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Ausgabe A. Sonntag, den J. Oktober 191.
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Morqen⸗Blatt KNr. 497.
Cagesbericht.
Lübeck, J. Ollober.
Zum Erntedankfest 19141.
Das war ein heißer, dürrer Sommer, wie seit Jahrzehnken
nicht mehr! Gewiß war das Ernteergebnis in den verschiedenen
Begenden Deutschlands verschieden, und in manchen Distrikten
ieht es nicht entfernt so traurig aus, wie in anderen; die
Möglichkeit eines gewissen Ausgleiches ist also immerhin noch
borhanden; aber im ganzen ist die Ernte des Jahres X
doch zu den mageren zu rechnen; größere Viehseuchen, die hie
ind da auftraten, haben das ihrige dazu beigetragen, die Lage
roch ernster zu gestalten, und die betrüblichen Folgen haben sich
n einer zum Teil rapiden Steigerung der Lebensmittelpreife
zereits geltend gemacht, die für den kommenden Winter, ins⸗
zesondere für die Bewohner der größeren Städte, wenig Gutes
erspricht. Und in den Ernst dieser Lage klingen nun die
Flocken zum Erntedankfest mitten hinein! Ja, ist denn
das Serz der Produzenten und Konsumenten heuer auch wirklich
um Danken aufgelegt? L'egt dem diesmaligen Erntedankfest
uicht eher eine alte, sich wahllos fortvererbende Gewohnheit oder
ein gelinder kirchlicher Zwangz als ein lebendig religiöses Be—
dürfnis, eine innere Nötigung zum Danken, zugrunde? Wir
wollen uns weder mit optimistischen noch mit einigen üblichen
frommen Redensarten selbst betrügen, sondern ehrlich der be—
drückten Lage, wie einer gewissen Verwirrung und Verstimmung
der Geister ins Antlitz schauen und ruhig deren geheime oder
offene Frage aufgreifen: „Wenn Gott der Gott der Liebe ist,
warum schüttet er denn nicht das Füllhorn seiner Gaben be—
tändig und reichlich auf uns aus? Haben wir nicht schon genug
Sorgen, als daß noch diejenigen der Nahrung dazu kommen
müssen?“ Bei dieser Frage macht sich bereits eine eigentüm—
liche Erscheinung geltend: Man setzt sich plötzlich, wenn nicht
grollend, wieder zu Gott in Beziehung, nach dem man in den
Ffetten“ Jahren herzlich wenig oder schlechtwes garnicht mehr
zefragt hat! Es wird ein Gefühl des Unbehagens, der Ent—
däuschung darüber wach, daß wir Menschen doch noch von Bedin⸗
gungen höherer Art abhängig sind, die wir nicht nach unserm
Willen und Behagen meistern können. Und da fällt uns plötzlich
pieder, ob wir wollen oder nicht, der „alte Gott“ ein, und
vir stellen ihn schleunigst wegen seiner „mangelnden Liebe“ zur
Rede! Das ist, im Ernst geredet, ein Gewinn, der schon
einmalse ine magere Ernte wert ist. Denn jeden Ehrlichen mun
jede eine Erwägung sehr rasch zu der anderen führen, daß nach
einer Grundordnung der Natur zum Lieben stets zwei gehören!
Verlangen wir, durch jede anormale Schwankung daran erinnert,
daß Gott uns mehr liebt, wie steht es denn da eigentlich
mit unserer bisherigen Liebe zu Gott? — Ja, wer ist Gott!
