Full text: Lübeckische Anzeigen 1911 (1911)

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Wöchenilich 13mal (Wochentags morgens und 
abenos, Gonniags morgens) erschelnend. Bezugs⸗ 
hreis für das Vierteljahr 3,00 Mart ein schließlich 
ðringgeld in Lübeck. Durch die Post bezogen vhne 
Sestegeld 330 Mark. Einzelnummern 10 Pis. 
Anzeigenpreis (Ausgabe Aund B) für die sgesp. 
Zeile 2 Pfg. Kleine Anzeigen (Arbeitsmaurlt usw.) 
3 Pfg., sur Auswartige 80 Pfg. f. Geschäftl. Mit⸗ 
ꝛilungen 1Mk. d. Zeile. Tabellen⸗ u. schwieriger 
3aß den Unforberungen entsprechend höher. o o 
Beilagen: Vaterstädtische Blätter. — Der Familienfreund. 
Amisblatt der freien und Hansestadt Lübed 
heiblatt: Gefetz und verordnungsblatt ARV 
n 626860 
Nachrichten für das Herzogtum Lauenburg, die 
Fürstentümer Ratzeburg, Lübed und das angren⸗ 
jende medlenburgische und holsteinische Gebiet. 
Druc und Verlag: Gebrüder Borchers G. m. b. 8. in Lũubed. — Geschãrtsstelle Mreß haus GSdbmaite. ac) Fernprecher —V 9601. 
Donnerstag, den 27. Juli 1914. Iend⸗Blatt UAr. 375. 
Ausagabe 
(Große Andgabe) 
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ECrites Blatt. hierzu 2. Blatt. 
Amfang der heutigen Nummer 6 Seiten. 
ιν — — em»m-nxnnnn n ισααιναιιαιαα— 
nichtamtlicher Teil. 
ẽngland wünscht Information über die 
deutsch⸗französijchen Verhandlungen. 
BPrivattelegramm der Lübecdischen Anzeigen.) 
Berlin, 27. Juli. Aus London erfahren wir aller⸗ 
zestens, daß England an zuständiger Stelle in Berlin den 
reundschaftlichen Wunsch geäußert hat, über den Stand der 
deutsch⸗französischen Verhandlungen informiert zu werden, falls 
hieselben territoriale Veränderungen in Marollo bezweden. 
Kabelvetlag.) 
Seute sollte, wie wir bereits meldeten, die Aufklärung 
aber die Stellungnahme Englands zu Marokko durch den eng— 
ischen Premierminister im Unterhause erfolgen. War man 
hisher der Ansicht gewesen, daß England den Verhandlungen 
wischen Deutschland und Frankreich mehr abwartend gegen— 
überstehe, fo hatte die Rede des Schatzkanzlers Lloyd George, 
die er am Freitag anläßlich eines Bankettes in London 
hielt, schon angedeutet, daß sich England auf die Seite 
Frankreichs stellen würde. In diesem Sinne wird man denn 
auch wohl den Inhalt obenstehender Depesche aufzufassen 
haben. Wir nehmen ferner an, daß darin der Extrakt der 
ministeriellen Erklärung enthalten ist. 
