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Beilagen: Vaterstädtische Blätter. — Der Familienfreund.
Amtsblatt der freien und Hansestadt Lübet 4161. Jahrgang Nahrichten sur das tzerzogtum Tauenburg, die
Beiblatt: Gesetz⸗· und Verordnungsblatt tꝝe — gürstentümer Katzeburg, Lübeck und das angren
— — zende medlenburgische und holsteinische Gebiet
Drudck und Verlaa: Gebrüder Borchers G.m. b. S. m Lübed. — Geichüftsstelle Adreß haus (Komajstr. a Fernsdreser ond v. —2
GGroße Ansgabe) Freitag, den 15. September 191. abend⸗Blatt Ur. 468.
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Ausgabe
Blatt.
Seiten.
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Zu Bebels gestriger Rede.
b. Lübeck, 15. Sept.
Genosse Bebel hat in der Tonnerstags-Sitzung des sozial-
demokratischen Parteitages die Unmöglichkeit eines beim
Kriegsausbruch erfolgenden Massenstreiks dar—
getan. Arbeit und Brot ist nach seiner zutreffenden Ansicht
das, was die Arbeiterschaft nach der Kriegserklärung zuerst
und zuletzt werde haben wollen. Aus diesem Grunde, nicht
etwa um vaterländischer Rücksichten willen, lehnt Bebel den
Gedanken an einen Massenstreik im Falle eines Kriegsaus—
zruches ab. Und auch seine Ablehnung erfolgt nicht ohne
Einschränkung, weil er jeder Nation vorbehält, „so zu han—
deln, wie sie es für gut hält und wie es möglich ist“.
Gesetzt also, daß eine „Nation“ die Turchführung eines Massen—
treiks für gut und für möglich hält, hat sie nach Bebels
Auffassung das Recht zur Inszenierung des Massenstreiks —
mag dadurch auch die Widerstandokraft des Staates gegen—
über dem auswärtigen Feinde gelähmt werden.
Die schillernde Haltung, die „Genosse“ Bebel mithin in
Sachen des Massenstreiks beim Kriegsausbruch einnimmt, trat
noch schärfer durch sein Bestreben hervor, die Existenz der
bürgerlichen Gesellschaft als durch den Krieg bedroht hinzu—
stellen. Es lag sehr nahe, daß Bebel in diesem Zusammen—
hange die letzte Börsenpanik und den Sparkassensturm zur Be—
kräftigung seiner schwarz in schwarz gehaltenen Behauptungen
verwertete. Aber die geschickte Ausnützung der erwähnten be—
dauerlichen Vorkommnisse verringert nicht die Maßlosigkeit seiner
durch alle geschichtliche Erfahrung widerlegten Uebertreibungen.
Wo ist denn der Staat, der im Augenblick des Kriegsaus—
bruchs das wirtschaftliche Leben so plötzlich und so grund—⸗
stützend zusammenbrechen sah, wie Bebel es schildert? Bis
zu den jüngsten Kriegen Rußlands und Spaniens hat man in
der Neuzeit immer wieder beobachten können, daß das wirt—
schaftliche Leben nach den ersten Störungen in verhältnismäßig
kürzester Frist mehr oder weniger vollständig in den gewohnten
Geleisen sich fortbewegt. Da soll nun mit einem Male jetzt
die bürgerliche Gesellschaft zusammenbrechen, sobald der Krieg
erklärt ist? Da soll insbesondere Deutschland bankerott wer—
den, weil eine Kriegsanleihe von 18600 Mill. Menötig wäre?
„Genosse“ Bebel vergißt gerade bei dem letzten Beispiel, daß
das Deutsche Reich im letzten Jahrzehnt Jahre durchgemacht
hat, in denen trotz des Friedens die Anleihen von Reich und
Einzelstaaten gar nicht weit hinter jenen 1500 Mill. Muzurück—
tanden! Trotzdem blieb die bücgerliche Gesellschaft heil urs
Erstes Blatt. hierzu
— Amfang der heutigen
nichtamtlicher Teil.
gesund, trotzdem nahm die wirtschaftliche Entwickelung eine
aufsteigende Richtung an.