heißt es dann womöglich. Es kam einmal Einer mit Voll⸗
nacht, der hat das so wahrhaft göttlich schlicht uns gesagt, daß
es für alle Zeiten bestehen bleibt: unser Vater! So sind wir
eine Kinder. Nun bestehen aber wechselseitige Verpflichtungen
wischen Vater und Kind! Wenn diese natürlichste Wahrheit
hon einem Teile immer mehr übersehen wird, können wir uns im
krust wundern, daß der andere Teil, nun auch einmal durch
bersagen, an seine Existenz erinnert? Dder meinen wir, Gott
werde auch nur im gerinasten in fseiner Existens behelliat wenn
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wir erklären, er sei nicht, und habe daher auch keinen Einfluß
ruf Saat und Ernte? — So können auch Mißiahre für ein
holk zu Segensijahren werden, eine große, tiefe Predigt, und sie
»ird dann immer noch mit einem Dank enden, der aus dem
jerzen kommt dafür, daß Gott doch nach wie vor noch seine
Zonne aufgehen läht über Gerechte und Ungerechte, und immer
och weit mehr die Liebe ist, als wir nur zu ahnen vermögen!
Zum Projekt einer Eisenbahnverbindung Samburg —
zübecd — Fehmarn —Kopenhagen brachten wir im gestrigen
Morgenblatt eine dem Anzeiger für das Fürstentum Lübech zu
kutin entnommene Notiz aus Altona, worin die Ansicht ver⸗
reten wurde, daß voraussichtlich nicht die Linie Lübech —Neustadt,
ondern vielmehr das Bahnprojekt Hamburg — Segeberg — Neu⸗
adt berufen sein werde, die geplante neue internationale Eisen⸗
ihnverbindung Hamburg — Fehmarn —Kopenhagen der Verwirk⸗
chung näher zu bringen. Die z reußische Eisenbahnverwaltung
ehle dem Projekt Hamburg — Segeberg — Neustadt sehr sym⸗
athisch gegenüber, namentlich auch deshalb, „weil dann Lübed
rit seinen Privalbahnen abgeschnitten sein würde und die in⸗
rnationale Linie fast ausschließlich auf preußischen Boden zu
egen käme.“ — Es ist schon mehrfach versucht worden, für das
zrojekt Hamburg —Segeberg — Neustadt dadurch Stimmung zu
achen, daß diese Strecke als das geeignetste Mittelglied der pro—
ktierten großen Fehmarnroute hingestellt wurde. Man braucht
erartigen Ideen wirklich keine übertriebene Bedeutung beizu—
nessen. Es ist wiederholt auch von uns darauf hingewiesen
wrden, daß die Route Hamburg — Segeberg —Neustadt in kilo⸗
ictrischer Hinsicht gegenüber der Linie Hamburg — Lübeck — Neu⸗
adt wahrscheinlich überhaupt keine Verkürzung, günstigstenfalls
ber nur eine solche von wenigen (etwa 6) Kilometern bedeuten
rde. (Die Durchschneidung der holsteinischen Schweiz zwischen
zegeberg und Neustadt ist zwar auf der Karte leicht, bietet
doch in Wirklichkeit ganz erhebliche Terrainschwierigkeiten.) Vor
llem aber: mögen vielleicht in Sibirien Eisenbahnen nach dem
zineal gebaut werden — der Weg großer internationaler Routen
on der Bedeutung der Fehmarn⸗-Linie wird durch andere Er—
ägungen bestimmt. Es ist schlechterdings unmöglich, auf einer zur
zermittlung des Verkehrs zwischen Nordwest⸗-Deutschland und
zkandinavien bestimmten Route eine Stadt wie Lübech, die von
stersher einer der bedeutendsten Vororte des deutschestandinavi—
hen Handels gewesen ist, aus dem Grunde zu umgehen, weil
amit vielleicht die Reisedauer um ein paar Minuten abgekürzt
rerden könnte. Und auch die preußische Eisenbahnverwaltung
ürde, selbst wenn sie wollte, schwerlich die Macht haben, den
nternationalen Verkehr auf einen Weg zu zwingen, den dieser
gerkehr nach seinen Traditionen und Bedürfnissen niemals
rehmen kann und wird. Daß die preußische Eisenbahnverwal-—
ung ein solches Vorgehen ernstlich im Sinne haben sollte, um
ie Lübecker Privatbahnen zur Verstaatlichung „mürbe zu machen“,
alten wir für gänzlich ausgeschlossen. Was würde wohl die
ffentliche Meinung zu einem so deffensichtlichen Gewaltakt
ßreußens gegen den Bundesstaat Lübech sagen! — Die Quelle
zer einleitend bezeichneten Zuschrift kennzeichnet übrigens die ihr
virklich zugrunde liegenden Gedanken.“
Lübeder Maschinenbau⸗Gesellschaft. An der gestrigen
Zerliner Börse ist der Kurs dieser Aktien abermals herab—
gesetzt und zwar auf 76.
