Full text: Lübeckische Anzeigen 1911 (1911)

Vertauschte Rollen. 
Novellette von Karpow. 
Aus dem Russischen von Kate Treller. 
Auf der Eisenbahnstation B. verließen zwei elegant geklei⸗ 
dete Herren den Schnellzug, gingen in den nächsten öffentlichen 
Garten und bestelltem beim Kellner eine Flasche Wein. Der äl⸗ 
sere, eine vornehme Erscheinung, sah lächelnd seinen jimgeren 
Freumd, an und, sagte dann fortfahrend: F 
„Also vor einigen Monagaten erschien Deine letzte Novelle? 
„Ja, eine Novelle ...“ 
5ie ich, zu meinem Bedauern nicht gelesen habe, da ich auf 
Reifen war.“ ieser 
„Das tut au nichts zur Sache. Also nach Erscheinen dieser 
Novelle erhielt ich auch einen de von einer Dame mit Marie 
Wolkow unterzeichnet. Ich kannte den Namen schon seit einiger 
Zeit als den einer feinfühligen Schriftftellerin. Sie schrieb mir 
uͤber meine Novelle, machte mir, Einwürfe, ich antwortete, so 
entstand ein Briefwechsel, der wohl für beide Teile reizvoll war 
und immer interessanter wurde. Vor einiger Zeit machte ich der 
Dame den Vorschlag einer persönlichen Begegnung.“ 
„Und sie willigte ein?“ J 
„Ja. Da sie hier zur Hur weilt, schlug sie B. vor, und wir 
follen uns heute hier in diesem Garten treffen und persönsich 
kennen lernen.“ 
Dr gund wie wese Ihr que erkennen? Hier, wo Hunderte von 
enschen aus und ein gehen?“ J 
„Sehr einfach, wir haben verabredet, daß Fräulein Wolkow 
eine weiße Blumẽ träot und ich eine rote.“ az 
„Nun, Smirnow, die Geschichte wird ja ein richtiger Ro⸗ 
man — aber was soll ich in diesem für eine Rolle spielen?“ 
„Lieber Malkow, eine sehr wichtige, ich möchte nicht gleich 
mit offenen Karten spielen, sondern erst beöobachten. 
„Du Schlouer willst. Dir also den Rückzug decken, denn nicht 
alle Schriftstellerinnen sind hübsch..., also was soll ich in 
Deinem Roman für eine Rolle übernebmen? 
„Du, Malklow, sollst anstatt meiner diese rote Nelke tragen 
und für einige Stunden der Schriftsteller Smirnow fein.“ 
„Und wenn sich die Dame nun in mich verliebte“ 
Sie müssen jeden Augenblick hier vorüberkommen, wenn 
Fie pünktlich sind, also hilft Dir kein Ausreden — es lann ja 
Vun daß ich Dir die Rolle sehr bald abnehme — also hier die 
selke.“ 
Die Herren standen auf und gingen langsam auf und, ab. 
ve einen Seite nd zwei Damen, beide tief ver⸗ 
ichleiert. 
w Die eine, eine hohe imponierende Erscheinung, sagte mit 
gereizter Stimme zu der jüngeren: * — 
un sgentlich war es dumm von mir, Dich nicht allein gehen 
u lassen.“ 
„Das finde ich guch, Natalie, warum soll ich nicht gllein 
einen Mann persönlich kennen lernen, der mir durch feine Briefe 
schon lange sympathisch geworden istꝰ“ 
„Aber Marie, Du bist erst 22 Jahre alt, und die Formen 
der Gesellschaft muß man doch einhalien.“ 
„Als wen soll ich Dich ihm nun vorstellen?“ 
A.Als Marie Woͤlkow. Ich nehme deine weiße Aster, er 
daubt natürlich, ich fei feine Briefschreiberin, und ich will schon 
bald sehen, wes Geistes Kind er ist.“ 
‚Liebe Natalie, mir bleibt bei Deiner Energie wohl nichts 
übrig, als nachzugeben. Hier meine Blume. Ach — da die zwei 
die uns entgegenkommen — der eine trägt eine rote 
ume. 
