Full text: Lübeckische Anzeigen 1911 (1911)

Das Geheimnigs. 
Humoristische Slizze von A. Awertschenft. 
Deutsch von E. Röppen. J 
. Mein Freund Mimosow beteuerte mir, daß er schon von 
einer frühesten Kindheit an poetisch veranfagt sei. 8 
„Begreifst Du — ich liebe alles Schone!⸗* 28 * 
In der Tat? Woher, kommt denn das?“ fragte ich lächelnd. 
33 weiß es nicht. Wahrscheinlich babe ich eine Seele, die 
iuch Schönheit dürstet. — 
In diesem Fall werde ich Dir einen Band meiner Gedichte 
chenken!“ 
Er erschrak nicht, sondern sagte einfach: „Danke. 
Ich fragte ihn so herzlich wie nur möglich: „Liebst Du das 
nurmeinde Bächlein im Wald? Oder das —8 das auf dem 
Vrase weidet⸗ 8 das rosa Wölkchen, hoch, hoch am Himmel 
So ungefähr in der Höhe von 60 Faden ..7 
Gedankenvoll, mit weit geöffneten Augen in die Ferne 
schauend, exwiderte er: „Ich liebe dies alles schwärmerisch. 
„Du bist ja ein famoser Bursche. Und was liebst Du denn 
sonst noch?“ . 
—— den Sonnenuntergang am Flusse, wenn von weitem 
in leiser Gesang ertönt ... Blumen, guf denen der erste frische 
Tau wie Tränen glänzt ..Ich liebe 33 — ꝓoetische Frauen — 
ch liebe das Geheimnis, das immer A 
„Du liebst Geheimnisse? Warum hast Du mir das wg früher 
esagto, Ich hätte Dir dann einige erzählt. . Weißt Du, 
—3 — daß zwischen der Frau unseres Portiers und dem Ver—⸗ 
aufer aus der Milchbude sich etwas anspinnt? Ich habe selbst 
jehört, wie er ihr verführerische Anträge machte.“ 
Ex runzelte verächtlich die Stirn. 
„Du hast mich nicht verstanden, mein Freund! Das ist ein 
zu vulgäres, grobes Geheimnis. Mir kann nur ein zartes, feines, 
eeeees Geheimnis gefallen. Weißt Du, was ich heute 
etan habe 
„Jedenfalls etwas Schönes, Poetisches“ sagte ich mit Ueber⸗ 
ugung. J 
e — hast recht. Jetzt fahren wir gleich zu Lydia Platonowna, 
und willst Du wissen, was ich getan habe?“ 
Elwas Schönes Poetischesan 
Ja. Ich habe einen Strauß herrlicher, weißer Rosen 8 
auft und, ihn Lodia Platonowna anonyni zugeschickt, ohne 
Billett und ohne Karte. Das ist ein kleines, graziofes Geheimnis 
Ich liebe alles Graziöse. Blumen, auf denen der ersie in Tau 
vie Tränen glänzt ..Und niemand weiß, von wem sie kommen, 
das ist ein Geheimnis.“ I 
.Also deswegen hast Du Deinen türkischen Diwan und Deine 
zlauen Beinkleider vertaufti⸗ 
„Mein Freund,“ sagte er und verzog schmerzlich sein Geßt. 
Reden wir nicht davon. Blumen.NAus einer unve 
annten Welt ..Woher kommen fied Aus den reinen Höhen? 
Wer sendet sied Gotte Der Teufel 
Seine zum Himmel gerichteten Augen leuchteten wie Sterne. 
„Du wirst es ja nicht aushalten und es ausplaudern.“ be⸗ 
merkte ich giftig. J — 
„Freund! — schwire Dir, daß ich gleichgültig und stumm 
set werde. Dun! 6 — sie wird niemals erfahren, wer ihr 
ie Blumen geschickt hat.“ 
Beim Aussteigen aus der Droschke dachte ich, daß, falls dieser 
Mensch Gedichte schreiben würde, sie nicht dümmer zu sein 
orauchten als die meinigen. 
Als wir in den Salon traten, empfing uns die Hausfrau mit 
einer solchen stürmischen Freude und überschültele uns mit einem 
Jolchen Schwall von Dankesworten, daß ich im erflen Augenblick 
sogar hinter Wassja Mimosow retirierte. 
