Full text: Lübeckische Anzeigen 1911 (1911)

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Heilagen: Vaterstädtische Blätter. Der Familienfreund. 
Amtsblatt der freien und hansestadt Lübeck 461. Jahrgang Nachrichten für das herzogtum Tauenburg, die 
beiblatt: Gesetz und Verordnungsblatt e õe edeeeesen du hürstentamer Ratzeburg, Lubeck und das angren⸗ 
äισσαιασασασιαεειαεεσασονασαναεασανενεοσ In declia de veeee ice eeteee zende medlenburgische und holsteinische Gehiet. 
Orud und Verlag: Gebrüder Borchers G. m. b. BO. in Lübed. — Geschäftestell⸗ EAdreß baus (Koniastr. 46). ——— —— —* 
Ausc 
(Große Ausgabe) Dienstag, den 26. September 1913. Abend⸗Blatt Ur. 488. 
daß unsere mabgebenden Kreise in dem tripolitanischen Aben— wenn jetzt bei der Nachricht vom Unglück an Delcassss 
euer eine Intrige der beiden Westmächte erblicken, die Italien tolze Rede über die Bereitschaft der franzs- 
sir sich gewinnen wollen. Der Gedanke klingt plausibel, denn ischen Flotte erinnert wird. Denn man hat ihm 
hne englische Erlaubnis würde es Italien niemals wagen, n Deutschland diese Versicherung gern geglaubt und beru higte 
ruppen in Tripolis auszusetzen. Mehr noch: ohne indirekte ich nur mit dem Gedanken, daß auch unsere Schiffe einen 
aglische Hilfe könnte Italien eine solche Politik schwer büßen. Kampf nicht zu scheuen brauchen. D'e Erinnerung aber an die 
denn sobald England den türkischen Truppen den Landweg ieggeschwellten Worte läßt nur die Tragik des heutigen Un⸗ 
ach Aegypten durch Tripolis freigibt, würden diese den zücks noch größer erscheinen, weil der Gegensatz zwischen den 
talienern einen Empfang bereiten, der die an dauernde Nie— »eiden Ereignissen noch greller wird. Hat aber wirklich 
erlagen bereits Gewöhnten zum schleunigsten Rückzuge veran— »ie Sybris aus Delcasse gesprochen, so wurde auch er daran 
sen müßte. Es fragt sich nur, ob England mit einer erinnert; dah es auch heute noch eine eifersüchtiee Wahrung 
Ichen Unterstützung Italiens wirklich den für sich wertvolleren Jöttlicher Rechte gibt. Eine Lehre, die frei ich nicht ihm 
reund gewonnen hätte. allein, sondern allen gilt, die diesseits und jenseits der 
Man erwäge doch auch folgendes: nicht umsonst spricht Vogesen, hüben und drüben des Kanals leben und als Chau⸗ 
ian von der Rivalität Deutschlands und Englands in der vinisten bekannt singd. d. 
ürkei. Nicht umsonst nennt man heute im osmanischen⸗ — —— 
teiche Deutschland den einzigen aufrichtigen Freund — Berlin und Rom. 
nd nicht umsonst sieht man in Konstantigopel England als ex schen Di aken über do 
einen erbittertsten Gegner an. Weil man das in London Eine Unlerredung mit eten — e 
benso gut wie in jeder anderen europäischen Hauptstadt Arin i— ꝛ. 
veiß ist man schon seit langem vor dem Augenblicke besorgt, Italien hat schon lange sein Augenmer? auf TIr'polis 
a dem die Kanonen in der Nordsee reden und gleichzeitig erichtet, und in letzter Zeit ist in der italienischen Presse 
ürkische Truppen in Aegypfen einmarschieren. Diese letzlere »as Verlangen, endeültig Hand auf Tripolis zu lezen, be⸗ 
Nöglichkeit endgültig zu überwinden, muß Großbritanniens onders lebhaft zum Ausdruck gekommen. Gleichwohl bat 
Jufgabe sein, ehe es seine Schiffe gegen Helgoland schickt. »as militärische Vorgehen Ialiens im Augenblick nivẽt wenig 
Ind der Kampf um Tripolis könnte jetzt Großbritannien die berrascht. Die italienische Regierung hat sich mit uns und 
bilkkommene Gelegenheit bieten, hier eine Verschicbung in der nit Wien vorher nicht verständizt. „Wir kennen auch die 
„is herigen Mächtekonstellation herbeizuführen. Denn sobald Zeweggründe seines Handelns nicht und möchten sogar glauben, 
ie Türkei bestimmten eng!ischen Forderungen entspricht, könnte zah die in der Presse geltend gemachten Beschwerden gegen 
s gewiß sein, daß der tripolitanische Boden von keinem Ber— ürkische Uebergriffe, die ungewöhnliche Machtentfaltung 
aglieri betreten wird. Die Ruhe Europas wäre dadurch ztaliens zum Schutze seiner Interessen kaum rechtfertigen. 
