Full text: Lübeckische Anzeigen 1911 (1911)

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—W s ⸗ 9 —00 9 J F5 9 — 39 I 
38 J 714 — BE530——— 4 —A. 
Ausgabe A. 
Dienstag, den 5. September I91. 
abend⸗Blatt Ur. 449. 
Aus den Nachbargebieten. 
Saußestãdte. 
Ssamburg, 5. Sept. Streik der Elektrotechniker. 
jn einer am Montag abend abgehaltenen Mitgliederversamm⸗ 
ung der im Deutschen Metallarbeiterverband organisierten 
Elektrotechniker und Helfer wurde in geheimer Abstimmung mit 
504 gegen 37 Stimmen beschlossen, am Dienstag in allen 
Betrieben die Arbeit niederzulegen, da die Arbeitgeber es ab⸗ 
gelehnkt haben, wegen des Abschlusses eines neuen Lohntarifes 
dem Deutschen Metallarbeiterverband in Unterhandlung au 
reten. 
veschäftigt war, ab und schlug mit dem Kopf auf das Gesimse. 
kEr war sofort tot. Die Leiche wurde nach dem Peter⸗Frie drich⸗ 
dudwig⸗Hospital gebracht. 
Ahrensbök, 5. Sept. Kanonsache. Der Streit der 
Ahrensböker Grundbesitzer in der bekannten Beitreibungsfrage 
t jetzt wieder in ein neues Stadium getreten, indem das 
Imisgericht Ahrensbbk die Zwangsversteigerung über das 
zrundstück des Hufners R. Wilcken in Barghorst auf Antrag der 
negierung ohne Titel angeordnet hat. Auch über diese Maß— 
egel hat man sich beim Landgericht Lübeck beschwert und ist, 
oie immer, abschlägig beschieden, obgleich der Grundsatz, daßz 
zrivatforderungen ohne Urteil nicht beigetrieben werden dürfen, 
joll aufrecht erhalten wird. Es scheint, daß auch das Ge— 
icht den Kanon als öffentliche Abgabe betrachtet und ein 
euer Prozeß, welcher die Streichung des Kanons aus dem 
zrundbuch als Zweck hat, schon in den unteren Instanzen 
lussicht auf Erfolg hat. Deshalb soll auch die vorbezeichnete 
zwangsversteigerung die Grundlage bilden für einen ent⸗ 
cheidenden Prozeß der Klasse der Hufner; auch für die Erb⸗ 
ächter soll gleichzeitig ein Musterprozeß in die Wege geleitet 
herden, sobald das Gericht ein passendes Grundstück zur 
zwangsversteigerung bringt. 
O Süsel, 5. Sept. Fischereipachtung. Fischer 
)tto Ihde hier pachtete von der großherroglichen Regierung 
ine 23 Tonnen groß! Landstelle in Niederkleevetz und die 
zischerei in neun großherkoglich-oldenburgischen Seen für 2000 
Nark Jahresracht. — Rebhühnerjagd. Die am 1. Seot. 
öffnete Reblühnrerjagd hat bis jetzt nicht das erhoffte Er⸗ 
ebnis gebracht. Die Jäger trafen zwar zahlreiche Hühner, 
eils in großen Völkern, aber das vollständig ausgewachsene 
lugwild hält en icht, so dalj der Jäger nur selten zu Schuß 
ommen kann. Als weiterer Grund für die geringen Jagd— 
esultate kann die Trock nheit des Sommers in Betracht kommtn 
nd die verfrühte Ausreife der Hühner und nicht zuletzt auch 
as Fehlen der Stoppelfelder, die ein rationeller landwirt⸗ 
haftlicher Betrieb nun einmal nicht mehr dulden darf. — Kar⸗ 
offelernte. Soweit der Blick reichte, sah man Sanntag die 
dartoffesäcker belebt von Arbeiterfamilien, die mit Kind und 
degel emsig die Hände rührten zur Ernte ihres Schatzes, der 
is „Brot der Acmen“ eine um so höhere Bewertung findet, 
mehr er die Schweinehaltung den Arbeiterfamilien er— 
ichtert und die zahlreichen Säcke auf den Kartoffelfeldern 
zugen von einer guten Ernte, die erhöhten Wert erhäßt durch 
je Qualität und du sch keine Verminde ung infolge von Krank⸗— 
eiten. Nur in einzelren Fällen tritt der „gelbe Wurm“, der 
Drahtwurm, Larre des Saatschnelkäfers, kno lenentwertend auf. 
