Das Geheimnigs.
Humoristische Slizze von A. Awertschenft.
Deutsch von E. Röppen. J
. Mein Freund Mimosow beteuerte mir, daß er schon von
einer frühesten Kindheit an poetisch veranfagt sei. 8
„Begreifst Du — ich liebe alles Schone!⸗* 28 *
In der Tat? Woher, kommt denn das?“ fragte ich lächelnd.
33 weiß es nicht. Wahrscheinlich babe ich eine Seele, die
iuch Schönheit dürstet. —
In diesem Fall werde ich Dir einen Band meiner Gedichte
chenken!“
Er erschrak nicht, sondern sagte einfach: „Danke.
Ich fragte ihn so herzlich wie nur möglich: „Liebst Du das
nurmeinde Bächlein im Wald? Oder das —8 das auf dem
Vrase weidet⸗ 8 das rosa Wölkchen, hoch, hoch am Himmel
So ungefähr in der Höhe von 60 Faden ..7
Gedankenvoll, mit weit geöffneten Augen in die Ferne
schauend, exwiderte er: „Ich liebe dies alles schwärmerisch.
„Du bist ja ein famoser Bursche. Und was liebst Du denn
sonst noch?“ .
—— den Sonnenuntergang am Flusse, wenn von weitem
in leiser Gesang ertönt ... Blumen, guf denen der erste frische
Tau wie Tränen glänzt ..Ich liebe 33 — ꝓoetische Frauen —
ch liebe das Geheimnis, das immer A
„Du liebst Geheimnisse? Warum hast Du mir das wg früher
esagto, Ich hätte Dir dann einige erzählt. . Weißt Du,
—3 — daß zwischen der Frau unseres Portiers und dem Ver—⸗
aufer aus der Milchbude sich etwas anspinnt? Ich habe selbst
jehört, wie er ihr verführerische Anträge machte.“
Ex runzelte verächtlich die Stirn.
„Du hast mich nicht verstanden, mein Freund! Das ist ein
zu vulgäres, grobes Geheimnis. Mir kann nur ein zartes, feines,
eeeees Geheimnis gefallen. Weißt Du, was ich heute
etan habe
„Jedenfalls etwas Schönes, Poetisches“ sagte ich mit Ueber⸗
ugung. J
e — hast recht. Jetzt fahren wir gleich zu Lydia Platonowna,
und willst Du wissen, was ich getan habe?“
Elwas Schönes Poetischesan
Ja. Ich habe einen Strauß herrlicher, weißer Rosen 8
auft und, ihn Lodia Platonowna anonyni zugeschickt, ohne
Billett und ohne Karte. Das ist ein kleines, graziofes Geheimnis
Ich liebe alles Graziöse. Blumen, auf denen der ersie in Tau
vie Tränen glänzt ..Und niemand weiß, von wem sie kommen,
das ist ein Geheimnis.“ I
.Also deswegen hast Du Deinen türkischen Diwan und Deine
zlauen Beinkleider vertaufti⸗
„Mein Freund,“ sagte er und verzog schmerzlich sein Geßt.
Reden wir nicht davon. Blumen.NAus einer unve
annten Welt ..Woher kommen fied Aus den reinen Höhen?
Wer sendet sied Gotte Der Teufel
Seine zum Himmel gerichteten Augen leuchteten wie Sterne.
„Du wirst es ja nicht aushalten und es ausplaudern.“ be⸗
merkte ich giftig. J —
„Freund! — schwire Dir, daß ich gleichgültig und stumm
set werde. Dun! 6 — sie wird niemals erfahren, wer ihr
ie Blumen geschickt hat.“
Beim Aussteigen aus der Droschke dachte ich, daß, falls dieser
Mensch Gedichte schreiben würde, sie nicht dümmer zu sein
orauchten als die meinigen.
Als wir in den Salon traten, empfing uns die Hausfrau mit
einer solchen stürmischen Freude und überschültele uns mit einem
Jolchen Schwall von Dankesworten, daß ich im erflen Augenblick
sogar hinter Wassja Mimosow retirierte.
