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FFreitag, den 25. August 1911.
Ausaobe
Abend⸗Blatt Ur. 429.
—— MBWU—
Erstes Blatt. hierzu 2. Blatt.
—2222———m———ZD—»—
Amfang der heutigen Nummer 6 Seiten.
— ιιααα
lichtamtlicher Teil.
Wahldispens?
Von unserem varlamentarischen Mitarbeiter.)
d. Berlin, 24. August.
Immer neue Reichstagswahlen werden erforderlich. Zu
Düiseldorf und Konstanz tritt jezt Ratibor. Drei Sitze,
die das Zentrum zu verteidigen hat. Fünf Monate vor den
allgemeinen Wahlen! Wenn in Ratibor die Nachwahl, wie
das sonst Brauch geworden ist, drei Monate nach der Er—
ledigung des Mandats stattfindet, würde der Ersatzmann des
eben verstorbenen Abgeordneten Frank frühestens Ende Oktober,
wahrscheinlich aber erst Anfang November in den Reichstag ein—
nehen können. Fünf Wochen später würde er dann am
Schlußakt der gegenwärtigen 12. Legislaturperiode teilnehmen.
Um fünf Wochen, die kaum zur ersten Einarbeitung in den
parlamentarischen Betrieb hinreichen, all die Aufregungen und
Arbeiten und Kosten einer Reichstagswahl?! Man findet es
»egreiflich, daß sich die sonst auf Hauen und Stechen einge—
tellten Parteien des Reichstagswahlkreises Konstanz zusammen—
zetan und eine Petition an den Reichskanzler vorbereitet haben,
er möchte in Anbetracht der nahen allgemeinen Neuwahlen von
»er Anberaumung eines Wahltermins zur Ersatzwa'l absehen.
Falls die Konstanzer Petenten Gehör finden, können natürlich
erst recht die Parteien des Wahlkreises Ratibor Dispens ver—
angen. Und weitere Nachwahlen können vor den nächsten Neu—
vahlen dann überhaupt nicht mehr anberaumt werden.
Die Frage ist nur, ob der Reichskanzler Wahldispens ge—
währen kann und darf. Im Wahlreglement zum Reichstag
teht ausdrücklich, daß im Fall der Erledigung eines Mandats
zie Behörde „sofort“ eine Neuwahl zu veranlassen hat.
Zelbst wenn man das Wörtchen „sofort“ recht weitherzig aus—
dehnen wollte, dürfte es doch kaum so dehnbar sein, um den
zänzlichen Ausfall einer Ersatzwahl fünf Monate vor der
dauptwahl zu gestatten. Indessen, wenn auch der Buchstabe
»es Gesetzes kein Hindernis wäre, müßten andere Erwägungen
den Dispens des Reichskanzlers qausschließen. Wir gehen nicht
iner inhaltsarmen letzten Session des sterbenden Reichstages
nntgegen, sondern in der Zeit vom 10. Oktober bis 10. Dezember
»ieses Jahres sollen sehr wichtige Entscheidungen über Gesetze
jefällt werden, die tief in das Rechts- und Erwerbsleben der
Nation eingreifen. Ganz abgesehen von den prinzipiellen
Auseinandersetzungen und Entscheidungen über Marokko und
insere auswärtige Mositik“ Darf ein Wahlkreis des dout—
— 7
chen Reiches bei solchen vichtigen Verhandlungen ohne i
—A J. dDas —3 Deutschland und
der Justitution des Reichstages diametral widersprechen.
Man weiß zwar, daß früher schon gelegentlich Wahldispens
rteilt worden ist, zum Besfpiel im württembergischen Wahlkreis
Falw. als der freikonservative Abgeordnete Freiherr von
zültlingen fünf Monate vor Ablauf der Legislaturperiode starb.
ler Ausnahmen sollen bekanntlich die Regel bestätigen. Und
ann sprechen doch wichtige Zweckmäßigkeitsgründe gegen
Liederholungen solcher Fälle gerade in der Gegenwart. Da—⸗
ials standen in den letzten Sitzungswochen keine so wichtigen
eintscheidungen wie heute aus, man beschäftigte sich mit der
tertigstellung des Etats, aber nicht mit der Verabschiedung
on Handelsverträgen, der Reform der Justizgesetze, der Ein⸗
ührung der Privatbeamtenversicherung und dem Schichksal wich—
iger anderer Sozialgesetze.
