Full text: Lübeckische Anzeigen 1911 (1911)

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Große Audgabe) 
Freitag, den 29. September 1911. 
Ahend-Blatt Ur. 494. 
niatt. 
Seiten. I 
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Die italienische Note. 
d. Lübeck, 29. Sept. 
Während alle Nachrichten über die Absichten und die 
ihrer Verfolgung unternommenen Maßnahmen der Italiener 
isher unverbürgt waren, ist jetzt ein amtlicher Schritt 
ron seiten der italienischen Regierung getan worden. Wie 
er Telegraph gestern gemeldet hat, richtete der Minister 
es Auswärtigen di San Giuliano schon in der Nacht 
»on Dienstag auf Mittwoch an den italienischen Geschäfts— 
räger in Konstantinopel eine Note, die als solche zwar 
roch kein ausgesprochenes Ultimatum ist, zu 
inem solchen aber wird durch ihren Inhalt und durch den 
Imstand, daß ihr Wortlaut dem türkischen Geschäftsträger 
Rom amtlich mitgeteilt wurde. Wenn jetzt der Inhalt 
»er weiteren Sonderdepesche sich bestätigt, wonach die Note 
in die Pforte bereits gestern nachmittag 252 Uhr durch 
»en italienischen Botschafter in Konstantinopel überreicht wor— 
»en ist, dann liegt jetzt ein Ultimatum in aller Form vor. 
In der heute früh abgedruckten Note legt die italienische 
Regierung, offenbar in der Absicht, ihr Vorgehen vor der 
Welt zu verteidigen, die Gründe dar, die sie angeblich 
zjerade jetzt zwingen, eine Lösung der tripolitanischen Frage 
Knall und Fall herbeizuführen. Das ist natürlich nichts als 
Spiegelfechterei. Kein Mensch auf dieser ganzen weiten Welt 
jjt sich auch nur einen Augenblick im Unklaren darüber, daß 
nichts anderes als Machtgelüst und politischer Ehrgeiz die 
Italiener vorwärts treiben, nachdem England dazu gnädig 
zelächelt hat. Wenn die Diplomatensprache nicht dazu da 
wäre, um die wahren Absichten und Beweggründe zu ver— 
hergen, so müßte der italienische Minister des Auswärtigen 
rklärt haben, daß Italien neue Märkte braucht und nun 
einmal nicht zusehen kann, wie sein großer lateinischer Bruder 
ich in Gemütsruhe daran macht, Marokko zu verspeisen. Für 
solche Argumente hätte man allenfalls auch noch Verständ— 
nis. Das Komödienspiel jedoch mit der Gefährdung der 
Italiener in Tripolis sowie der Unordnung und Vernach— 
lässigung in Trivolis und der Cyrenaica kann nur Wider— 
willen hervorrusen. Wenn die Italiener eben nicht ihre 
Annexionsgelüste zu deutlich gezeigt hälten, dann wären 
hre in Tripolis ansässigen Landsleute auch nicht in Ge— 
fahr. Geradezu wie blutiger Hohn muß aber die Türken 
die Wendung treffen, daß die Ankunft türkischer Militär— 
ftransporte in Trinolie die Lage verschärft und kritisch » 
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nacht habe. Das ist ungefähr so, wie wenn ein Einbrecher, 
)»er vom Eigentümer am erbrochenen Geldschrank ertappt wird, 
iesen niederschießt, und dazu zynisch bemerkt, daß es so 
veit nicht gekommen wäre, wenn jener nicht so unver— 
antwortlich frech gewesen wäre, nach seinem Eigentum zu 
sehen. J 
Was aber die Frage nach dieser italienischen Note 
igentlich rettungslos einer gewaltsamen Lösung zutreiben 
nuß, ist die kategorische Feststellung, daß Italien ent—⸗ 
chlossen ist, zu einer militärischen Besetzung 
on Tripolis und der Cyrenaica zu schreiten. Was also 
ie Türken auch bisher den Italienern unter dem Zwange 
er Verhältnisse zuzubilligen etwa geneigt waren, an wirt— 
haftlichen oder vielleicht auch politischen Sonderrechten, das 
ird nicht genügen, um eine militärische Aktion Italiens in 
ripolis zu verhindern. Diese letzten Tage der Nachrichten- 
»erre hat die italienische Regierung also richtig zur Vor— 
ereitung militärischer Maßnahmen benutzt, was man in 
zaris und London natürlich genau gewußt und sogar wohl 
eraten, in Berlin an amtlichen Stelien aber bisher nicht 
u wissen sich wenigstens den Anschein gegeben hat. Die 
zlättermeldung, daß Italien verlangen werde, in Tripolis 
ßarnisonen halten zu dürfen, beruhte also auf richtigen 
nformationen. 