»*Ihr 28 jühriges Geschäftsjubiläum feiert heute die
Firma Gebr. Peckelhoff, Getreide- und Futterhandlung. Aus
kleinen bescheidenen Verhältnissen hervorgegangen, haben die
Zzerren Gebr. Pecelhoff es verstanden, durch Fleiß und reelle
heschäftsprinzipien die Firma zu achtunggebietender Höhe am
hiesigen Platze zu bringen. Der Kundenkreis ist ein sehr großer.
Nicht allein am hiesigen Platze, sondern in Mecklenburg, Schles⸗
vig⸗Holstein, Lauenburg und Hannover hat die Firma einen
zuten Klang. 2* IJ
⸗40 jähriges Jub läum. Am heutigen Tage feiert Fräu—
ein Marie Fischer, im Hause der Frau Senator Dr. Plessing.
hr 40 jähriges Jubiläum. Während der langen Jahre hat
ie der Familie in Freud und Leid stets treu zur Seite ge⸗
tanden.
*Stapellauf. Sonnabend nachmittag um 3 Uhr lief auf
der Schiffswerft von Henry Koch Aktiengesellschaft ein Fracht⸗
»ampfer glücklich vom Stapel. Der Dampfer, für die Firma
A. Kirsten in Hamburg bestimmt, wurde auf den Namen
„Mosel“ getauft. Die Dimensionen des Dampfers sind: Länge
in der Wasserlinie 213 Fuß englisch, Breite auf den Spanten
32 Fuß 9 Zoll engl., Seitentiefe 135 Fuß 9 Zoll engl. Die
Tragfähigkeit beträgt 1400 Tons d. w. Die Maschine wird mit
Lentilsteuerung und überhitztem Dampf nach Patent Schmidt
rbaut und wird zirka 750 Pferdestärken entwickeln, die dem
Schiff eine Geschwindigkeit von 10 Knoten in der Stunde zu
geben imstande sein werden.
S 50. Jub läum: sängertag des Niedersäch ischin Sänger⸗
zundes Lübech 1912. Zu der am Freitag abend im Bürger—
zerein vom Bundesrat des N. S.B. einberufenen Versamm—
ung der Bundesvereine waren die Vorstände fast vollzählig er—
chienen. Vertreten waren die Gesangvereine Harmonie, Lübecker
Liedertafel, Liedertafel des Gewerkvereins, Männergesangverein
Tthalio, Liederkranz Concordia und St. Matthaei-Liedertafel.
Der Vorsitz in der Versammlung wurde dem Bundessprecher
darl Dettmann übertragen. Nach einer kurzen Begrüßung der
krschienenen wurde zur Wahl ernes geschäftsführenden Aus—
chusses geschtitten und in denselben die Vorsitzenden der Bundes⸗
nereine L. Kirchmann, K. Schröder, C. Schönwaldt, R. Siem
K. Dettmann, J. Tath gewählt. Der geschäftsführende Aus—⸗
cchußj hat sich nach Bedarf durch geeignete Zuwahl zu erweitern
und die Unterausschüsse zusammenzustellen. Das den Bundes⸗
zereinen vom Bundesrat vorgeschlagene Festprogramm gelangte
Asdann zur Besprechung und es hat der geschäftsführende Aus—
chuß die vorgebrachten Münsche nach Möglichkeit zu berüchichtigen.