S. Wassili Valentinitsch!“ rief die reizende Wirtin. „Gestehen 
e Vdw ... Sie haben mir diese entzückende Ueberraschung 
ereitetꝰ 
Wassja Mimosow trat erstaunt einen Schritt zurück und sagte, 
indem er weit die Augen öffnete: 
„Welche —S Ich verstehe Sie nicht⸗: 
„Leugnen Sie doch nicht. Wer sonst könnte auf diese be⸗ 
aubernde Idee verfadend? 
„Wowvon sprechen Sie?“ —— 
— — Sie sich nicht. Ich spreche von diesem herrlichen 
Sein Blick folgte der Richtung ihrer Hand, und er rief so 
laut, als säbe er zum ersten Male im Veben einen Blumenstraͤuße 
schi Nie eict Wer hat Ihnen diese prachtvollen Rofen 
jeschickt?“ 
Die Hausfrau fragte sehr erstaunt: 
Stammt das Bukett wirklich nicht von Ihnen?“ 
Vhne jedes Zaudern wandte ihr Mimofow sein trauriges, 
nelancholisches Antlitz zu umd sagte fest: 
Natürlich nicht. Ich gebe Ibnen mein Ehrenwort.“ 
Febt erst bemerkte se mich ganz und begrüßte mich herzlich. 
che ut 7 Sind Sie am Ende der Spender dieses fürst⸗ 
ichen Geschenks⸗ 
Ich wandte Juid Wege Igte mit erheuchelter Befangenheit: 
MNein, nein! wiß nicht!“ 
Sie blickte mich mißtrauisch an. 
„Warum vermeiden Sie es, mich anzusehen? Beichten Sie 
ugenblicklich, Sie Ausbund!“ F 
Ich lachte albern. 
Warum glauben Sie denn, daß ich es durchaus sein muß?“ 
Sie wurden gleich verlegen, als ich Sie fragte 
Wassja e stand hinter dem Rücken der Hausfrau und 
nachte mir beschwörende — 
ge kicherte leise und drehte befangen an einem Westen⸗ 
mopf. ⸗ 
„Ach, lassen Sie mich.“ J 
.Nun, natürlich sind Sie es. Warum stürzen Sie sich in 
iese Unkosten⸗⸗ 
dem, Blick Mimosows ausweichend, sagte ich sorglos: 
Es lohnt sich wirklich nicht, darüber zu reden. 
zie ergriff meine Hand. 
Also wirklich, Siesß 
Wassja Mimosow näherte sich, mit einem vor Grimm ver—⸗ 
errten Gesicht, und rief heiser: 
Er ist es nicht.“ 
die Hausfrau sah uns verstäundnislos an. „Also Sie sind es?“ 
Das Gesicht meines Freundes wurde zu einem Schauplaßz 
»er verschiedenartigsten Empfindungen: von den niedrigsten bis 
u den schönsten und erhabensten. 
Die erhabenen siegten. 
Rein, ich bin es nicht,“ sagte er, den Rückzug antretend. 
„Niemand andens konnte mir diese Blumen jchicken — ent⸗ 
peder Sie, oder er. Warum geben Sie eine solche Unmasse 
Beld aus“ 
chäng schlenkerte mit der Hand in der Luft und erwiderte ver⸗ 
mt: 
„Bitte, sprechen Sie nicht weiter. Es lohnt sich wirklich nicht, 
n dieser Prosa u reden. Geld, Gelde.Was bhat dern 
Beld eigentlich für Line Vedeutung⸗ Es ist nur gut dazu, um 
afür Blumen zu taufen auf denen der erste, frische Tau wie 
kränen alanzt. Nicht wahr, Wassjad“ 
„Wie schön Sie sprechen,“ fagle die Hausfrau leise, mich mit 
euchtschimmernden Augen ansebend. 
„Diese Blumen werde ich nie vergessen. Ich danke Ihnen, 
q, ich danke Ihnen.“ 
vW „Kleinigkeit!“ bemerkte ich. „Sie sind reizender als alle 
umen.“ 
g Wahrscheinlich haben Sie doch 20 Rubel dafür ans⸗ 
iegeben?“ 
„Sechzehn,“ log ich auss Geratewohl. J 
Aus der entferüten Ecke, wo der melancholische Mimosow saß, 
am ein leises Stöhnen: . 
„B Rubel Kopeken!“ 
.Was sagen Sie?“ wandte sich die Hausfrau an ihn. 
„Er bittet um die Erlaubnis zu rauchen““ bemerkte ich. 