Lauenbura. 
K. Rabbeburg, 5. Sept. Maul⸗ und Klauen⸗ 
euche. Von der Seuche, die zuerst am 27. Mai in Schip⸗ 
— 
zutsbezirken Lauenburgs 101 Ortschaften befallen worden, und 
war wurden über 800 Gehöfte und Weiden von der Seuche 
eimgesucht. An 200 Stellen ist sie inzwischen erloschen. so 
aß zurzeit noch über 600 Gehöfte des Kreises als verseucht 
zelten. 
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— 
Schönberg, 5. Sept. Eine schwere Blut⸗ 
vergiftung zog sich der Forstaufseher Burmeister in Carlow 
zurch eine Wunde am Fuß beim Baden zu. Die Wunde heilte 
AIsbald: aber gleichzeitig stellten sich auch an verschiedenen 
dSörperteilen Anschwellungen ein, die auf eine schwere Blut⸗ 
„ergiftung schließen ließen, so daß der Unglücklliche in hoffnungs⸗ 
osem Zustande ins Krankenhaus geschafft werden mußte. 
Schwaagan, 5. Sept. Eröffnung einer Lungen— 
eilstätte. In den Göldenitzer Tannen bei Schwaan wurde 
m Sonntag nachmittag die erste mecklenburgische Lungen⸗ 
eilstäätte, die Platz für 50 Kranke bietet und mit einem 
tostenaufwand von rund 200 000 Muäerbaut wurde, in Gegen⸗ 
vart des Großherzogs und zahlreicher geladener Persönlichkeiten 
eierlich eingeweiht. Die meclenburgische Heilstätte ist nur für 
nännliche Kranke bestimmt. Die entsprechende Anstalt für 
veibliche Lungenkranke soll auf Kosten weiter zu sammelnder 
Mittel in Mecdlenburg⸗-Strelitz erbaut werden. Als drittes 
ziel des mecklenburgischen Lungenheilstättenvereins ist eine Ver⸗ 
rößerung der Schwerinet Anstalt auf das Doppelte in Aussicht 
enommen. Nach der Feier fand ein Rundgang durch die 
ßäume der Heilstätte statt. 
Neustrelitz,56. Sept. Die Leiden von fünf Stief- 
indern entrollte eine Verhandlung vor der Ferien⸗Straf⸗ 
ammer des hies. Landgerichts. Ter Tagelöhner Krause in 
zroda, früher in Trollenhagen, ist in dritter Ehe mit Minna, 
eb. Bandelow, verheiratet. Aus den beiden ersten Ehen stammen 
ünf Kinder. Schon bald nach der Hochzeit begann die Ange- 
lagte, die damals in Trollenhagen wohnte, ihre Stiefkinder 
ait einer Klopfpeitsche, die sie sich zu diesem Zwedce angefertigt 
atte, schwer zu mißhandeln. Sie liek die Kinder, obwohl sie 
anz gesund waren, ständig den ganzen Tag über im Bett liegen 
ind hungern, so daß die Nachbarsleute und schlieklich die Pächterin 
on Trollenhagen, Frau Hoffmann, sich der Kinder aunahmen. 
znsbesondere ein kleines Mädchen war zum Skelett abgemageri 
ind für seine Jahre stark in der Entwickelung zurückgeblieben. 