Man darf also nach allen diesen Erwägungen wohl er—
parten, daß der Reichskanzler keinen Wahldispens erteilt und
ah olso das Zentrum Gelegenheit erhält, an drei verschiedenen
Stellen des Reiches die Unerschütterlichkeit seines Turmes noch
or den Neuwahlen zu beweisen.
Von besonders informierter Seite wird uns
zeschrieben: „Die Nordd. Allgem. Zeitung, die sonst so
link mit dem Dementierapparat bei der Hand ist, hat es
his heute noch nicht für nötig befunden, zu der Meldung
»on dem Abschuß eines Geheimabkommens zwischen Deutsch⸗
and und Rußland Stellung zu nehmen, obgleich doch die
jesamte deutsche Presse und nicht nur diese, sondern auch die
ruswärtige darüber berichtet hat. Wenngleich zwar der
Natin ein solches Dementi aus dem Munde des Herrn
zswolski gebracht hat, so kann doch diese Erklärung kaum
inen besonderen Wertanspruch erheben, da sie sich für den
ussischen Botschafter in Paris von selbst versteht. Denn
s hieße den französischen Verbündeten doch aufs ärgste
»rüskieren, wollte die russische Regierung zugeben, daß sie
ein solches Abkommen mit Deutschland geschlossen habe. Wir
Deutsche jedoch brauchen auf französische Empfindlichkeiten
jerade in der augenblicklichen Zeit, nicht sonderlich Rücksicht
z»u nehmen, und können daher mit Genugtuung konstalieren,
daß das offiziöse Organbisher geschwiegen hat.
Keine Antwort ist eben auch eine Antwort. So dürfen wir
annehmen, daß die vom Reichskanzler im Dezember ab—
gegebene Erklärung auch heute noch zu vollem Recht bhesteht.
der Stand der deutsch⸗frauzösischen Verhandlungen.
Zuständige Stellen bewahren über den Stand der deutsch⸗
ranzösischen Marokkoverhandlungen absolutes Stillschweigen
nd lehnen es auch ab, sich irgendwie zu den Meldungen
er französischen Presse über den Stand der Verhandlungen
nd über den Inhalt der deutschen und französischen Forderungen
1äußern. Da die französische Regierung in der Angelegen⸗
eit jedenfalls ebenso kortekt verfährt, wird man annehmen
ürfen, daß der größte Teil dessen, was über den Inhalt
er Verhandlungen in den letzten Tagen in die Oeffentlich⸗
eit gedrungen ist, auf Kombinationen beruht und jeder
tsächlichen Grundlage entbehrt. Daß zwischen dem fran—
„sischen Angebot und den deutschen Forderungen noch eine
zoße Kluft besteht, ist an sich jedoch kein Geheimnis. Frag—
h erscheint es auch, ob das jetzt zu erwartende französische
ngebot genügend sein wird, um den Verhandlungen eine
folgreiche Fortsetzung prophezeien zu können. Nach einer
insicht werden sie jedenfalls einen Fortschritt
ringen: während nämlich bisher die Verhandlungen münd—
sch geführt worden sind, werden jetzt von der französischen
zegierung die einzelnen Punkte, in denen sie zu einem Ent—⸗
egenkommen bereit ist, schriftlich ausgearbeitett und von
»errn Cambon nach seiner Rückehr der deutschen Regierung
nterbreitet werden. Dadurch wird eine feste Basis ge—
chaffen, auf der sich hoffentlich eine schrittweise Annäherung
er entgegengesetzten Standpunkte und die Ueberbrückung der
woch vorhandenen Gegensäte ermöalichen lasen wird. b.
dozialdemokratische Hetze und Altonaer Kaiserparade.
Um auch der Jugend bei der morgen stattfindenden
taiserparade in Altona, soweit möglich, einen lebendigen Ein—
uck von der Parade zu verschaffen, ist der Ausfall des
ZIchulunterrichte an dem Varadetage angeordnet worden.
