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Ausgabe
—GCEGroße Ausgabey Sonnabend, den 26. August 1911.
Abend⸗Blatt NUr. 431.
Erstes Blatt. hierzu 2. Blatt.
Amfang der heutigen Nummer 65 Seiten.
— —EòIEE———————————
nichtamtlicher Teil. 0
die deutsch⸗ruffische Liquidation in Persien.
F Lübeck, 26. August.
—, Kurz nachdem die Nachricht verbreitet worden war, daß
in den Verhandlungen über Marokko zwischen Cambon und
Kiderlen-Waechter eine Pause eingetreten sei, erfolgte am
—
wegen Persien. Ein direkter Zusammenhang zwischen den
marokkanischen und persischen Fragen besteht nicht; daher war
es müßiges Gerede, wenn einzelne Zeitungen hervorhoben, daß
der formelle Abschluß des Abkommens mit Rußland einen
nünstigen Einfluß auf unsere Verhandlungen mit Frankreich aus—
üben würde. Die russische Regierung kann Persiens wegen
mit Deutschland einen Vertrag abschließen und daneben doch
die Politik Frankreichs in Marokko unterstützen.
Wenn bestimmte Gründe die deutsche Regierung veran—
lahßten, den jetzigen Augenblick als geeigneten Zeitpunkt für
die Unterzeichnung und Veröffentlichung des Abkommens mit
Rußland zu betrachten, so muß nachgeforscht werden, welche
Bedeutung diesem Abkommen für die Beurteilung der deutschen
Politik beizulegen ist. Sie kann, wie die Deutsche Orient—
Kortespondenz bemerkt, nur darin gefunden werden, daß der
Leiter unserer auswärtigen Politik, Herr v. Kiderlen-Waechter,
n dem Abkommen mit Rußland den Gedanken zum Ausdruck
zebracht hat, den er seit Beginn seiner Tätigkeit allen seinen
Entschließungen bezüglich der politischen Vorgänge im nahen
Drient zugrunde gelegen hat, nämlich die Ueberlegung. daß
wir out tun, mit unseren Plänen und Forderungen auf dem
Gebiete der auswärtigen Politik im Rahmen des Erreich
Raren zu bleiben.
Serr v. Kiderlen⸗Waechter erkannte zunächst bei Prüfung
der Bagadadbahnfrage, daß die Lösung der Schwierig⸗
leiten, die der Ausbau der Sudstrecke Bagdad-Baßra bot, nicht
anders erfolgen könne, als mit Hilfe Englands. Daher zögerte
er nicht, die Rechte der Bagdadbahn-⸗Gesellschaft fallen zu
iassen und der Türkei die Möglichkeit zu geben, für die
Vollendung der Südstrecke der Bagdadbahn neue Grundlagen
zu gewinnen, durch die die Interessen des deutschen Kapitals
gewahrt, gleichzeitig aber auch die Wünsche Englands berück—
ichtigt würden. Er rechnete damit, daß die türkische Regie—
rung sich dieses Entgegenkommens wegen durch eine Gegen⸗
leistung dankbar erweisen würde. Die Beseitigung des Chester⸗
»rojekts und die jetzt erfolgte Ueberweisung des Ausbaues
ver kleinasiatischen Ostbahn nach Diarbekir an die bekanntlich
unter deutscher Leitung stebende Anatolische Eisenhahn—
gesellschaft beweisen, daß Herr v. Kiderlen-Waeqhter sich
in seiner Annahme nicht geirrt hat.
Aus ähnlichen Erwägungen heraus entsprang sein Ent—
chluß, in der persischen Frage reinen Tisch zu machen.
Nach seiner Ueberzeugung hatten sich die deutschen Politiker
ind Finanzmänner in Persien zu weit vorgewagt, weil sie
»estimmte historisch gewordene Vorrechte Rußlands in Nord—
»ersien zu gefährden drohten, die zu schonen Deutschlands
3flicht war. Wie der veröffentlichte Wortlaut des am
9. d. M. abgeschlossenen Abkommens zeigt, will sich Deutsch—
and mit allen gröhßeren Unternehmungen aus Nord-Persien
urückziehen, durch die Rußland bisher beunruhigt wurde.
die Gegenleistung Rußlands besteht in der Zusage,
em Weiterbau der Bagdadbahn, an dem doch das deutsche
dapital in hervorragendem Maße beteiligt ist, keine Schwie—
igkeiten zu bereiten.
