Full text: Lübeckische Anzeigen 1911 (1911)

bereits vorliegenden Anträgen von Breslau. Teltow-Beeslow, 
Etuttgart und Bremen als besonderer Punkt auf die Tages- 
ordnung kommen und neben Bebels Reichstagswahlrede die 
meiste Zeit des Parteitages in Anspruch nehmen. 
Ein eigenartiger Zufall will es, daß zwei andere Jenenser 
Ereignisse mit dem Varteitag zeitlich zusammenfallen. Am 
heutigen Sonntag abend erwartet man hier die Rückkehr des 
„Olympiers“ Richter, und am Dienstag trifft in einem Extra⸗ 
zuge der erste Internationale Monistenkongreß hier ein, um 
abends Ernst Haeckel durch einen solennen Fackelzug zu seiern. 
Die Eröffnung des Parteitages ecfolgte heute abend 7 Uhr 
durch den Vorsitzenden des Jenenser Lokalkomitees, den früheren 
Schlosser der Zeib⸗Werke, Reichs- und Landtagsabg. Herm. Leber⸗ 
Jena. e 
Der nähere Bericht über die Cröffnungsversammlung folgt. 
Inland und Ausland. 
Deutsches Reich. 
Marokloresolution des Altdeutschen Verbandstages. Auf 
der gestrigen Hauptversammlung des alldeutschen Verbandtages 
wurde folgende Resolution einstͤmmig angenommen: „Die 
am 10. September 1911 zu Düsseldorf tagende Hauptversamm⸗ 
lung des Alldeutschen Verbandes erachtet es im Hinblick auf 
das, was über die Absichten der Neichsregierung bei den 
Verhandlungen mit Frankreich durch die halbamtliche Presse 
bekannt geworden ist, für ihre vaterländische Pflicht, unum— 
wunden auszusprechen, dah die politische Preisgabe Marokkos 
an Frankreich und die sogenannte Schadloshaltung des deut⸗ 
schen Reiches am französischen Kongo weder den Wünschen 
des Deutschen Volkes, noch den Notagendigleiten des Deutschen 
Reiches entspricht, und ist überzeugt. daß sie hiermit der 
Meinung von Millionen deutscher Bürger Ausdruck verleiht. 
Sie stellt auch sest, daß unsere öffentliche Meinung klar erkannt 
hat, daß es sich jetzt nicht mehr um Marokto allein handelt, 
sondern in der Hauptsache darum, ob unser Volk seinen ge— 
rechten Anspruch auf den Platz an der Sonne auch gegenüber 
dem Widerstand mißgünstiger Gegner durchseten will, daß also 
aus der Angelegenheit, die zunächst eine Frage politischer 
Zweckmäßigkeit gewesen sein mag, eine Ehren- und Macht— 
frage geworden ist. In genauester Kenntnis der Stimmung 
der überwältigenden Mehrheit unseres Volkes stellt der Ver— 
bandstag fest, daß eine Politik der Regierung, die diesen 
Gesichtspunkt wahren wird, unser Volk mit Begeisterung zu 
jedem Opser bereit findet, während er nicht abzusehen vermag. 
welche Folgen für unser öffentliches Leben ein Ergebnis haben 
würde, das vom In⸗ und Ausland als deutsche Niederlage 
aufgesaßt würde. Gerade im Sinblick auf diese Folge bittet 
der Verbandstag den Reichskanzler, lieber den Abhruch der 
Verhandlungen anzuordnen, als einen Abschluß zu vollz'ehen, 
der den deutschen Wünschen und Notwendigkeiten nicht voll 
entspricht.“ 
Vertagung der Weltwechselrechts lonferenz. Wie einer Ber⸗ 
liner Nachrichtenstelle von zuständiger Seite mitgeteilt wird, 
wurde auf der letzten Weltwechselrechtskonferenz im Haag 
beschlossen, die nächste Konferenz noch in diesem Jahre 10911 
— im September — stattfinden zu lassen. Bisher sind aber 
noch keine einleitenden Verhandlungen angebahnt worden. 