)as hat nun die Sozialdemokratie ganz aus dem Häuschen
‚ebracht, und ihr Hamburg-Altonaer Preßorgan, das Echo,
»enutzt den Anlaß zu ungewöhnlich wüsten Aus—
ällen gegen den Kailer. Es heißzt in dem wabrhaft
»ütenden Elaborat:: —
„Kein Arbeiter lasse seine Kinder an der Parade teil—
ehmen, niemand kann dazu gezwungen werden. Es ist be—
reiflich, wenn die Kinder einen solchen Verzicht auf ein
rwartetes Vergnügen nicht gleich verstehen können. Wenn
ian sie aber darauf hinweist, daß da ein Mann ge—
hrt werden soll, der die Ehre ihrer Väter mehr als ein—
nal in den Kot getreten hat, werden sie es verstehen
ernen. Erzählt ihnen, wie Wilhelm II. euch Elende
ind eine Rotte von Menschen genannt hat, nicht wert, den
Zamen Deutsche zu tragen. Sagt ihnen, daß der Kaiser
iie Partei, deren begeisterte Anhänger ihre Väter sind,
mmer wieder geschmäht und sie zu zerschmettern gedroht
»at. Sie werden sich dann selber sagen, daß sie, die Kinder
rArbeit nicht dauu da find ase Gtoffag⸗ hei einer
— —
Ihrem etwas schwerfälligen Naturell zum Trotz hatte sie
ich mit fortreihen lassen von der allgemeinen Fröhlichkeit und,
vo irgend möglich, Nachdenken und Alleinsein vermieden. Mit
ielen Gründen der Weisheit und Logik hatte sie sich ein
inderes Bild von der bedeutungsvollen Eisenbahnfahrt zurecht-
onstruiert und war nun ängstlich bemüht, dieses rünstliche
Bebäude nicht zu erschüttern.
MNach all dem Trubel der letzten Tage war eine verhältnis-
näßige Ruhe eingetreten, die Ruhe vor dem Sturm, denn man
vefand sich dicht vor der Hochzeit. Man war zum erstenmal
ttill füt sich zu Hause geblieben, da gegen Abend der Bräutigam
rebst einigen Hochzeitsgästen erwartet wurde.
Die jungen Mädchen saßen noch vor dem Hause am abge—
äumten Kaffeetisch, auf den eben der Diener einige zierlich
geordnete Erfrischungen stellte.
Alle SHände waren eifrig beschästigt, zur Probe eine
Brautkrone aus Buchsbaum zu winden. Später sollte ein
Inparteiischer die am meisten gelungene bezeichnen, und die
zände, die sie gefertigt, sollten auch den Myrtenkranz binden
ürfen. Taß diese Ehre Josa Ehrenberg zufallen würde.
anterlag keinem Zweifel. Sie vatte die geschicktesten Hände
und den meisten Sinn für Zieruühkeit.
Nichtsdestoweniger waren aile mit Inbrunst bei ihrem
eizwollen Werk. Daß es so stirt dabei zuging, dan die
zände sich ohne Rast in den Korb mit den tiefgrünen Büschel-—
hen versenkten, um passendes Material auszuwählen, war der
Anwesenheit der alten Baronin zuzuschreiben. l
Herr v. Eggelow, der Vater von Addy und deren vier
-chwestern, hatte schon vor einiger Zeit den Tisch verlassen.
kin Pferdehändler war ihm gemeldet worden, worauf er
eilig und aufgeregt davongegangen war.
Zur geheimen Unzufriedenheit seiner Töchter war seine
Mutter, die seit dem Tode seiner Frau dem Hause vorstand⸗
hei den jungen Mädchen zurückgeblieben.
Daoa der Gärtner unglücklicherweise gerade den Korb in
hrem Beisein gebracht, hatte sie sich mit der Miene einer
Pensionsvorsteherin erkundigt, was das geben solle. Von
vem Vorhaben in Kenntnis gesetzt, erklärte sie, diese Arbeit
„ũberwachen“ zu wollen.
In slummem Ent'eken richteten die Augen der Enkelinnen
Der Liebe Göͤtterstrahl.
Roman von MargaRanyle.
6. Fortsetzung.) Machdruck verboten.)
„Ich danke Ihnen,“ sagte er mit ernstem Lächeln, ihre
— D—
wohl!“
Zum letzten Male ruhten seine Blicke auf ihr, flammend,
in unverhüllter Leidenschaft — dann war er gegangen.
Einen Augenblich stand Josa wie betäudt. Herzzerreißend
prach eine Stimme in ihr: vorbei — vorbei!