Auf die Bagdadbahnfrage und die Regelung des
Verhältnisses zu Rußland in Persien folgt jetzt Marokko.
Auch dort sind wir zeitweilig mit Forderungen aufgetreten,
ie den politischen Machtverhältnissen nicht genügend Rech—
zung trugen. Auch in Marokko wünscht Herr von Kiderlen—
Waechter eine wohlüberlegte Liquidation der dortigen
politischen und wirtschaftlichen Werte Deutschlands durchzu⸗
führen. In diesem Punkte besteht allein ein innerer Zu⸗
ammenhang zwischen der Regelung der persischen und
narokkanischen Frage.
Während der Verhandlungen mit der Türkei wegen der
bagdadbahn und mit Rußland wegen der persischen Frage
jat Herr von Kiderlen-Waechter bewiesen, daß er als Po—
itiker sein Geschäft versteht.
Auch für die Marokkofrage wird er schließlich eine
2ösung kinden, die zwar Opfer von uns. fordert, uns aber
zugleich eine entsprechende Gegenleistung von französi—
icher Seite her sichert, die allen billigen Ansprüchen ge—
nügen wird.
—
bestimmt, datz, wenn aus irgend einer Ursache die Stelle
eines Reichstagsmandats erledigt wird, der Präsident dem
Reichslanzler davon Ruzeige macht, „damit dieer in der
ürdesten Frist die Neuwahlen veranlaßt“. Die zwei'e Vor⸗
chrift besagt, daßß wenn für ausgeschiedene Mitqlieder des
Reichstags während des Laufes derselben Legislaturperiode
Ersatzwahlen stattfinden, „die zuständige Behörde sofort ene
Neuwahl zu veranlassen hat“. Zuständige Behörde im Sinne
ieser Vorschrift ist kediglich die Landesbehörde. Die Mit—
virkung des Reichskanzlers bei Ersatzwahlen beschränkt sich
daher darauf, dan er die Anzeige des Reichstagspräsidenten
iber die Erledigung des Mandats der Landesregierung mit—
keilt; deren Behörden ihrerseits die Neuwahl — und zwar
iach gesetzlicher Vorschrift — sofort, d. h. bei Ersatzwahlen,
zie später als ein Jahr nach den allgemeinen Wahlen statt⸗
finden. nach Erneuerung der gesamten Wahlvorbereitungen
mit Einschluhn der Aufstellung und Auslegung der Wähler—
listen zu veranlassen haben.
Ein neuer englischer Hetzartikel.
In der Neuen Fr. Pr. ergriff gestern ein „englischer
Diplomat in hervorragender Stellung“ das Wort, um seine
Ansicht über das Ergebnis der gegenwärtigen deutsch-fran—
‚ösischen Marokko-Verhandlungen darzulegen. Er nimmt dabei
eine echt deutsch-feindliche Stellung ein, die in Wien großes
Aufsehen unter den Deutschen erregt hat und in der deutschen
nländischen Presse lebhafte Erörterungen hervorrufen wird.
Deutschland — so führt er aus — kann unmöglich
zroße Zugeständnisse vonseiten Frankreichs er—
warten. Denn selbst, wenn die französische Regierung zu
jolchen bereit wäre, die französische Kammer würde sie nie—
mals billigen. Das Ergebnis der Verhandlungen kann also
nur ein „ärmliches“ sein. England wird dabeistets
ruf seiten Frankreichs zu finden sein. Beide
vollen keinen Konflikt. Wenn „die deutsche Vernunft“ noch
siegt und Deutschland zur Mäßigung gemahnt werden kann,
dann wird ein Konflikt auch vermieden werden können.
Doch hat man gegenwärtig das Gefühl, daß Deutschland her—⸗
rusfordert. Hinter der Entsendung eines Kriegsschiffes nach
Agadir steht nicht das deutsche Volk, sondern eine mächtige
Clique. Die deutsche Politik wird nicht vom Volke, sondern
von oben gemacht, und, es scheint, als ob die Umgebung
des Kaisers diesen zur Entsendung des „Panther“ in⸗
piriert habe.