Erweist sich also Bebel mit seinen neuesten Kassandraweis—
kagungen abermals als ein schlechter Prophet, so entfernt er
sich bei den Anklagen, die er gegen die deutsche Marokkoaktion
eichtet, auf das merkwürdigste von seinem eigenen grundsätz⸗
ichen Standpunkte in der Maroklofrage und von unzweifel—
jaften Tatsachen. Bebel verlangt für die deutschen Interessen
nn Marokko „vollständige Gleichberechtigung“ gegenüber den
virtschaftlichen Interessen Frankreichs. Dieselbe Auffassung ver—⸗
icht die deutsche Regierung. Die Entsendung des „Panthers“
iach Agadir war der öffentliche Beweis für die Entschlossenheit,
nit der die deutsche Regierung jene Auffassung zur Geltung
zringen wollte. Die Ansicht Vebels, daß die Entsendung des
Panthers“ zunächst das Vorhaben einer deutschen Festsetzung
ruf marokkanischem Boden bedeutete, daß erst später der Kaiser
»en Staatssekretär von Kiderlen zum Rückzuge auf ein ge—
näßigteres Marokkoprogramm gensötigt habe, ist mit den
Tatsachen unvereinbar. Sofort nach der Entsendung des
Panther“ teilte die halbamtliche Presse mit, daß keine
dandung von Mannschaften, keine Besitzergreifung in Süd—
zestmurokko beabsichtigt sei, auch alldeutiche Blätter hatten
„ieran zunächst nichts auszusetzen, sondern gelangten erst nach
twa 14 Tagen zu der Meinung, daß Deutschland marokka—
tisches Gebiet erwerben müsse. Nicht minder falsch sind
oichtige Einzelheiten, die Bebel sonst noch gegen die Ent—
endung des „Panthers“ vorbringt. Dahin gehört vor allem
e'ne Behauptung: der englische Premierminister Asquith hobe
rklärt, daß mit der Entsendung des „Panthers“ nach Agadir
ine ganz neue Frage aufgetaucht sei. Eine solche Erklärung
at Asquith niemals abgegehen; Jeine Aeußerung im Unter—
ause spielt überhaupt nicht ausdrücklich auf den „Panther“
in, und ist so gefaßt, daß die Wendung von der neuen Lage,
sie in Marokko eingetreten sei, auch auf die französische
cxpedit'on nach Fez bezogen werden muß.
„Genosse“ Bebel hat für heute in Jena mit sehr großen
VPorten die parlamentarische Marokkoaltion der Sozialdemo—
ratie angelündigt. Entspricht diese Antion der Rede Bebels,
dann kann die Regierung ihr allerdings mit aller Gelassen—
heit entgegensehen.
Theater eine Festvorstellung statt. Während derselben ist
der russische Ministerpräsident Stolypin durch einen Unbe—
kannten, dem es gelang, sich ihm zu nähern und mehrere
Schüsse auf ihn abzugeben, durch einen Revolverschuß schwer
»erwundet. Der Minister wurde am Bauch und an der Leber
chwer getroffen. Der Mann, der die Schusse abgab, nennt sich
Bagrow und bezeichnet sich als Rechtsanwaltsge⸗
hilfe. Es scheint, dan auch Zar Nikolaus derselben
Vorstellung beigewohnt hat. Eine Depesche aus Kiew
meldet hierzu:
— W. Kiew, 14. Sept. Kaiser Nikolaus wohnte heute mit
dem Großfürsten, dem Hof und den Ministern den Manövern
n der Nähe von Kopylow bei. Nach der Rückkehr nahm der
daiser die Parade über die Jugendwehr ab, an der die Schüler
des ganzen Lehrbezirkes teilnahmen. Abends fand im
Theater eine Volksvorstellung in Gegenwart
des Kaisers statt.
Geplanter Anschlag auf die Zarenfam lie?
Berlin, 15. Sept. K.⸗Privattelegramm der
Lübeckischen Anzeigen.) Die Londoner News meldet:
Stolypins Attentäter Bagrow ist als Mitglied der russischen
Revolutionspartei festgestellt, dessen Haupt Rykow am 12. Sept.
in Moskau verhaftet wurde. Das Kiewer Attentat sollte nach
Bagrow zuerst der Zarenfamilie gelten. Erst nach der Unmög-
ichkeit, dien Plan auszuführen, wurde Stolypin zum Ziel des
Attentates bestimmt.
Der Fall Cartwright erledigt.
Die Norddeutsche Allgemeine Zeitung schrieb gestern:
„Die kaiserliche Regierung hat auf Anfrage von der
königlich großbritannischen Regierung die Mitteilung erhalten,
»aß der englische Botschafter in Wien weder den bekannten
Artikel der Neuen Freien Presse inspiriert, noch die ihm
bon dem Verfasser des Artikels zugeschriebenen Aeußerungen
getan hat. Damit ist der Zwischenfall für die kaiserliche Re—
zierung in befriedigender Weise erledigt.“
Aus dieser Mitteilung der Norddeutschen Allgemeinen
Zeitung geht hervor, daß unsere Reichsregierung Gelegen—
seit genommen hatte, in London über die Sir Fairfax
Lartwright in den Mund gelegten Aeußerungen anzufragen.