Rauch nur, Waffja, Lydia Platonowong kann Rauch vertragen.“ 
Die Gedanken unserer reizenden Wirtin kreiften die ganze 
zeit um das Bukett. 
„Ich wollte durchaus von dem Ueberbringer des Buketts er⸗ 
ahren wer der Ahsender sei, aber er schwieg beharrlich 
„Der Junge ist augenfcheinlich gut dressiert,“ sagte ich an— 
rtennuend. * 
Der Junge? Es war ein alter Mann.“ 
„Unmöglich! Er sah so jugendlich aus.“ 2** 
Sein Gesicht war voller Runzeln.“ 
Der Unglückliche! Sein Leben scheint nicht heiter zu sein. 
ve unnormialen Verbältnisie. in denen die Verkäufer leben.. 
Iinstundiae Arbeitstage darüber wird ietzt viel geschrieben? 
brigens, der heutige Verdienst wird seine Geschaͤfte bessern.s 
Mimosow sprang auf und näherte sich uns. Ich glaubte, er 
wolle X schlagen, aber er sagte nur mit rauher Stimme: 
Es ist Heit, nach Hause zu fahren.“ 
‚Beim Abschied behielt die Haussrau meine Hand in der 
ibrigen und flüsterte: 
„Sie werden mich doch bald besuchen? Ich werde mich sehr 
freuen. Dank für die Blumen. Kommen Sie allein. 
Nimosom hatte alles gehört. — . 
.Auf der Rücksahrt Aeg wir lange. Dann fragte ich in 
einem hexrzlichen Tone: Liebst Du den Weihnachtsbaum, wenn 
alle Glocken feierlich läuten und die rosigen Kinder 5* um den 
Baum des stillen Friedens und der Eintracht iummelnd Gewiß 
ichwärmst Du für die sommerliche Wiese, beschienen von dem 
zoldigen Strahl der Sonne, die zärtlich das Gras und die Vög⸗ 
ein liebkost ... Oder der erste Kuß von den warmen Lippen des 
Jeliebten Weibes ..“ 
Von der Droschke auf das Straßenpflaster fliegend, hatte ich 
noch Zeit, ihm zuzurufen: 
„Es lebe das Geheimnis!“ 
F. 
ntermezzo. 
Skizze von Georga, Persich. 
bvbe· Der Herr Kammersänger Hellwig ging in der Sommer⸗ 
rische Kunstgeuüssen und Kunstgesprächen arundfätzlich aus dem 
Vege. Einige Wochen nichts vom Fach zu hören, das war ia 
erade seine Erholung. 
Daß man sich an der Table d'hote hin und wieder über 
Musik unterhielt, konnte er zu seinem Leidwesen aber nicht ver⸗ 
ee Er bemühte sich, solchen Gesprächen keine Beachtuna 
uU enken. 
Eines Tages schlug iedoch ein Name an sein Ohr, der ihn 
ufhorchen ließ; Alwine Gaß-Weidling. 
.Man erzählte sich, daß der Kapellmeister Felix Gaßß und 
eine Gattin, eine angebliche frühere Opernsängerin, abends im 
hotelsaal ein Konzert geben würden. Ob es sich wohl lohnen 
vürde, dasselbe zu besuchen? 
Ein Herr erklärte, daß er das Paar im vorigen Sommer 
n einem anderen Badeorte gehört habe. Der Mann sei ein 
zuter Pianist, die Frau eine Sängerin von nicht gewöhnlichen 
nhigten. Die frühere Opernsängerin dürfe man ihr schon 
lauben. 
Ja, das durfte man. Hellwig hätte den Herrschaften die 
Bewißheit geben können, aber er schwieg. 
Also Alwine Weidling reiste mit ihrem Gatten von Bade⸗ 
yrt zu Badeort, um Geld zu verdienen. 9— 
Das taten viele, aber die beiden waren wohl richtige Kunst⸗ 
igeuner geworden, die kein festes Enaagement alen. mehr be⸗ 
amen. In Kollegenkreisen hatte mal so etwas verlautet. 
War es denn auch ein Wunder? Hatte es nicht so kommen 
nüssen? Dieser Mann —. 71 
Hellwig leerte sein Glas. Der Wein schmeckte ihm bitter. 
ẽEr würde dem Konzert jedenfalls fern bleiben, würde über— 
zaupt ein Zusammentreffen zu vermeiden suchen. 