zeim Verlassen des Bettes war das Kind so schwach, daß es nicht 
ehen konnte. Otto Krause wurde von ihr mit einem Besenstiel, 
inem schweren Krücstock, einer Klopfpeitsche und einem Strick 
erartig geschlagen, daß sein Körper völlig mit braunen und 
lauen, blutunterlaufenen Flechen und angeschwollenen Stellen 
ededt war. Um das Schreien des Knaben zu verhindern. 
eckte die Angeklagte den Kopf des Kindes in die Betten und 
hlug dann auf dasselbe los. Auch bekam er in Broda nie 
att zu essen, so daß er genötigt war, die Knechte und andere 
temde Leute um Brot zu bitten, das diese ihm aus Mitleid' 
Jaben. Des Nachts wurde er häufig absichtlich von der Ange⸗ 
lagten ausgesperrt, so datß er im Freien nächtigen mußte. Die 
oheste von allen Mißhandlungen bestand aber darin, daß sie 
»em Knaben mit einem gluhenden Ofenhaken am Kopfe schwere 
zrandwunden beibrachte. Der arme Junge wurde dann schließ⸗ 
ich vorläufig im Rettungshause Bethanien untergebracht, wo 
r völlig verlaust und verhungert ankam. In ähnlicher Weise 
vurden auch die übrigen Stiefkinder von dert Angeklagten miß— 
andelt. Auch sie mußten stets hungern und sich von fremden 
deuten etwas zu essen geben lassen. Sogar das erbettelte 
Brot nahm ihnen die Angeklagte meist ab, um es selbst auf⸗ 
uessen. Dem einen Mädchen schlug sie mit einem Besenstiel ein 
zroßes Loch in den Kopf. Außer den schweren Mißhandlungen 
vurden die Kinder mit Schimpfworten wie „Räuber, Zigeuner. 
Diebe“ belegt. Die Kinder durften die ihnen zuteil gewordene 
Zehandlung nicht laut werden lassen; aus Angst vor Strafe 
nußten sie Lügen erfinden, wenn sie gefragt wurden, woher 
zie Verletzungen stammten. Schließlich schritt das Vormund- 
chaftsgericht ein und ordnete die Swangserziehung der Kinder 
in. Die Staatsanwaltschaft beantragte gegen die Angeklagte 
eine Gefängnisstrafe von einem Jahre. Tas Gericht ging noch 
iber diesen Antrag hinaus und erkannte auf ein Jahr und 
echs Monate Gefängnis. 
Schles wig⸗ Holstein. 
Kiel, 5. Sept. Ehrenbürger. Die Bilder der früheren 
khrenbürger Kiels, des Konsuls Kruse, des Regierungsrats 
Kraus, Klaus Groths und Geheimtats v. Esmarch, sollen einen 
Ehrenplatz im neuen Rathaus e halten. — Ein seltener 
Grabstein wurde kürzlich bei Ausführung eines Neubaues 
in der Holstenstrahe aufgefunden. Es handelt sich um einen 
Stein, den der Ritter Johann Rantzau sich im Jahre 1516 
zat als Grabstein setzen lassen. Der Stein wurde jetzt im 
Thaulowmuseum aufgestellt. 
Flensburg, 5. Sept. Tod durch Brechdurchfall. 
Ein bjähriges Kind des Schneidermeisters Brehmer, das nach 
einem genossenen Apfel Wasser trank, starb innerhalb weniger 
Stunden unter furchtbaren Schmerzen an Brechdurchfall. — 
dreilichttheater. Der Direkttor des Sommertheaters, 
Spannuth-⸗Bodenstedt aus Hamburg, hat bei dem Magistrat 
die Genehmigung der Errichtung eines Freilichttheaters in der 
Marienhölzung in der nächstjährigen Spielzeit nachgesucht. 
Elmshorn, 5. Sept. Einigungsverhandlungen 
1abgelehnt. Die Vereinigten Lederfabrikanten lehnten den 
Antrag der Streikenden, das Gewerbegericht als Einigungsamt 
anzurufen, ab, und beschlossen ferner, die gemachten Zuge⸗ 
tändnisse nur noch aufrecht zu halten, falls die Arbeit bis 
m 10. Sept. d. J. wieder aufgenommen wird. 