S. Wassili Valentinitsch!“ rief die reizende Wirtin. „Gestehen
e Vdw ... Sie haben mir diese entzückende Ueberraschung
ereitetꝰ
Wassja Mimosow trat erstaunt einen Schritt zurück und sagte,
indem er weit die Augen öffnete:
„Welche —S Ich verstehe Sie nicht⸗:
„Leugnen Sie doch nicht. Wer sonst könnte auf diese be⸗
aubernde Idee verfadend?
„Wowvon sprechen Sie?“ ——
— — Sie sich nicht. Ich spreche von diesem herrlichen
Sein Blick folgte der Richtung ihrer Hand, und er rief so
laut, als säbe er zum ersten Male im Veben einen Blumenstraͤuße
schi Nie eict Wer hat Ihnen diese prachtvollen Rofen
jeschickt?“
Die Hausfrau fragte sehr erstaunt:
Stammt das Bukett wirklich nicht von Ihnen?“
Vhne jedes Zaudern wandte ihr Mimofow sein trauriges,
nelancholisches Antlitz zu umd sagte fest:
Natürlich nicht. Ich gebe Ibnen mein Ehrenwort.“
Febt erst bemerkte se mich ganz und begrüßte mich herzlich.
che ut 7 Sind Sie am Ende der Spender dieses fürst⸗
ichen Geschenks⸗
Ich wandte Juid Wege Igte mit erheuchelter Befangenheit:
MNein, nein! wiß nicht!“
Sie blickte mich mißtrauisch an.
„Warum vermeiden Sie es, mich anzusehen? Beichten Sie
ugenblicklich, Sie Ausbund!“ F
Ich lachte albern.
Warum glauben Sie denn, daß ich es durchaus sein muß?“
Sie wurden gleich verlegen, als ich Sie fragte
Wassja e stand hinter dem Rücken der Hausfrau und
nachte mir beschwörende —
ge kicherte leise und drehte befangen an einem Westen⸗
mopf. ⸗
„Ach, lassen Sie mich.“ J
.Nun, natürlich sind Sie es. Warum stürzen Sie sich in
iese Unkosten⸗⸗
dem, Blick Mimosows ausweichend, sagte ich sorglos:
Es lohnt sich wirklich nicht, darüber zu reden.
zie ergriff meine Hand.
Also wirklich, Siesß
Wassja Mimosow näherte sich, mit einem vor Grimm ver—⸗
errten Gesicht, und rief heiser:
Er ist es nicht.“
die Hausfrau sah uns verstäundnislos an. „Also Sie sind es?“
Das Gesicht meines Freundes wurde zu einem Schauplaßz
»er verschiedenartigsten Empfindungen: von den niedrigsten bis
u den schönsten und erhabensten.
Die erhabenen siegten.
Rein, ich bin es nicht,“ sagte er, den Rückzug antretend.
„Niemand andens konnte mir diese Blumen jchicken — ent⸗
peder Sie, oder er. Warum geben Sie eine solche Unmasse
Beld aus“
chäng schlenkerte mit der Hand in der Luft und erwiderte ver⸗
mt:
„Bitte, sprechen Sie nicht weiter. Es lohnt sich wirklich nicht,
n dieser Prosa u reden. Geld, Gelde.Was bhat dern
Beld eigentlich für Line Vedeutung⸗ Es ist nur gut dazu, um
afür Blumen zu taufen auf denen der erste, frische Tau wie
kränen alanzt. Nicht wahr, Wassjad“
„Wie schön Sie sprechen,“ fagle die Hausfrau leise, mich mit
euchtschimmernden Augen ansebend.
„Diese Blumen werde ich nie vergessen. Ich danke Ihnen,
q, ich danke Ihnen.“
vW „Kleinigkeit!“ bemerkte ich. „Sie sind reizender als alle
umen.“
g Wahrscheinlich haben Sie doch 20 Rubel dafür ans⸗
iegeben?“
„Sechzehn,“ log ich auss Geratewohl. J
Aus der entferüten Ecke, wo der melancholische Mimosow saß,
am ein leises Stöhnen: .
„B Rubel Kopeken!“
.Was sagen Sie?“ wandte sich die Hausfrau an ihn.
„Er bittet um die Erlaubnis zu rauchen““ bemerkte ich.