NMalkom trat an die Damen heran, und sich tief verbeugend, 
agte er: „Als Trager der roten Bluine darf ich wohl voraus⸗ 
jetzen, daß die Damen mich kennen. Hier, mein Freund Malkow, 
war so liebenswürdig, mich zu begleuen.“ 
Mlrarie Wolkow 8 den angeblichen Kollegen leicht enttäuscht 
an, der andere gefle ihr entschieden mebre und fagte dan 
Auch ich begleite meine Freundin, von dem Wunsch getrieben, 
den berühmten Alexander Smirnow kennen du benen ich 
bin Frau von Belidow. 
„Vielleicht ssehst Du Dir mit Hetrn Wolkow den Garten 
an“, sagte die richtige Frau von Beldow. .* 
Als die beiden sich entfernt hatten, sagte Frau von Belidow: 
„Sie wollten diese Begeanung 
„Dieser Wunsch lag nahe nachdem wir durch unseren schrift⸗ 
lichen Verkehr uns — getreten waren.“ 
„Und, diese Begeanung ist vielleicht später für beide Teile 
eine Enttäuschung. 
Wrpei Zwie wir über unsere Geistesarten denken, 
wissen wir, heute wollen wir uns als Menfchen tenten lernen.“ 
sr —IV— Augenblick trat ein Keliner an ihren Tisch und 
agte höflich: 
„Entschuldigen Sie, gnädige Frau, wollen Sie an der Table 
d'hote oder hier speifenꝰ 
. Malkow horchte bei der Anrede „gnädige Frau“ auf und 
hörte auch, daß sie für sich und ihre Freundin einen besonderen 
Tisch mit zwei Gededcen bestelite. 
„Mir und meinem Freunde dasselbe,“ sagte Malkow, stand 
auf und sagte entschuldigend: 
a⸗Sie gestatten, gnädige Frau“ und folgte dem Kellne. 
7 Wer ist die Damed F 5 
Frau von Beudow, sie wohnt hier im Kurhause, „mit 
Fräuülein Wolkow“. E J . 
Lächelnd trat Malkow an den Tisch. Frau von Belidow sah 
ihn pn an und sagte dann: „Ich fehe es Ien Gesicht 
Sie alles entdedt haben — es war ein Scherz meiner 
reundin.“ 
„Ich bin Ihrer Freundin sehr verbunden, weil ich dadurch 
Ihre —5— machte, Frau von Belidow.“ 
„Jetzt muß ich aber fehen, was Marie macht,“ sagte sie, ver⸗ 
beugte sich leicht und ging das andere Paar suchen 
Malkow, sah ihr nach: „Sie gesaällt mir —offentlich ist sie 
Witwe — aber Smirnow muß wissen, daß er sich nun doch mit 
Marie Walkow unterhalt. Wenn aber jert die Velivew erfährt, 
daß ich gar nicht der berühmte Smirnow bin! Da find die beiben!⸗ 
So allein Herr Smirnowo Und wo ist Frenn Wolkowꝰ?“ 
gDag Fraulein sucht Sie, gnädige Frau“ 
s Marie Wolkow, wandle sich ab, um ein Lächeln zu verbergen, 
und xasch flüsterte Malkow dem Schriftsteller zu, daß die Damen, 
gleich. Hhnen, die Rollen gelaufcht hätten“ nd diese hier die 
Schriftstellerin sei.“ 
Spuirnow war aufs angenehmste überrascht und machte dem 
Freunde Zeichen, sie allein zu lassen. Nachdem Malkow ge⸗ 
58 wandte sich der Schriftfteller an Marie Wolkow und 
„Sie sind doch die vertraute Freundi äulein 
—* ch Freundin von Fräulein 
„Ja.“ J 
aAn. Ich bin der vertraute Freund von Smirnow, also wissen 
wir beide, daß sie sich hier persönliche kennen lernen wollen. 
Nun ist es doch wohl unsere Pflicht, sie darin zu unterstützen; 
n Sie mir nicht den Charatter vbon Fräulein Wolkow schil⸗ 
rn 
„Was wollen Sie denn wissen?“ fragte Marie Wolkow ver⸗ 
legen und leicht exrötend. 
