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mMittwoch, den 25. August 1911.. Morgen⸗Blatt Ur. 424.
Amtsblatt der freien und hansestadt Lubed
heiblatt: Gesetze und Verordnungsblatt RRV
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Ausgabe
* Großze Ausgabe)
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Erftes Blatt. Bierzun 2. Blaft.
Umfang Seitcsa. 7
nichtamtlicher Teil.
Der Generalstreik als Friedensstifter.
Lübeck 23. August.
Von einem gelegentlichen Mitarbeiter wird uns geschrieben:
Seitdem der sozialdemokratische Parteivorstand von der radikalen
Parteipresse zu Zugeständnissen in der Marokkotaktik gezwungen
vorden ist, machen sich die sozialdemokratischen Versammlungs-
zroteste gegen den sogenannten Marokkorummel in allen deutschen
Froßstädten lärmwolle Konkurrenz. Immer sind es über—
süllte Massenversammlungen, und immer enden sie mit ein—
timmig angenommenen feierlichen Resolutionen gegen die nach
Wahlparolen suchende Regierung usw. Trotzdem verdient die
am Sonntag abgehaltene Berliner Protestversammlung ein wenig
aus dem Chorus der anderen hervorgeholt zu werden. So—
wohl der Referent, der zu den Vorwärts-Redakteuren gehört,
wie die tausend Versammlungsbesucher, die ausschließlich Dele—
zierte Berliner Parteivereine waren, wie die einflußreichen Ab—
zeordneten Ledebour, Ströbel, Stadthagen, die als Gäste dabei
varen und vor allem eine Stelle der Rede selbst rechtfertigen
iese Hervorhebung.
Der Vortragende, Redakteur Däumig, richtete nämlich im
Verlaufe seiner Rede einen Appell an die Partei—
enossen, sich für den Mobilmachungsfall be—
reit zu halten. „Denn bei einer plötzlichen Mobil—
machung“, meinte Herr Däumig, „können die Abwehrmittel
nicht erst auf dem Instanzenwege beschlossen werden. 1870
haben die deutschen Sozialdemokraten mündlich Protest ein—
zelegt gegen den Krieg. Was bei der damaligen Schwäche
der Partei eine mutige Tat war, wäre heute eine Feigheit
ind politischer Selbstmord. Jetzt kommt man mit platonischen
Friedenskundgebungen nicht mehr aus. Jedes Mitglied muß
zereit fein und daran denken, daß die Organisationen nicht
»loß Wahlvorbereitungsmaschinen sind, sondern Kampfes—
inheiten. Die Frage des politischen Massenstreiks
eückt hierbei in eine andere Beleuchtung als sonst, so friedlich
vürde sich ein solcher Massenstreik im Mobilmachungsfalle
iicht abspielen.“
So unverblümt, wie hier, ist selten einmal
der politische massenstreik als frieaverhindern—
——
des Kampfmittel der Sozialdemokratie emp—
fohlen worden. Zwar weiß man, daß er schon lange
in den Kreisen radikaler Sozialdemokraten als Allheilmittel
zegen alle schweren politischen und wirtschaftlichen Hemmnisse
»es Proletariats angesehen wird. Aber dak ihn auch Leute
n verantwortungsvollen Parteistellungen vor ernsthaft zu
iehmenden Zuhörern ganz ungeniert als wirksamstes Friedens⸗
ezept anpreisen würden, das ist bei uns wenigstens neu.
Nehmen wir wirklich einmal den ganz unwahrscheinlichen
xall an, die 33 Millionen sozialdemokratische Wähler wären
imtlich einfache Arbeiter, übeczeugte Sozialdemokraten und
pohldisziplinierte Parteigenossen. So überzeugt und diszipli⸗
iert, daß sie auch im Fall einer Mobilmachung bei dem als—
ann zweifellos vorhandenen Volkssturm, ohne den heute
zin Kriegsausbruch mehr denkbar ist, der allgemeinen Partei—
arole folgten und den Generalitreik inszenierten. Das würde
weifellos sehr peinliche Folgen haben, nicht nur für das
zaterland, sondern auch für die beteiligten Generalstreikler.