Lin endgültiger Beschluß wurde von der Versammlung nur ir
bezug auf den Termin für das Fest gefaßt und hierfür Sonn
1bend, 8. Juni, und Sonntag, 9. Juni 1912 festgelegt.
b. Koeczalski⸗Konzert. Wie wir bereits mirgeteilt haben,
indet der erste der angezeigten Klavierabende des Herrn Raoul
bon Koczalski Donnerstag, 5. Oktober, 72 Uhr abends, im
Marmorsaale statt. Der gefeierte Künstler hat die von ihm
um Vortrag gewählten Werke auf den Inhalt analysiert und
»is darin-vorhandenen Schönheiten hervorgehoben, indem er
iner jeden Analyse noch einige ästhetisch-kritische Betrachtungen
olgen läßt. Diese Erläuterungen sind in der Form eines Pro
gRramms abgefaßt und werden jedem Konzertbesucher eine will—
kommene Einführung lsein
Eine Winterfahrt nach Cripolis.
Im Winter 1907 hat der Generallt. z. D. v. Hoffmeister
bie Stadt Tripolis besucht. In seinem Werke „Aus Ost und
Süd“ berichtet er von seinen Eindrücken. denen wir folgendes
entnehmen: 9—
Aus dem heimatlichen Winter zog ich um die Mitte des
Januor hinaus, die Sonne zu suchen. Schon lag Malta hinter
nir, als ich nach bewegter Fahrt eines Morgens, auf das
deck heraustretend, weit im Süden, gleichsam auf dem Walser
chwimmend, einen schmalen weißen Streifen schimmern sah,
zer sich allmählich verbreiterte und erhöhte und zu Mauern
ind eng aneinander gedrängten Häusern formte. Sie sind
würfelartig und dachlos und werden überragt von weit ge—
völbten Kuppeln, schlanken, kerzengleichen Minaretts und von
»er mächtigen Masse einer unmittelbar aus dem Meere auf—
teigenden malerischen Burg — alles blendend weiß wie Mar—
nor, und zwischen dem tiefen Blau von Himmel und Wasser
erzitternd im Widerspiel und überflutet von dem flimmernden
Flanz der Sonne. Nach rechts hin wird das wunderbare
Bild durch eine auf weit vorspringender Landzunge gelegene
altertümliche Befestigung abgeschlossen, nach links ziehen sich
am Gestade entlang, so weit das Auge reicht, ũppig grüne
Gärten mit zahllosen Palmen, deren zierliche Federkronen ein
eiser Lufthauch bewegt. Zwischen ihnen leuchten einzelne Häus—
hen und in Kuppelform gehaltene Grabdenkmäler hervor. Rück—
wärts dehnt sich eine gelbe, allmählich ansteigende Fläche, in
veitester Ferne begrenzt durch scharf gezeichnete. in violetten
Duft gehüllte Höhen.
Die Stadt ist Vripolis, das Land Afrika, der Höhenzug
zer Hochrand der Sahara. Der Anblich ist eigenartig und
esselnd zugleich. Sind aber erst die gefährlichen Klippen
Nücklich überwunden, welche die Einfahrt in den wenig ge—
chützten Hafen verwehren und über die mit ewigem Sturmlied
veißköpfige, brandende Wogen warnend hinüberpoltern, und
zetritt man nach schwankender Bootfahrt eine schmale Treppe,
den Aufgang zu dem elenden türkischen Zollgebäude, so sucht
»as Auge vergeblich die vermeintlichen Marmor- und Alabaster—
zauten; sie sind verschwunden und in schmuckllose, schmutzig⸗
veiße Häuser und Mauern verwandelt. Auch hier die alte Er—
ahrung. daß im Süden und im Orient gar häufig die
Ferne entzückt, die Nähe enttäuscht. Das Licht, das von
weitem Erde und Steine verschwenderisch in leuchtende Farben-
föne hüllte, umgibt uns auch weiter mit gleichem durch-—
ichtigen Schimmer, doch die Farben sind verblaßt — Erde
yird zu Erde, Stein zu Stein.
