Full text: Lübeckische Anzeigen 1911 (1911)

stellto fest: Gegen dret beschuldigte Unteroffiziera muhte die 
eingeleitete foörmliche Untersuchung niedergeschlagen werden, weil 
die Voraussetzung für die Verurteilung, nämlich die Mindew 
jährigketit der Mädchen fehlte. Drei Kriegsgerichte sprachen 
die mit der Affäre in Verbindung gebrachten Versonen dea 
Offizierstandes von jeder Schulb frei. Der fruhere Kom⸗ 
mandant von BSelgoland beantragte sofort nach dem Bekannt⸗ 
werden der Geruchte eine Untersuchung bet der Staatsanwalt⸗ 
schaft, die eine vollständige Entlastung herbeistührte. (Tel.) 
Zur Reform bes furistischen Stubiums. In ber Budget⸗ 
kommission des Abgeordnetenhauses erklärte der Ju⸗ 
stizminister, die Verlautbarung der Presse über 
die Reform des furistischen Studiums und Examens seien größ—⸗ 
tenteils u nrichttig. Eine Entscheidung sei noch nicht ge— 
troffen. Jetzt set eine Kommission eingesetzt aus Mitgliedern 
des Kultus⸗ und Justizministeriums. Aenderungen des Stu— 
deums und Vrüfungen seien ins Auge gefaßt. Es frage 
isch, ob dies allein durch die Verwaltungsvorschriften, oder auch 
durch die Gesetzgebung ins Werk zu setzen sei. Ueber die Ziele 
iei ziemlich die gleiche Ansicht, nicht über die Wege. 
Zuwachsfleuer und Vereranenbezüge. Die Darstellung eini⸗ 
ger Zeitungen, nach der die Reichsfinanzverwaltung sich neuer⸗ 
dings in der Lage sehe, eine erböhte Beteranenfür— 
sorge unabhängig von der Erledigung des Zu⸗ 
wachssteuergesetzes eintreten zu lassen, wird 
amtlicherseits als irrtäümlich bezeichnet. Der Staats— 
selretär des Reichsschatzamtes äußerte sich dahin, daß es gesetzes— 
technisch unangängig sei, die in den Etat gehörige Regelung 
der Veteranenbezüge in das Zuwachssteuergesetz selbst aufzuneh⸗ 
men. An der Notwendigkeit, den Mehrbedarf für die ver⸗ 
besserten Bezüge der Beteranen ebenso wie für die Heeres—⸗ 
voriage aus den Erträgnissen der Zuwachssteuer zu decken, habe 
sich nichts geändert, da bei Aufrechterhaltung des Gleich— 
gewichts im Etat 1911 und für die solgenden Jahre eine an— 
derweitige Decdung nicht beschafft werden kann. 
Ein neuer püpstlicher Angriff gegen die Rechte des Staates 
ist nach römischen Meldungen erfolgt: Die Acta sedis apos to- 
licae veröffentlichen ein Schreiben des Papstes an 
Kardinal Fischer als Antwort auf die Beschlüsse der 
letzten Bischofskonferenz in Fulda. Der Papst spricht darin seine 
Freude aus über die Beilegung der Zwistigkeiten der beiden 
Richtungen in den cristlichen Gewerkschaften und über die 
ihnen gegebene feste Marschroute. Das Kommuniongesetz sollte 
nicht nur ein päpstlicher Befehl, sondern ein Ausfluß des Evan— 
geliums sein. Die Bischöfe duürften stch bei der Diszipli— 
nierung unbotmähiger Pfarrer nicht durch Räücksicht auf 
die weltlichen Behörden beeinflussen lassen. 
Den Theologieprofessoren an den staatlichen Uni— 
versitäten sei zwar der Antimodernisteneid erlassen, 
er, der Papst, erwarte aber von ihnen vor allen anderen 
einen spontanen Eid. Sonst sei ihre Lehre nicht gerade 
verdammenswert, aber es zeige sich, daß sie Kirchengegnern 
folgen, die behaupten, dieser Eid sei gegen die menschliche 
Würde und Freiheit der Wissenschaft. 
