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Amtsblatt der freien und Hansestadt Lübed
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SSSOSι ασ
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zende medlenhurgische und holsneinische Gebiet.
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September
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„Lübeckischen Anzeigen“
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Der Verlags der „Lüb. Anzeigen“.
Erstes Blatt. hierzu 2. Blatt.
Umfangs ver heutigen Nummer 8 Seiten.
lnichtamtlicher Teil.
Dienstag, den 22. August 1914.
iorgen-Blatt Kr. 422.
GEGGroße Ansdgabe)
auf „Lreu und Glauben“, „die Verkehrssitte“, den Begriff der
„guten Sitten“ zum Beispiel zeigt. Sie findet ihr weitestes
Ziel im Vorentwurf zum neuen Strafgesetzbuch, wonach der
dichter in“ besonders leichten Fällen sogar von der Strafe
zanz absehen daff.
Auch auf dem Gebiete des Prozesses wird dies ange—
trebt. Bisher ist der Richter noch eng an das Partei—
»orbringen, die Anträge und viele Formalismen gebunden.
Ddie materielle Wahrheit wird nicht selten dadurch gehindert
ind Verschleppungsversuchen und Winkelzügen dadurch Vorschub
eleistet. Es wird hier eine straffere Leitung und die Be—
eitigung aller überflüssigen Formalien und Schreibereien er—⸗
trebt; auch hofft man dadurch, daß die Parteien selbst vor
em Richter erscheinen müssen und eventuell eidlich abgehört
oerden können, der sogenannten Prozeßlüge, die heutzutage
neist als erlaubtes Kampfmittel angesehen wird, ihren Lebens⸗
aden abzuschneiden. Die österreichische Zivilprozeßnovelle von
909, durch die man in dieser Hinsicht beachtenswerte Fort⸗
chritte erzielt hat, sowie Schweizer und ungarische Vorbilder
önnen hier wertvolle Hinweise geben.
Neben dieser freieren Ausgestaltung des materiellen und
»rozessualen Rechts ist es aber dann noch nötig, den
kichterstand selbst zu heben. Denn wie der Vorkämpfer hier—
ir, der Oberbürgermeister Adickes, in seinen vor einigen Jahren
rschienenen Schriften über Justizreform ausführt, nützten die
esten Gesetze nichts, wenn sie nicht von tüchtigen und lebens—
rfahrenen Männern gehandhabt werden. Men, no measures,
die es im Vorbild hierfür, in England, heißt. Persönlich—
eiten, nicht so sehr Maßregeln sind nötig! Damit hängt
zie Befreiung des Richters von der heute noch viel zu bureau—
ratischen, oft kleinlichen Schreiberei, die Abnahme aller
ubalternen Arbeit, die Einschränkung der Vielzahl und die
ßeranbildung weniger, aber um so tüchtigerer Richterpersönlich—
eiten, sowie die Gewährung nicht nur papierner, sondern
zirklicher Unabhängigkeit zusammnen.
Daß die deutschen Richter selbst an dieser Aufgabe mit—
irbeiten, zeigt die Tagesordnuag des demnächst stattfindenden
deutschen Richtertages in Dresden, auf der die Fragen der
ztellung des Richters zum Gesetz, des Ausbaues der richter—
ichen Unabhängigkeit und der Reform des Strafgesetzbuches
ur Verhandlung kommen, wie man hoffen darf, im Sinne
der oben dargelegten fortschrittlichen Erkenntnis.
—— — J
Der Raiser und die Kasseler Abiturienten.
Oer Kaiser hat, wie berichtet, anm Sonnabend auf der Ter—
asse des Schlosses Wilhelmshöhe der Prima des Kasseler Fri—
ericianums in Gegenwart der Primaner, des Direktors und
ses Lehnerkollegiums der Prima, sowie einiger Conabiturienten
»es Kaisers eine neue FJahne gestiftet. Der Kaiser hielt
ierbei eine Ansprache, in der er nach jetzt vorliegender ein—
gehender Meldung u. a. sagte, daß das Gymnasium besonders
das Studium des klassischen Altertums in sein Programm auf—⸗
genommen habe.