„Nun z. B., ist das Fräulein neugierig?“ e 
„Wie kommen Sie auf diese Franc““ EF 
„Nun, sie möchte doch wohl dhern wissen, welch ein Mensch 
mein Freund istꝰ⸗ 
„Das ist doch nichtNeugier, und vielleicht hat sie diesen 
Wunsch schon bereut.“ 
„Das können Sie doch nicht wissen?“ — 
„Ich kenne Marie Wolkow sehr genau. — 
„Daran zweifle ich nicht, und wenn Sie Smirnow kennen 
lernen wollen, so könnle ich einiges berichten.“ 
„Fräulein Wolkow wollte Smirnow persönlich kennen 
lernen, sie gibt nichts auf das Urteil anderer Leute.“ — 
„Dadurch steigt sie in meiner Achtung.“ 
a In dieseim Augenhlick kam vom Kurhause ein Kellner und 
Werreichte Marie Wolkow eine Zeitschrift. J 
.„Eine, Empfehlung von Herrn Malkow, und gnädtges 
Fräulein sollen sich die erste Seite ansehen:“ J D 
Erstaunt sah Marie den vermeintlichen Malkow und dann 
as Blatt an. 
.Ein leiser Ruf des Erstaunens entfuhr ihr. Sie sah ein 
nännliches Bildnis mit der Unterschrift „Alexander Smirnow“. 
Diefer hatte sich bei der Anrede des Kellners diskret zurück⸗ 
Jezogen und ging in einiger Entfernung auf und abß 
Als er sich jezt wieder dem Mädchen näherte, rief ste iIym zu: 
„Und ich glauhte, Sie seien offen und wahr, und wie haben 
Zie mich getäuscht! Sie haben sich als Herr Malkow vorgestellt 
ind sind der Schriftsteller Smirnow.“ 
„Der bin ich, und habe die Ehre, vor der Schriftstellerin 
Marie Wolkow zu stehen.“ 
„Die bin ich, der Scherz ist nicht meine Idee, Frau von Beli⸗ 
dow wollte es —* 
„Nun, jedenfalls wird meine Verehrung für die Schrift⸗ 
epe noch übertroffen von der Verehrung für Sie, Fräulein 
Marie.“ 
„Auch ich bin froh, daß Sie Alexander Smirnow sind.“ 
Da näherte sich Frau von Belidow mit Malkow dem jungen 
Paare, und bald faßen' sie munter um einen Tisch. 
J Dan sagt, daß diesem Scherze bald zwei Verlobungen 
olgten. 
Der Zeisig. 
Humoreske von Georg Persich. 
Er hatte die Erbschaft angenommen. 
Es war ja eine sonderbare Idee von dem alten Fräulein ge—⸗ 
vesen, ihm einen Zeisig zu vermachen, aber es war doch wenig⸗ 
tens eine dankbare Klientin, und nach ihrer Meinung war das 
Vögelchen ja auch das wertvollste Obiekt der ganzen Hinter— 
assenschaft. 
In dem Festament hatte sie sich darüber folgendermaßen 
ausgelassen: „Mein lieber Zeisig, der mich in den trüben Tagen 
neines Alters durch seine Fröhlichkeit, sein munteres Gezwitscher 
'o oft ergötzte und mir den Glauben erhielt, daß es eine Freude 
jibt, die das Leben aller Gottesgeschöpfe köstlich macht, er ver— 
dient es, von einem nuten Menschen weiterhin gepflegt und be⸗ 
zütet zu werden. Aber ich kenne nur noch wenige Menschen, und 
die guten darunter nicht. Nur einen, der mir ein uͤneigennütziger 
herater war: Herrn Rechtsanwalt Dr, Gebling hierfeibfu und 
hn setze ich darum zum Erben meines Zeisigs ein. Ich bitie ihn 
herzlich, das Tierchen in seine Obhut zu nehmen, und indem ich 
ihm aufs innigste dafür danke, wünsche ich, daß es ihm recht vief 
Blück bringen möge.“ 
War das nicht rührend? 
„Ein guter Mensch nimmt, wenn er sonst nichts erbt, auch 
zinen Piepmatz,“ sagte sich der junge Anwalt, ‚und es war eine 
so brave alte Jungfer, daß man ihr schon einen letzten Wunfch 
erfüllen kann.“ 
Sein Schreiber hatte den Vogel holen müssen, und das 
schlichte Holzbauer hatte im Arbeitszimmer des glücklichen Erben 
einen freundlichen Platz erhalten. Hier war der Zeisig bald hei⸗ 
nisch geworden, und der Doktor nahm sich jeden Tag einige Mi⸗— 
iuten Zeit, um sich mit seinem zutraulichen Stubenkameraden zu 
befchäftigen. — 
So war etwa ein Jahr vergangen, als in der üblichen 
Zprechstunde ein Herr und eine Dame den Rechtsanwalt in einer 
oersönlichen Angelegenheit zu sprechen wünschten. 