Der Zufall wollte es jedoch anders. I 
Als der Herr Kamwieersänger sich etwas später an den 
Ztrand begeben wollte, begegnete ihm auf dem schmalen 
Bretterwege durch die Dünen eine Dame. J 
Sie stutzte bei seinem, Anblick und wechselte die Farbe. 
Herr Kammersänger!“ 
Ex zog seinen Strohhut. 
„Gnädige Frau!“ Dabei trat er zur Seite, um sie an sich 
vorbeizulassen. 
Sie blieb aber stehen. 
„Wie seltsam!“ entfuhr es ihr in der Ueberraschung. „So⸗ 
eben dachte ich an Sie!“ —* 
„Und ich an Sie!“ wollte er erwidern, sagte aber in scherz⸗ 
jaftem Tone: „Wenn ich nicht schon vierzehn Tage hier ware, 
vürde ich annehmen, durch magische Gedankenkvaft an diesen 
Irt versetzt worden zu sein.“ J F 
Sie blickte zu Boden. 
Noch heute konnte man sie eine hübsche Frau nennen, aber 
sein scharfes Auge bemerkte doch schon die Spuren frühzeitigen 
Verwelkens in ihrem Antlitz und bemerkte auch die Einfachheit 
hrer Kleidung. J 
Und über ihrem Wesen lagen die grauen Schatten vieler 
orgenschwerer, kummervoller Stunden. 
„Wir, sind erst: heute eingetroffen,“ saate sie leise, „geben 
hier ein Konzert und reisen dann weiter.“ 
Er nickte. 
Sie wissen?“ — — 
„Daß Sie mit Ihrem Gatten ein Konzert geben wollen.“ 
Und wären Sie dazu gekommen?“ 
Vein.“ 
Ich möchte Sie auch bitten, es nicht zu tun 
„Ahl“ dachte er. „Sie schämt sich ihres Mannes.“ Er 
atte das grausame Verlangen, sie zu, quälen. „Weshalb soll 
ch nicht kommen?“ fragte er mit harmloser Miene. Die Antwort 
el anders aus, als er erwartet hatte. 
„Meine Stimme — —“ flüsterte sie, und als er nicht zu ver⸗ 
xhen schien: „sie hat so gelitten! Ich habe sie zu wenig geschont! 
zie würden sie kaum wiedererkennen! Immer auf Reisen, immer 
renot singen — —“ sie brach ab, als hätte sie schon zu viel 
agt. 
„Wer hat, Sie denn herumgeschleppt und Ihnen keine Scho⸗ 
iung gegönt?“ grollte er. „Wer hat Ihre Stimme ruiniert? Ihr 
igener Wille war es doch nicht.“ 
Sie senkte wieder den Blick. 
„Wir mußten leben.“ 
„Leben —., so leben, das mußten Sie nicht. Sie hätten es 
inders haben können, Sie — — 
Ach, was mischte er sich in Dinge, die ihn nichts angingen? Er 
zatte sie ja damals gewarut, , sie beschworen, diesem 
jenialistisch tuenden Bürschen, den Laufpaß zu geben. Umsonst, 
ie hatten sich geheiratet. Jeder sah das Unglück kommen, das 
mraus entstehen mußte, nur sie nicht. Wenn er sich jetzt, nach 
Jahren, noch darüber ereiferte, konnte sie am Ende denken, er sei 
ioch eifersüchtig, habe es noch nicht verwunden, daß sie den an— 
eren ihm vorgezogen hatte. 
Verzeihen Sie,“ entschuldigte er sich, „es war das Bedauern 
iber das Schicksal Ihrer Stimme, das mich so sprechen neß.“ 
„Und, ich danke Ihnen dafür,“ antwortete fie warm. „Daß 
ch cinmal hoffen durfte, eine große Künstlerin zu werden, danke 
ch Ihnen ja gleichfalls, und wenn ich meine Stimme ganz verlie 
en sollte, die Eriunerung wird mir doch bleiben.“ 
Er fühlte wieder eine mildere, weichere Fegung für diese ein— 
tige Schülerin, dann Kollegin, Partnerin auf der Buͤhne. 
* Da erscholl wie eine Dissonanz eine Jante, quarrende 
ztimme. 