Rauch nur, Waffja, Lydia Platonowong kann Rauch vertragen.“
Die Gedanken unserer reizenden Wirtin kreiften die ganze
zeit um das Bukett.
„Ich wollte durchaus von dem Ueberbringer des Buketts er⸗
ahren wer der Ahsender sei, aber er schwieg beharrlich
„Der Junge ist augenfcheinlich gut dressiert,“ sagte ich an—
rtennuend. *
Der Junge? Es war ein alter Mann.“
„Unmöglich! Er sah so jugendlich aus.“ 2**
Sein Gesicht war voller Runzeln.“
Der Unglückliche! Sein Leben scheint nicht heiter zu sein.
ve unnormialen Verbältnisie. in denen die Verkäufer leben..
Iinstundiae Arbeitstage darüber wird ietzt viel geschrieben?
brigens, der heutige Verdienst wird seine Geschaͤfte bessern.s
Mimosow sprang auf und näherte sich uns. Ich glaubte, er
wolle X schlagen, aber er sagte nur mit rauher Stimme:
Es ist Heit, nach Hause zu fahren.“
‚Beim Abschied behielt die Haussrau meine Hand in der
ibrigen und flüsterte:
„Sie werden mich doch bald besuchen? Ich werde mich sehr
freuen. Dank für die Blumen. Kommen Sie allein.
Nimosom hatte alles gehört. — .
.Auf der Rücksahrt Aeg wir lange. Dann fragte ich in
einem hexrzlichen Tone: Liebst Du den Weihnachtsbaum, wenn
alle Glocken feierlich läuten und die rosigen Kinder 5* um den
Baum des stillen Friedens und der Eintracht iummelnd Gewiß
ichwärmst Du für die sommerliche Wiese, beschienen von dem
zoldigen Strahl der Sonne, die zärtlich das Gras und die Vög⸗
ein liebkost ... Oder der erste Kuß von den warmen Lippen des
Jeliebten Weibes ..“
Von der Droschke auf das Straßenpflaster fliegend, hatte ich
noch Zeit, ihm zuzurufen:
„Es lebe das Geheimnis!“
F.
ntermezzo.
Skizze von Georga, Persich.
bvbe· Der Herr Kammersänger Hellwig ging in der Sommer⸗
rische Kunstgeuüssen und Kunstgesprächen arundfätzlich aus dem
Vege. Einige Wochen nichts vom Fach zu hören, das war ia
erade seine Erholung.
Daß man sich an der Table d'hote hin und wieder über
Musik unterhielt, konnte er zu seinem Leidwesen aber nicht ver⸗
ee Er bemühte sich, solchen Gesprächen keine Beachtuna
uU enken.
Eines Tages schlug iedoch ein Name an sein Ohr, der ihn
ufhorchen ließ; Alwine Gaß-Weidling.
.Man erzählte sich, daß der Kapellmeister Felix Gaßß und
eine Gattin, eine angebliche frühere Opernsängerin, abends im
hotelsaal ein Konzert geben würden. Ob es sich wohl lohnen
vürde, dasselbe zu besuchen?
Ein Herr erklärte, daß er das Paar im vorigen Sommer
n einem anderen Badeorte gehört habe. Der Mann sei ein
zuter Pianist, die Frau eine Sängerin von nicht gewöhnlichen
nhigten. Die frühere Opernsängerin dürfe man ihr schon
lauben.
Ja, das durfte man. Hellwig hätte den Herrschaften die
Bewißheit geben können, aber er schwieg.
Also Alwine Weidling reiste mit ihrem Gatten von Bade⸗
yrt zu Badeort, um Geld zu verdienen. 9—
Das taten viele, aber die beiden waren wohl richtige Kunst⸗
igeuner geworden, die kein festes Enaagement alen. mehr be⸗
amen. In Kollegenkreisen hatte mal so etwas verlautet.
War es denn auch ein Wunder? Hatte es nicht so kommen
nüssen? Dieser Mann —. 71
Hellwig leerte sein Glas. Der Wein schmeckte ihm bitter.
ẽEr würde dem Konzert jedenfalls fern bleiben, würde über—
zaupt ein Zusammentreffen zu vermeiden suchen.