Pber es wäre auch noch keineswegs die Verwirklichung des
tten stolzen Proletarierwortes: „Alle Räder stehen still, wenn
ein starker Arm es will“. Denn neben den sozialdemokra⸗
ischen Arbeitern steht die viel gewaltigere Zahl der nichtsozial⸗
emokratischen Arbeiter. Fast 15 Millionen Arbeiter sind in
ndustrie und Landwirtschaft tätig. Kaum 2 Millionen von
men sind in sozialdemokratisch gefärbten Gewerkschaften organi—
ert, ein erheblich geringerer Teil steht. in den sozialdemo—
ratischen Parteilisten als Mitglieder verzeichnet. Selbst wenn
iso in so erregten Tagen, wie sie Mobilmachungszeiten mit
ch bringen, nicht der Geist, sondeen die Ziffern allein herrschten,
zären die sozialdemokratischen Arbeiter stark in der Minorität.
Ler will aber behaupten, daß vor Ausbruch eines Krieges
icht noch zahlreiche andere Einflüsse neben den sorgsam ein—
edrillten Parteianschauungen die Menschen beherrschten? Nein,
uch wenn man die Gesamtlage des sozialdemokratischen Partei—
arstandes während der Mobilmachung noch so günstig: be—
teilen wollte, käme man doch zu einer unbedingten Erfolg⸗
,sigkeit aller von ihm inszenierten gewaltsamen Kriegs—
erhinderungsversuche durch das Mittel des Generalstreiks.
So hat auch Ed. Bernstein vor wenigen Tagen erst
n zwei Vorwärts-Artikeln nicht nur den politischen
zeneralstreik für unwirksam in den Händen der
zozialdemokratie erklärt, sondern auch die parla—
nentarische Aktion und die Anwendung all der übrigen Gewalt—
rittel, die Herr Däumig Sonntag recht eindeutig als „Kampfes—
nitlel der alten bürgerlichen Revolution, angepaßt an die
asderne Taktik und Strategie“, für die Sozialdemokratie
ekllamierte Aber Herr Eduard Vernstein hat nach zuper—⸗
Au
lässigen Berichten auch Sonntag unter den Zuhörern des Herrn
Däumig gesessen und hat nach dessen Ausführungen — ge—
chwiegen. Unwidersprochen werden sie also durch die Dele—
zierten in die einzelnen Parteivereine und von dort in die
inzelnen Fabriken und Werkstätten getragen und in den Köpfen
das ungesunde politische Machtgefühl erhöhen, das heute schon
genügend Unhei! anrichtet. Die Verantwortung, die dadurch
zie Führer der sozialdemokratischen Massen auf sich laden, ist
ungeheuer schwer. Pflicht der nichtsozialdemokratischen Presse
iber ist es, beizeiten vor der Festsetzung von Ideen und
Parteiidealen zu warnen, die so gefährlich sind, wie die
Empfehlung des Generalstreiks als Friedensinstrument.
Das deutsch⸗russische Abkommen.
(Telegramme.)
London, 22. Aug. Verschiedene Blätter äußern sich heute
über das Potsdamer Abkommen in dem Sinne der gestrigen
offiziösen Erklärung und verlangen, daß die englische Regierung
chleunigst ein Abkommen über den Bau des letzten Trittels
der Bagdadbahn trifft, und zwar auf der Basis abso—
uter ökonomischer Gleichberechtigung, so daß die Interessen Groß⸗
zritanniens im Persischen Golf nicht gefährdet werden. Es sei
inwahrscheinlich, daß sich eine günstigere Gelegenheit ergebe;
jenn Deutschlands Einfluß im nahen Osten sei im Steigen be—
zriffen und werde angesichts seiner militärischen Lehrmeisterschaft
in der Türkei wohl nicht so bald abnehmen. J
Paris, 22. Aug. An hiesiger amtlicher Stelle wird
erklärt, daß die Meldungen, das deufscherussische Abkommen ent⸗
Hhalte auch eine Vereinbarung, wonach beide Mächte sich ver⸗
oflichteten, an keiner Kombination gegeneinander
teilzunehmen, falsch seien.
Die marokkanischen Verhandlungen.
(Telegramme.)
Berlin, 22. Aug. Das in gewissen Kreisen zirkulierende
Gerücht von einer Erschütterung der Stellung von
Kiderlen-Waechters entbehrt jeder Begrün—
Xung. Wie verlautet, beabsichtigt Herr v. Kiderlen-Waechter
Ende dieses Monats nach Berlin zurüchzukehren und man
nimmt ban, daß bis dahin auch der französische Botschafter in
der Lage sein werde. auf seinen Posten zurückzukehren und die
Verhandlungen wieder aufzunehmen.
Paris, 22. Aug. Am Quai dOrsay fand gestern abend
bereits die ersten Besprechungen zwischen dem Minister des
Neußern, de Selves, und den Botschastern Jules Cambon-Berlin,
Paul Cambon-London und Barrere-Rom über die Lage statt.