Oldesloe, 5. Sept. Modebrand. Seit Sonntag 
iachmittag steht das Nienwohlder Moor, zwischen Sülfeld und 
Nahe, in Flammen. Von der ectwa 1000 Tonnen großen 
Moor⸗ und Heidefläche sind bereits über 200 Tonnen abge— 
orannt, und noch immer kann man des Feuers nicht Herr 
verden, trotz des Aufgebots von Feuerwehren und Löschmann— 
chaften. Man nimmt an, daß das Feuer durch Funkenflug 
entstanden ist. 121hie * 
Heides 5. Sept. Tödlicher Unglücksfall. Hof—⸗ 
vesitzer Rudolf Thode in Krumstedt, dessen Pferde bei der 
Arbeit infolge Scheuwerdens davonrannten und ihn eine große 
Strede mitschleiften, ist seinen schweren Verletzungen erlegen. 
Vondern, 5. Sept. Wertvolle kirchliche Alter—⸗ 
tkäümer wurden in der Kirche in Humptrup von Prof. Brandt 
Kiel) festgestellt. Es sind dies ein Marienbild mit dem Jesus— 
lind, eine betende Heilige, der Deckel des Taufsteins und sieben 
Figuren nebst Ständer, die zur Verzierung eines gotischen 
Altars gedient haben, sowie ein Balken. Das Alter der Ge— 
genstännde wird auf 300 Jahre geschätzt. Da ähnliche Ge⸗ 
genstände auch in anderen nordschleswigschen Kirchen gefunden 
sind, nimmt Prof. Brandt an, daß es hier einen Künstler 
gab, der sich besonders mit der Herstellung dieser Gruppen 
obeschästigte. Es ist vbei der Kirchenvertretung der Antrag 
gestellt, einen Teil der Gegenstände an das Thaulowmuseum 
in Kiel abzugeben. 
Großherzogtum Oldenburg, Fürstentum Lübed. 
Oldenburg, 5. Sept. Cin tödlich verlaufener 
Unfall ereignete sich im Theater. Der Zimmermann Oelijen— 
schläger, der etwäa 50 Jahre alt sein soll, stürzte, während 
er mit der Befestigung einer Schraube oberhalb der Brüstung 
Großherzogtümer Wedlenburg. 
Schwerin, 5. Sept. Der Kronprinz von Däne— 
nark, der seine Ankunft in Medllenburg zwecks Teilnahme an 
en Kaisermanövern zugesagt hatte, wird nicht kommen. da 
r sich den Fuß verstaucht hat. 
Malchow, 5. Sept. Waldbrand. Auf bisher unauf⸗ 
‚eklärte Weise entstand in den jungen Anpflanzungen vor dem 
ogenannten „Rabensoll“ am Biestorfer Wege ein Waldbrand. 
das Feuer konnte aber gelöscht werden, bevor es größeren 
smfang annahm; doch sind etwa 1000 Quadratmeter der 
ungen Bäume und Sträucher vom Feuer zerstört worden. 
Münchener Spätsommertage. — 
WVon unserem Korrespondenten) 
Miünchen, Ende August. 