viederhergestellt. Freilich nicht für lange, denn es wäre die Immerhin ist Italien Mitglied des Dreibundes, und es steht 
etzte englische Vorbereisung zum grohgen Entscheidungskampfe. ins nicht an, die italienische Politik abfällig zu kritisieren, 
d. venn wir auch gewünscht hätten, vorher ins Vertrauen gezogen 
⸗ u werden. Aber vielleicht hat sich Italien vorher mii 
ßbaris und London ins Benehmen gesetzt! Es sieht 
ast so aus. Die Bemühungen; Italien uns ab 
penstig zu machen, aus dem Dreibund herauszu— 
zie hen und an die Seite der sogenanuten Tri 
RBleentente zu bringen, haben ja nie geruht. Bricht ein 
Krieg aus, so sieht es um die Ruhe Europas schlimm aus, 
es wäre schwierig, den Brand zu lokalisieren. Wahrschein— 
ich würde dann die ganze nähere Orientfrage wieder auf⸗ 
odern und zunächst unseren österreichischen Bundesgenofsen 
n Mitleidenschaft ziehen. Wir würden frei ich erst in zweiter 
dinie an die Reile kommen. Vorerst hoffen wir, daß das 
Leußerste vermieden wird und daß die maritime Machtent— 
aliung Italiens genügen wird, der Türkei den Weg dier Ver 
tändigung nahezulegen. Freilich, in cine Landabtretung 
werden die türlischen Machthaber schwerlich wi lizen können. 
Wir wissen nicht, was Italien verangen wied, wir werden 
aber gern die Vermittlerrolle übernehmen, wenn sie uns 
— —CC 
Atemlos, wie gelähmt, starrt das junge Mädchen auf den 
energischen Namenszug. Eine heiße Röte übergießt langsam 
hr Antlitz. Der Brief wandert in die Tasche, und, den 
zang fragenden Blick der Mutter meidend, verläßt sie fast 
taumelnd das Zimmer. 
Traurig folgt ihr das Muitterauge 
Seit wann hat das vergötterte Kind Geheimnisse vor ihr? 
Seit wann ist dessen Seele erfüllt' von Bildern, die es vor 
der Mutter verborgen hält? 
Nichts, gar nichts hat Josa Ur anvertraut 
Und in erbitterter, fieberhafter Erregung holt die Ge— 
heimtätin noch einen Brief herdor, den sie heute morgen 
emrfangen hatte, den sie schon un ühlige Male gelesen, und 
in den sie sich nun von neuem vertieft: 
Gnädigste Frau! 
Als gänzlich Fremder wage ich es, mich Ihnen zu nahen, 
und ich bin doch im Begriff. das kosibarste Gut von Ihnen, 
neine gnädige Frau, zu erbitten, das Sie besitzen — Ihre 
Tochter Josa! 
Weiterer Erklärungen meinerfeits bedarf es wohl nicht, 
da Ihre Tochter Ihnen über alles Aufschluß gegeben haben 
wird. Ich heische von Ihnen, hochverehrte, gnädige Frau, 
nun die Gnade, mir Vertrauen und freundliche Gesinnung ent— 
gegen zu bringen, denn mein heiligites Bestreben soll es fortan 
sein, Ihr Kleinod glüchlich zu machen. 
Moigen. in der Mittagsstunde, werde ich mir erlauben, 
persönlich vorzusprechen und verharre bis dahin als 
Ihr tief ergebener Albrecht Jan otha. 
Dieser Name! 
Tausendsach hatte ihn die Geheimrätin nennen hören, 
iber der Träger des berühmten Namens konnte es ja gar 
nicht sein! Davon würde ihr Josa gesprochen haben, wenn 
ie dessen Bekanntschaft einmal irgendu gemacht hätte. Und 
überdies — der berühmte Maler lebte, wie bekannt, in 
Auslanden.. 
Ten ganzen Tag schon hatte Frau Ehrenberg sich den 
Kopf über diesen Brief zersonnen — — aber das bittere 
Hefühl, daß ihr die Tochter kein Vertrauen geschenkt hatte, 
iberwog alles andere! 
ESchluß solgt.) 
Erstee Blatt. hierzu Rlatt. 
Ntududat3uαROM Xαα αααααιOαιιαιαXÛα Aruα — — — — 
Amfan er eute Pummer Seiten. 
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ar Ceil. —— 
zdtörung des europäischen Gleichgewichtes. 
J Wenn auch während der aufgeregtesten Tage im Streit 
im Marokko besonnene Politiker stets erklärten, daß der Friede 
kuropas nicht gefährdet sei, so schütteln auch diese heute be— 
orgt die Köpfe. Zwar gilt die Erregung nicht mehr Marokko, 
sondern Tripolis. Und nicht die Franzosen wollen den Krieg, 
ondern die Italiener. Hinter beiden Mächten steht aber heute 
wie gestern der gleiche Lenker des europäischen Schicksals, der 
s bisher immer vorgezogen hat, im Schatten zu kämpfen: 
kngland. Was soll man noch lange die Dinge verschweigen, 
die jedes politische Kind auf der Straße bereits weiß; schon 
st die Gefahr so weit gediehen, daß nur noch ein festes 
Auge⸗in-Auge-blicken sie bändigen kann. Drum fort mit der 
Phrase, laßt uns mit Freund' und Feind gut deutsch reden. 