Zu den neuen Arbeitsdispositionen des Reichstags wird 
aus parlamentarischen Kreisen geschrieben: Die vom Senioren— 
tonvent beschlossene Arbeitseinteilung ist durch die langwierige 
Verhandlung beim Wertzuwachssteuergesetz über den Haufen 
geworfen worden. Die Dispositionen lassen sich infolgedessen 
nicht mehr einhalten. Es wird nun gewünscht, nach der Er 
ledigung der ersten Beratung des elsaß-lothringischen Ver 
fassungsentwurfs möglichst bald mit der zweiten Etatsberatung 
zu beginnen, um die rechtzeitige Verabschiedung des Etats 
möglich zu machen. Dann müßte allerdings die zweite Be— 
ratung der Strafprozehordrung hinter die Etats-⸗ 
beratungen gesetzt werden. Urspruünglich sollte die 
Strafproreßordnung vom 28. Jamar bis zum 
10. Februar beraten werden und am 13. Februar die zweite 
Etatsberatung beginnen. Die 3. Lesung des Wertzuwachssteuer⸗ 
gesetzes kann vorläufig nicht vorgenommen werden, da die 
Zusammenstellung der Beschlüsse zweiter Lesung infolge der 
vielen Abänderungsanträge gröhßere Schwierigkeiten machen wird. 
China. 
Der Newyork SHerald meldet aus Peking: Es scheint 
erwiesen zu sein, daß die Verbreitung der Vest durch 
chinesische Jäger erfolgt ist. Die eingeborene Bevölkerung 
zeigt sich sehr gleichgültig. Die europäischen Aerzte haben 
die größten Schwierigkeiten für ihre Unterkunft und die Aus, 
übung i hrer Tätigkeit. Aus dem Innern laufen entmutigende 
Nachrichten ein. Die Seuche breitet sich immer 
weiter aus. In Charbin zählte man in der letzten Woche 
30 Tote, in Fudsiadjan 2776 Tote. Der internationale 
Gerichtshof von Tientlin hat seine Sitzungen 
unterbrochen. Die Richter sind vor der Pest geflohen. 
Zahlreiche europäische Persönlichkeiten, die nicht an Peking 
gebunden sind, verlassen die Stadt. Der deutsche Kron⸗ 
prinz, der nach Peking gehen wollte, hat seine Reise— 
dispositionengeändert und wird nur Schanghai 
inen Besuch abstatte 
Neueste Nachrichten und Telegramme. 
W. Potsdam, 26. Jan. Heute vormittag nahm der Kai⸗ 
ser die Rekrutenbesichtigung des 1. Garde- 
regiments zu Fuh im historischen Exzerzierhause im Lust⸗ 
garten vor. Mit dem Kaiser waren die Prinzen Eitel Fried⸗ 
rich, August Wilhelm, Joachim und Ostkar erschienen. Es 
wurden die Leib⸗, die 3, 5. und 11 Kompagnie besichtigt, 
worauf der Kaiser den Militärattachs v. Bienerth zur Ueber⸗ 
reichung der Rangliste empfing. Später frühstückte der Kaiser 
mit den Offizieren des 1. Garderegiments im Regimentshause 
und begab sich im Automobil nach Berlin zurüch. 
M Berlin, 26. Jan. Die Nordd. Allg. 3ig. meldet: 
Unter Beteiligung hervorragender Vertreter von Industrie, 
Handel und Schiffahrt fand in diesen Tagen im Auswärtigen 
Amt eine Besprechung über das Koönsulatswelen des 
Reiches statt. Man befand sich in Uebereinstimmung dar—⸗ 
über, daß bei der steigenden Bedeutung des deutschen Welt— 
handels eine Ergänzung der konsularischen Ausbildung nach der 
praktisch wirtschaftlichen Seite angezeigt ist. Die Mitwirkung 
von Industrie, Handel und Schiffahrt wurde bereitwilligst in 
Aussicht gestellt. Es ist hiernach zu hoffen, daß die schwie— 
rige Frage durch Zusammenwirken der amtlichen und nichtamt⸗ 
lichen Stellen einer befriedigenden Lösung näher gebracht wird. 
Der dem Reichstag vorliegende Etatsentwurf enthält die Neu—⸗ 
orderung far eine erweiterte wirtschaftliche Ausbildung der 
Anwaͤrter des höheren Konsulatsdienstes 
Vr Bernn, 26. Jan. Der Reichsanzeiger meldet: Dem 
ee atngen Wren 21. Januar ein neuer Nie⸗ 
derrassfungsvertrag zwischen dem Deutschen Reich und 
er swenerischen Eidgenoenschaft vom 18. Rovember 1800 
sowie ejn weiterer Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und 
der schweizerischen Eidgenossenschaft betreffend Regelung der 
Rechtsverhaältnisse der beiderseltigen Staatsangehörigen im Ge 
biete des anderen vertragsschließenden Teiles vom 31. Okt. 