Es ist nach den bisherigen Meldungen über die italienische 
Note noch nicht ganz klar, ob fie die Herbeiführung einer 
„Zustimmung“ der hohen Pforte zu dieser Absicht Italiens 
nnerhalb einer ganz kurzen Frist — 24 Stunden heißt 
s — verlangt. Dieser demütigenden Verschärfung bedürfte 
s aber nach allem, was aus Konttantinopel bisher ver— 
autete, nicht, um Gegenmaßregeln kriegerischer oder doch 
enigstens feindseliger Natur seitens der Türkei herbeizu— 
ühren. Wenn Tripolis selbst den Italienern keinen Wider— 
tand leisten kann, dann hat ja die Pforte selbst keine Mög— 
chkeit, den Italienern bewaffnet entgegenzutreten. Den 
andweg über Aegypten versperren die Engländer, und gegen 
ie italienische Flotte ist der Halbmond zur See ohn— 
ächtig. Aber es wird wohl zu Ausweisungsmaßregeln 
segen die in der Türkei lebenden Italiener und zum 
Soykott des italienischen Handels kommen. 
Indessen sind solche Maßregeln, selbst wenn sie rrotz 
twaiger Angriffe der Italiener auf die türkischen Küsten 
elbst, durchgeführt werden können, nicht geeignet, den Gegner 
ödlich zu treffen. Die Türkei wird selbst schwer unter 
olchen Handelsstörungen leiden und muß darum auch aus 
zründen des verletzten osmanischen Nationalgefühls auch noch 
chweren inneren Verlegenheiten entgegensehen. Es ist eine 
erzweifelte Lage, in der sich die Türkei befindet, und tat— 
räftige Hilfe hat sie leider nicht zu erwarten. 
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Der mutmaßliche Inhalt der türkischen Antwort. 
Von einer genau informierten diplomatischen Persöndichkeit 
erfährt die Neue Freie Presse in Wien: Ueber die Antwort 
der Türkei auf das italienische Ultimatum kann kein Zweifel 
estehen. Wenn die Italiener in Tripolis landen 
»der einenanderen feindselbigen Akt verüben; 
vird die Türkeiden Krieg erklären. Der Krieg 
wird von der Türkeiauf zwei Frontengeführü 
werden. In Tripolis wird es zweifellos zu Blutvergiehen 
ommen, denn die türkische Besatzung hat den Auf— 
rag erhabtenzieden Versucheinerit alienischen 
dandung mit Waffengewalt zurückzuweisen. In 
»er europäischen Türlei und der Levante wird die Türkei 
nit wirtschaftlichen Kampfmitteln arbcilen; sämtliche in der 
Türkei lebende Italiener müssen binnen 24 Stunden das 
dand verlassen; der Handelsvertrag und die Kapitulationen 
nit Italien werden gelündigt, die italienischen Schulen ge— 
chlossen und der Bonykott gegen die italienischen Waren wird 
rusgesprochen werden. Ein italienischer Versuch, in 
den täürtlischen Häfen der Levante und des Aeg ä— 
ischen Meeres Truppen zu landen, wird sofort 
mit Waffengewalt zurückgewiesen werden. Auch 
nruf Komplikationen auf dem Balkan ist die 
Türkei vorbereitet. Die türische Armee ist voll— 
kommen schlagfertig. Die Türkdei wird ihre Maßregeln gegen 
die Italiener auch dann durchführen, wenn diese unter den 
Schutz einer anderen Großmacht geitellt werden sollten. 
Programmatische Rede Dr. v. Lindequists. 
Erite Tagung der Wirtschaftlichen Kommission 
der Kolonialverwaltung. 
