Full text: Lübeckische Anzeigen 1911 (1911)

Ausgabe 
—RWReeEEa 
Aus den Nachbargebieten. 
—A I 
Samburg, 2.Okt. Direktionsänderungbei der 
Vulkan-Werft. Die Direktoren Fliege und Wallwitz, die 
seit der 1909 erfolgten Eröffnung der Hamburger Filiale des 
Stettiner Vulkan den stark beschäftigten Hamburger Betrieb 
leiteten, sind nach Stettin berufen worden, um dort die 
Geschäftsleitung zu übernehmen. Für die ausscheidenden Herren 
kommen zur Uebernahme der Hamburger Werft die Stettiner 
Ditektoren, Geh. Baurat Flohr, Direltor Stahl, Baurat Schwarz 
und Dr.Ing. Bauer, hierher. Der Vertreter des Baurats 
Schwarz⸗Stettin, Oberingenieur Regierungsrat Paulus, über— 
nimmt als stellvertretender Direktor die Leitung des Schiffbau⸗ 
resserts in Stettin. Im Zusammenhang mit dieser Direktions— 
verschiebung stehen auch Veränderungen innerhalb des Beamten⸗ 
körpers des Vulkan bevor. 
Schhleswig⸗ Holstein. 
Kiel, 2.. Okt. Wegen Totfchlags in der Baracke 
in Rosenkianz standen Sonnabend die Erdarbeiter Michel Trus 
und Max Baxczinski vor dem Schowurgericht. Sie sollten den 
Aufseher Rinkowsli so schwer mißhandelt haben, dah er starb. 
Tous wurde zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, Barczinski 
freigesprochen. 
Oldesloe, 2. Okt. Durch einen Fackelzug ge— 
ehrt wurde von den Schülern der Oberrealschule der ordent⸗ 
liche Lehrer an dieser Anstalt, Wilh. Jürgens, der an der Anstalt, 
deren ganze Entwickelung er mit durchgemacht hat. von 1877. 
bis jetzt mit großer Treue und anerkanntem Erfolg tätig ge— 
wesen ist. — Ein „bewährter“ Rachtwächter. In einem 
Dorfe unseres südlichen Kreises hatten die Bauern den Bock 
zum Gärtner, in diesem Falle zum Nachtwächter, gemacht. Der 
Hüter des Dorfes soll die Dunkelheit und zigleich auch die Ge— 
legenheit benutzt haben, sich von den Bauern auf sehr billige 
Weise Huhner, Enten, Aepfel und Birnen zu verschaffen und 
diese Dinge. da er am Tage Händler war, in Hamburg ver—⸗ 
kauft haben. Der ganze Erlöss war bar verdient. Das kam 
aber den Bauern zu hoch vor und sie setzten den „treuen Wächter“ 
in den Ruhestand, doch ohne Pension. Vorläufig geht nun, 
so schreibt der Oldesl. Landb., das Amt des Nachtwächters „um“. 
Selgaoland, 2. Okt. Südo st stur m. Der Finken⸗ 
wärder Ewer 238 wurde durch den Sturm an Land geworfen 
und strandete ant Bollwerk des Nordstrandes. Tis Mannschaft 
wurde von der Helgoländer Rettungsmanmschaft mittels Leinen 
an Land geholt und gerettet. 1 
JMeumunster, 2. Okt. Der älteste Lehrer der 
Provinz Schles wig-Holstein, Rektor Tanck, Kampf⸗ 
genosse von 1848/51, tritt, nachdem er viele Jahre die 1. Knaben⸗ 
Mittelschule geleitet hat, nach 59jähriger Amtstätigkeit in den 
Ruhestand. — Opfer übermähßigen Alkoholgenusses. 
In Groß-Kummerfeld trank der landwirtschaftliche Arbeiter 
Hörner ein halbes Liter Schnaps und sank dann tot zu Boden. 