Weiter wird gesagt, England wünsche Frieden mit Deutsch-⸗
land und seit Bülows Sturz habe er (der Verfasser) an eine
ernste Besserung der Beziehungen geglaubt. „Da schlägt
die deutsche Diplomatie drein, hinter der nicht Deutschland
teht — ich meine das deutsche Volk. —, sondern eine
Dligarchie, die eine weise Staatsleitung behindert und den
wirklichen Staatsmännern ihre Selbständigkeit nimmt. Es
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cuhten zwei stark verwitterte, in Stein gehauene Wappen.
Das eine zeigte die Egge, im anderen kehrte der Greif wieder.
Die Frau des Erbauers war eine schwedische Gräfin v. Greifen—
klau gewesen.
Ausgedehnte, aber wenig gepflegte englische Gartenanlagen
umgaben den altehrwürdigen Bau, die auf der Rücheite in
den zuerst parkartig gehaltenen Sochwald ausliefen.
An diesen herrlichen Wäldern hina Baron Eggelows ganzes
Herz.
Wenn er unter diesen mächtigen Stämmen unter der
hohen Wölbung der Baumkronen dahinschritt, dann raunte
hm das Geflüster der Blätter von der stolzen Vergangen—
yeit seines Geschlechts, das diese Waldungen mit Liebe und vor—
iehmem Sinn begründet hatte. Und gerade nach diesem seinem
heiligtum streckten nach und nach de schmukigen Hände gewinn—
üchtiger Gläubiger sich aus.
Schon sein Vater und Großvater waren durch Kriegs—⸗
zäufte und schwere Zeiten gezwungen gewesen, einen Acken
nach dem anderen zu verkaufen und somit das Areal be—⸗
deutend zu verringern. Unter ihm, dem letzten Eggelow aus
der Hauptlinie, war das Vorwerk gefallen. Nun war nichts
anderes mehr zu Geld zu machen, als der Wald, und dieser
Wald bildete des Hauses Stolz.
Nicht zum letzten war es dieser Grund, warum die Hoch—
zeitsgloden in aller Ohren so gar lieblich klangen. Es kam
einmal wieder Geld in die Familie!
Freilich, die Töchter des Haufcs waren weltenfern davon,
sich irgend welche Sorge zu machen. Wozu auch? Sollte
dereinst Unglück kommen, so war es dann noch Zeit genug,
daran zu tragen. Und augenblidlich zeigte ihnen ja die
Gegenwart das holdeste Antlitz. Sie wanden einen Brautkranz
und eine der Schwestern sollte glüdlich werden.
Umgeben von üppig blühenden Büschen, saßen die jungen
Müdchen in der Hausece bei ihrer poesierollen Arbeit.
Aus den geöffneten Saarfenstern drangen rauschendé
Ailorde. Die Hofdame erging sich, der nutzlosen Kranzbindere'
müde, am Flügel in einem Walzer aus der courfäh,zig gewor—
denen „Fledermaus“.
Ingeborg Eggelow, die sich besonders an Josa angeschlossen,
warf. nachdem sie eine Weile die verführerischen Melodien
Zur Frage der Reichstagsersatzwahlen.
Die Nordd. Allgem. Zig. schreibt: Nachdem in letzter
Zeit mehrere Reichstagsmandate durch Ableben ihres In—
jabers erledigt sind, ist in der Presse von verschiedenen
Seiten die Frage aufgeworfen worden, ob im Hinblick auf
»en bevorstehenden Ablauf der Legislaturperiode des jetzigen
derchstags nicht zwechmähßig von Ersatzwahlen Abstand au
iehmen sei.
Soweit derartige Anregungen sich an die Reichsverwaltung
ichten. wird verkannt, daß dieser die gesetzlichen Vorschriften
ür eine Prüfung der Frage aus dem Gesichtspunkt der Zwed—⸗
näßigkeit keinen Raum lassen. Ueber die Anordnung von
krsatzwahlen bestehen im Reiche zwei reichsrechtliche Vorschrif⸗
en: 866 der Geschäftsordnung für den Reichssstag und 8 34
»es Realements zur Ausführung des Mahlsagesetzes. Die erstere
Der Liebe Götterstrahl. I
Roman von Marga Rayle. —W
(7. Fortsetzung.) Machdrud verboten.)
In der Folge sprach die alte Baronin — die durch ihre
Heburt dem dänischen Uradel angehörte, eine Abstammung,
die sie mit ungemessenem Stolz erfüllte — nur noch weg—
verfend von der „Zigeunerin“. Und als Josa schließlich in
ihrem ganzen Liebreiz vor ihr stand, bekam sie deutlich
diesen eisigen Hochmut zu fühlen.