Wenn auch die offizielle Vertagung bis heute noch nicht 
stattgefunden hat, so ist doch nicht anzunehmen, daß die Kon⸗ 
ferenz noch in diesem Jahre abgehalten werden wird, da 
in den niederländischen Kammerverhandlungen keine Mittel 
dafür bewilligt worden sind. Es wird also lediglich von 
der Stellung der niederländischen Regierung abhängen, wann 
die Konferenz stattfinden wird. Für dieses Jahr dürfte es 
aber für die Einladungen bereits zu spät sein, so daß man 
annehmen kann, daß sie erst für das nächste Jahr erlassen 
werden können. 
Die nächste Tagung der engeren statiftischen Kommission. 
Wie aus Berlin mitgeteilt wird, findet die nächste Sitzung 
der engeren statistischen Kommission unter dem Vorsitz des 
Geheimen Oberregierungsrat Koch vom Reichsamt des Innern 
schon im Laufe dieses Monats statt. Die Mitteilung, daß 
sich die Kommission mit den Vorarbeiten für ein statistisches 
Reichsgesetz beschäftigt, ist unzutreffend, da augenblicklich ge— 
setzliche Bestimmungen über den Antwortzwang bei statistischen 
Erhebungen nicht geplant sind. 
Eine Abänderung des Zündwarensteuergesehes wird be— 
kanntlich seit längerer Zeit erwogen. Wie man jetzt er— 
ährt, wird beabsichtigt, die im 8 3 des Gesetzes zum 
Schutze der bestehenden Zündholzfabriken vorgesehene fünf— 
iährige Frist zu verlängerry, und das den Zündwaren- 
fabriken zugeteilte Kontingent unter Anpassung des Kon— 
cingents an den tatsächlichen Verbrauch im Inlande herab⸗—⸗ 
zusetzen. Ferner käme noch eine Ausdehnung der Steuer 
auf die Zündholzersatzmittel, insbesondere auch auf die Taschen— 
feuerzeuge, in Frage. 
—— — —— 
in diesem Moment ihr Geschich besiegelt, ein heiß ersehntes, 
— ——— 
⸗Sie sah und fühlte nicht, wie Herz und Augen des Mannes, 
der sie umfing, zu einer anderen drängten mit ernstem, wer— 
bendem Blick — aber die andere — die sah es auch nicht! 
Die Sonne stand schon sehr sern und sehr tief über der 
in Abendgold sich kauchenden Meeresfläche, als der vier—⸗ 
wännige Wagen vor der Freitreppe hielt, der die Neuver— 
mählten zur Bahnftation bringen dsollte. 
Die Gesellschaft kam aus dem Tanzsaal heraus, um den 
Absahrenden Lebewohl zu sagen. Schwatzend und lachend 
drängten sich kleine Gruppen auf Treppe und Rampe. 
MNini war auf dem abschüssigen Rüden des rechts befind- 
lichen Greifen niedergesunken. 
zSie hatte ein ganz, ganz klein wenig zu viel Sekt ge⸗ 
krunken und befand sich in weltschmerzlicher Stimmung, aus der 
selbst Herrn v. Breesas Witze und angestrengte Bemühungen sie 
nicht zu reißen vermochten. Den Arm um das steinerne Ge—⸗ 
fieder des Vogelhalses geschlungen, philosophierte sie, was ihr 
wohl zum erstenmal in ihrem jungen Leben passierte, über die 
WVergänglichkeit der Tinge. 536* 
Sie dachte, wie viele Eggelows wohl schon im Hochzeitswagen 
von der Rampe gefahren sein möchten, ob sie wohl auch 
einmal datan kommen würde, oder ob sie eine alte Jungfer 
werden müsse. Und bei diesem entsetzlichen Gedanken überkam 
fie das Elend derart, daß sie laut aufschluchzend ihr herziges 
Gesichtchen auf den gefühllosen Vogelkopf drückte. J 
AWie rührend! Der Abschied von der Schwester wird ihr 
so schwer, dachten die Leute und sahen mitleidig oder voll 
Nachsicht über die Unbeherrschtheit hinweg. 
«Fortsetzung folgt.) 