1910 zur Beschluhßfassung zu. 
Der Staatsanzeiger meldet Baurat Jacobi⸗Somburs 
vor der Sohe wurde zum Dtrektor des Saalburamuseums 
ernannt. 
Berkin, 268. Jan. Oberbargermeister Kirschner— 
von dem es hieß. daß er von seinem Amt zurücktreten werde, 
verbleibt in seiner Stellung. 
W. Samburg. 26. Jan. Da nach neueren amtlichen Mit⸗ 
eilungen die CholeraErkrankungen in Rußland bedeutend zu—⸗ 
udgegangen sind, haben der Minister der geistlichen, Medizinal⸗7 
ind Unterrichtsangelegenheiten und der Minister des Innern die 
herren Regierungspräsidenten unter dem 23. d. M. ermächtigt 
den bei den an der Grenze belegenen Auswanderer-Kon 
roilstationen eingeführten Bade. und Desinfektionszwang filt 
uus Rußland kommende Reisende wieder aufzuheben. 
Bremerhaven, 26. Jan. Die Kommission türkischer Offi— 
iere, die mehrere Dampfer des Norddeutschen Lloyds besichtigte, 
ist hier wieder eingetrofsfen. Der Kaufvertrad zwischen 
vem Lloyd und der Tarkeiist jetzt abgeschlossen 
vorden. Die Türkei hat die Dampfer „Oldenburg“ und 
„Darmstadt“ far Truppentransporte angekauft. Die Dampfer 
erhalten auf Kosten der Türkei einen entsprechenden Umbau 
und werden Anfang nächster Woche mit der Kommission die 
Reise nach Konstantinopel antreten. 
Wt. Düssfeldors. 20. Jan. Im Wettibewerb für das Bis⸗ 
marncd-Nationaldenkmal am Rhein fand heute die 
Pretsverteilung statt. Den ersten Preis erhielt Her— 
nann Hahn-Muünchen, einen zweiten Franz Brantzky⸗Köln, einen 
weiten Alfred Fischer und W. Kniebe⸗-Dusseldorf, einen 
ritten Bernhard Bleeter und Otto Orlando Kurz⸗Wunchen 
owis einen weiteren dritten Richard Riemerschied-Munchen. 
Wt. Budapest. 26. Jan. Bei dem anlählich der Gier⸗ 
zurtstagsfeter des Deutschen Kaisers veranstalte— 
en Festmahl in der hiesigen deutschen Kolonie brachte der 
eutsche Generalkonsul Brockdorff-Rantzau einen Trinkspruch auf 
tatser Franz Josef aus, in dem er ausführte: Wir alle waren 
zeugen der Verehrung, Liebe und Dankbarkeit, die dem Mon 
archen anläkßlich seines 80. Geburtstages dargebracht wurden 
ks war ein reich verdienter Dankeslohn für diesen Heros 
reuester und vornehmster Pflichterfüllung. Seine Leistunger 
ür seine Völker und seine welthistorische Bedeutung für dit 
ckntwickelung der monarchischen Idee werden in der Geschichte 
dereinst volle Würdigung erfahren. Die mit Begeisterung 
aufgenommene Rede schloh mit einem Hoch auf den väterlichen 
Freund und treuen Bundesgenossen des deutschen Kaisers. 
W. Budapest, 26. Jan. Die Polizei verhaftete den 
in Varna gebürtigen Mediziner Peter Serafinow, der im Rufe 
e»ines gefährlichen Anarchisten steht. Bei der Leibes— 
intersuchung wurde ein Empfehlungsschreiben der Kroujevazer 
erbischen revolutionären Partei vorgefunden, in dem Sera— 
now als begeisterter Terrorist und Anarchist den sämtlichen 
Anarchisten der Welt empfohlen wird. Serafinow ist aus 
Moskau, wo er wegen terroristischer Umtriebe zum Tode ver— 
irteilt wurde, nach Budapest geflüchtet und verkehrte mit den 
hier wohnenden Serben, Bulgaren und Russen. Bei seiner 
Berhaftung gestand er, der Mostauer terroristischen Partei 
anzugehören. 
Wit. Paris, 26. Jan. Der Senat trat in die Debatte 
iber den 1898 von der Kammer angenommenen Vorschlag betr 
Neuregelung der französischen Zeit, um sie mit 
zem in Europa herrschenden Zeitsystem in Einklang zu bringen. 