Hier ist im wesentlichen alles unberührt geblieben, und
ibgesehen von ein paar Neubauten und teilweiser Pflasterung,
at die Zeit nichts geändert; spurlos fast scheinen die Jahr—
underte vorüber gegangen zu sein. Während wir Algier,
zunedien und besonders Aegypten unter europäischem Einfluß
n erstaunlicher Entwicklung begriffen sehen, liegt Tripolis ab—
eits, wie ausgeschaltet aus der Bewegung der Völker, und
ristet zwischen den Ausbuchtungen der Großen und Kleinen
-„yrte, plattgetreten vom Fuße des Türken, ein kümmerliches
Ddasein. Wer heute durch die engen, vielfach mit Bogen
berspannten Gassen und die armseligen, steingewölbten oder
regen den Sonnenbrand sonst überdachten Bazare — Ssuks —
randert, wird sich nur schwer eine Vorstellung davon machen
önnen, daß zur Römerzeit hier eine reiche Kolonie, Oeg,
eblüht hat, die mit zwei nahegelegenen Schwesterstädten, Leptis
Nagna im Osten und Sabratha im Westen, in einem Drei—
ädtebund vereinigt war und unter dem Schutz römischer
dohorten ihren Handelsverkehr bis tief in das Innere Afrikas
uszudehnen wußte. Von all der Herrlichkeit ist nichts mehr
brig geblieben als ein mit Inschriften und Reliefs verzierter
riumphbogen aus weißem Marmor. — Die Geschichte von
rirolis ist düster und blutgetränkt. Als ich die zahllosen
reppen, Gänge, Gewölbe und Höfe der alten Burg, des
zeraj, durchwanderte, die unschön und ohne Wahl nach Be—
ürsnis oder Laune der jeweiligen Herrscher neben- und übera
nander gereiht wurden, und vor den ungeheuren, in ihren
nteren Teilen anscheinend aus dem natürlichen Fels heraus—
achsenden Mauern stand, konnte ich mich des Gedankens nicht
twehren, daß zu dieser trotzigen Zwingburg vielleicht auch
ergubte Christensklaven jahrelang Steine herbeischlevpen und
ügen mußten.
Die in Form eines Fünfecks enge gebaute Stadt ist von
iner großenteils baufälligen Mauer umgeben und hat eine
olche Menge von Gassen und Gäßchen, daß es selbst bei
ängerem Aufenthalt schwer fällt, sich zurechtzufinden, beson—
ers im Judenviertel, dem Harra. Die Bevölkerung bildet
in buntes Gemisch von Arabern, den eingewanderten Eroberern,
ind Berbern, den Ureinwohnern, ferner von Maltesern, Negern
nd Juden. Die Malteser sind rührige Geschäftsleute und
rämer, eine wenig anziehende Gesellschaft. Zahlreich sind
ie Neger, stramme, kräftige Burschen, die nach der Sitte
hrer sudanesischen Heimat familienweise in umzäunten Stroh—⸗
nd Schilfhütten hausen, und am zahlreichsten sind die Juden.
diese, allezeit von den Moslims gehaßt und verachtet, bilden
en verkommensten und ärmlichsten Teil der Bewohner. Wohl
m sie los zu sein und sich nicht viel mit ihnen beschäftigen
u müssen, hat man ihnen unter ihren Rabbinern in allen
aneren Angelegenheiten eine Art weitgehender Selbstverwal—
ung gelassen, wodurch sich die jüdische Gemeinde bei engem
zusammenschluß allmählich völlig absondern konnte. Den ein-
igen Trost im Elend haben ihre Mitglieder in starrem Fest—
salter an dem Glauben ihrer Vater gefunden, und ihre
Strenggläubigkeit soll denn auch, wie mir glaubwürdig ver—⸗
ichert wurde, so groß sein, dah z. B. von ihnen niemals mehr
in Gefäß in Gebrauch genommen würde, aus dem ein Nichtjude
twas genossen hat. Europäer gibt es außer den wenigen
Zerufskonsuln fast keine und die vorhandenen sind es wobl
neist nur noch m der Rleidung.