voge. Der Münchener ist sehr tierfreundlich. Das ist keines⸗ 
vegs ironisch gemeint und spielt weder auf eine Neigung zum 
Löwenbräu und zum Maiboch an, noch auf einen regen Verkehr 
nit dem Geschlecht der Affen und Kater oder auch nur auf die 
Verehrung, die das Kalb hierzulande — auf der Speisen⸗ 
larte — genießt. Der Münchener ist wirklich ein großer Tier—⸗ 
reund, und wer's nicht glauben will, dem weisen wir es 
tatistisch nach durch die 20 000 Hunde, die von knapp 600 000 
Münchenern gehalten werden. Wenn hier ein Dackel vor einer 
Saustüre steht. dann dauert es keine zwei Minuten, und das 
doldene Münchener Herz kommt vorüber und sagt: „Ham's 
di außig'sperrt, Dacele? Ja wos wär denn jetzt dös!“ und 
macht dem kleinen Mitbürger die Tür auf oder schellt den 
Parterreeinwohner heraus. An sirengen Wintertagen zieht gar 
mancher Privatier, den seine Mieter für einen hartgesottenen 
Egoisten halten, paketebeladen in den Englischen Garten, um 
den Vögeln eigenhändig das beste Futter zu streuen. Und 
wenn sich irgendwo ein philosophischer Troschkengaul sagt: 
„Da legst di nieder!“ und es tut, dann findet die rasch 
anschwellende Menschenntenge das durchaus begreiflich, deckt 
den Gaul mit einer schönen warmen Dede zu und holt ihm eine 
Halbe Bier. Trotz alledem hat es merkwürdig lange gedauert, 
bis München einen Zoologischen Garten bekam. 
„Mehr Park als Tiere!“ spotten die Nörgler, die heute 
im Tierpark Hellabrunn spazieren geren. Es ist wahr: das 
niedliche Heidschnuckenbaby, das dieser Tage zur Welt lam, 
ist kein ausreichender Ersatz für den noch fehlenden Elefanten. 
Und der Niedertupfinger Sepp, den einer ein Rhinozeros ge⸗ 
iannt hat, beklagt sich mit Recht, daß ihm in Hellabrunn 
ioch nicht die Möglichkeit geboten ist. zu fehen, wie so ein 
dier ausschaut — und ob sich eine Beleidigungsklage lohnt. 
Aber wir haben bereits vier Löwen (zwei davon sind aller— 
ings aus Sandstein und stehen noch vor der Feldherrnhalle), 
inen schwarzen Panther, der fast so schön fauchen kann wie 
in Schenklellner. der draufschenken soll, einen kahlköpfigen 
Matabu und noch sonst allerlei kreuchendes und fleuchendes 
ßhetier. Was noch fehlt, wird im Laufe der nächsten Jahre 
ekauft; wir nehmen's aber auch geschenkt. Vorläufig freuen 
zir uns des Parkes, den Emanuel von Seidl nach dem Hagen⸗ 
edschen Muster in Stellingen zu einem Tiergarten gestaltet 
at, in dem die Tiere tun können, als wenn fie zu Hause 
»äden. Der Reichshauptstädter, der mit einem mitleidigen 
zlick auf unsere beiden lebendigen Löwen sagt: „Aba kommfe 
aa erst nach Bährlin!“ hat nur in Hinblick auf die noch ge— 
inge Anzahl der zoologischen Merkwürdigkeiten recht. Das 
genartige, den Tieren fast die ganze Freiheit belassende Ge-— 
ände in Hellabrunn, das Natur und Kunst gemeinsam ge— 
haffen haben, das macht uns ouch Berlin nicht nach — 
as ist „echtes Münchener“. 
„Kommse ma erst nach Bährlin!“ Auch im Hofbräuhaus, 
as in diesen Wochen von Ausländern und Norddeutschen be— 
ölkert wird, muß die lokalpatriotische Redensart schweigen, 
ie dem Berliner so gern auf die Zunge kommt. Unsere 
orddeutschen Gäste sitzen dichtgedcängt im Saal und in den 
rintzimmern, mancher wohl auch der Wissenschaft halber in 
er primitiven Schwemme, sie ptusten amüsiert los, wenn so 
in riesiger Maßkrug vor jeden käangestellt wird — aber ehe 
tan's glaubt. ist der komische „Kübel“ leer, und sie klappern. 
ider allen Landesbrauch, mit dem Deckel nach neuer Füllung. 