— Ertrunken. Bei einem Wettschwimmen ertrank der einzige 
Sohn des Invaliden Kühl, der Tuchmacher August Kühl. 
Schleswig, 2. Oft. Auszeichnungen. Frau Land-— 
rat Icsenhine von Ichirschnitz in Sonderburg wurde die Rote— 
Kreuz⸗Medaille zweiter Klasse, Frau Privatiere Marie Tödten 
in Flensburg, Frau Bürgermeister a. D. Justizrat Mathilde 
Schlichting in Neumünster. Frau Geh. Regierungsrat Kuntze 
in Schleswig, Fräulein Auguste Müllenhoff in Marne und 
Frau Amtsvorsteher Amsinch in Lemkendorf auf Fehmarn die 
Rote⸗Kreuz⸗Medaille dritter Klasse verliehen. — Mit der 
Herstellung einer größeren Zahl von Nachbil-— 
dungen der Schleswiger Runensteine in Alabaster 
für die Bremer Schulbehörde ist zurzeit Bildhauer Sünssen 
Theater, Kunst und Wissenschaft. 
Lübed, 2. Oklt. 
Stadthallen⸗Theater. 
„Pension Schöller“, 
VPosse in 3 Aufzügen ron Carl Laufs. 
„Ein Idyll auf dem Priwall“, 
Schwank in LAkt von Ernst Albert. 
Es ist bedauerlich, dah aus der prachtvollen Idee, auf 
ber „Pension Schöller“ sich aufbaut, nicht mehr geworden ist, 
als diese immerhin noch recht amüsante Karikaturensammlung. 
Die Idee hätte für ein echtes Lustspiel mit geistvoll chargierten 
Persönlichkeiten ausgereicht. Und doch hat das Stück, wie 
es nun einmal ist, immer noch Zugkraft. Es bietet zu viel 
dankbate Rollen und drollige Szenen, und hat, einigermaßen 
flott gespielt, keine einzige leere Partie oder Flickszene. 
Und es wurde flott gespielt. Die Komik wurde nicht 
schüchtern angedeutet, sondern lerzhaft gepackt, dafür ist's 
ein Schwank, und doch waltete bewußte Beschränkung. Viel— 
leicht hätte nur Anna Gerlach ihre mütterlichen Gefühle 
noch ein klein wenig dämpfen können, auch Marta Römer, 
dis sich begreiflicherweise als von Laufs scheußlich karikierte 
Schriftstellerin unbehaglich fühlte, tat des Guten manchmal 
ein wenig zu viel. Ganz prächtig spielte Schweisguth 
den alten Klapproth. Er wirft seine Pointen so treffsicher, 
dabei so legoère und trocken hin, daß sie unfehlbar zünden. 
Und niemals reißt er sie aus dem Gefüge der Sätze und des 
Gespräches heraus. So ist es auch mit seiner äußherlichen 
Erscheinung und seinem Mienenspiel. Schweisguth macht nichts 
der komischen Momentwirkung zuliebe, alles strömt natürlich 
aus der behaglichen Komik einer an sich keineswegs lächer— 
lichen Persönlichkeit, die erst durch die verzwickten Situationen, 
in die sie gerät, freilich nicht ohne eigene Schuld, unwider- 
stehlich komisch wirkt. Sehr sympathisch waren Arno Hoß 
und Rudolf Schürer in ihren gemäßigt komischen Rollen. 
Zum eigentlichen Lachkabinett gehören dann noch der Major 
und der Schauspieler ohne L. Kurt Böohme hätte den 
pensionierten Militär weniger fahrig, sondern steifer und ver— 
argerter, bitterer auffassen dürfen. Seine Art, sich zu bewegen, 
war ganz unmilitärisch. Der Schaufpieler kann auch die 
schlimmste Karikatur des Autors durch scharf beobachtete Standes- 
eigentümlichkelten noch ꝛu einer glaubhaften Figur vermensch⸗ 
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Montag, den 2. Oktober 1911. 