Das Reichs⸗Theatergeseß wird wohl noch elwas auf sich 
barten lassen. Die Vorarbeiten sind nämlich wegen einer 
deihe besonderer Schwierigkeiten ins Stocken geraten, so 
»aß eine Einbringung eines Theatergesetzes für die erste 
Zession des neuen Reichstages kaum zu erwarten stehen 
ȟrfte. Voraussichtlich werden im Laufe des Herbstes mit 
ekannten Theatermännern Besprechungen über diese Materie 
ingeleitet werden, um neue Grundlagen für den Entwurf 
uu schaffen, auch die Vornahme von amtlichen Erhebungen 
iber eine Reihe von Fragen, die durch den Entwurf be— 
rührt werden, ist vorgesehen.— 
Wegen des Ansturms auf die Sparkassen mahnen die preu— 
iischen Regierungspräsidenten in den Amtsblättern zur Be— 
onnenheit. Es wird dabei ausgeführt, daß die Kriegs— 
urcht vollständig unbegründet und nur durch eine leichtsinnige 
zresse in die Welt gesetzt sei. Aber selbst wenn die Ge— 
.uchte einen tatsächlichen Hintergrund hätten, läge keine Ver— 
inlassung vor, die gesparten Gelder von den Sparkassen 
ibzuheben, da den Sparern auch im Falle eines Krieges ihre 
zuthaben nicht verloren gingen. Zudem solle sich jeder 
zparer hüten, sein mühsam zusammengetragenes Kapital aus 
triegsfurcht abzuheben, die Erfahrung habe gelehrt, daß es 
chwer halte, einmal abgehobenes Geld wieder vollzählig der 
zparkasse zuzuführen. Die Landräte und Gemeindevorsteher 
odirken infolge des Ansturmes auf die Kreissparkassen eben⸗ 
alls beruhigend. 
Ein Mittelstandskongreß des Sausabundes. Anfang No— 
ember d. J. wird der Hansabund in Berlin einen Mittel— 
tandskongreß abhalten, zu dem Vertreter der Ortsgruppen 
ind Zweigorganisationen des Hansabundes sowie der dem 
dansabund angeschlossenen Mittelstandsverbände geladen sind. 
ßegenstand der Beratung des Kongresses werden sein: 1) Die 
zebung des kleingewerblichen Kredites. 2) Konsumvereine und 
ßeamtenkonsumvereine. 3) Fragen des Detailhandels. 4) Fra—⸗ 
jen des Handwerks. 5) Submissionswesen. 6) Gewerbliches 
Zildungswesen. 7 Die Zukunft des deutschen Mittelständes. 
— Tag, Versammlungsort des Kongresses und die Namen 
der Referenten werden noch bekannt gegeben werden. 
Pr. Zu den oldenburgischen Landtagswahlen im Fürstentum 
Ldübed wird uns aus Eutin geschrieben: Trotz der nahe bevor⸗ 
tehenden Landtagswahlen — es trennen uns nur noch 
; Wochen von dem Wahltermin — ist hier im 23. dem 
lördlichen Wahlkreis des Fürstentums, noch alles ruhig, 
amentlich die Liberalen rühren sich anscheinend nicht. Es 
st knapp bekannt, welche Kandidaten aufgestellt sind. Die 
zozialdemokratie ist besser bei der Arbeit; sie hat den 
lnternehmer Rebenstorff, hier, und den Maurer Gloy aus 
deudorf als Kandidaten aufgestellt. Sie arbeitet allerdings 
segen früher mehr im stillen. Bisher durften nur olden— 
⸗urgische Staatsangehörige wählen, jetzt aber hat jeder über 25 
Jahre alte Steuernde, der ununterbrochen 3 Jahre im Groß— 
yerzogtum seinen Wohnsitz hat, das aktive Wahlrecht. Da 
das Pluralwahlrecht eingeführt ist, so hat auch jeder über 
10 Jahre alte Wahlberechtigte eine weitere Stimme. Man 
zarf gespannt sein über die vom Bund der Landwirte noch 
aufzustellenden Kandidaten in diesem Wahlkreise. Hier wird 
nan sich wohl nicht, wie im 24. Wahlkreise, mit den Libe— 
alen auf gemeinsame Kandidaten einigen. Wie wir hören, 
ind für den 23. Wahlkreis von seiten der Liberalen der 
bisherige Abgeordnete Bauunternehmer Steenboch und der 
Nentier Leo Weiß, hier, aufgestellt. 