Die französische Zeit würde so mit der englischen überein— 
timmen. Kommission und Regierung beantragten die Dring— 
lichkeit, die aber abgelehnt wurde. Nachdem noch ein Regie— 
rungskommissar auf den Nutzen der Aenderung für das inter— 
nationale Reisepublikum hingewiesen hatte, wurde der ein— 
zige Paragraph des Antrages, der die französische Zeit neu 
regelt, in erster Abstimmung angenommen 
Deutscher Reichstag. 
W. Berlin, 26. Januar. 
Am Bundesratstisch: Delbrück, v. Lisco, Zorn v. Bulach 
Der. Mandel und viele Kommissare, später der Reichskanzler 
Auf der Tagesordnung steht die 1.Beratung desGesetzes über die 
Verfassung Glsaß-Lothringens und die Wahlen zur 
Zweiten Kammer des Landtages für Elsaß-Lothringen. 
Staatssekretär Delbrück: Der jetzt bestehende Rechtszu— 
tand in Essaß⸗Lothringen hat sich allmählich herausgebildet, abe 
mmmer nur provisorischen Charakter gehabt; der Wunsch, de— 
dortigen Bevölkerung und der Regierung dieses Provisorium end 
ich durch ein Definitum zu ersetzen, ist begreiflich. Es entstand 
eine ganze Spezialliteratur. Trotzdem kann ich heute noch nich; 
agen, was die Mehrheit des Volkes will. Es handelt sich um 
wichtige staatsrechtliche Fragen, da das Reichsland gemeinsamer 
Besitz aller Bundesstaaten ist. Bismarck hat die Lage des Reichs 
landes als abnorm bezeichnet. Die staatsrechtliche Lage schien 
ihm sehr schwierig. Es gab für ihn zwei Wege, einmal die Ein— 
derleibung in den einen oder mehrere Bundesstaaten, wollt« 
man letzteres, so käme dafür nur Preußen in Betracht. Bis— 
nard glaubt aber, daß die Elsaß⸗-Lothringer eher Deutsche als 
Breußen sein würden, andererseits könne nur die Selbstverwal—⸗ 
ung für das Reichsland in Frage kommen. Fürst Bismarck wollte 
die Entwidelung der Dinge abwarten und es sragt sich, ob 
e Elsaß⸗Lothringer jetzt mündig geworden sind, um voll in die 
keihe der Einzelstaaten des Reiches aufgenommen zu werden 
Der Staatssekretär gibt sodann einen Ueberblick über die Ge— 
chichte und Entwickelung Elsaß⸗Lothringens in den letzten 200 
Jahren und betont dabei, daß im Jahre 4870 77 40 der Ein 
vohner Angehörige der deutschen Sprache waren. Nach ihrer 
illgemeinen Herkunft feien die Elsaß-Lothringer überwiegend 
Ddeutsche. Wenn man die Reden, die vor 20 und 30 Jahren 
jon elsaß⸗lothringischen Abgeordneten im Reichstage gehalter 
ourden, mit denen vergleicht, die in den letzten Jahren und 
Monaten gehalten wurden, so muß man sagen, daß an die Stelle 
des Protestes ein Zustand getreten ist, der sich auf den Boden de⸗ 
aistorischen Verhältnisses stellt. Der Staatssekretär geht so⸗ 
dann auf die Einzelfragen ein und sagt dann bezüglich der Wahl⸗ 
cechtsfrage, die Einführung eines nach Bildung, Besitz usw. ab 
gestuften Wahlrechts in Elsaß-Lothringen, wie es schon lange 
verlangt wurde, Jei sowohl auf Grund der historischen Entwicke⸗ 
iung als mit Ruchssicht auf die Gestaltung der Gesetzgebung nicht 
angebracht. Die Altersstimmen, die der Entwurf vorsieht, sollen 
auch dazu dienen, den Einfluß der jugendlichen Elemente, die 
auch bei den letzten Unruhen die Hauptrolle gespielt hätten, zu 
beschränken. Die Konstrultion eines Oberhauses beruhe erstens 
auf der Notwendigkeit, die Wirkung des allgemeinen Wahlrechte⸗? 