Der Herr, ein hünenhäfter, weißbärtiger Alter, schien kein 
Freund von Förmlichkeiten zu sein. Er ließ den Anwalt gar nicht 
dazu kommen, ihn nach seinem Anliegen zu fragen, sondern fiel 
zleich mit der Tür ins Haus. 
„Daniel aus Wisconsin. Den Namen werden Sie wohl schon 
ehört haben. Ich bin der Bruder von der Anna Daniel, die hier 
orm Jahr gestorben ist. Davon waren Sie ja wohl der Advokat? 
Sie hat mir mal von Ihnen gefchrieben — was für ein netter 
derl Sie wären. Für mich hatte sie bloß immer Vorwürfe, nach— 
her schickten wir uns überhaupt keine Briefe mehr, bis fie mir 
kurz mitteilte, daß es nun bald aus mit ihr sein würde. Und 
venn ich alter Sünder über ihre leßte Lebenszeit noch was wissen 
vollte, sollte ich mich nur an Sie wenden. Ich zeige jetzt meiner 
Tochter Europa und wollte bei der Gelegenheit doch vorfragen, 
py“— das alles gewesen ist, und ob Sie mir noch was zu erzablen 
Jaben.“ 
„Nehmen Sie gefälligst erst Platz!“ antwortete Dottor 
GBebling und Jlud auch die junge Dame dazu ein. Also, Herr 
Daniel, der „Advokat“ Ihrer Schwester war ich nicht, aber ich 
habe ihr dann und, wann mit einem Rat gedient Von Ihnen hat 
ñe auch einige Male gefprochen.“ 
„Wohl nicht mit Liebed⸗ 
„Nein, das kann man nicht behaupten.“ F 
⸗Aber sie hat ja nie was von mir haben wollen! Ich hab's 
hr doch angeboten!“ 
uh er in einer so verletzenden Weise, daß sie es ablehnen 
nußte. 
„Redensart! Sie wird's wohl nicht nötig gehabt haben. Und 
zuch darum bin ich hier: wie steht's mit der Hinterlassenschaft 
Ane Schwester? Es liegt mir nichts daran, aber Ordnung 
muß sein.“ 
„Ordnung ist auch,“ erwiderte der Anwalt. „Wenden Sie sich 
nur an das Gericht, da werden Sie alles Naher? erfahren.“ sh 
xIch dachte doch, daß Sie —Sie nerden doch auch Be⸗ 
scheid wissen.“ 
„Ihre, Schwester hat nichts hinterlassen.“ 
„Soꝰ“ Ein mißtranuischer Bli traf den Anwalt. „In dem 
etzten Briefe stand aber auch, das Schönste und Beste, was sie 
zätte, würde sie Ihnen vermachen!“ 
Doktor Gebling lachte laut auf. 
„Ja, das hat sie auch getan.“ X 
„Und Sie wollen es natürlich behalten?“ 
„Natürlich, Herr Daniel. Ich gebe es nicht wieder heraus.“ 
bisst „Man merkt, daß Sie ein Abvokat sind,“ knurrte der Alte 
issig. 
Doltor ä bewahrte seine Ruhe. „Sie entheben mich 
mit diesem Ausfald jeder weiteren Erklärung,“ entgegquete er. 
„Was ich Ihnen noch zu sagen hätte, wäre — —“ Und er sah 
niach dem Ausgang. 
„O, verzeihen Sie nur!“ mischte sich da die junge Dame ein. 