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So empfängt man in Tripotis ein solch unverfälschtes
Bild vrientalischen Lebens, wie ich es später nur noch in
Kairuan gefunden habe. Namentlich die Markttage, an denen
errliche Früchte, hübsch geflochtene Matten, das in der Steppe
jewonnene Halfagras, in weitmaschige Netze zusammengepreßt.
päterhin zur Papieranfertigung benutzt, und vieles andere
iuf Kamelen, Pferden und Eseln herbeigeschleppt und seil—
jeboten werden, bieten eine Fülle wechselnder Eindrücke.
Die Besatzung ist stark; überall sieht man Soldaten, darunter
iele Neger, selbst in Offizierstellen. Die Leute sind zum
iberwiegenden Teil in großen, ziemlich rein gehaltenen Ka—
einen untergebracht, von kräftigem Körperbau, mit ihrem
ose zufrieden und von bescheidenem, ruhigen Verhalten auf
er Straße; anders als in sonstigen Teilen des türkischen
Keiches sollen sie auch ihren Sold regelmäßig erhalten. Die
zekleidung freilich ist mehr als mangelhaft und durchaus
erschieden. Auf den Wachtdienst wird augenscheinlich großer
Bert gelegt, und allerwärts trifft man Posten, auch an
Irten, an denen ihr Zwech schlechterdings nicht verständlich
st. Tas einzige Vergnügen der Leute und ein Schauspiel auch
ür die Eingeborenen bilden Ringkämpfe, die allwöchentlich
ruf einem freien Platze stattfinden und denen ich in der Loge
des Gouverneurs beiwohnen konnte. Tie Kämpfenden, kraft—
zolle, sehnige Gestalten, haben den Oberkörper entblößt und
nehmen die Sache außerordentlich ernst. Manchmal sind die
baare so erbittert, daß die Gegner, selbst wenn die Entschei—
»ung gefallen und vom Kampfrichter das Zeichen gegeben ist,
riicht voneinander ablassen und mit Gewalt getrennt werden
nüssen. Die Zuschauer sitzen mit unterschlagenen Beinen in
weitem Umkreise und in vielen Reihen hintereinander auf
zer Erde und folgen dem Verlaufe mit größter Spannung.
Das Volk ist arm. Man sollte meinen, es bestehe nur
mus Bettlern, wenn nicht bekannt wäre, welch unglaubliche
Zummen, zumal auf dem Lande, die Beamten noch immer
erstehen aus ihm herauszupressen. Ich glaube, diese traurige
Erscheinung, die wir in allen Ländern des Islam sinden, die nicht
inter euroräischer Verwaltung stehen, läßt sich mit dem sonst
hrlichen und würdigen Wesen des Moslim nur unter dem
esichtspunkt in Einklang bringen, daß die Inhaber der Be—
amtenstellen diese vielfach erkaufen und daher bestrebt sind,
nindestens die aufgewendete Kaufsumme wieder zu bekommen.
So würden, erzählte man mir, auf dem Lande die an und für
ich schon drückenden Steuern häufig mehrmals im Jahre, wenn
etforderlich gewaltsam, eingetrieben und im Falle des Un—
yermögens Quälereien und Mißhandlungen nicht gespart. Die
erpreßten Summen fließen natürlich zum größten Teil in die
Taschen der Beamten, sie werden, wie ein arabisches Sprich—
wort sagt, „von den Kamelen gefressen“.
In neuerer Zeit sollen zwar viele Mißbräuche abgestellt,
deren jedoch immer noch reichlich genug übrig sein. Und mehr
darf man in einer türkischen Provinz schließlich nicht erwarten.
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