Dadurch ist nun ein ganz neues Moment in die Ver—⸗ 
handlungen eingetreten, das entschieden lähmend auf den bis— 
herigen Optimismus wirken wird. Die Intervention, von der 
nan bisher sprach, ist zur Wirklichkeit geworden. Aber auch 
ür Deutschland hat sich inzwischen die Situation in gün— 
tigem Sinne geändert. Bisher war man vielfach der An— 
icht, daß die Gruppierung der Mächte in der Marokko— 
rage sich nicht wesentlich von der Einteilung unterscheide, 
ie sich in Algeciras gezeigt hat, d. h., daß Deutschland 
nit Oesterreich isoliert dastehen würde. Wir berichten gleich— 
eitig heute unter der Rubrik Rußland, daß die russische Re— 
zierung sich auf Deutschlands Seite zu stellen gedenkt. Ruß— 
and, das sich wohl in Frankreich getäuscht und von der 
Kepublik im Stich gelassen fühlte, auch die finanzielle Zu— 
neigung Frankreichs erkalten sah, üUberwand, nachdem es 
sich auf dem Balkan Desterreich gegenüber hatte bescheiden 
nüssen, seinen Groll gegen Wien und suchte mit Glück Füh— 
lung in Berlin. Es kam zu den Pots damer Abmachun— 
gen, deren Tragweite und Inhalt man zwar noch immer 
nicht kennt, deren Wirkungen aber mit jedem Tage 
ichtbarer werden. Die deutsch-russische Verständigung hat die 
ussisch⸗öster reichische Verstimmung vermindert und so etwas 
die einem neuen Drei-Kaiser-Bündnis die Bahn frei 
emacht. 
Mag es nun mit dem Bündnis auch noch gute Wege 
aben, in der Marokkofrage hat sih Rußland doch schon 
on den Ententemächtenlosgelöst und damit Frank— 
eich in die nicht gerade beneidenswerte Situation gebracht, 
eine Politik vom Londoner Kabinett machen lassen zu müssen. 
kzngland wird dabei selbst für den Ernstfall wieder im 
Trüben fischen können und Frankreich als Prügelknaben be— 
utzen. 
Uebrigens muß auffallen, daß England, nach der Depesche 
uu urteilen, sehr vorsichtig zu Werke geht. 
Eine Hochsommerente. 
Gegenüber der von einem Berliner Men'agsblatt ge— 
rachten Nachricht, Hecr von Kiderleu-Wäch!er habe im Früh— 
ahr dieses Jahres an den Reichs agcabgeordneten Basser— 
rann einen Brief gerichlet, worin der Staatssekretär er— 
ichte, man möge von einer In'ere!“latien wegen Marokko 
bsehen, weil Ruhe geboten sci und man Feankreich zunächst 
ar nicht genug gegen die Algecirasakte sündigen lassen könnte, 
enn je mehr es seine Rechte überschreise, um so mehr Gewicht 
rhalte dann die sräse e Gesterdnalung der deuschen Inter⸗ 
ssen, hat Abgeordne er Bassermaun die Nue Badische Landes— 
eitung ermächtigt, strikt zu erklären, weder er noch die na— 
sonalliberale Reichssstagsfrakftion hätten iemals einen solchen 
rief erhalten. 
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1. Der Zentralverband deutscher Industrieller ist nicht ge— 
villt, in eine weitere Erhöhung der Lebensmittelzölle einzu⸗ 
billigen. Er hat bereits bei der Vorbereitung für den jetzt 
geltenden Zolltarif gegen alle zu weit gehenden Forderungen 
ruf Erhöhung der Lebensmittelzölle mit Entschiedenheit Stel⸗ 
ung genommen und wird dieses bei der bevorstehenden Neu⸗ 
»sdnung der laufenden Handelsverträge in gleicher Weise tun. 
2. Zwischen dem Zentralverband deutscher Industrieller und 
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er Konservativen Correspondenz, dem amtlichen Organ der 
onservativen Partei, gleichfalls bestätigt worden ist, weder 
»or noch nach dem Hansatage irgendwelche Abmachungen über 
ie beiderseitigen Schutzzollwünsche getroffen worden. 
3. Der Zentralverband deutscher Industrieller hat beim 
Ibschluß der bestehenden Handelsverträge, insbesondere auch 
eim Abschluß des deutscheschwedischen Handelsvertrages, die 
Inträge der weiterverarbeitenden und der Feinindustrie in 
er tatkräftigsten Weise unterstützt. Es ist dieses aus dem 
eim Zentralverbande vorhandenen Aktenmaterial urkundlich 
achweisbar, und es würde mit Genugtuung begrüßt werden, 
denn sich die Interessenten hiervon durch Einsichtnahme in 
ie Aften üherzeugen würden 
Fremdlaͤnder im Dienst der deutschen Landwirtschaft 
und Industrie. 