Papa meinte es gewiß nicht so böse. Ich weiß, es tut ihm sehr 
eid, daß er sich mit seiner Schwester nicht mehr aussöhnen 
Lonnte, daß er weder ein Bild von ihr besitzt. noch sonst ein 
Andenken.“ 
„Sie werden zugeben müssen, daß das Auftreten und die 
Sprache Ihres Herrn Papas bisher derartig waren, daß ich 
anftere Empfindungen uͤnmöglich bei ihm voraussetzen konnte,“ 
war die Erwiderung. „Aber Jhnen, nicht Ihrem Vater, will 
ch gern folgendes eröffnen: Das Schönste und Beste von der 
dewertasenhot Ihrer seligen Tante, das ich geerbt habe — — 
vort an der Wand hängt es!“ 
„Der Vogel!“ brüllte Herr Daniel aus Wisconsin. „Da 
hätte sich meine Schwester nur einen Witz mit mir eee 
Das en war aufgestanden, und weil es ein kleines, 
ziexliches Persönchen war, mußte es fich auf die Fußspißen 
tellen, um in den Käfig hineinfehen zu können. 
„Dieses niedliche Tierchen,“ fuhr der Anwalt, immer nur zu 
hr sprechend, fort, „hat Ihrer Tante, als sie alt und einsam 
Jeworden war, sich niemand um sie bekümmerte und sie oft recht 
raurigen Sinnes gewesen sein mag, ein wenig Freude, ins Herz 
gesungen. Sein Gesang und seine — 
vohlgetan, und deshalb war es ihr heb und teuer. Es war ihr 
m vollsten Ernst das Schönste und Beste, was sie noch hatte.“ 
Das Fräulein gab dem Vogel Kosenamen und fuhr sich mit 
dem Taschentuch über die Augen. 
Herr Daniel aber ließ sonderbare Laute hören, als wolle er 
reden und als hindere ihn etwas daran, bis er auf einmal rauh 
ind, bolternd hervorstieß: „Den Zeisig beanspruche ich. Und da 
ch nhe ums an verlangen kann — machen Sie Ihren Preis!“ 
„Aber Papa!“ 
„Machen Sie Ihren Preis, Herr Advokat!“ rief der Alte 
tochmals. „Sind Ihnen fünfhundert Dollars genug? Nicht? 
Dann meinetwegen tausend!“ F 
Gebling würdigte ihn keiner Artwort. Er hörte nur nach 
»em hin, was die Tochter sprach: „Und warum vertraute gerade 
Ihnen meine Tante ihren Liebling an? Sie muß eine sehr hohe 
Meinung, von Ihnen gehabt haben, Herr Ddoklor. 
„Es sollte wohl eine Form des Honorars sein für Konsul⸗ 
kationen, kleine Schriftsätze und dergleichen,“ scherzte er. „Das 
ommt vor, mein Fräulein. Und dann weß sie gedacht haben, 
daß ich als alleinstehender Junggeselle sol einen munteren 
Kameraden auch gebrauchen könnie.“ 
„Und darum wollen Sie ihn immer behalten?“ fragte sie, 
ind ihr Gesichtchen batte einen Ausdrudk pikanter Schelmerei, der 
In bezauberte. 
„Er ist mir auch mit dem Wunsche r 
* q one ** sche vermacht worden, daß er 
„Wenn dieser Wun n Erfüllung geht, Si 
wer 3 — 2 füllung geht, werden Sie doch 
„Gut, dann wird der Zeisig meine Morgengabe sein. 
glaube nur, man wird sie nicht allzuhoch etehebe, Ich 
„Wer Glück haben will, soll — — 
— o 
Ist's Ihnen noch zu wenigs So machen Sie doch Ihren Prels, 
derr Advokat!“ 
Der Anwalt wandte sich nach ihm um: „Augenblicklich kann 
sch's nicht,“ meinte er, „das erfordert Zeit. AÄAber wenn wir auch 
jetzt noch nicht einig werden, so könnte es doch später sein. Ja, 
es wäre sogar möglich, daß ich Ihnen den Zeisig eines Tages nach 
Wisconsin brächte, und dann werde ich Ihnen einen VPreis abver 
langen, der alle Ihre Erwartungen übersteigen soll.“ 
Beim fFenlterln. 
Von W. Trinius. 
„Ei Resi, Du machst heute gar ein bitterböses Gesicht. Was 
is Dir denn verquer gegangens“ 
Acso sge der Maler und Sommerfrischler Klüver die blitz- 
saubere Nichte des Bergbauern, die er als Diandl auf die Lein— 
vand bannte. 
Resi antwortete nicht gleich. Sie zupfte erst ein paar Mal 
verlegen an ihrer Schürze und druckste endlich heraus: 
„Der — war, gestern wieder Fensterln gekommen.“ 
Der Maler pfiff leise durch die Zaͤhne. 