Beim Studium der Antike auf dem GEymnasium sei nicht
auf die Einzelheiten des politischen Lebens, das von dem heutigen
oöllig verschieden sei, sondern auf die dem Griechenvolke mehr
is jedem anderen eigene — unserer Zeit ganz fehlende —
darmonie in Kunst, Leben und Philosophie der Hauptwert
u legen, wie Chamberlain in der Einleitung zu seinen „Grund-
agen des neunzehnten Jahrhunderts“ treffend dargelegt habe.
der Kaiser empfahl Dann das Studium der vaterländischen
ßeschichte, die uns das Elend der Jahrhunderte langen Zer—
issenheit Deutschlands zeige, und mahnte, beim Eintritt ins
zolitische Leben solle jeder den Blich auf das Ganze richten
ind nicht durch die Partei einen Vorhang zwischen sich und sein
Volk ziehen lassen.
Der Kaiser wies weiter angesichts des Nahens der Reife—
rrüfung auf die Schäden hin, die der Alkoholmißbrauch un—
erem Volke, nicht zuletzt der akademischen Jugend, bringe, und
zezeichnete die überkommenen Trinklitten als ungeeignet für eine
Zeit, wo es gelte, Deutschland seine Stellung in der Welt, beson⸗
ers auf dem Weltmarkt, zu erhalten. Er rühmte die den Al—
oholgenuß ausschließenden Sitten der akademischen Jugend Ame—
ikas, von deren Tüchtigkeit wir uns oft überzeugen könnten,
uind mahnte, den Körper durch Sport, durch Fechten und Rudern
u stählen, statt danach zu streben, einen Rekord im Vertilgen
alkoholischer Getränke aufzustellen.
Ddie marokkanischen verhandlungen.
(Telegramme.)
Die mibvergnügte Stimmundg in Frankreich, die
tich infolge ler Unterbrechung der deutsch-fran-—
ösisschen Verhandlungen der Oeffentlichkeit bemächtigt
jatte und die noch durch die Tarstellungen der Presse genährt
vurde, beginnt nunmehr wieder einzulenken. Der Matin
chreibt, in Berlin versichere man seibsf, Herr v. Kiderlen-Waechter
ei in Paris falsch verstanden worden; er habe keineswegs
eine Haltung durch die englischen Zultände beeinflussen lassen.
sdach einer Unterhaltung von sechs Wochen sei es aber nütlich,
die Fenster zu öffnen und frische Luft einzulassen. Das Blatt
meint dann, die öffentliche Meinung Frankreichs werde gern
u den weitestgehenden Zugeständnissen der Regierung ihre Zu⸗—
timmung geben, damit Frankreich ein sür allemal volle Hand-
ungsfreiheit in Marokko erhalte und Deutschland seine Unter⸗
rützung leihe, damit die anderen Mächte das getroffene Ab⸗—
ommen unterzeichnen. Eine scharfe Kritik an der Regierung
ibt das Echo de Paris, das wie gewöhnlich eine patzige
Zprache führt und verlangt, daß Teutschland endlich seine Ent-
chädigungswünsche genau präzisiere, ebenso wie die deutschen
Zugeständnisse in Marofko. Erst wüsse die marofkanische Frage
—
o 3 J
Justizreform und deutscher Richtertag.
Lübeck 22. August.
Wie auf allen Gebieten des wirtschaftlichen und geistigen
Lebens in der Neuzeit ein Vorwärtsstreben und ein Drang
nach Vervollkommnung besteht, so ist dies auch in der Rechts
»flege der Fall. Veranlaßt durch die Erkenntnis der Mangel—
haftigkeit der aus den 70er Jahren noch stammenden großen
Justizgesetze, wie des Strafgesezbuches, der Strafprozeßordnung
und der Zivilprozeßordnung, sowie aufmerksam gemacht durch
die seit Jahren oft in krasser Form geltend gemachte Kritik
richterlicher Urteile, haben Thepretiker und Praktiker auf Ab—
hilfe gesonnen. Abgesehen nun davon, daß eine den modernen
Anschauungen und Verhältnissen entsprechende Abänderung dieser
drei Gesetze vorgeschlagen und bis auf die der Zivilprozeß—
prdnung auch von der Reichsregierung bereits in die Wege
deleitet ist, ist man sich in der Hauptsache wohl darüber
ꝛinig, daß es durchaus notwendig ist, durch gesetzgeberische
Maßnahmen die Stellung des Richters im Sinne größerer
ichterlicher Freiheit umzugestalten. Nur dann können den
individuellen Verhältnissen entsprechende und der Gerechtigkeits—
dee möglichst angepaßte Entscheidungen gefällt werden.