Abend⸗Blatt KRr. 499. 
beschäftigt. Jede der höheren Schulen Bremens wird einen Satz 
oer Runensteine zu Unterrichtszwecken erhalten. 
Eiderstedt, 2. Okt. Eine eigentümliche Erschei— 
rung zeigen in dieser Zeit die an der Gardinger Chaussee 
tehenden Eschen. Wie ein Beobachter mitteilt, haben in den 
etzten Tagen die blätterlosen Bäume neue Triebe angesetzt, 
zie sich zu vollen grünen Blättern entwickelt haben. 
Heide, 2. Okt. Die Champignons, die edelsten 
Tafelpilze Deutschlands, kommen auf den Weideflächen in der 
Marsch und besonders auch auf der Geest in diesem Jahre in 
olchen Mengen vor, daß sie stellenweise schon in Säcken zu nie— 
rigen Preisen feilgeboten wzerden. Die Qualität dieser Pilze 
st in diesem Jahre vorzüglich. 
Tondern, 2. Okt. Ausschreitungen. Bei dem hier 
abgehaltenen Jahrmarkt kam es zu schweren Ausschreitungen, so 
daß die Gendarmerie blank ziehen mußte. Dabei wurde dem 
Irbeiter Jakobsen, der gegen einen Gendarmeriewachtmeister tät⸗ 
ich vorging, ein Ohr abgeschlagen und dem Reservisten Jürgensen 
der Schädel gespalten. DTie Schwerverletzten wurden in das 
Krankenhaus gebracht. 
Großherzogtümer Mecklenbureggg. 
— Schwerin, 2. Okt. Geh. Hofrat Bürgermeister 
Tackert wurde anläßlich seines Scheidens aus dem Amt zum 
xkhreicbürger Schwerins ernannt. Der Großherzog ließ ihm 
in sehr schmeichelhaftes Schreiben zugehen. Tackert wurde 
877 Senator, 1883 zweiter Bürgermeister, 1898 erster Bürger⸗ 
neister von Schwerin. — Professor Dr. Ernst Stein— 
rann, Direktor der Schweriner Gemälde-Galerie, schied gestern 
uis seinem Amt, um sich in Zukunft ausschließlich literarischen 
Irbeiten zu widmen. Sein Nachfolger ist Dr. Walter Josephi, 
in geborener Rostocker, bisher Assistent am Germanischen Museum 
u Nürnberg. Der neue Direktor ist ein Schüler Berthold 
diehls in München und ist bisher mit einer Arbeit über 
ie gotische Steinplastik Augsbucgs hervorgetreten. — In 
»as Eigentum des Großherzogs übergegangen 
st das Nebengut Thorstorfer Mühle des Allodialgutes Klein⸗ 
Palmstorf, Amts Grevesmühlen. Gleichzeitig ist es dem Groß⸗ 
eizoglichen Domanium inkameriert worden. Seine Verwaltung 
it durch das Großherzogliche Finanzministerium, Abteilung für 
domänen und Forsten, dem Großherzoglichen Amt Greves⸗ 
rühlen übertragen worden. 
Güstrow, 2. Okt. Geh. Hofrat Bürgermeister 
Züsserott trat Sonnabend in den Ruhestand. Der Groß— 
zerzog sandte ihm ein Handschreiben und sein Bild mit Wid— 
nung. Eüsserott wurde 1868 Bürgermeister in Laage, 1882 
n Güstrow. 
Klütz. 2. Okt. Das Feueranzünden durch 
Betroleum hat hier wieder einen schweren Unfall herbei⸗ 
zeführt. Die 9jährige Tochter des Tagelöhners B. wollte 
u Abwesenheit ihrer Mutter Feuer anzünden, um das Mittag- 
ssen zu bereiten. Hierbei benutzte sie zum Feueranzünden 
ie Petroleumkanne. Diese explodierte und das brennende 
zetroleum ergoß sich auf die Kleider des unglücklichen Kindes. 
has Geschrei der Kleinen wurde von einer Nachbarin gehört, 
»ie das Feuer löschte und der Kleinen das Zeug vom Leibe 
chnitt. Die Beine und der rechte Arm des Kindes sind schwer 
derbrannt, während das Gesicht unverletzt geblieben ist. 