— 
Englaud 
Englische Unterseebootflott lien für d'e Ostlüste. Aus Hull 
meldet der Londoner Standard, dahß die Admiralität be— 
schlossen hat, an der Ostküste drei vollständige Untersee- 
bootflottillen zu unterhalten, deren Operationshafen Har— 
odich, Hull und Rosyth sein sollen. So viel verlautet, sollen 
»ie betreffenden Stationen vom 1. November ab von den 
drei Unterseebootsflottillen benutzt werden. 
Verlängerung des deutschreenglischen Handelsprovisoriums. 
Zwischen der deutschen und der englischen Regierung werden 
»emnächst neue Beratungen über die Verlängerung des gelten— 
»en deutsch-englischen Handelsprovisoriums beginnen. Es ist 
zeabsichtigt, das Handelsprovisorium auf zwei weatere Jahre 
u verlängern. Die Verhandlungen dürsten keinen Schwierig⸗ 
lkeiten begegnen, so dan die Vorlage dem Reichstage noch 
im Oktober zugehen kann. 
SFraukreich 
17 Millionen Franken für das Militärflugwesen. Das 
Budget für 1912 sieht für Militärflugwesen eine Gesamt— 
ausgabe im Betrage von 17 Millionen Franken vor. 
Die mecklenburgischen Kaisermanöver. 
(Von unserem militärischen Mitarbeiter.) 
Im Quartier der Manöverleitung. 
Woldegki. M.., 10. Sept. 
Woldegk, ein Landstädtchen an der Mecklenburgischen 
Friedrich-Wilhelm-Bahn, hat noch niemals so lebhaften Puls- 
chlag gehabt, wie gegenwärtig. Die ganze Manöverleitung 
indet sich heute im Ort zusammen, nachdem schon seit Tagen 
»ie Vorbereitungen für die Unterkunft getroffen worden sind 
und' unzählige Militärautomobile das holprige Buckelpflaster 
ber mit sechs Windmühlen gezierten Stadt durchrasten. Welche 
elbstbeschauliche Ruhe dem Oertchen beschieden ist, geht aus 
»en Nervensträngen des Verkehrs, den Eisenbahnen hervor, die 
s mit dem Osten und Westen der Umgebung verbinden. Um 
„12 nachm. in östlicher, um 8,48 abds. in westlicher Richtung 
ermag der Bahnnerd Kunde von Woldegks Innenleben zu 
seben, um dann bis 10,03 bezw. 6,61 des andern Vormittags 
son seinen Leistungen auszuruhen. Also eine zehnstündige oder 
wölfstündige Atempause. Als ich mich vor etwa sechs Wochen, 
achdem mir Woldegk als Unterkunftsort der Manöverleitung 
ind der Pressevertreter bekannt geworden, dem Studium der 
Bostverbindungen hingab und diesen dem neurasthenischen Trei⸗ 
ꝛen der Berichterstatter so zuwiderlaufenden Verkehrsstillstand 
ntdectte, wandte ich mich hilfesuchend an das Kaiserl. Postamt 
Woldegk und bat um die Anordnung besonderer Verkehrs— 
naßnahmen während der Mansövertage, um uns Berichter— 
tattern die Absendung von Briefen zu einer späteren Abend- 
tunde zu ermöglichen. Denn wenn man vom Erwachen der 
sebelkrähen bis zum Spätnachmittage auf dem Scheinschlacht⸗ 
elde zu tun hat, kann man einen schriftlichen Bericht schlech⸗ 
erdings nicht vor Sonnenuntergang fertigstellen. Zu meiner 
roßen Freude erhielt ich einige Zeit darauf ein Schreiben von 
er Oberpostdirektion Schwerin, in dem mir eröffnet wurde, 
»ak meine Anregung auf guten Boden gefallen sei und zwecks 
Beförderung von Berichtsbriefen eine Radfahrpost einge— 
ichtet werde, die nach 8 Uhr abends unsere Briefe nach 
Zertzenhof zu dem nach 9 Uhr durchfahrenden Zug Skettin— 
Reubrandenburg besorgen soll. Ich freue mich, diesen Ecfolg 
eute abend meinen Mitberichterstattern mitteilen zu können und 
veiß mich eins mit ihnen im Gefühl des Tankes fur das 
iußerordentliche Entgegenkommen der Schweriner Oberpoft 
irektion und des Woldegker Poltamts. 