Wie uns mitgeteilt wird, ergibt der letzte Bericht der 
fremdarbeiterzentrale, daß laut Ausweis der Legitimations— 
arten im letzten Jahr in der deutschen Landwirtschaft und 
industrie 588 354 fremdländische Arbeiter beschäf— 
iat waren. Den größten Anteil an dieser Zahl haben die 
Zoslen mit 323326 Arbeitern, es folgen die Ruthenen 
nit 82 092 Arbeitern, die Ungarn mit 23 209, die Italiener mit 
9672, Niederländer und Belgier mit 53995 und Deutsche aus 
fußlkand und Oesterreich mit rund 66000. Den gröbten 
Inteit dieser fremdländischen Arbeiter verbraucht die Land- 
wirtichaft. Tas Verhähtnis ist folgendes: 
Landwicttsch. Industrie 
Polen.. 231813 30891 
Ruthenen ... 47 190 29 340 
Italiener ... 70 36 000 
Eigenartig ist die Feststellung, daß die meisten landwirk— 
schaftlichen Arbeiter sich aus den Polen zusammensetzen, und 
daß die Italiener durchweg Industriearbeiter sind, da die 
Anzahl von 70 landwirtschaftlichen nicht von Belana ist. 
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Ganz weiß gekleidet, liefen der Bube und das Mägdelein 
ruf den Vater zu. Sie waren so vergnügt; ihr Lachen 
virkte ansteckend auf den düsteren Mann. Er vergaß für kurze 
zeit sein Leid und war glücklich als Vater. 
Fritz und Annchen spielten mit ihrem großen Ball. Lörs-— 
hach stand auf und aina bis zur Sicagesallee. versprach aber— 
miederrukommen 
kine neue bündige Erklärung des Sentralverbandes 
deutscher Industrieller. 
Die Polemik zwischen dem Hansabund und dem Zentral— 
erband Deutscher Indurr'eller hat in letzter Zeit einen immer 
eiteren Umfang angenomnen, olne daß durch sie etwas we— 
ntlich Neues gesagt worden ist. Daran liegt es denn auch 
obi, daß man ihr in der Oeffentlichkeit kaum das In— 
resse mehr entgegenbringt, das dieser Streitsall zunächst wegen 
iner prinzipiellen Bedeutung erregte. Hätte sich der Hansa— 
und in seinen Erklärungen weniger gewunden, als wir dieses 
1seiner Stellung zur Sozialdemokratie und zur Schutzzoll⸗ 
rage stets wieder beobachten konnten, so hätten wir jetzt viel 
iehr Klarheit in der ganzen Angelegenheit. Inzwischen fährt 
ian auf beiden Seiten fort, die Zahr der Austritte oder Ver— 
auenskundgebungen weiter zu registrieren. In einem uns zu— 
egangenen Schreiben nimmt run der Zentralverband 
ochmals in bündigster Form Gclegenheit, den Gerüchten, 
ztreitern ein Ende zu machen. Es wird da in drei knappen 
Säken folgendes erklärt: 
Sonnensehnsucht. 
Roman von Gepon Schlippenbach. 
(10. Fortsetzung.) Machdruck verboten.) 
„Ich gehe nicht mit,“ bemerkte Irmgard, „ich verlasse 
Berlin nicht, hier allein kanmn nian leben!“ 
„Gut, so bleibe! Aber ich nehme die Kinder mit,“ sagte 
Lörsbach fest, „du verstehst nicht, sie zu erziehen.“ 
Eine drohende Falte grub sich zwischen die Brauen des 
dauptmanns. Irmgard kannte diese Falte. So nachgebend 
ind selbstlos ihr Mann gegen sie war, er hatte einen eisernen 
Willen, wenn er etwas als recht erkannte; dann halfen 
alle Bitten und Tränen nichts. 