—88 Grevesmühlen, 2. Ott. Auszeichnung. Dem 
Amtslandreiter Diehn wurde anläßlich seines Ausscheidens aus 
em Dienst vom Großherzog dessen Bildnis verliehen. — 
TDen Zuschlag erhielt auf sein Pachtgebot von 18 500 M 
rür den Pachthof Gutow für die Pachtzeit von 1912 -1928 
der Landmann Gau, Neubrandenburg. — Blumenpflege 
durch Schulkinder. Die im Frühling d. J. vom Obst- 
und Gartenbauverein an Schülerinnen zur Verteilung gelangten 
X 
Pflanzen wurden am Sonnabend wieder zurückgegeben. Von 
Freunden der Sache waren 20 Preise zur Prämiierung zur 
VBerfügung gestellt. — Sein 50jähriges Meisterjubi— 
äum beging gestern der Schneidermeister Karl Wolter, Ha⸗ 
genow. Die hiesige Schneiderinnung. deren Mitglied der Ju— 
hilar ist, ließ ein Ehrendiplom überreichen. 
dortiucc »ten. 
(Mitgeteilt vom Sportbureau Joh. Ganzel, 
Hamburg J. F.: IV. 3700/3791.) 
NRennen zu Werkin⸗Grunecwald, 1. Okt. Tribünenrennen. 
zartguß (GBulloch) 1. Phantasie 2. Margarete 3. Tot.: 
0: 10. Platz 13, 18, 14: 10. — Oktober⸗Handikap. Rosella 
Foy) 1. Germania J (Jentzsch) 2. Ordner 37. Wanderbursch 
z37. Tot.: 44: 10. Platz 15, 13, 12, 11: 10. — Pre's von 
Zteinach. Sarolta GBleuler) 1. Eilige 2. Clou 3. Tot.: 
287: 10. Platz 55, 13, 23: 10. — Deutsches Saint-Leger. 
34000 M. Royal Flower (T. Rice) 1. Don Cesar 2. Pan⸗ 
agrull 3. Tot.: 38: 10. Platz 17, 17: 10. — Deutsches 
Jagdrennen. Florian (G. Winkler) 1. Edelmann 2. Tot.: 
32: 10. Platz 17, 12: 10. — Tattersall⸗Jagdrennen. Plateas 
Bride GBraun) 1. Fast Lady II 2. Manco III 3. Tot.: 
26: 10. Platz 17, 36, 72: 10. — Preis vom Großen Stern. 
Fairo (Shurgold) 1. Batbara II 2. Tot.: 16: 10. Platz 
18, 19: 10. 
—Rennen zu Budapest, 1. Okt. Saint-Leger. Kassandra 
Winkfield) 1. Vivid (Hewitt) 2. Schill (H. Aylin) 3. Tot.: 
241: 10. Platz 110, 61, 64: 20. 
Rennen zu Paris-Vo's de Boulogne, 1. Olt. Prix Ver—⸗ 
meille. Tripolette (J. Reiff) 1. La Grave 2. La Boheme II 
3. Tot.: 16: 10. Platz 13, 22: 10. — Prix de Villebon. 
20000 FIrs. Consols (J Reiff) 1. Lahire 2. Matchleh 3. 
Tot.: 88: 10. Platz 37, 17: 10. 
bermischtes. 
Herbstgold. 
Von Frieda Keller. 
Welch' ein Glänzen! — An Baum und Strauch 
Hängen zartgoldene Schleier! — 
Und im Glase perlt funkelnder Wein 
Goldig zur Spätherbstfeier! 