Der Zufall wollte es jedoch anders. I
Als der Herr Kamwieersänger sich etwas später an den
Ztrand begeben wollte, begegnete ihm auf dem schmalen
Bretterwege durch die Dünen eine Dame. J
Sie stutzte bei seinem, Anblick und wechselte die Farbe.
Herr Kammersänger!“
Ex zog seinen Strohhut.
„Gnädige Frau!“ Dabei trat er zur Seite, um sie an sich
vorbeizulassen.
Sie blieb aber stehen.
„Wie seltsam!“ entfuhr es ihr in der Ueberraschung. „So⸗
eben dachte ich an Sie!“ —*
„Und ich an Sie!“ wollte er erwidern, sagte aber in scherz⸗
jaftem Tone: „Wenn ich nicht schon vierzehn Tage hier ware,
vürde ich annehmen, durch magische Gedankenkvaft an diesen
Irt versetzt worden zu sein.“ J F
Sie blickte zu Boden.
Noch heute konnte man sie eine hübsche Frau nennen, aber
sein scharfes Auge bemerkte doch schon die Spuren frühzeitigen
Verwelkens in ihrem Antlitz und bemerkte auch die Einfachheit
hrer Kleidung. J
Und über ihrem Wesen lagen die grauen Schatten vieler
orgenschwerer, kummervoller Stunden.
„Wir, sind erst: heute eingetroffen,“ saate sie leise, „geben
hier ein Konzert und reisen dann weiter.“
Er nickte.
Sie wissen?“ — —
„Daß Sie mit Ihrem Gatten ein Konzert geben wollen.“
Und wären Sie dazu gekommen?“
Vein.“
Ich möchte Sie auch bitten, es nicht zu tun
„Ahl“ dachte er. „Sie schämt sich ihres Mannes.“ Er
atte das grausame Verlangen, sie zu, quälen. „Weshalb soll
ch nicht kommen?“ fragte er mit harmloser Miene. Die Antwort
el anders aus, als er erwartet hatte.
„Meine Stimme — —“ flüsterte sie, und als er nicht zu ver⸗
xhen schien: „sie hat so gelitten! Ich habe sie zu wenig geschont!
zie würden sie kaum wiedererkennen! Immer auf Reisen, immer
renot singen — —“ sie brach ab, als hätte sie schon zu viel
agt.
„Wer hat, Sie denn herumgeschleppt und Ihnen keine Scho⸗
iung gegönt?“ grollte er. „Wer hat Ihre Stimme ruiniert? Ihr
igener Wille war es doch nicht.“
Sie senkte wieder den Blick.
„Wir mußten leben.“
„Leben —., so leben, das mußten Sie nicht. Sie hätten es
inders haben können, Sie — —
Ach, was mischte er sich in Dinge, die ihn nichts angingen? Er
zatte sie ja damals gewarut, , sie beschworen, diesem
jenialistisch tuenden Bürschen, den Laufpaß zu geben. Umsonst,
ie hatten sich geheiratet. Jeder sah das Unglück kommen, das
mraus entstehen mußte, nur sie nicht. Wenn er sich jetzt, nach
Jahren, noch darüber ereiferte, konnte sie am Ende denken, er sei
ioch eifersüchtig, habe es noch nicht verwunden, daß sie den an—
eren ihm vorgezogen hatte.
Verzeihen Sie,“ entschuldigte er sich, „es war das Bedauern
iber das Schicksal Ihrer Stimme, das mich so sprechen neß.“
„Und, ich danke Ihnen dafür,“ antwortete fie warm. „Daß
ch cinmal hoffen durfte, eine große Künstlerin zu werden, danke
ch Ihnen ja gleichfalls, und wenn ich meine Stimme ganz verlie
en sollte, die Eriunerung wird mir doch bleiben.“
Er fühlte wieder eine mildere, weichere Fegung für diese ein—
tige Schülerin, dann Kollegin, Partnerin auf der Buͤhne.
* Da erscholl wie eine Dissonanz eine Jante, quarrende
ztimme.
Finde ich dich endlich, Alwine?“ Sich den Schweiß von der
tirn wischend, kam ein Mann keuchend näher. „Bin dir wohl zu
azige geblirben, daß du am Strande nicht mehr hast warten
aögendꝰ Ja, man muß antichanibrieren, um ein paar Karten los
uwerden. Weißt du, wieviele ich bis jeßt verkauft habe. Ganze
ichtzehn Stück. Und auch das ist noch die reine Gnade von diefen
Lhilistern!“
Hellwig musterte den Ankömmling.