Solche Erweiterung des freien richterlichen Ermessens, die
iübrigens bereits im Zivil- und Strafprozeß 1877 durch die
Einführung der freien Beweiswürdigung an Stelle der formellen
Beweistheorie angebahnt wurde, ist zum Teil durch das neue
bürgerliche Gesetzbuch fortgeführt worden, wie die Verweisung
Theater, Kunst und Wissenschaft.
Die nächsten Bayreuther Festspiele. Es wurde bereits ge—
weldet. daß die diesjährigen Vayreuther Festspiele im nächsten
Sommer wiederholt werden. Es geschieht dies entgegen der
Bayreuther Gepflogenheit, nur im jedem zweiten Jahre Vor—
tellungen zu veranstalten. Als Grund sür diee Absicht der
Familie Wagner bezeichnet das „Neue Wiener Tagblatt“ den
Umstand, daß in dem Jahre 10913, mit dessen Ende die nächsten
Festspiele normalerweise hätten stattfinden sollen, die Werke
Richard Wagners frei werden. Tritt die übliche zweijährige
Vause nach den Spielen von 10912 ein, so kann Bayreuth im
Sommer 1914 wieder auf dem Plan sein. Am 1. Januar
1814 werden zweifellos verschiedene Bühnen des „Parsifal
sich vemächtigen. Schon wenige Monate später wirde man
wieder in Bayreuth den „Parsifal“ aufführen, und zwar in
einer gänzlich neuen Ausstattung, von der ein Teil — der
zweite Akt — schon heuer gezeigt wurde. Dann wird ein
mächtiges Ringen anheben zwischen Bayreuth und den Reper—
toirebühnen der meisten deutschen Städte. Da Bayreulh in
»emselben Jahre den 5Parsifal“ aufführt, in welchem dieser
allerorts gegeben werden kann, so wird es sich sofort zur
Evidenz erweisen, ob das lehte Bühnenwerk Magners in
Sayreuth auch dann noch seine ungeschwächte Zugkraft aus—
ibt, wenn es des urheberrechtlichen Schutzes entkleidet ist.
Künstlernachrichten. Marietta Olly;der einstmalige
Star des Neuen und des Kleinen Theaters in Berlin, hat
ür den Monat September mit dem Passage-Theater in Berlin
einen Gastspielvertrag a bgeschlossen, um daselbst in einem ame⸗
rikanischen Sketsch aufzutreten. Frl. Marietta Olly feierte
in diesem Sketsch in Amerika grohe Triumphe und geht nach
Ablauf des kurzen Berliner Gastspiels wieder auf längere
Zeit nach England. Die Künstlerin will; bevor sie dem aus—
sändischen Engagement Folge leistet, sich dem Berliner Publikum
in einer Glanzrolle zeigen. — Frank van der Studen;
der langiährige Leiter der Sinfoniekonzerte und der großen
Maifestivals in Cincinnati wird am 13. Okt. im großen Saal
ꝛer Berliner Philharmonie ein Konzert mit dem Philharmoni—
chen Orchester veranstalten, dessen solistisch n Teil Frau Kammer—
angerin Ernestine Schumann-Heink übernehmen wird.
Der Wiener Magistrat gegen den toten Mottl. Eine
Flanzleistung religiöser Unduldsamkeit hat sich der klerikal—
ealtionäre Magistrat der Sladt Wien geleistet. Wir haben
zereits gemeldet, daß es Felix Mottls letzter Wunsch
ewesen ist, seine Asche möge auf dem Zentralfriedhof
n Wien beigesetzt werden, und daß der Wille des Toten
icht ausgeführt, werden konnte. Jetzt wird mitgeteilt,
al die Intoleranz der Wiener Stadträte schuld daran ge—
desen ist, daß trotz aller Bemühungen der Sinterbliebenen
ie Asche des großen Dirigenten in München bleiben mußte.
der Wiener Magistrat verweigerte der Urne den Ruheplatz
uf dem Zentralfriedhof, weil Mottl geschieden und
ine zweite Ehe eingegangen war. Eine wahrhaft
ottgefällige Handlungg!
Der Bund italienischer Bühnenleiter und Schrifistesler zum
zchutz der ei nheimischen Autoren gegenüber namentlich der
ranzösischen Invasion hat sich;, wie der B. L.A. aus Mai—
and meldet; nach längerem, vergeblichem Kampfe aufgelöst.