Spinngeweb' und Mariengarn 
Straͤhlen in goldenem Schimmer 
Wie ein Gespinsi von der Elfen Hand — 
Wundersames Geflimmer! — IJ 
Hier und dorten und Aberall, 
Wohin die Bliche auch gleiten. J 
Seh' ich in herrlicher Märchenpracht 
Leuchtendes Herbstgold sich breiten. 
CK. Eine Statistik der drahtlosen Telegraphie. Einen tu 
eressanten Ueberbl'ck über die wachsende Bedeutung und Ver—⸗ 
»reitung der drahtlosen Telegraphie gibt das Berner inter⸗ 
nationale Telegraphenjournal in ciner Statistik, die die letzten 
»rei Jahre nebene nander stellt. Am 1. Januar 1909 waren 
insgesamt 92 Stationen sür drahtlose Telegraphie auf dem 
Erdboden in Tätigkeit, während man zugleich ba 416 Schiffen 
Vorrichtungen für Funlsprüche feststellen konnte. Ein Jalet 
später war die Zahl der Stationen auf der Erde bereits 
auf 136 und die Zahl der Funksprucheinrichtungen auf Schiffen 
auf 619 angewachsen. Am 1. Januar 10911 dagegen waren im 
Betriebe: 219 auf sestem Lande errichtete Stationen für draht⸗ 
lose Telegraphie, während an dem gleichen Zeitpunkte fast 
lausend, genau 88, Seeschiffe Funlsprucheinrichtungen auf⸗ 
aiesen. 
lichen. Heydecker schöpfte die Komik des Eugen Rümpel, 
zieser verrüdten Rolle, der die „Pension Schöller“ ja eigentlich 
hre Popularität verdankt, noch nicht ganz aus. Einzelne 
ündende Momente verwischte er durch eine gewisse Fahrig-— 
eit, welche ihn hinderte, seine Komik zu konzentrieren. DTie 
damen, welche der Liebe im letzten Aufzug zum Triumph 
Arhelfen, treten vor den derberen Rollen in „Pension Schöller“ 
a stark zurück, aber auch sie wucden graziös und schalkhaft 
gespielt. 
Und dann hatten wir wieder eine Uraufführung von 
kinst Albert. Tas „Idyll auf dem Priwall“, ein Badekabinen⸗ 
tück im Freien, hat die originelle Situation für sich voraus: 
ine Reminiszenz an den tropischen Sommer. Ihr verdanken 
eier der Mitwirkenden, daß sie im Badeanzug agieren, dürfen“. 
zuweilen scheint auch Alberts Phantasie im Wasserkostüm ein— 
erzuwandeln. Noch eine zweite Reminiszenz ist nicht ganz 
inbeteiligt: Herrn Albert scheinen die Erfolge der Sketches— 
Truppen schlaflose Nächte bereitet zu haben. Jedenfalls war 
»er Austausch der boshaft verschleppten Kleidungsstücke und 
ie antiken Gewandungen am Meeresstrand in Alberts Schwank 
veit harmloser und schliehlich auch wirklich komischer, als das 
wige An-⸗ und Ausziehen im Schlafzimmer. Ein echter Lokalton, 
urch hübsche Bonmots gehoben, gibt dem Ganzen eine ge— 
nütliche Färbung. In hübscher Ausstattung und gut gegeben 
sst der kleine Scherz recht unterhaltend. Das lustige, über—⸗ 
mütige Spiel der Damen Marie Hilbrecht und Marta 
Römer, der Herren Schiürer und Hoß übertrug die Cham— 
agnerstimmung der Bühne aufs Publikum. Nowack (Konsul 
Martens) hatte leider fast „nichs to seggen“, sein Sohn wußte 
elbst, was er wollte, und Herr Albert war eine drollige 
Selbstparodie. — 
— — — — — — 
Dramen bemächtigen. Dann werden sich die Theater, die ohne⸗ 
hin in den „Kientöppen“ eine harte Konkurrenz haben, ge— 
nötigt sehen. durch Preisausschreiben und andere Locmittel die 
noderne Vühnenliteratur auf umunterr; um die gute alte Schau—⸗ 
hühne zu neuem Blühen zu zwingen. 