Der Hoerr Kapellmeister hatte sich nicht zu seinem Vorteil ver—
indert. Aus dem schlanken, geschmeidigen, die Frauenherzen
urch seine Erscheinung betörenden jungen Mann“ war ein ve—
zäbiger, salopper Herr geworden, dessen Gesicht wohl nicht allein
jon der Sonnenbitze so inen war.
„Mein Mann!“ steüte die Sängerin vor. Herr Kammer-
sänger an
„Hellwig⸗ Leben Sie auch noch? Ist ja famos, daß man sich
mal wiederfieht!“ Und er reichte dem bhemnaligen Betannten die
leischige Hand. „Sind ein großes Tier geworden! Freut mich!“
„Felix!“ verwies ihm die Gattin seine Redeweise.
Soll ich vielleicht im Kammerherrnton mit dem Herrn Kam—
mersänger sprechen?“ Er lachte geräuschwoll über diesen Wißz.
Verlangt er ja garnicht. Oder sind Sie siolz geworden, weil
Siens so gut habeü? Ja, unfereiner muß sich tümmerlich durch
chlagen.“ Ex seufzte schwer. Marktgohe muß man sein oder ge—
tissener Kunstverschleißer wenn man heute mil der Mufit Geid
machen will. Und man hat doch noch seine Ideale!“
„Sie haben noch nicht viele Billette verkaufte“ fragte Hellwig,
um weiteren Betrachtungen über diese Ideale vorzubeugen.
Wollen Sie mir eine Auzahl überlassene“ n
An Konimimion. meinen Sie?
„XRNRcein, gegen bar, Ich habe hier einen großen Bekaunken⸗
reis und briuge sie schon unter. — Wenn ich' sie verschenke,“ er⸗
qänzte er in Gedanken.
„Sie sind ja ein Retter in der Not!“ frohlockte Gaß, und eds
fehlte nicht viel, so hätte er den Kammersäuger umarmi. Aber
warum läufft du denn fort, Alwine? Gedulde dich doch!“
* Die Sängerin entfernte sich mit hastigen Schritten und ließ
sich auch durch den Zuruf nicht zurückhaltenn. Bald war sie hinter
den Dünen verschwunden.
„Sie ist nervös, furchtbar nervös, meine Frau! Sind Sie
verheiratet? Nein? Na, gratulieren Sie fich Rlso wieviel Ein—
r de ten wollen Sie baben? Ein Duhzend genügt Ihnen
1 wohl?“
en „Geben Sie mir nur zwei Dutzend!“
„Alles erste Güte?“
„Jawohl. Und der Preiso“ Hellwig zahlte die geforderte
Summe und steckte die Karten ein. Sol Und nun muß ich mich
beeilen — ich habe Verabredung. Empfehlen Sie mich Ihrer
Frau Gemahlin!“
Aber wir sehen uns doch noch? Nach dem Konzert trinken
wir zusammen eine Flasche!“
„Wenn ich bis dahin zurück sein werde. Ich will mich an
einem längeren Ausfluge vbeteiligen und kaun mich verspäten.“ Er
wine mit der Hand zum Abschiede. „Addio, Herr Kapel—
meister!“
Und ging mit großen Schritten.
„Ich werde nicht wieder mit ihm zusammentreffen,“ nahm er
fich vor. „Auch nicht mit ihr. Sie tut mir leid, aber helfen kann
sie sich nur selbft.“
Und der Herr Kammersänger gab sich Mühe, an etwas an—
deres zu denken, und als er die von Badegasten belebte Prome⸗
nade erreicht hatte, hier Bekannte und dort Bekannte begrüßte,
und begrüßt wurde, war es ihm auch wahrhaftig bereits gelungen.
— — — —
Der Giener hausmeister.