Die Unterkunft in Woldegk, auch die der zahlreichen Presse⸗ 
pertreter ist diesmwal von der „Unterkunftsabteilung der Manö— 
erleitung“ besorgt worden. Zum ersten Male! Sonst wurde 
en Pressevertretern nur der Unterkunftsort der Manöverleitung 
jenannt und ihnen die Sorge für die eigene Schlafstelle überlassen. 
diese neue Einrichtung, die allerdings der Manöverleitung die 
chärfste Kontrolle ũüber die Personalien der Berichterstatter ge— 
vährleistet, wird allenthalben freudig begrüßt. Was die Per— 
onalkontrolle anlangt, so find onscheinend im allgemeinen 
n der Manövergegend scharfe Anordnungen getroffen worden. 
Als ich auf der Reise nach Woldegk in Neustrelitz übernachtete, 
wurde mir im Hotel ein Inquisitionsformular anstatt der 
'onst üblichen Einschreibezettel vorgelegt, welches sämtliche Vor—⸗ 
samen, den Familiennamen,“ Geburtsort, ⸗Datum, Alter, Fa⸗ 
nrilienstand und ständigen Aufenthalt wissen wollte, nur selt— 
amerweise eins nicht, dabei so ziemlich die Hauptsache, nämlich 
vas man ist und welchen Aufenthaltszweck man hat. Auf 
neine Frage an den Hotelganymed, was dieses hochnotpein⸗ 
iche Verfahren bedeute, erklärte er: „Behördliche Anordnung, 
— 
uͤllte gehorsam die einzelnen Spalten des Hotel-Dokuments. 
In Woldegk, wo die zwei Uebernachtungsgasthöfe sich 
dotel nennen, sind zahlreiche Privathäuser zur Unterbringung 
»er Manöverleitung und der Berichterstatter herangezogen 
vorden. Die Automobile der Mansverleitung, großenteils 
Wagen des freiwilligen Automobilkorps, dessen Vertreter 
sach dem treffenden Ausspruch eines Leutnants „Leute ohne 
igentlichen militärischen Rang, aber mit allgemeinem Gentleman—⸗ 
ftharakter“ sind, befahren die Woldegker Umgebung, um 
ich für die kommenden Tage zu orientieren. An allen Aus— 
zängen des bescheidenen Marktes sind Posten aufgestellt, durch 
»ie weiße Armbinde kenntlich als lebende Wegweiser, um 
bie durchfahrenden Kraftwagen, Ordonnanzen usw. ohne Auf—⸗ 
inthalt auf die richtige Wegspur zu setzen. Nach allen 
Ssimmelsrichtungen sind militärische Drahtleitungen für Tele— 
rraphie und Fernspruch gelegt, die als neutral oder zur Be— 
iutzung für eine bestimmte Heeresabteilung gekennzeichnet sind; 
heneralstabsoffiziere und Offiziere der Verkehrstruppen, alles 
äuft geschäftig hin und her, die barfüßige Jugend des 
Ztädtchens immer munter hinterdrein; kurz, ein Treiben, das 
»em landesüblichen Phlegma schonungslos zusetzt. 
Während die geistigen Arbeiter des Generalstabes nicht 
mabsichtlich in den stillen Ort verwiesen wurden, hat der 
nehr dekorative Teil des poiychromen Manöverbildes, die 
aiserlichen Gäste, Unterkunft in dem lebhafteren Neustrelitz 
efunden, dessen Straßenpflaster übrigens mit Woldegk einige 
erwandtschaftliche Züge aufweist. Der Kaiser selbst mit seinem 
„ersönlichen Gefolge wird heute nachmittag im Arnim-Schlosse 
zoitzenburg eintreffen und während der Operationen dort 
Zuartier nehmen. Heute abend, wenn Woldegk schläft, werden 
bir Berichterstatter durch Major Heye vom Großen General—⸗ 
tabe erfahren, was der Chef des Generalstabes der Armee, 
Heneral von Moltke, in seiner geheimnisvollen Mappe ver 
orgen hat. Postel, Major a. D. 