der Münchener, der dabei sitzt, nimmt sich ihrer meist sehr gut⸗ 
riütig an, wenn's nottut, zeigt ihnen, wie man die Weiß—⸗ 
»urst kunstgemäß verzehrt, und dat man den Rettich nicht 
oh anbeihen darf wie ein Radieschen, sondern fein säuberlich 
utzen, schneiden und salzen muß,. bis er vor Vergnügen 
weint“. Denn wenn ein richtiggehender Münchener auch zu⸗ 
zeilen auf den „Preiß'n“ schimpft und die heimliche Angst nicht 
os wird, daß das große Preuhen eines Tages doch einmal 
as kleine Bayern schlankweg in die Tasche steclden könnte, so 
at er im Grunde seines Herzens einen außerordentlichen Re— 
oelt vor Leuten, die ohne Pause hochdeutsch sprechen und eine 
leberlegenheit zur Schau tragen, die doch vielleicht echt sein 
önnte. Dieser Respekt hindert ihn freilich nicht, manche Eigen⸗ 
ümlichkeiten der norddeutschen Bundesbrüder sarkastisch zu be⸗ 
icheln und es seinerseits ungemein komisch zu finden, wenn 
er Fremdling in funkelnagelneuem kurzem Wichs mit Berastoch 
und Rucksack den Monopferoshügel erklimmt, auf frisch Ge— 
iagelten durch die Galerien tarpt oder auf die Bierkeller 
teigt. Tenn das Merkwürdige an einem Münchener Vier— 
eller ist, daß es überhaupt kein Keller ist. Natürlich, den 
Zeller ist schon da, aber der Kellergast bekommt ihn nicht 
u sehen. Er besucht nur den am Bierkeller gelegenen Bier⸗ 
jarten (und im Winter den Sanlh); hier bekommt er eine 
tische Kellermaß. Jetzt, zur Zeit des erquiclichsten Keller- 
zesuchs, sind die großen Biergärten abends bis auf den letzten 
Zlatz gefüllt, obwohl der Komfort zu wünschen übrig läßt 
ind die grüngestrichenen Bänke niederträchtig unbequem sind. 
zamilien können hier zwar nicht Kaffee kochen, aber doch 
ergnügt und behaglich zu Abend essen und zu Abend trinken. 
Was man dazu braucht, bringt sich die Mehrzahl selber mit: 
WPurst oder geräucherte Rippchen, Leberkäse und Preßlach. 
Zemmeln hat die Kellnerin in ihrem Serviettenbeutel, Käse, 
nettiche und Laugenbretzeln gibt's drüben in einer Bude. Wer 
as Trinkgeld sparen mächte, schwenkt sich seinen Krug selbsi 
auber und holt sich an der Schenke eigenhändig das Bier. 
Zehr zartbesaiteten Naturen freilich ist der Besuch eines 
Münchener Bierkellers zu widerraten. Es ist nicht jedermanns 
Zache, ruhig zuzusehen, wenn dem Säugling am Nebentisch 
nit Bier die nötige Bettschwere beigebracht wird. Auch kommt 
s vor, daß der Herr Nachbar zur Linken mit dem Messer ißd 
ind der Herr Nachbar zur Rechten sich seines Rockes entledigt, 
uim sich in nicht ganz sauberen Hemdärmeln zu präsentieren. 
Seien wir froh, daß er nicht auch noch die Weste auszieht! 
Zetrachten wir lieber das Pärchen da drüben: der Schwo⸗ 
angscher (Chevauleger) hat seinen Arm zärtlich um die Taille 
eines Mädels gelegt, und beide glauben sich völlig allein 
m Biergarten. Auch dieses schidt sich offenbar nicht — aber 
zellerleben ist halt immer etwas ungeniert. Wer's nicht ver⸗ 
ragen kann, muß davon bleiben, so gut wie der, dem ein 
riterkrug über die Kraft geht. „A Halbe möchten's? Waar 
net aus!“ Und verächtlich knallt die Kathi den steinerner 
Maßkrug auf den wackeligen Tisch. Es ist nicht böse gemeint; 
es ist bloß .... bayerische Gemüllichlkeit. 
PDr. Er nit Frand. 
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