Eigentlich müßte Hausmeister schlechthin genügen. Bei allem
Respekt vor der staatserhaltenden Gattung darf man daran zwei⸗
eln, ob der Hüter eines Berliner, einer Londoner eines Variser
dauses überhaupt den stolzen Namen Hausmeister“ verdient. Es
nuß ausgesprochen werden, daß die wahrhaft exlesenen Exem—
lare des Hausmeistergeschlechts nur auf Wiener Boden gedeihen.
In anderen Städten bleibt der Portier ewin ein bescheidenes
Pflänzchen, das auf den Gefilden des Hinterhaͤufes kümmerlich
m Verborgenen verblüht. Man sieht ihn nicht an, man hört ihn
zuch nicht, und zuweilen geschieht's wohl, daß er gar nicht vor⸗
janden ist. Und verstände er's auch, mit feinem Befen in allen
Engelszungen zu verkehren, zu einem wirlichen General im
deutschen Hause bringt es der Berliner Hausmeisfter nie. Er
nunß in seiner Karriere gegenüber seinem Wiener Kollegen ewig
uurückbleiben. Denn alle die Eigenschaften, die erst den Wiener
dausmeister ausmachen, jene Eigenschaften, die ihm erst seine
ohe Würde verleihen, sind dem Berliner Portier vom Himmel
hersagt: eine intime Kenntnis der Menschen, die das Hans beher—
zergt, ferner das Temperament und die IAbgug Menschenkennt⸗
nis zu verwerten. Was z. B. finge der Be ner Hausmeister
mit seinen innigen Personaͤlkenntnissen an? In einer Großstadt,
vo die Menschen einander selten näherkommen? Bei einer zu⸗
rückhaltenden Bevölkerung, die sich zur Erweiterung ihres Be⸗
anntenkreises nur schwer entschließt? In einer Stadt endlich, wo
eder Mieter einen Haustorschlüssel hat?ꝰ
Das behagliche Nestchen, das man Wiennennt, hat andere
Lebensbedingungen: der Wiener hat sein Heim im Kaffeehause,
yier liegen die ssarken Wurzeln seiner schwachen Kraft, dort hat
er seine reichen Beziehungen. Für seine Klatschbedürfnisse findet
r nur auf dem Boden des Wiener Kaffeehaufes genügende Nah⸗
rung, wahrhaft glücklich zu werden, vermag er nur im Kaifee⸗
Jause. Seine Wohnung bleibt ihm meist fremd. Sie ist oft eng
ind kann in der Tat einen kritischen Vergleich mit dem Stamm-
affeehause kaum bestehen. Der Wiener ist darum bestrebt, das
daffeehaus zu seiner Wohnung zu gestalten, und die weniger
Jlücklichen Familienmitglieder, die nicht alle ihre Kraft dem
daffeehausleben zu widmen vermögen, gestalten deshalb ihr
deim zu einem Kaffeehaus.
Die Nachbarinnen klatschen — über die Dienstmädchen haupt—
sächlich — in ihren Wohnungen, auf den Gaängen, das Dieust⸗
ersonal fällt seine Urteile über die Hausfrauen auf dem Dach⸗
oden, in den Waschküchen, auf den Treppen. Aber das großt
Meer, in das alle Kanäle des Tratschs münden, bleibt das ge—
neigte Ohr der Frau Hausmeister. Sie kennt die Halsweie jedea
Mieters, sie kennt alle Speisezettel schon vor ihrem Entstehen,
ihr Auge dringt in die eheliche Schlafkammer und in die unehe⸗
iche, ihr Ohr vernimmt jeden Laut der geborenen und ungebore⸗
ien Kinder, ihr ist bekannt, wann wo und unter welchen Unmstän⸗
den ich I wurde, wieviel Einkünfte ich habe, sie waß oft
mehr, als ich selbst.
An der Gottähnlichkeit des Wiener Hausmeisters kann man
in der Tat nicht zweifeln. Er ist allgegenwärtig, er ist allwissend
und allmächtig. Der Wiener Hausmeister —er besteht immer
aus Mann und Weib und ist nur in qut verheiratetem Zustande
zu denken D,ist der letzte Richter, Ein, Wiener Fhemann kaun
eine ou betrügen, eine Gattin ihrem Gemahl Hoͤrner aufsetzen,
aber den Hausmeister hat noch kein fierblicher Wiener betrogen.