Ueber den Inhalt wird strengstes Stillschweigen beobachtet, so
— —— — — —
läßlich einer Gedächtnisfeier für den verstorbenen Komponisten
zur Uraufführung kommen.
Kle'ste „Penthesilea“ wird in Berlin in dieser Spielzeit
an zwei Bühnen zur Aufführung gelangen. Außer dem
Königlichen Schauspielhaus, das die Dichtung in einer Be—
arbeitung Paul Lindaus bringt, will auch das Deutsche Theaser
„Penthesilea“ spielen. Hier hat Theodor Commichau die Be—
arbeitung besorgt, und die Titelrolle ist Gertrud Eysoldt
zugedacht.
Der Kampf um die „Schöne Helena“. Es scheint die Be—
timmunse der schönsten Frau ver Griechen zu sein, daß s'e
mmer nur Unfrieden und Streit stiften muß. Das war
chon damals so, a's sie noch lebte und ihretwegen der
rojanische Krieg entbrannte, und das ist noch heute der Fall,
oo sie längst tot ist, aber von Offenbach zu neuem Leben
rweckt worden ist. Um die'es neue L.eben in allerneuester
zenischer Aufmachung war zwischen den Direk oren Pa'fi, Mouti
ind Reinhardt in Berlin ein Kampf eubrannt. Aber da
ẽ*r glücklicherweise in e'ner friedlichen Z'it leben, ist ken
weiter trojanischer Krieg die Folge diess Ser iles. Direkor
zalfi führt am 8. September „Die schöne Helena“ im Nuen
Dperettentheater in Berlin auf. Diese Nachricht hahen en aber
Direktor Reinhardt nicht gerade mit Freuden be zrüß', und fiugs
purden alle möglichen Versuche unernommen, um Dirktor
zalfi die „Schöne Helena“ abspenstin zu machen. Denn Di⸗
eltor Reinhardt hat bekanntlich die Offenbachsche Opere!te nen
uskeniert im Münchener Künst'erthealer herrussch ahht und
vollte das Werk seiner Inszenierunz auch den Brerlinern
eigen. Für diese Aufführung war das Theater des
WVestens ausersehen und mit Direktor Monti en? Veren—
darung getroffen. Nun trat Direitor Pasfi mit sener An—
ündigung auf den Plan. Da er die Operette riie crworben
satte — das Buch von Meilhac und Halévy ist noch
sicht frei — konnte man nur versuchen, durch Unierhand—⸗
ungen mit ihm etwas zu erreichen. Man bot ihm fünf—
ausend Mark, wenn er die Aufführung un erließze und man
tellte ihm eine Beteiligung am Gewinn dir Reinhardtschen
Vorstellungen in Aussicht. Doch Direktor Palfi, dem durch
diese Angebote nur der Beweis erbracht wurde, wie hoch
nan immer noch die schönste Frau einschätzt, gab die Herr
iche nicht frei, und so werden sie die Berliner nicht be
keinhardt, sondern im Neuen Operetten h'aler sehen und be—
pundern.
Theater, Kunfst und Wissenschaft.
Zur Gala⸗Vorstellung im Hoftheater zu Kassel, die, wie
hereits berichtet, in Gegenwart des Kaiferpaares stattfand,
neldet der B. L.A.: Der Kaiser sprach am Schlusse der
Borstellung dem Intendanten, Grasen Bylandt-Rheydt, seine
oolle Zufriedenheit über die Leistungen der Kasseler Bühne
aus. Der Monarch betonte dabei, es sei zu verwundern,
»ah das Kasseler Theater ausschließlich mit eigenen Kräften
ine so tadellose Aufführung zustande gebracht habe. Das
zaiserpaar lasse allen Mitwirkenden seinen Dank aussprechen.