abzuschwachen. das erfabrunasgemäß die groben Erwerbszweiae 
wie Handel. Industrie und Handwerk nicht zu Worte komm 
lasse, auherdem aber auf der Notwendigkeit, die bisher 
Bundesrat geübte üUberwachende Tätigkeit zu ersetzen. Der de 
sekretär besprach sodann die Stellung des kaiserlichen dan 
halters und die Frase der Vertretung Ehsaß-Lothringen, 
Bundesrat und betonte dabei, es sei undenkbar, daß der kaiser 
liche Statthalter die Vertreter ElsaßeLothringens im Bundern 
anders instruiere als die preußischen Vertreter instruiert würden 
Jede andere Gestaltung der Vertretung im Bundesrat würd. 
aber das Stimmenverhältnis im Bundesrat zuungunsten —XR 
beeinflussen. Im übrigen sei das Gefühl der unlösbaren 30 
ammengehörigkeit, das die Voraussetzung für die Stellung ein 
Bundesstaats sei, gerade in den Kreisen, die die Autonomie a, 
lautesten fordern, noch nicht im nötigen Maße vorhanden. Id 
hoffe, daß die Vorlage Annahme findet im Interesse der polit 
schen und wirtschaftlichen Entwickelung des Reiches und des Reichs. 
landes. GBeifall.) 
Abg. von der Scheer (Zentr.): Die Ausführungen de— 
Staatssekretärs stehen in wohltönendem Gegensatz zu den bie 
jerigen amtlichen Verlautbarungen. Hoffentlich findet der Vor 
chlagd er Einverleibung in Preußen hier kein Echo in der Forn 
von positiven Anträgen. Wir sind stets auf unsere elsässische 
kigenarten wie die Angehörigen der anderen Bundesstaaten au— 
die ihrigen bedacht. Dieser Patriotismus sollte anerkannt wer— 
den. Für die Ausschreitungen französischeinteressierter Kreise sind 
wir nicht verantwortlich zu machen. Ihre Mitwirkung verbittep 
wir uns. (Bravo.) Die reichsländische Bevölkerung hat ge 
hofft, dls vollberechtigter Bundesstaat vom Reich endlich auf 
genommen zu werden. Die Hoffnung wird leider nicht erfülll 
Die Ritterlichkeit des Kaisers gegen Elsaß-Lothringen erkenne— 
vir gern an, aber wir wollen an der Spitze eines eigenen Bundes 
laates auch einen eigenen Landesherrn; die Republik scheidet au 
iaheliegenden Gründen aus. Wir wollen auch eine Stimm— 
im Bundesrat haben, um nicht Deutsche minderen Rechts zu 
bleiben. Mit dem Wahlrecht sind wir nicht einverstanden, außet 
dem ist die neue Wahlkreisginteilung für uns unannehmbat— 
kbenso ein anderes, wie die Konstituierung eines laiserlichen 
Rates als Verwaltungsgericht. Wir wollen mitarbeiten. Wan 
ie Regierung guten Willen hat, werden wir die Schwierigkeiten 
in gemeinsamer Arbeit überwinden iönnen. (Bravo in der Mitte. 
Abg. Emmel (Soz.): Wan sollte lieber eine Verständigung 
über Elsaß-Lothringen nach Frankreich suchen. Damit wäre aud 
diese Frage erledigt. Die Vorlage bringt lediglich hinsichtlich 
des Wahlrechts eine kleine Verbesserung, die aber keinesfall— 
ausreichend ist. Wir verlangen vor allen Dingen Gleichberechti— 
gung mit den übrigen Bundesstaaten und Schutz gegen das gan 
zu einnehmende Wesen Preußens. Wir beantragen die Ueber— 
weisung an eine Kommission von 28 Miigliedern, in der del 
Vorlage die Giftzähne ausgezogen werden können. (Bravo! 
bei den Sozialdemokraten.) 
Abg. Bassermann (natlib.: Die Vorlage hat keineswegs 
große Befriedigung hervorgerusen, gleichwohl erkennen wir in 
dieser Vorlage eine brauchbare Grundlage für die Weiterbildung 
der elsässischen Verfassung und für die gute Ausgestaltung 
des dortigen Wahlrechts an. Wir werden uns in der Kom— 
nission bemühen, zu einem befriedigenden Abschluß zu kommen. 
