto nach edler Gluckscher Musik. 
Und wer waren die Mitwirkenden des heiter anheimelnden 
Spiels? Rudolf Schürer las die alten Dichter in Perüde 
»der Zopf, vielleicht anfangs noch mit zu starken Akzenten, 
aber überaus sympathisch. Selma Wuttke fand unüber— 
trefilich den tändelnden Ton und die schäkernde Grazie dieser 
Nippsachen und Arno Hoß war ein prachtvoll altkluger, 
*interhältig sarkastischer Fabelnerzähler. Sofie Betke muhte 
sßoethes Lied an den Miond vortragen, das meines Erachtens 
nicht mehr in das Rokolo der gestrigen Matinée gehört, 
und es schien, als scheute die Vortragende sich angesichts der 
gepuderten. witzelnden Gesellschaft, ein tieferes Gefühl zu offen— 
daren. Das heitere Lied dagegen sprach sie frisch und lebendig. 
Dilly Jansen spielte das Spinett ganz allerliebst, be— 
zleitete die Kolleginnen emsig und gab selbit ein Liedchen 
„um besten: nur eins, aber das wußte sie auswendig. Mar— 
garete Ternitz hätte das „Veilchen“ wohl noch inniger 
vringen können, gefiel aber im übrigen sehr. Ell a Kruse— 
Tiburtius entzückte besonders durch das Schlummerlied: 
ESchlafe. mein Prinzchen“, das sie wunderroll weich und zart 
sang. Axel Holmauist nahm seine Piecen etwas schwer 
und wandte sich ausschließlich ans Publikum. während die 
anderen Herrschaften sich stets im Konnex mit ihrer Umgebung 
hielten. Die beiden alten feinen Tänze wurden subid unt 
vornehm aufgeführt. 
Die originelle einheitliche Darbietung erzeugte bei der 
Hörern dankbares Behagen.» S. OF. 
— 
Das Martin⸗-Greif⸗Zimmer. Im Fälorischen Museum der 
Bfalz in Speier üst jetzt cin Mart in-Greif-Zimmert 
ingerichtet worden. Es wurde vom Dichter testamentarisch dem 
Museum seiner Vaterstadt vermacht. Die Zimmerecinrichtung 
2 trauliches Biedermeier — ist so aufgestellt, wie der Dichtet 
sie selbst in seinem letzten Heim in München gestaltet hatte
	        
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