„Verdenken kann ichs ihm halt nicht, dem Buam. Weiß der 
Teuxi, sauber bist. So sauber, daß es mich alten Narren scho 
manenahheaet hat, Dir a Bussel zu geben.“ 
Das Mädchen errötete und trat einen Schritt zurück. 
„Brauchst kein Angst zu haben. Ich werd dem Seppel nig 
e aine lachte der Maler. „Aber was den Malefizfranzbk 
inbelangt, so müssen wir dem doch mal ein bissel heimleuchten. 
Hast dem Bauer noch a mal gesagt?“ 
„Nein,“ antwortete die Resi. „Er glaubts mir doch nit. 
Ich foll ihn auslassen mit die alberne Geschichten, hat er gesagt. 
nd wenn er den Buam, den Seppl, mal derwisen tät auf der 
Leiter, dann würd ex ihm alle Knochen kaputt schlagen.“ 
„Und seit der Zeit passen der Alte und der Franzl auf?“ 
„Ja,“ nickte das Mädchen. 
Und wenn der Alte Obacht gibt, kommt keiner?“ 
Nein,“ sagte Resi. J 
Aber wenn der Franzl aufpassen oll, dann kommt er selber 
u Dr ans Fenster und versucht einzusteigen?“ fragte der Maler 
weiter. 
„Ja,“ bestätigte das Mädchen. 
Ie ist es denn, wenn der Sepp einmal dazwischen fahren 
vürde?“ 
„Das möcht i net,“ antwortete Resi. „Da gibts schweren 
Streit und der Bauer, was mein Oheim ist, wird nit einwilligen, 
venn der Sepp um mich freien kommt.“ 
„Da hast Du recht. Liber was machen wir denn da? So mit 
en schiefem Gesicht kann ich mein Diandl nit malen. Mußt erst 
dein Lachen wieder mitbringen.“ Klüver sann einen Augenblick 
nach. „Die Hauptsach is wohl, daß der Bergbauer glaubt, daß 
sein Sohn, der Franzl, bei Dir Fensterln geht?“ 
Resi nickte eifrig. 
So, dann müfsfen wir halt den Franzl in flagranti erwischen. 
Weißt Vu, wenn er gerade oben steht. Aber das ist schwer zu 
machen. Erstens weiß man nicht, wenn er auffi klettert und 
weitens: wer soll aufpassen? Sakra, gibts denn da nix andexes?“ 
Wieder überlegte der Maler eine Weile. Mit einem Male 
huschte ein pfiffiges Lächeln über sein Gesicht. 
Ich habs, Resi“, schmunzelte er. „So werden wir das Füchs⸗ 
lein fangen.“ 
In des Mädchens Augen leuchtete es schalkhaft auf, als der 
Maler ihr seinen Plan enthüllt hatte. Lächelnd nickte sie Beifall, 
aund sie sah so allerliebst in ihrer Freude aus, daß Klüver schleu⸗ 
nigst an die Leinwand sprang und den anmutigen Schalk in Resis 
Zuͤgen dort fixierte. — — — 
„Himmelherrgottssakra!“ fluchte der Bergbauer. Erx fsluchte 
im reinsten Dialekt und sprudelte in echt süddeutscher Schnellig- 
eit eine Reihe von Worten hervor, die etwa folgendes besagten: 
„Drei Nächte lang hab ich nun aufgepaßt, aber der Haderlump 
äßt sich nicht blicken. Franzl, heute Nacht schaust Du zu.“ 
Der Sohn des Bergbauern, ein kräftiger Bursche mit einem 
aücht üblen Gesicht, knurrte mürrisch. 
„Immer diese Aufpasserei. Was sie schon für einen Zweck 
hat. Mag doch kommen, wer willl“ 
„So! Die Resi ist meiner seligen Schwägerin einziges Kind 
and ich hab der Mutter versprochen, aufs Kind Obacht zu geben. 
Und wissen möcht ich, wer sich erfrecht, auf meinen Hof fensterln 
zu kommen. Meinst, es paßzt mir, daß die Resi sagt, Du wärst 
gegend J werd ihr den Buam hinstellen und ihr zeige, 
ers is.“ 
Franz schüttelte den Kopf. 