Das HSamburger Deutsche Schauspielhaus hat für die kom—
nende Spielzeit folgende neuen Stücke zur Aufführung an—⸗
enommen: „Der Schleier der Beatrice“ von Schnitzler,
Ninon de Lenckhos“ von Paul Ernst, „Der Jude
son Konstanz“ von Wilhelm v. Scholz, „Das weite
Ldand“ von Arthur Schnitzler (Uraufführung am gleichen
dage mit Wien und Berlin), „Michel Michael“ von
dichard Dehmel (Urausführung), „Das Tänzchen“ von Her—⸗
nann Bahr, „Gudrun“ von Ernst Hardt, „Nürnberg“
on Charles Leyst (Uraufführungh, „Sonnenwendtag!“
on Karl Schönherr, „Cäsar und Kleopatra“ von Ber—
ard Shaw, „Die von Wildtberg“ von Fritz von Briesen,
Sidalla“ von Frank Wedekind, „Die Königin“ von
heodor Wolff, „Sun dstage“ von Korfiz Holm, „Bun⸗
ury“ von Oscar Wilde, „Eine florentinische Tra—
ödie“ von Oscar Wilde. An Klassiker-Neuinszenierungen
nd geplant: „Was ihr wollt“ von Shakespeare, „Gyges und
ein Ring“ von Hebbel, „Coriolan“ von Shakespeare, .D'e
Makkabäer“ von Otto Ludwig, „Penthesilia“ von Kleist,
Wallenstein“, „Maria Stuart“ und andere. —
Ur⸗ und Erstaufführungen. Der Funfuhrtee', drei—
ktiges Musiklustipiel von Wilhelm Wolters. Musik von
Hheodor Blumer, erlebte im Königl. Schauspielhause zu Ores
den seine Uraufführung, deren Erfolg nur durch den wpossen⸗
jaften dritten Aufzug beeinträchtigt wurde. — Das Wiener
eutsche Volkstheater eröffnete Sonnabend die Spielzeit mit der
krstaufführung von ,5Tristan Bernards Zwillinge“,
earbeitet nach Plantus bekanntem-, Menaechmi der Heitere“.
Dder Versuch erntete lebhafte Heiterleit und Beifalt. 6
Eine Vollsbühne unter dem Namen Schillertheater wird
FEnde August in Bremen mit dem bekannten Volksstüch
„Dorf und Stadt“ eröffnet werden. Die Direktion führt
Emil Eward.
Neue Bühnenwerle. Eine romantische Komödie in drei
Akten „Kajus der Strolch“ aus der Feder Kurt Küchlers
vurde vom Hamburger Thaliatheater angenommen. —
„Kampf“, Schauspiel in drei Akten von John Glasworty, über⸗
etzt von Frank E. Washburn-Freund, wurde von der Direktion
nes Bremer Schauspielhauses zur Uraufführung erworben.
— Am 26. August findet am Deutschen Volkstheater in Wien
„ie Uraufführung des Schauspiels ,Die Stärkere“ von
Max Schönowsky von Schönwies statt.
—X Millionen! Im Neuen Schauspielhaus zu Berlin
ing Sonnabend die übermütige Burleske „Eine Million“
um hundertsten Mhale in Szene. Die flotte, lustige Handlung,
ie tolle Hatz hinter der Million und das vollendete Zusammen—
piel des Ensembles und des Kinematographen fanden auch
Zonnabend den lebhaftesten Beifall des vollen Hauses.
Sonnenflede. Man schreibt der Frankfurter Zeitung: Die
Zonne befindet sich jetzt im Zustande geringster Flecken—
rzeugung. Sowohl Flecke wie Fackln sind nur in sehr ge—
ingem Maße zu beobachten. Schon seit Anfang 1910 nahmen
zahl und Größe der auftretenden Flecke bedeutend ab; das
MNinimum dürfte gegenwärtig erreicht sein, sodaß gegen Ende
des Jahres wieder eine Zunahme der Sonnentätigkeit zu er—
varten ist. Der jetzige Ruhezustand der Sonne scheint auch
nit dem seltenen Auftrelen von Cirruswolkenz; die er—
ahrungsgemäß häufiger zur Zeit des Fledenmaximums vor⸗
ommen, im Zusammenhang zu ttehen.