Das junge Mädchen hatte sahnell begriffen.
Ihrer feinfühligen Natur erschien ihre nur widerwillig
geduldete Anwesenheit in diesem Hause unmödlich — un
denkbar.
Offen und ganz ruhig sprach sie mit Addy darüber. Die
war außer sich und weinte empörte, eigensinnige Tränen, als
ie all ihre Ueberredungskunst an der Freundin stiller Ent—⸗
chlossenheit scheitern sah. Es gab einen Familienrat — ohne
den Beisitz der Großmutter natürlich —, worauf Herr v. Eggelow
9 lange Unterredung mit der Freundin seiner Tochter
atte. .
Das Resultat war, daß Josa blieb.
Sie mußte es schließlich glauben, was ihr alle mit so
herzlicher Wärme versicherten, dah ihr vom ersten Moment
an, da sie das Haus betreten hatte, die Liebe aller gehörte,
und daß sie allen einen wirklichen Schmerz durch ihre Abreise
uind Abwesenheit bei der Hochzeitsfeier zufügen würde.
„Und vor allen Dingen ist es mein Haus und Sie sind
mein Gast!“ hatte der liebenswürdige Hausherr überzeugend
leine Argumente geschlossen. WVB
Da im allgemeinen nur die Mahlzeisen die alte Baronin
mit der übrigen Familie zusammenführten, brauchte das junge
Madchen zum Glüch nicht allzu schwer unter der allerhöchsten
Ungnade zu leiden, und so fand sie sich mit der ihr eigenen
Würde ins Unvermeidliche. — — —A
Eine Viertelstunde hielt Frau v. Eggelow die „Ueber—
wachung“ aus. Da sie aber immer wieder zu hören bekam,
dah die verhaßte „Zigeunerin“ den Vogel bei der Krambin—
derei abschießen werde, erhob sie sich endlich indignier 1
ging ins Haus.
Als habe man sich für lange Stunden des Zwanges und
des Schweigens zu entschädigen, so rauschte nun mit einem
Male der Redestrom dahin. Alle fünf' Schwestern sprachen
auf einmal. ohne den Anspruch zu erheben. daß ihnen zu⸗—
gehört werde.
Josa lehnte sich lächelnd in ihrem Stuhl zurück und ließ
»iesen Orkan über sich ergehen. Sie mochte so gern still
)asitzen, wenn es um sie her lebhaft zuging, und mit auf—
nerksamen Augen um sich zu schauen.
Und hier hatte das noch einen ganz besonderen Reiz für
ie. Der Verkehr der vielen Schwestern untereinander war ihr,
die stets ein einziges Kind gewesen war, so neu, so inter—⸗
ssant. Und dieses ganze Leben, wie anders als in der Stadt.
Alles so zwanglos, so unbeengt. und diese Weite in der
Natur....
Wenn ihre Blicke und Gedanken so umhergewandert waren,
ich gesättigt hatten an allem, was sich ihrem in dieser Be—
iehung unverwöhnten Auge bot, dam kehrten sie besonders
gern wieder zur nächsten Umgebung zurück.
WEinen eigenen Reiz übte auf sie der Nimbus der vielen
Jahrhunderte, der um das Stammschloß der Eggelows
scchwebte.
Sehr weise hatte es der Erhauer auf eine steile An—
„öhe gesetzt, und so beherrschte es das flache Land, die
veite blaue See auf Meilen in der Runde. Es war ein ein—
töcliges, schmuckloses Gebäude, das in den Flügeln erst am
Anfang des 19. Jahrhunderts noch einen Halbstoch aufgesetzt
ekommen hatte. Die Eggelows waren von jeher ein kinder-
eiches Geschlecht gewesen und der Raum mochte den erhöhten
Ansprüchen nicht mehr genügt haben.
WVon der weit und bequem angelegten Rampe führten
inige Sandsteinstufen in das Innere des Hauses. Zu beiden
Zeiten hielten auf der niederen, sich nach außen wölbenden
Zrüstung ein Paar mächtige, plump gearbeitete, aber leidlich
rhaltene Greifen Wacht. An der geschnitzten, schwarzbraunen
kichentür war ein uralter, mit dunkelgrüner Oelfarbe über—
ogener Türklopfer befestigt, dessen Form an ein Wikinger—
chiff erinnerte U⸗hber dem verhältnismäßig ichmalen Eingang