„Erwischen tun wir ihn doch nicht. Was ich mir schon darauß 
9 daß ichs sein soll. Wer wirds anders sein als der Lehnen 
„Daß ich ihn nicht krieg! Mag er die Resi frein, wenn er ein 
Beld bringen kann. Aber in Ehren. Die Resi soll mir kein Schand 
tragen, ins Haus.“ 
„Gut, diese Nacht werd ich aufpassen,“ sagte der Franzl. Er 
nahm die Sense und ging hinaus aufs Feld. 
Soll ichs aufstecken, oder versuch ichs noch einmalꝰ dachte er 
bei sich. Es verlohnt sich schon der Mühe bei der Resi. Und ein⸗ 
mal wird ihr Widerstand doch aufhören. Ich weiß selbst nicht. was 
in mich gefohren ist, aber ich muß sie einmal in die Arme schließen, 
die spröde schöne Rest. — — — 
In später Abendstunde, als alles auf dem Berghof in schöne 
tem Schlaf lag, kam der Franz vom Stall her gegangen. Vor⸗ 
ächtig lehnte er die Leiter an, sodaß die oberste Sprosse das 
Fenster zu Resis Kammer berührte, und vorsichtig stieg er hinan. 
Die Fensterbank, auf die Franz sich mit der linken Haud 
stützte, war feucht, wahrscheinlich hatte Resi sie abgewaschen oder 
etwas Nasses draußen liegen gehabt. Mit der rechten tastete er 
das Fenster ab, es war verschlossen. 
Was ist das nur für eine Schmiererei, dachte er, als er d 
rechte Hand wieder abhoh. Das kiebt ja ordentlich. Noch einma 
lopfte er. Doch wieder ohne Resultat. 
Er rüttelte an dem Fenster, aber dies war wohlverriegelt. 
Franz wurde wütend. Ob ich eine Scheibe einschlage? Nein, das 
st eet zu gefährlich. 
„Resi!, Kesil“ Er rief noch einige Male und klopfte a 
zeftig an die Scheiben, aber niemand öffnete. Resi rührte si—e 
anicht. Da gab er es ärgerlich auf. 
Aber warte nur, dachte ex. Kirre krieg ich dich noch. Morgen 
werde ich am Tage in ihre Kammer gehen und den Riegel am 
Fenster so weit lockern, daß er abfällt, wenn ich von draußen an⸗ 
sloße. Daß ich daran nicht früher dachte. 
Er war fast vergnügt, als er die Leiter wieder abhob und sie 
an Ort und Stelle trug. 
Am andern Morgen in der Frühe sprach Resi mit ihrem 
Dheim, dem Bergbauer. Sie erzählte, daß gestern wieder bei ihr 
zefensterlt worden sei, daß sie aber für eine Kennzeichnung des 
Burschen gehrne habe. * 
b „Wie hast denn das angestelst?“ fragte neugierig der Berg⸗ 
auer. 
„Der Herr Maler hat mir rote Farbe gegeben, die dab ich 
gestern abend spät aufs Fensterbrett dick aufgestrichen.“ 
„Jesses. Dös war Hescheit!“ lachte der Bauer aus vollem 
halse. „Hält sie auch gut, die Farbeꝰ“ 
Im selben Augenblick kam der Franz aus dem Haus gegangen. 
Er wollte sich zur Pumpe schleichen, aber ungesehen konnte er 
nicht hin. Da hielt er es für besser, wieder umzukehren; aber schon 
hatte ihn der Vater gesehen. 
„Na, Franz. Wie siehst denn du aus?“ 
Franz antwortete nicht. Er hielt die Hände anf dem Rücken 
nersteckt und knirschte vor Wut und Scham mit den Zähnen. An 
dosce und Jacke leuchteten rote Streifen und Tupfen. 
nshich wollte der Bauer aufbrausen; aber er fand die 
Veschichte so komisch, daß er nicht zum Zürnen kam. 
„Du bist mir an rechter Bug,“ spottete er. „So rot zu werden, 
wennst fensterln gewesen bist. Du, Resi, kannft dem Sepp sagen 
er soll di fortholen kommen. A Farbenklexerin könnt i aufm Berg 
zof nit brauchen.“ — — — 
Der Maler Klüver aber durfte für seine Idee von dem frischen 
Mund der dankbaren Resi drei Busserln nehmen.
	        
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