TDie Unzufriedenheit kommt zum Teil daher, daß man nicht 
rechtzeitig mit den Reformen vorgegangen ist. Es rächt sich 
eimmer, wenn das nicht geschieht. (Sehr richtig!! Wir be— 
iahen die Notwendigkeit der Vorlage und bleiben bei un— 
seren früheren Vorschlägen, zu denen das Voltsparlament nd 
die Stimme im Bundesrat gehört. Seit 1877 hat Elsaß— 
Lothringen einen Landtag. Es handelt sich also nur um 
oie Reform des Wahlrechts. Das in der Vorlage vorge— 
schlagene Wahlsystem muß mit Rüchssicht auf die Verhältnisse im 
Reichslande akzeptiert wertden. Die Einwirkung der Reichs— 
zesetzgebung muß für eventuelle kritische Zeiten vorbehalten 
werden. Bedenklich erscheinen manche Kautelen, z. B. hezüglich 
der Dauer des Wohnsitzes und des Pluralwahlrechts nach Al⸗ 
ersstufen, wofür die Proportionalwahl eintreten könnte. Auch 
zie Erste Kammer ist berechtigt, nur die einzelnen Gewerbe 
ind Industrien zur Geltung zu bringen. Die Ausschaltung 
oes Reichstages und des Bundesrates sind gewiß weitgehende 
tonzessionen. (Sehr richtig.) Wir sind gegen einen lebens 
änglichen Statthalter. Elsässische Bundesratsstimmen in Lan— 
des⸗und wirtschaftlichen Fragen könnten wohl zugestanden wer⸗ 
den. Ein liberales Wahlrecht kann die jetzige dünne Ober- 
schicht durchbrechen und in Elsaß⸗-Lothringen einen näheren Awe 
schluß an Deutschland herbeiführen. Geifall. 
Abg. Naumann (Vpt.): Formell sind wir wohl zuständig 
für die Schaffung einer elsässisch-lothringischen Verfassung, 
nicht aber sachlich. Bei der medlenburgischen Verfassungs⸗ 
frage beobachtet der Bundesrat größte Zurückhaltung. Wes- 
halb will man hier in diese gottgewollten Zustände eingreifen? 
Der von Bismard angestrebte elsässische Partikularismus ver— 
langt heute als Konsequenz die Autonomie. Vielleicht kann man 
Elsaß⸗Lothringen noch unabhängiger von Berlin machen, als 
die Vorlage das vorsieht. Die Lebenslänglichkeit des Statt⸗ 
haliers, verbunden mit Bundesratsstimmen, kann darauf hin⸗ 
wirken. Es ist sehr erfreulich, daß wir mit der Vorlage 
ein besseres Wahlrecht für Elsaß-Lothringen erhalten sollen 
als uns der Reichskanzler für Preuhen zugesagt hatte. (Bravo! 
links.) 
Abg. v. Dirdsen (Rpt.): Wir sind mit der Kommissions 
heratung einverstanden. Wirtschaftlich ist das Land vorge— 
schritten, aber politisch ist es in kleinlicher Kleinstaaterei ge⸗ 
blieben. Deshalb hat auch die Aufhebung des Diktatur— 
paragraphen politisch eigentlich geschadet. (Sehr richtig!) Für 
uns ist eine Vorlage ohne Erste Kammer unannehmbar. Wir 
wollen ganze Arbeit machen und dem Reichsland eine brauch⸗ 
bare Verfassung geben. (Bravol) Dafür verlangen wir von 
der Regierung eine kräftige Hand bei der Ausübung der Ge⸗ 
walt. Ein lebenslänglicher Statthalter ist, wie andererseits 
die republikanische Staatsform, für uns unannehmbar. Bei 
dieser Materie sollen Parteiunterschiede ganz ausscheiden. Wir 
wollen bei dieser Vorlage nicht allein denken: Was nutzt fit 
Eisah⸗Lothringen?, sondern: Was frommt dem Reiche? Dies 
muß unsere Richtschnur sein. CLebhaftes Bravo!) 
Hierauf wird die Weiterberatung auf Sonnabend 11 Ub 
vertagt. 
Heer und Slotte. 
— —— — —— 
»WM. Berkin, 26. Jan. „Bremen“ ist am 25. Jan. in 
Valparaiso eingetroffen. „Luchs“ ist am 25. Jan. von Hang— 
kong nach Schanghai in See gegangen. Das Flußkanonenboot 
„Vaterland“ ist am 26. Jan. von Tschingkiang am Panatse 
nach Hankau abgegangen. Die 11. Halbflottille ist am 
24. Januar in Kiel, die 12. Halbflottille am 258. Jau. 
Apentade eingetroffen. „Sperber“ ist am 25. Jan. von Dares 
jalam in See gegangen, am 26. Jan. in Tanga eingetroffen 
und avaeht vpon dort am 3. Febr. wieder in See
	        
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