Im Reichskolonialamt trat gestern vormittag die vom 
Staatssekretär Tr. von Lindequist ins Leben gerufene 
tändige Wirtschaftliche Kommission der Kolonial— 
»erwaltung zu ihrer ersten Tagung zusammen. Eine An— 
ahl der namhaftesten Vertreter der deutschen Industrie und 
des deutschen Handels war erschienen. Der Staatssekretär 
röfsfnete, der Nordd. Allg. Z3tg. zufolge, die voraussichtlich 
wei Tage währenden Sitzungen mit einer programmati— 
schen Rede. Nachdem er den ITrichienenen seinen Dank aus— 
jesprochen hatte, führte er aus, daß ihn bei der Bildung der 
Kommission ein doppelter Gedanke geleitet habe: Ein— 
nal, sich in besonders wichtigen wirtschaftlichen Fragen den 
Rat namhafter Vertreter der Handels- und Industriellen-Kreise 
Deutschlands zu sichern, und sodann eine engere Verbindung 
wischen Handel, Industrie einerseits und die Kolonialwirtschaft 
andererseits herbeizuführen, wie sie schon seit einer Reihe 
don Jahren zwischen Kolonialverwaltung und der hiesigen 
Landwirtschaft besteht. Die wichtigste Aufgabe der Kolo— 
niadnerwaltung sei den heimischen Markt mehr und mebr vom 
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und seine Worte klangen etwas misder. „Du mußt allein 
damit fertig werden!“ 
— „Komm mit nach Madeira!“ drängte Manuel, uvnd in 
seiner Bitte zitterte das warme, echte Gefühl der Freund⸗ 
ichaft. 
„Auf einer Insel bin ich nicht srei“ 
Aber Manuel ließ nicht locer. .Deine Mittel müssen sich 
iber kurz oder lang doch erschöpsen.“— 
„Sie würden es auch aut it deira tun.“ 
„Aber du bist dann bei mir!“ 
„Almosen empfange ich nist!“ 
„Ich nehme dich ins Geschäft!“ 
„Auf dem Kontorbock reiten? TDu sollte't mich besser 
kennen.“ 
„Als Ingenieur!“ schlug Mannel vor. der nicht von dem Ge— 
danken lassen konnte. 
„Um die Dampfrohre deiner Küstendampser zu flicken? 
Ider ein paar elektrische Klingeln in deinen Sanatorien anzu— 
legen? Ich bedank mich!“ 
„Dann als Freund'“ rief Manuel und redte ihm die 
Hand hin. 
Waldemar Quint aber nahnm sie nicht. „Deine Freund— 
chaft wird nicht lange dauern. Tu wirsi ein Weib nehmen 
uind in den Philisterpferch kriechen. Und ich werde dann 
zraußzen stehen, allein, wie immee!“ 
Manuel Rochalves erhob 'ich beleidigt und wollte zur 
Tür hinaus. 
„Ich wollte dich nicht kränken!“ sprach Waldemar Quini 
rhig und ernst. 
Manuel wandte sich um und wartete. 
„Du bist herzlos und undankbar!“ sprach er leise, und 
iseine Mundwinkel zuckten. 
„Ich lebe nicht für mich, sondern für meine Ideen. Du 
oist der erste gewesen, der diesen Ideen Verständnis entgegen— 
gebracht hat. Ich werde daran denken, wenn mir eine Er— 
indung gelingt, die nach einer größeren Kapitarbelastung ver— 
langt und lohnt.“ 
„Also ist es sicher. daß wir uns wiedersehen?“ fragte 
Manuel und ltrechte ihm nochmals die Hand hin 
der herr der Luft. 
Englands Feind. 
Roman von Ewald Gerhard Seeliger. 
(I. Fortsetzung.) MNachdruck verboten.) 
Manuel zog ihm aus einer Wunoe dicht über dem rechten 
Juge einen scharfen Metallsplitter. 
„DTer ist von der Schraube, der Deckel ist da oben hinaus— 
jeflogen.“ 
„Zwei Zentimeter tiefer und das Auge wäre hin gewesen,“ 
iagte Manuel und klebte ein Stüch Heftpflaster darüber. 
„Zu dem Zweck hab' ich noch eins in Reserve. Ich 
ganbe, hier an dem Handgelenk ist die Sache schlimmer. 