Der geheime Wunsch Englands, über die Frage nach dem 
Besitz des Susgebietes vereint mit Frankreich gegen Deutsch— 
land kämpfen zu können, ist nicht in Erfüllung gegangen. Trotz 
aller Revanchegelüste war man in Paris doch zu klug, ein 
Geschäft — und nichts anderes ist die Marokkofrage — 
anders. als auf friedlichem Wege zu regeln. In Berlin 
aber ist man auf die versteckte englische Provokation nicht 
eingegangen, weil man bei uns richtig erkannt hat, daß der 
unvermeidliche deutsch-englische Krnieg als Zweikampf qusge— 
sochten werden muß. So mißglückte die englische Politik, 
und statt des Bewußtseins eines Erfolges blieb den englischen 
Ztaatsmännern nur das Wutgefühl unbefriedigter Rache zurũck. 
Jetzt hat man in London einen neuen Weg gefunden, der 
u dem ersehnten Ziele, der Störung der europäischen Ruhe, 
ühren soll: von Rom geht er nach Tripolis, von dort nach 
Fonstantinopel, um in Berlin zu endigen. Man muß es 
den Herren jenseits des Kanals laisen: auch heute noch haben 
ie Tage, die an die großen der englischen Geschichte erinnern. 
So ungeschickt Marokko als casus belli gewählt war, so klug 
ausgehedt ist der tripolitanische Plan. Zwar kann auch er nicht 
zleich zu einem Zusammenstoß in der Nordsee führen, wohl 
iber ist er die erste Vorbereitung, die leicht unsere Siegeschancen 
»erringern fönnte. Denn mag nun das tripolitanische Aben— 
euer den Italienern den Erfolg und den Türken die Nieder— 
age oder umgekehrt bringen — in jedem Falle wird Deutsch⸗ 
and gezwungen, zwischen zwei guten Freunden zu pptieren, 
wenn es nicht vorzieht, die schwächliche Haltung der striktesten 
seutralität einzunehmen. England dagegen hat die er— 
vünschte Möglichkeit, eine der beiden streitenden Mächte durch 
gcheime Unterstützung als ünftigen Freund zu gewinnen. 
Leute mit scharfen Ohren wollen in Berlin gehört haben. 
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der Liebe Goͤtterstrahl. 
Noman von Marga Rayle. 
(Fortseßung statt Schluß.) 
Endlich, endlich war Josa deheim. In einem wahren 
Fieber hatte sie diesen Moment kerbeigesehnt. Und nun sah 
ie sich in den Erwartungen, die sie an diese Heimkehr geknüpft, 
aufs bitterste enttäuscht. 
Es war ihr damit gegangen wie einem Kinde, das in 
seinen Schmerzen unablässig nach der Mutter verlangt und 
dann doch einsehen muß, daß auch diese machtlos seinen Leiden 
jegenübersteht. 
Bei hellem Lampenschein saßen Mutter und Tochter wieder 
in dem traulichen, blumendurchyufteten Wohnzimmer bei— 
einander. 
Mohl mutete die liebgewordene Umgebung die Fern— 
gewesene heimatfroh an, aber vergeblich harrte sie der Er— 
lösung von all den schweren Gedanken, von dem lastenden 
Hemütsdruck. wie sie das während der langen, einsamen 
Reise schmerzlich erhofft hatte. Tie viele Stunden währende 
Fahrt war so recht dazu angetan gewesen, noch einmal die 
üngste Vergangenheit im Geiste zu durchleben. Toch manchmal, 
venn sie die Augen schloß, war es ihr gelungen, auch lichte 
Bilder heraufzubeschwören, die kurzen Stunden voll geheimen 
Zaubers, voll unbegreiflichen Glückes, die sie erlebt, in seligen 
Schauern wieder zu genießen. 
Sollte sie nun davon der Mutter sprechen? — — Un— 
möglich! Kein Wort hätte sie über die Lippen gebracht! 
Und was sonst? 
Nichts Heiteres wollte ihr einfallen, so sehr sie sich auch 
den Kopf zersann. Und die Liebe, Gute gleich mit Uner— 
uichlichem betrüben, das mochte sie auch nicht, dergleichen kam 
mmer noch früh genug. 
So saßen sie schweigend, Hand in Hand. 
Als ob sie lange getrennt gewesen, so dünlte es beiden 
Frauen. Mit heimlichem Forschen muserten sie sich gegenseitig. 
Stolz und Entzücken erfüllt das Matterherz. Es scheint 
hzr, daß sie gar nicht mehr gewußt habe, wie schön und 
old ihr Kind sei. Aber eins kann sie sich nicht verhehlen: 
in gespannter, unfroher Zug lieat um den jungen, roten
	        
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