Solche Neublüte ist nicht dadurch herbeizuführen, daß es 
den Protesten der Theater gelungen ist, das Reservatrecht der 
Damen, ihre Riesenhüte in die Logen mitzuschleppen, bis auf 
veiteres zu retten. In den Logen werden also auch zukünftig 
»ie Damen ihren Hintermännern die Aussicht auf die Bühne 
errammeln. Aber im Laufe der Zeit werden wohl die Theater⸗ 
eiter einsehen, daß es für die Kasse nicht vorteilshaft ist, wenn 
die Männer aus den Logen vertrieben werden. 
Vom Residenztheater dringt die Kunde des Rücktitts 
Alexanders. Diese Nachricht hat erschütternd gewirkt. Einer 
meiner Freunde sagte mir, er wäre imstande, eine ganze Spiel- 
zeit ohne den jetzigen Reichskanzler zu leben, aber dies wäre ihm 
ohne Alexander absolut unmöglich. Einen Friedensbruch 
könne ein anderer Reichskanzler oder ein ähnlicher Kiderlen— 
Waechter durchaus glatt und ohne schlimme Folgen aus— 
gleichen, aber ein Ehebruch könne nur von Ale Xander zu 
allgemeiner Befriedigung und Belustigung begangen oder er— 
duldet werden. 
Die Nachricht, daß die Lustbarkeitssteuer im unseligen Keim 
erstickt worden ist, hat einen Erfolg zu verzeichnen, wie seit 
langer Zeit keine andere. Vermutlich atmen die Theaterdirek— 
toren auf, welche so lange an Atemnot gelitten haben, beson— 
ders wenn ihnen die leeren Bänke einfielen, vor denen an den 
meisten Abenden der Woche gespielt würde. Man sollte die 
Büsten der Stadtväter, welche die Lustbarkeitssteuer erfunden 
hatten, in der Schreckenskammer des Panoptikums aufstellen, 
um auch für die Zukunft zu sorgen, daß dieses vernichtende 
Steuerprojekt nicht wiederkehre. 
Vor allem sollte doch erst festgestellt werden, was denn 
igentlich eine Lustbarkeit sei. Wie selten ist z. B. die Theater⸗ 
vorstellung eine Lustbarkeit! War etwa der Pantomimenabend 
des Dichters Hugo v. Hofmannsthal eine Lusibarkeit? Nein, 
m Gegenteil, eine durch die Wiesenthalsche Tanzunkunst ver— 
tärkte Unlustbarkeit. Es gibt in Berlin wirkliche Lustbarkeiten. 
Zu diesen sind die zahllosen Ehescheidungen zu zählen, auch die 
Durchquerung einer Straße, ohne daß der Fußqünger von einem 
Zweiradknoten oder einer Zweiradknotin in den Abgrund ge— 
adelt wird. Das sollte von den Steuererfindern des Berliner 
Rad⸗Haufes e inmal berucksichtigt werden. 
Berliner Brief. 
Von Julius Stettenheim. 
Die Theaterspielzeit hat begonnen. Die ersten wirklichen 
und die ersten Achtungserfolge sind zu verzeichnen. Achtungs⸗ 
erfolge nennt man solche Nichterfolge, die es möglich machen, 
daß der Autor auf das stürmische Verlangen der Direktion vor 
dem Publikum erscheint, um dem halb überfüllten Hause zu 
zeigen, wer der schuldige Teil sei. 
Die klassischen Dramen werden sich allmählich der Zirkusse 
bemächtigen, oder umgekehrt werden sich die ausverkauften Zir— 
kusse, des trokenen Tons der Pantomimen satt, der klassischen
	        
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