Reich mal die Pinzette her!“ 
Waldemar Quint fuhr mit dem Instrument in die Wunde 
hinein und wühlte darin herum. ohne auch nur mit der 
Wimper zu zucken. 
„Tut dir denn das nicht veh?“ schrie Manuel. 
Waldemar Quint überhörte die Frage: „Da muß ich 
vohl in einen Glasscherben gefallen sein. Die Arterie ist 
Jatt durchgeschlagen. Hol man einen Zwirnsfaden und bind 
ie ab. Genau so, wie man einen Gummischlauch zubindet.“ 
Tabei hielt er Manuel das Ende der Arterie vor die Augen. 
das er mit der Pinzette aus der Wunde herauszerrte. Ein 
paar Hautwunden an den Händen wurden mit Ptlastern ge— 
dichtet. 
Waldemar Quint machte sich nun sofort daran, die Ur— 
achen der ihm selber unerklärlichen Explosion zu ergründen. 
Tie Stahlflasche sowohl wie die schwere Pumpe waren demo— 
liert, der Motor war verbeult. Nirgends fand sich ein Anhalt. 
Manuel gelang es endlich, Waldemar Quint aus dem 
Zimmer herauszubringen. 
„Es ist also doch Sauerstoff in der Flasche gewesen!“ 
behauptete Mannel mit einer gewiüssen Genugtuung. 
„Durchaus nicht!“ rechtfertigte sich Waldemar Quint. „Die 
Frrlosion kann nur auf eine plötßliche Veränderung des Aggre— 
zatzustandes zurückgeführt werden.“ 
„Du meinst also, dak der Walsserstoif wirklich slüssig war?“ 
„Ohné Zweifel! Woher käme sonst diese überraschende 
Sptengwirkung? Das nächste Mal will ich mich besser vorsehen.“ 
„Was?“ rief Manuel entrüstset. „Du hast noch nicht 
enug?“ 
„Nein!“ sagte Waldemar Quint, und seine Augen leuchteten 
nihrem harten Glanze auf. „Ich werde nicht eher ruhen, bis 
9 hinter die Geheimnisse dieses merkwürdigsten aller Stoffe 
ekommen bin. Und wenn ich ein Bettler darüber werden 
ollte! Wenn du dich fürchtest, dann kannst du ja ausziehen!“ 
Da erklang die Türglocke, und Manuel ging selbst, zu 
fsnen. Mit einem Telegramm in der Hand trat er ein, er— 
rach es hastig und las die Worte: „Heimkommen. Vater 
chwerkrank, Doktor Serrote“. * 
Er wurde leichenblaß. Mit bebenden Knien sank er auf 
»en Stuhl. Waldemar Quint hob das Telegramm auf, las 
es und legte es wieder hin. 
Tann sah er Manuel mit harten, erbarmungslosen Augen 
an und sagte kalt: „Er ist tot!“ 
„Nein!“ schrie Manuel auf. 
„Du kommst zu spät!“ 
„Ich muß fort!“ rief Manuel fassungslos und machte 
in paar Schritte gegen den Schrank hin. Dann knidteer 
vieder zusammen. * F 
„Sei kein Weib!“ sprach Waldemar Quint verächtlich. 
Männer finden sich mit den Tatsachen ab. Du bist alt genug, 
einen Vater mehr zu brauchen!“ 
„Ich muß sofort abreisen!“ rief Manuel verzweiflungsvoll. 
Er üst noch nicht tot! Er ist noch nicht tot!“ 
—„Raff dich zusammen! In diesem Zustande laß ich dich 
icht aus der Tür!“ .* 
„Ich muß packen!“ rief Manuel plötzlich und wollte auf— 
pringen. 
Aber Waldemar Quint hielt ihn fest. 
„Das Pachen überlaß mir. Ich schicke dir die Koffer 
ach. Heute mittag fährst du nach Strahburg. DTort nimmst 
u den Expreßzug nach Paris. Mittwoch abend kannst du 
n Lissabon sein.“ 
.„Woldemar!“ sprach Manuel bittend, „komm mit!“ 
⸗Nein!“ sagte Waldemar Quint nach einer kurzen Paule
	        
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