Finde ich dich endlich, Alwine?“ Sich den Schweiß von der 
tirn wischend, kam ein Mann keuchend näher. „Bin dir wohl zu 
azige geblirben, daß du am Strande nicht mehr hast warten 
aögendꝰ Ja, man muß antichanibrieren, um ein paar Karten los 
uwerden. Weißt du, wieviele ich bis jeßt verkauft habe. Ganze 
ichtzehn Stück. Und auch das ist noch die reine Gnade von diefen 
Lhilistern!“ 
Hellwig musterte den Ankömmling. 
Der Hoerr Kapellmeister hatte sich nicht zu seinem Vorteil ver— 
indert. Aus dem schlanken, geschmeidigen, die Frauenherzen 
urch seine Erscheinung betörenden jungen Mann“ war ein ve— 
zäbiger, salopper Herr geworden, dessen Gesicht wohl nicht allein 
jon der Sonnenbitze so inen war. 
„Mein Mann!“ steüte die Sängerin vor. Herr Kammer- 
sänger an 
„Hellwig⸗ Leben Sie auch noch? Ist ja famos, daß man sich 
mal wiederfieht!“ Und er reichte dem bhemnaligen Betannten die 
leischige Hand. „Sind ein großes Tier geworden! Freut mich!“ 
„Felix!“ verwies ihm die Gattin seine Redeweise. 
Soll ich vielleicht im Kammerherrnton mit dem Herrn Kam— 
mersänger sprechen?“ Er lachte geräuschwoll über diesen Wißz. 
Verlangt er ja garnicht. Oder sind Sie siolz geworden, weil 
Siens so gut habeü? Ja, unfereiner muß sich tümmerlich durch 
chlagen.“ Ex seufzte schwer. Marktgohe muß man sein oder ge— 
tissener Kunstverschleißer wenn man heute mil der Mufit Geid 
machen will. Und man hat doch noch seine Ideale!“ 
„Sie haben noch nicht viele Billette verkaufte“ fragte Hellwig, 
um weiteren Betrachtungen über diese Ideale vorzubeugen. 
Wollen Sie mir eine Auzahl überlassene“ n 
An Konimimion. meinen Sie? 
„XRNRcein, gegen bar, Ich habe hier einen großen Bekaunken⸗ 
reis und briuge sie schon unter. — Wenn ich' sie verschenke,“ er⸗ 
qänzte er in Gedanken. 
„Sie sind ja ein Retter in der Not!“ frohlockte Gaß, und eds 
fehlte nicht viel, so hätte er den Kammersäuger umarmi. Aber 
warum läufft du denn fort, Alwine? Gedulde dich doch!“ 
* Die Sängerin entfernte sich mit hastigen Schritten und ließ 
sich auch durch den Zuruf nicht zurückhaltenn. Bald war sie hinter 
den Dünen verschwunden. 
„Sie ist nervös, furchtbar nervös, meine Frau! Sind Sie 
verheiratet? Nein? Na, gratulieren Sie fich Rlso wieviel Ein— 
r de ten wollen Sie baben? Ein Duhzend genügt Ihnen 
1 wohl?“ 
en „Geben Sie mir nur zwei Dutzend!“ 
„Alles erste Güte?“ 
„Jawohl. Und der Preiso“ Hellwig zahlte die geforderte 
Summe und steckte die Karten ein. Sol Und nun muß ich mich 
beeilen — ich habe Verabredung. Empfehlen Sie mich Ihrer 
Frau Gemahlin!“ 
Aber wir sehen uns doch noch? Nach dem Konzert trinken 
wir zusammen eine Flasche!“ 
„Wenn ich bis dahin zurück sein werde. Ich will mich an 
einem längeren Ausfluge vbeteiligen und kaun mich verspäten.“ Er 
wine mit der Hand zum Abschiede. „Addio, Herr Kapel— 
meister!“ 
Und ging mit großen Schritten. 
„Ich werde nicht wieder mit ihm zusammentreffen,“ nahm er 
fich vor. „Auch nicht mit ihr. Sie tut mir leid, aber helfen kann 
sie sich nur selbft.“ 
Und der Herr Kammersänger gab sich Mühe, an etwas an— 
deres zu denken, und als er die von Badegasten belebte Prome⸗ 
nade erreicht hatte, hier Bekannte und dort Bekannte begrüßte, 
und begrüßt wurde, war es ihm auch wahrhaftig bereits gelungen. 
— — — — 
Der Giener hausmeister. 