Mottls Nachfolger. In Münchner Blättern liest man
ronische Bemerkungen darüber, daß die auswärtige Presse nun
zlücklich den künftigen Generalmusikdirektor und Nachfolger
Mottls gefunden hat“: Gustav Brecher aus Hamburg. Der
damburger Dirigent war von Richard Strauß, dem Hefer in
»er Not bei den Festspielen in München, für die Leitung eines
Tristan dort empfohlen. Brecher ist sehr für Slrausr Wertke
»mgetreten. Darum hat nun der berühmte Dirigent, wie—
s heiht, die Aufmerksamkeit der Münchener Intendanz auf
Brecher gelenkt, der bestenfalls zunächst als Dirigent der
Münchener Oper in Frage käme, wo bereits Fischer und Röhr
eine hochachtbare Position behaupten. Jetzt deuten
Münchner Blätter unter Hinweis auf den Ausfall der Brecher—
chen Tristan-Leitung bereits deutlich an, daß die von der In—
endanz gelegentlich erwogene Kandidaliur Brechers schen als
ibgetan gelte. In der Tat finden wir unter allen Münchner
Blättern nicht e ins, das Brechers Leitung des Tristan lobt,
zeschweige denn enthusiastisch feiert. Nben gesejen!licher An—
erkennung Brechers in etlichen Partien des Werls sind in allen
Blättern der Ausstellungen sehr viele. Die Münch. Zig. er—
wähnt in dem ironischen Artikel, dah Brecher mit dem Tristan
die Chancen verspielt habe, und sie deutet an, dass ein ernst-
hafter Kandidat bereits ins Auge gefaßt sei. (Das bezieht
ich auf Willibald Kählec, Schwerin) Eigen'ümlich berührt
nuch die Wlunchner Mitteilung, daß Brecher die gewährie Probe
eils dazu benutzt hat, den Musikern, die unter Levi und
zumpe und Mottl doch auch an einer ehrlichen Wagner⸗
Tradition teil hatten, breite Auseinandersetzungen über
Woagnerstil zu halten. Die M. Z3. nimmt Brecher am stärksten
nit, wenn man von auswärtigen Korrespondenzen absieht,
ie von vwinem künstlerischen Tebacle ein,ehend schreiben, und
aß der Tristan unter Brecher „furchtbar“ war, „eine Blamage
Ar München und seinen Rus als Wahnerstadt“,
Uunstle nachrichsen. Kammtranger Alexander Heine—
nann ist von seiner halbjährigen, äußerst erfolgreichen Kon—
ertreise durch die Vereinigten Staaten von Amerika zurück
ekehrt. Aber nur kurze Rast ist bhem Sänger in Berlin be—
chie den. Schon im November will er zu einer zweiten großen
deise aufbrechen, die ihn wieder nach Amerika führen soll.
— Gemma Bellinckoni, die sich jetzt in Berlin als
ßesangslehrerin niederläßt, gedenkst, wie aus Viareggio be—
ichtet wird, die Erinnerungen an ihre Bühnenlaufbahn in
inem zweibändigen. Werk zu vreröffentlichen. Sie soll die Ab—
assung det Memoiren, für' die sie das“ Material lieferte,
inem kalabrischen Schriftsteller übertragen haben.
Ein neuer Berliner Theaterban. Die Kurfürstenoper
n der Nürnberger Straße ist jetzt soweit vorgescheitten, daß
nit den Innenarbeiten begonnen uwerden konnte. Es ist dies
as erste Thealer, das nach der neuen Bauordnung für
heaterneubauten vom 1. April 1909 errichtet ist. Besonders
u erwähnen ist die 250 qm große Vorhalle, an deren Seiten
ich die durch äußerst geschmackoJe Püschvorhänge verdedten
jarderoben für das Publikum befinden werden, und deren
Nitte in den Pausen gleichceitig ans Erfrischungsraum v'enen
oll. Von hier gelangt man auf Marmortreppen in das hoch—
elegene, amphitheatralisch angeordnete Parkett. Während hier
in Foyer vorgesehen ist, befinden sich im ersten Rang zwei
erartige Räume. Sowohl den Logen im Parkett als auch
en ersten Ranglogen sind kleine Calons augegliedert, die
urch eine Tür verbunden sind. Die Seitenbalkons des ersten
danges sind im Gegensatz zu anderen Theatern vollständig
u Logen aufgelöst. Die Bühne ist, der „Bauwelt“: zusolge,
ls Staffebbühne ausgeführt, so dah es möglich ist, den ge—
amten Bühnenboden in der Tiefenachse bis zu einer Höhe
on 2 m emporzuheben, bezw. 2 m zu versenken. Außer
ieser wesentsichen technischen Neuerung muß noch hervor—⸗
ehoben werden, daß hier zum ersten Male bei den Beleuch—
ungsefsekten das Vierfarbensystem angewendet wird. Ein be—
onderes Merkmal des im klassischen Stil mit modernen An—
längen ausgesührten Theaterpalastes ist, dah er mit der Längs⸗
iusdehnuns des Zuschauerraumes an der Straßenfront liegt.
Die Eröffnung der neuen Oper soll Anfang Dezember dieses
Jahres erfolgen.
Von den beiden großzen Nachsaßwerlen Gustav Mahlers
vrird „Das Lied von der Erde“, Sinsonie sfür Tenor
und Alt mit Orchester, kommende Saison in München an—