Mit dem Augenblick, wo das englische Kabinett amtlich in
Abrede stellt, daß der Botschafter die Aeußerungen getan
habe, ist die Angelegenheit selbstverständlich für die deutsche
Regierung erledigt.
die Berufsstellung der nationalliberalen Keichstags
kandidaten.
Eine neueste von der Nationalliberalen Korrespondenz ver—
öffentlichte Liste nationalliberaler Reichstagskandidaturen zeigt,
wenn sie auch auf Vollständigkeit noch keinen Anspruch erheben
— — — — ——
ihre Sehnsucht nach einem unbestimmten Etwas, worüber sie
sich keine Rechenschast abzulegen getraute, wuchs in solchen
Stunden ins Grenzenlose.
„Bringen Sie eine Aufklärung?“ fragte sie angstvoll,
Ingeborgs Hände ergreifend.
Tas blonde Mädchen nickte.
„Ja, und Gott sei Dank, wir haben uns von einem Hirn—
zespinst ins Bockshorn jagen assen. Das Entsetzliche, was
vit dachten, ist es nicht!“
Sie überlegte nicht, daß die ja das Geheimnis ihrer
Mitwisserschaft preisgab. Jedoch achtete Josa in ihrer Er—
egung gar nicht darauf. Sie börte aus Ingeborgs Worten
iur das heraus, was ihr einen Alpo von der Brust nahm, daß
aie unheilschwangere Wolke, die über dem Hause schwebte, nicht
mnit Addy zusammenhing. Mit einem tiefen, erlösenden Seufzer
'altete sie unwillkürlich in heißer Tankbarleit die Hände.
„Aber stellen Sie sich vor, Josa, in unserer Familie
ängt's an, romantisch zu werden,“ fuhr Ingeborg in glühendem
kiser fort. „Gott! Ist das eine flühne Ideenverbindung!
ßroßmutter, die verkörperte, verstandeskalte Prosa und Be—
lechnung — und Romantik!! Dieles Biest, diese Irma!“
„Um Irma handelt es sich?“ 22
Eine Welt voll Staunen lag in Josas Frage.
An Irmas Existenz hatte sie überhaupt nicht mehr ge—
dacht. Ihre matte, ausdrudslose Perfönlichkeit war gekommen
und gegangen, ohne ihr auch nur den geringsten Eindruck
zu hinterlassen und sicherlich auch, ohne ihr die Fähigkeiten
zuzutrauen, die Gemüter der Familie in Aufregung zu versetzen.
„Ja, um Irma!! Es ist doch einfach zum ... na —! Also
denken Sie sich ... das heißt nein. ich will Ihnen lieber gleich
den Brief vorlesen, da erfahren Sie alles schön im Zu—
sammenhang.“
Sie faltete einen großen, engbeschriebenen Bogen aus—
einander.
„Ist das nicht indiskret? Darf ich von der Sache wissen?“
fragte Josa abwehrend, unwillkürlich ihre schmale Hand auf
das Briefblatt legend.
„Alles dürsen Sie wissen, Sie goldenes Butterschäfchen,“
und Ingeborg küßte sie zärtlich, „Sie sind ja die verschwiegenste
kleine Person von der Welt! Miir schleierbar!“ — staunendes
Attentat auf Stolypin in Kiew.
Kiew, 14. Sept. Während der heutigen Theatervor—⸗
stellung wurde auf den Ministerpräsidenten Stolypin ein An⸗
chlag verübt, wobei dieser schwer verwundet wurde. Der Täter
jt verhaftet. Stolypin ist bei dem Anschlag an der Hand
perletzt worden. Die Kugel streifte die Leber und blieb im Rück⸗
grat stecken.
Die Voss. Ztg. bringt über das Attentat auf Stolypin fol—
Jende Einzelheiten: Anläßlich der Enthüllung des Denkmalzs
Alexander II. von Rußland fand in Kiew geitern abend im
Der Liebe Götterstrahl.
Roman von Marga Ranyle.
(24. Fortsetzung.) Machdruck verboten.)
Vorwurfsvoll sah sie zu der jungen Frau hinüber und
diese meinte unbekümmert:
„Kleine Kinder brauchen nicht atles zu wissen!“
Nini setzte eine erhabene Miene auf, die ihr allerliebst
stand, doch fehlte ihr im Augenblick die Lust zu einem
fröhlichen Wortgefecht.