Eigentlich müßte Hausmeister schlechthin genügen. Bei allem 
Respekt vor der staatserhaltenden Gattung darf man daran zwei⸗ 
eln, ob der Hüter eines Berliner, einer Londoner eines Variser 
dauses überhaupt den stolzen Namen Hausmeister“ verdient. Es 
nuß ausgesprochen werden, daß die wahrhaft exlesenen Exem— 
lare des Hausmeistergeschlechts nur auf Wiener Boden gedeihen. 
In anderen Städten bleibt der Portier ewin ein bescheidenes 
Pflänzchen, das auf den Gefilden des Hinterhaͤufes kümmerlich 
m Verborgenen verblüht. Man sieht ihn nicht an, man hört ihn 
zuch nicht, und zuweilen geschieht's wohl, daß er gar nicht vor⸗ 
janden ist. Und verstände er's auch, mit feinem Befen in allen 
Engelszungen zu verkehren, zu einem wirlichen General im 
deutschen Hause bringt es der Berliner Hausmeisfter nie. Er 
nunß in seiner Karriere gegenüber seinem Wiener Kollegen ewig 
uurückbleiben. Denn alle die Eigenschaften, die erst den Wiener 
dausmeister ausmachen, jene Eigenschaften, die ihm erst seine 
ohe Würde verleihen, sind dem Berliner Portier vom Himmel 
hersagt: eine intime Kenntnis der Menschen, die das Hans beher— 
zergt, ferner das Temperament und die IAbgug Menschenkennt⸗ 
nis zu verwerten. Was z. B. finge der Be ner Hausmeister 
mit seinen innigen Personaͤlkenntnissen an? In einer Großstadt, 
vo die Menschen einander selten näherkommen? Bei einer zu⸗ 
rückhaltenden Bevölkerung, die sich zur Erweiterung ihres Be⸗ 
anntenkreises nur schwer entschließt? In einer Stadt endlich, wo 
eder Mieter einen Haustorschlüssel hat?ꝰ 
Das behagliche Nestchen, das man Wiennennt, hat andere 
Lebensbedingungen: der Wiener hat sein Heim im Kaffeehause, 
yier liegen die ssarken Wurzeln seiner schwachen Kraft, dort hat 
er seine reichen Beziehungen. Für seine Klatschbedürfnisse findet 
r nur auf dem Boden des Wiener Kaffeehaufes genügende Nah⸗ 
rung, wahrhaft glücklich zu werden, vermag er nur im Kaifee⸗ 
Jause. Seine Wohnung bleibt ihm meist fremd. Sie ist oft eng 
ind kann in der Tat einen kritischen Vergleich mit dem Stamm- 
affeehause kaum bestehen. Der Wiener ist darum bestrebt, das 
daffeehaus zu seiner Wohnung zu gestalten, und die weniger 
Jlücklichen Familienmitglieder, die nicht alle ihre Kraft dem 
daffeehausleben zu widmen vermögen, gestalten deshalb ihr 
deim zu einem Kaffeehaus. 
Die Nachbarinnen klatschen — über die Dienstmädchen haupt— 
sächlich — in ihren Wohnungen, auf den Gaängen, das Dieust⸗ 
ersonal fällt seine Urteile über die Hausfrauen auf dem Dach⸗ 
oden, in den Waschküchen, auf den Treppen. Aber das großt 
Meer, in das alle Kanäle des Tratschs münden, bleibt das ge— 
neigte Ohr der Frau Hausmeister. Sie kennt die Halsweie jedea 
Mieters, sie kennt alle Speisezettel schon vor ihrem Entstehen, 
ihr Auge dringt in die eheliche Schlafkammer und in die unehe⸗ 
iche, ihr Ohr vernimmt jeden Laut der geborenen und ungebore⸗ 
ien Kinder, ihr ist bekannt, wann wo und unter welchen Unmstän⸗ 
den ich I wurde, wieviel Einkünfte ich habe, sie waß oft 
mehr, als ich selbst. 
An der Gottähnlichkeit des Wiener Hausmeisters kann man 
in der Tat nicht zweifeln. Er ist allgegenwärtig, er ist allwissend 
und allmächtig. Der Wiener Hausmeister —er besteht immer 
aus Mann und Weib und ist nur in qut verheiratetem Zustande 
zu denken D,ist der letzte Richter, Ein, Wiener Fhemann kaun 
eine ou betrügen, eine Gattin ihrem Gemahl Hoͤrner aufsetzen, 
aber den Hausmeister hat noch kein fierblicher Wiener betrogen. 