Gott im Himmel, war denn das auszudenken? Konnte
yas denn sein?
Traumschnell war ja diese Scheidestunde herbeigekommen.
Wie ein Dieb war sie herbeigeschlichen auf leisen Sohlen und
hatte sie so gänzlich ausgeraubt, daß sie nun mit leeren
Händen, in tödlicher Verzweiflung, vor dem Nichts stand.
Warum war ihr nicht eine Warnung zugegangen, das nie
wiederkehrende Gluck auszukosten bis auf die Neige!
Und nun war es zu spät.
Ein schneidendes Wehgefühl rann durch ihren Körper. Die
Sinne drohten ihr zu schwinden, aber das derrste nicht sein.
Wie im Taumel riß sie das Fenster herab. Nur noch einmal
hn sehen, ein letztes Mal!
Da stand er vor dem kleinen, weinumrankter Bahn⸗
„ofsgebäude und starrte mit finsterer Stirn in das Getriebe.
Markig hob sich seine kraftooll⸗edle Gestalt aus der Menge
»er Landbevölkerung heraus, die ihn, des nächsten Bummel—
uges harrend, umgab.
„Ist es denkbar?“ dachte Josa verzweifelt, „auf Nimmer—⸗
riedersehen? Ein Abschied soll das gewesen sein für alle
zeiten? Gibt es denn nichts, was ich ihm noch Liebes antun
donnte, wie das doch Sitte beim Scheiden zwischen Menschen,
ie sich ... nahe getreten sind?“ .
Als der Zug an ihm vorüberglitt, winkten dem einsamen
Jägersmann da draußen zwei schwarze Auaen und eine tleine
5and einen lebßten Gruß
III.
Brennend war Addy v. Eggelows Wunsch gewesen, vor
ner Hochzeit noch einige Zeit mit Josa zusammen zu sein, um
och einmal mit ihr die Erinnerungen aus glüchseligen Pen—
onstagen aufzufrischen. Eine schwärmerische, eifersüchtige Liebe
atte Addy damals an die Freundin gefesselt und die ganzen
zahre über ebenso an rir festgehalten. Nun war dieses
usammensein, das die junge Braut so eigensinnig ersehnt,
ber doch etwas anders ausgefallen, als sie beide gedacht
atten.
Schon vierzehn Tage weilte Josa auf Eggelow, der wichtige
'ag nahte mit großen Schritten, aber die Freundinnen hatten
ioch nicht viel von einander gehabt.
Auch hier bestätigte sich die do häufig beobachtete Tatsache,
ab das Liebesglück die Menschen oft merkwürdig zu ver—
indern imstande ist. Die sanfte, selbstlose Addy war eine
leine Egoistin geworden, die seum noch an anderes als
in sich und wieder an sich dachte. Sie beanspruchte, der
NRittelpunkt — das A und O zu sein, um das sich alles
ind aller Gedanken drehten, und entwickelte dabei manchmal
icht ganz liebenswürdige Eigenschaften. Doch sah ihr dies
zosa großmütig nach. Das würde slich später ja alles wieder
indern.
Außerdem kam sie gar nicht recht dazu, das alte, trauliche
zerhältnis zu vermissen. Unaufhörlich gab es andere Zer—
reuungen auf dem grohen, herrlichen Gute, das dem Un⸗
ingeweilten als Inbegriff von fest fundiertem, solidem Wohl⸗
rand, wenn nicht gar Reichtum, erschien, und nur dem Kun—
eigen ganz leise, leise von Niedergang und Verfall raunte.
Einstweilen schien das aber niemand der zahlreichen Fa—
nilie zu beunruhigen. „Leben und leben lassen!“ hietßz die
Zarole, und so konnte es einem Gaste schon wohl sein auf
»gaclow. Und an Gästen fehlte es eigentlich nie, das ganze
kahr über wurden die Fremdenzimmer nicht leer. Urbehaglich
ühlte sich ein jeder inmitten dieser wahrhaft vornehmen,
iebensrürdigen Menschen und dachte nicht so leicht wieder
in das Fortgehen.
Auch Josa hatte sich dem Zauber des gastlichen Hauses
idt zu entziehen vermocht. In Saus und Braus, in stetem
Bechjel poun Versonen und Dinaen war die Zeit veragznaen.