„Es wird doch nichts mit Addy sein?“ sprach Josa,
namenlos bedrückt von dem Gehörten.
Mit greifbarer Deutlichkeit stand die erschütternde Szene
am dänischen Lusthause vor ihrem geistigen Auge. Diese Ver—⸗
mutung erschreckte die beiden unfreiwilligen Zeugen ihres Ge—
heimnisses bis ins Innerste. Sie lfauschten einen bang fra—
genden Blick. Sollte nun das Urteil schon hereinbrechen?
Die ahnungslose Gräfin, die sich prinzipiell mit der Lösfung
von Problemen nicht befaßte, äußerte ein paar tröstliche Ge—
meinplätze. Dann nahm sie sich Nini und Lucinde und rettete
sich aus der beklemmenden Atmosphäre hinaus in den Park.
Unauffällig schlich der kleine Husar hinterher. Bald genug
würden sie vier schon wieder kreuzfidel zusammen sein. Es
bedurfte nur einiger harmloser Witze. Tie drei Damen waren
leicht befriedigt.
Auch Josa erhob sich. Eine große Angst hatte sich ihrer
bemächtigt und schnürte ihr das Herz zusammen.
„Mir ist der Schred in alle Glieder gefahren,“ sprach sie
eise, und ein mattes Lächeln huschte um den lieblichen Mund.
„Ich gehe ein wenig an den Strand hinunter, die Einsamkeit
und Stille werden mich beruhigen.“
Die beiden Augenpaare der Zurüdgebliebenen folgten ihr
tief nachdenklich. —
Das war gar nicht der leichte, schwebende Schritt, die
dolze Haltung voll anmutiger Würde! Gesenlten Hauptes, mit
zusammengezogenen Schultern schlich sie müde dahin, gleichsam
zusammengedrückt von einer schweren Bürde.
Als sie hinter Bülchen und Bäumen auf dem leicht zum
Meere abfallenden Wege verschwunden war, warf Ingeborg
sich laut aufweinend über den Tisch.
„Hans,“ jammerte sie in ihr Taschentuch hinein, „ein—
ziger Hans. was soll das nur werden?“
Aber keine Antwort ward ibr zuteil.
Muit abwesendem Blich folgte der Mann der entschwin—
»enden Gestalt der Heißgeliebten. Sie jetzt in die Arme
iehmen dürfen, ihr die Sorge von den bangen Augen küssen!!
Wie schmerzvoll mochte sie innerlich leiden! Mit seinem weichen
Aindergemüt konnte er es so ganz begreifen und durfte ihr
doch nicht nacheilen — ihr nichts sein....
Die weinende Cousine sah er gar nicht.
„Nun, Hans?!“
Ingeborg fuhr plötzlich auf. Im jäh erwachten Argwohn
nusterte sie ihn mit scharfen, schnell getrockkneten Augen. Was
ollte das heißen, dah er sie hier ungetröstet weinen ließ?
Wie konnte er sie überhaupt weinen sehen, ohne sie in die
Arme zu nehmen und zu sprechen: „Hier an meinem treuen
derzen, das nur für dich schlägt, sollst du dich fortan aus—
veinen!“
Hans war wirklich ein Tölpel. Oder zum mindesten ein
Zind. Die besten Gelegenheiten ließ er ungenützt vorübergehen!
Ind dabei sollte man nur diese einzigen, liebewarmen Augen
ehen, mit denen er neben ihr gesessen und träumerisch ins
Weite geschaut hatte. Sicherlich Fand da eine wonnige Zu—
unft vor ihm. Aber praktischer wäre es für den Moment,
in die Gegenwart zu denken.
Ungeduldig schob Ingeborg den Stuhl zurück und schidte
sich zaudernd zum Gehen an. Er aber machte nicht die leisesten
Anstalten, ihr zu folgen oder sie zurückzuhalten.
Da ging sie zornig ins Haus und schmetterte die Glastür
hinter sich zu, daß die Scheiben lirrten.
Nach einer Stunde etwa kam Ingeborg eilfertig hinunter
gelaufen an den Strand. Sie wußte. daß sie Josa dort auf
einer kleinen Landzunge finden würde, für die sie eine besondere
Vorliebe besaß. Aufgeregt, mit blitzenden Augen, warf sie
sich neben der Freundin in den sonnenwarmen Sand.
Josa empfand die Störung als eine Wohltat.
Tos endlose Grübeln ängstigte sie bis ins Innerste. Nir—
ends sanden die gequälten Gedanlen eine freundliche Rast, und