Der Hausmeister verwaltet den Ruf der Frau und den Kredit 
»es Mannes. Kein weiblicher Engel kann fo rein sein, daß die 
dausmeisterin die Reinheit nicht mit einem: Man kannme— 
nals nicht wissen!“ als höchst zweifelhaft hinstellen könnte; kein 
Kothschild kann so reich sein, daͤß die Frau Hausbesorgerin seine 
reditwürdigkeit nicht auzuzweifeln vermöchte. Denn: „Man 
hat schon Hausherren sterben sehen!“ In der Tat sind selbs 
Wiener Hausheren schon zugrunde gegangen. ünd nir! der 
Wiener Hausmeister bleibt unfterblich. 
Als ein Vergehen an der Majestaͤt des Hausmeistertums wird 
in angesehen, wenn man dem würdevollen Ehepaar zu wider— 
prechen wagt. Es gibt noch viele Arten, den Moloch Wiener 
dausmeister am Barte zu zupfen. DTacrum tuf jedermann in 
Wien gut, das ewig wachende Gewissen des Hansmeisters zuwei— 
en einzuschläfern. Zu solchem Tun muß man Gelegenheit fin— 
en, wenn man über die Zeit der Torsperre anßer Hause ver— 
veilt. Denn kein Wiener kann nach zehn Uhr seine Wohnung 
etreten, ohne vom Hausmeister eingelaffen zu werden. Wenn 
inem im Winter während der Warlezeit ein paar Berne ab⸗ 
friexen, ist es im allgemeinen befser, wegen des Fehlers die Beine 
zu beschuldigen als den Hausmeister. Dagegen empfiehlt es sich, 
en Hausmeister wegen der Störung seiner Nachtruühe und wegen 
einiger Dinge, die er unbedingt voñ einem weiß, mit einem grö— 
zeren Trintgeld zu beruhigen. ikEn so reines Gewiffen kaun gar 
ein Mieter haben, daß man ilhun das Wagnis enspfehlen dürfte, 
den Hüter des Hanses, mit dem von der Polizei vorgeschriebenen 
Sperrsechserl zu bedenken. 
Die kleinen Geschenke, die geeignet sind, einem die Freund⸗ 
schaft des Hausmeisters zu erhalten, kann man keineswegs als Be⸗ 
techungsmittel definiereii. Denn der Hausmecister ist in seiner 
Jroßen Gerechtigkeit unbestechlich und sein Auge wacht, wenn 
nan es auch mit blauken Silberlingen zu trüben meint. Auch der 
böswilligste Beurteiler des Hausmeiflters muß ibhm nachsagen, 
zdaß er eine gefestigte Lebens- uind Weltanschauung hat. Der Wie— 
ner Hausmeister lieht ja sicherlich die Sperrsechfer, aber er fann 
— vermöge Fines konstitutionelien Charakters die Spender 
oon Sperrsechsern eigentlich nie recht leiden. „Es dgeht ja doch 
nichts über die bürgerliche Solidität,“ meint tieffinnsgdie Frau 
Hansbesorgerin, indem fie die Hände auf den Bauch faltet“ —* 
Man kann also die Gegeusäte zum Hausmeistertum villeicht mil— 
dern, ausgleichen kann man sie nicht. 
Der Wiener Hausmeister hat seine gesicherte Lebensstellung 
in der österreichischen Geschichte und Politik. Er ift vom Mim— 
terium Bachs seinerzeit als Hauspolizei gedacht worden, und er 
qat sich in derMinistererscheinungen Flucht als der ewig ruhende 
Pol erwiesen. Aus den Riederüngen einer schwächlichen Politik 
agt er als eine gewaltige Burg staatserhaltenden Fühlens in die 
zeueste Zeit Oesterreichs. Der Hausmeistergedanke und seine ha— 
aituelle Lebenskraft wurzeln in den gesamten Wiener Lebensver— 
zältnissen. Aus den ersten Wahlen nach dem allgemeinen, glei— 
hen, direkten und geheimen Wahlsrecht ist er neuerdings ais voli— 
ommen lebensfähig hervorgegangenen: Mehr als die Hälfle 
ller Wiener Abgeordneten minß inan als wahre Hausmeifter— 
—T0[ 
ich-sozialen Gedankens, und die christlich sozialen Abgeordneten 
»ewahren tief in ihrem Herzensfchrein die Hausmeistergedanken. 
Frnst Fercoeas
	        
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