Der Hausmeister verwaltet den Ruf der Frau und den Kredit
»es Mannes. Kein weiblicher Engel kann fo rein sein, daß die
dausmeisterin die Reinheit nicht mit einem: Man kannme—
nals nicht wissen!“ als höchst zweifelhaft hinstellen könnte; kein
Kothschild kann so reich sein, daͤß die Frau Hausbesorgerin seine
reditwürdigkeit nicht auzuzweifeln vermöchte. Denn: „Man
hat schon Hausherren sterben sehen!“ In der Tat sind selbs
Wiener Hausheren schon zugrunde gegangen. ünd nir! der
Wiener Hausmeister bleibt unfterblich.
Als ein Vergehen an der Majestaͤt des Hausmeistertums wird
in angesehen, wenn man dem würdevollen Ehepaar zu wider—
prechen wagt. Es gibt noch viele Arten, den Moloch Wiener
dausmeister am Barte zu zupfen. DTacrum tuf jedermann in
Wien gut, das ewig wachende Gewissen des Hansmeisters zuwei—
en einzuschläfern. Zu solchem Tun muß man Gelegenheit fin—
en, wenn man über die Zeit der Torsperre anßer Hause ver—
veilt. Denn kein Wiener kann nach zehn Uhr seine Wohnung
etreten, ohne vom Hausmeister eingelaffen zu werden. Wenn
inem im Winter während der Warlezeit ein paar Berne ab⸗
friexen, ist es im allgemeinen befser, wegen des Fehlers die Beine
zu beschuldigen als den Hausmeister. Dagegen empfiehlt es sich,
en Hausmeister wegen der Störung seiner Nachtruühe und wegen
einiger Dinge, die er unbedingt voñ einem weiß, mit einem grö—
zeren Trintgeld zu beruhigen. ikEn so reines Gewiffen kaun gar
ein Mieter haben, daß man ilhun das Wagnis enspfehlen dürfte,
den Hüter des Hanses, mit dem von der Polizei vorgeschriebenen
Sperrsechserl zu bedenken.
Die kleinen Geschenke, die geeignet sind, einem die Freund⸗
schaft des Hausmeisters zu erhalten, kann man keineswegs als Be⸗
techungsmittel definiereii. Denn der Hausmecister ist in seiner
Jroßen Gerechtigkeit unbestechlich und sein Auge wacht, wenn
nan es auch mit blauken Silberlingen zu trüben meint. Auch der
böswilligste Beurteiler des Hausmeiflters muß ibhm nachsagen,
zdaß er eine gefestigte Lebens- uind Weltanschauung hat. Der Wie—
ner Hausmeister lieht ja sicherlich die Sperrsechfer, aber er fann
— vermöge Fines konstitutionelien Charakters die Spender
oon Sperrsechsern eigentlich nie recht leiden. „Es dgeht ja doch
nichts über die bürgerliche Solidität,“ meint tieffinnsgdie Frau
Hansbesorgerin, indem fie die Hände auf den Bauch faltet“ —*
Man kann also die Gegeusäte zum Hausmeistertum villeicht mil—
dern, ausgleichen kann man sie nicht.
Der Wiener Hausmeister hat seine gesicherte Lebensstellung
in der österreichischen Geschichte und Politik. Er ift vom Mim—
terium Bachs seinerzeit als Hauspolizei gedacht worden, und er
qat sich in derMinistererscheinungen Flucht als der ewig ruhende
Pol erwiesen. Aus den Riederüngen einer schwächlichen Politik
agt er als eine gewaltige Burg staatserhaltenden Fühlens in die
zeueste Zeit Oesterreichs. Der Hausmeistergedanke und seine ha—
aituelle Lebenskraft wurzeln in den gesamten Wiener Lebensver—
zältnissen. Aus den ersten Wahlen nach dem allgemeinen, glei—
hen, direkten und geheimen Wahlsrecht ist er neuerdings ais voli—
ommen lebensfähig hervorgegangenen: Mehr als die Hälfle
ller Wiener Abgeordneten minß inan als wahre Hausmeifter—
—T0[
ich-sozialen Gedankens, und die christlich sozialen Abgeordneten
»ewahren tief in ihrem Herzensfchrein die Hausmeistergedanken.
Frnst Fercoeas