Das kaiserliche Bauptquartier im Manbd-— 
er. Schsoh Boitzenburg, im uckermärlischen Kreise Templin 
am Flüßchen Quillow gelegen, ist einer der schönsten Magnaten— 
itze Deutschlands. Hier schlägt Kaiser Wilhelm während der 
age des Kaisermanövers als Gast des Grafen von Arnim 
ein Hauptquartier auf. Seit dem 1. Juli 1559 befindet sich 
zoitzenburg ununterbrochen im Eigentum der Arnim, die früher 
icht weniger als 140 Güter n der Ucermark besahen. Eine 
ange Reihe verdienter Männer, Generals, Menister, Diplo— 
naten, aber auch Künstler und Gelehrte sind aus dem Geschlecht 
er Arniri hervorgezangen. Am berühmte ten von ihnen wurde 
er 1581 zu Boitzenburg geborene Feldmarschall Johann Georg 
ꝛon Arnim, auch „Arnheim“ genannt, der am 7. März 1637 
u Boitzenburg, feindlicher Pläne gegen Schweden beschuldigt, 
‚on Oxenstierna aufgehoben und nach Stockholm gebracht 
vurde. Es gelang ihm, sich zu befreien, aber sein Besitztum 
var zerstört, als er am 8. April 1641 zu Dresden starb. 
Zriefe und andere Gegenstände, die von Wallenstein her⸗ 
hren, erinnern noch jetzt in Bottzenburg daran, daß einst 
in Waffengefährte des Herzogs von Friedland Herr des 
zchlosses war. Eine kostbare Bibl sothek, die den Nordflügel 
es sogenannten Unterschlosses einnimmt und auch eine aus 
nielen Bildern bestehende Ahnengalerie enthält, zeigt, daß die 
Arnim eifrige und sachverständige Büchersammler waren. Aus 
»en Fenstern der Bibliothek sieht man in einem Ehrenhofe 
iuf ein Blumenparterre, das in der „märkischen Streusand⸗ 
üchse“ gewiß nicht seinesgleichen hat, und der herrliche Part 
zirgt eine Fülle von Grabkapellen, Mausoleen und Freund— 
chaftstempeln. Westwärts blickt man vom hohen Schloßturm 
zuf eine Kette von Waldseen und Forsten mit Jagdschlössern, 
Futterschelunen und Wildwärterhäusern, ostwärts auf d'e aus— 
jedehnten Wirtschaftsanlagen und einen großartigen Tiergarten 
ait reichem Wildbestande. Am 7. Juni 1856 erhob König 
zriedrich Wilhelm IV. von Preußen Boitzenburg, das 14000 
zektar umfaßt, zu einer Grafschaft, mit der ein erblicher 
Zitz im Herrenhause verbunden st. Das geschah zugunsten 
»es Grafen Adolf Heinrich von Arnim, der zugleich preu— 
üscher Minister war, erst von 1842 bis 1845 Minister des 
Innern, und dann, im Monat März, des Sturmjahres 1848, 
Ministerpräsident. Jetzt residiert dessen Enkel Graf Dietlof 
von Arnim in Boitzenburg, der mit der Gräfin Alexandra 
u Eulenburg, einer Nichte des Oberhofmarschalls und früheren 
Hofdame der Prinzessin Friedrich Leopo'd von Preußen, ver— 
nählt ist. 
Tagesbericht. 
Lübeck, 11. September. 
N Chriftian August Siemssen F. Wiederum ist einer der 
delsten Söhne Lübecks aus dem Leben geschieden. Kaufmann 
christian August Siemssen hat am Sonntag nachmittag nach 
ängerem schweren Leiden für immer die Augen geschlossen. 
Mit seinen Angehörigen betrauern weiteste Kreise Lübeds seinen 
zeimgang aufs schmerzlichste, denn ein hoher, idealer Sinn 
ind Freude an der Natur, sowie der vornehme, alte hansea⸗ 
ische Kaufmannsgeist waren ihm in hohem Maße eigen, so 
aß ihm jeder, der ihn näher kennen lernte, ob seines siets 
jebenswürdigen und zuvorkommenden Wesens die größte Wert— 
chätzung entgegenbrachte. Geboren am 6. Januar 1844 in 
übeck, besuchte er zunächst die Grautoffsche Schule dangaq
	        
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