„Ich werde Papa bitten, mein Jahrgeld zu erhöhen.“ 
„Nein. das verbiete ich dir“ fiel es kurz von Lörsbachs 
dippen. 
„Du darfst es nicht!“ schrie Irmgard außer sich 
„Wenn du es tust, sind wir geichiedene Leute!“ 
Sprach's und ging dröhnenden Schrittes in sein Arbeits- 
immer. Dort reinigte er sich vom Staube, zog die Uniform 
aus und die Litewka an; dann saß er still an seinem Schreib— 
tisch, den Kopf in die Hände gellützt, in schweren, traurigen 
Gedanken. Es war bitter, die geliebte Gardeuniform a szu⸗ 
iehen, bitter, die lieb gewordenen Kameraden zu ver' issen, 
»oppelt bitter, sich in der Frau, die er liebte, getäusyt zu 
jaben. Ja, er liebte sie noch immer treu und auf cchtig, 
nit allen ihren Fehlern, mit ihrer Oberflächlichkeit und Gelbst— 
ucht. Er hoffte, sie zu erziehen zu dem, was ein echtes 
deutsches Weib sein muß. Hier in Berlin ging es nicht! 
Deshalb heraus, weit fort nach cinem kleinen Ore, wo 
s leine Versuchung für sie qah. wo das eigene Heim ihr 
jeb wurde. 
Er setzte sich gleich hin und schiieb. Wohin? Da; wußte 
x nicht. Einerlei, das sollten seine Vorgesetzten be timmen. 
Zu MWittag erschien Irmgard nicht. Sie liekß sagen, sie 
zabe Migräne und wünsche, nicht gestört zu werd-n. Sie 
ag auf ihrem Bett und weinte Tränen des Aergers und der 
*elbstbemitleidung, keine der Reue über ihr Betragen. 
Lörsbach speiite allein mij seinen heiden Kindern dvem 
ierjährigen Fritz und der dreijährigen Anna. Es waren ein 
aar hübsche, gutgeartete kleine Wesen, leicht zu lenken und 
ehorsam, wenn man es richtig an ing. Das muntere Ge— 
auder der beiden rosigen Mündchen erheiterten den Vater; 
rversorgte sie mit den Speisen und spieite die Mutter bei 
ynen. Das Gemüse war angebrannt; die Köchin hatte es 
u spät aufgesetzt und zu schnell gekocht. Der kleine Fritz 
pollte bei Tisch etwas eigenwillig werden, ein strenger Blick 
es Vaters, ein ermahnendes Wort genügten, um das Kind 
um Gehorsam zu bringen. 
„Nein,“ dachte Lörsbach, „euch behalte ich, ihr seid meine 
zesten irdischen Schätze.“ 
Und er legte die Arme schützend um die Kinderkörper 
ind streichelte zärtlich die hübschen Gesichtchen. 
Nachmittags hätte der Hauptmann zu Hause bleiben können, 
r hatte keinen Dienst, aber er ging fort. Es lastete so 
hwer auf ihm. die Atmosphäre seines Haufes beengte ihm 
ie Brust. 
Er ordnete an, daß die Wärterin mit den Kindern um 
Uhr in den Tiergarten zum großen Stern komme; sie sollten 
ie Straßenbahn benutzen. Bis 4 Uhr lief Lörsbach ruhelos 
urch die Gänge des Tiergartens, die quälende Sorge als 
3egleiterin, und er fragte sich: 
„Wie wird alles werden? Wie wird mein Leben sich 
estalten ?“ 
Er traf Kameraden. Mechanisch beantwortete er ihre Fra⸗ 
jen, mechanisch schritt er neben ihnen her, denkend: 
„Sie ahnen nicht, wie ich kämpfe, sie wissen nicht, was 
ch leide!“ 
Ist es so nicht gut? Ist es nicht bei allem Weh ein 
zlüch, den Stolz zu Hilfe zu rufen, zu lachen, wenn das Herz 
deint, heiter zu scheinen, wenn man sich zu Boden werfen 
nöchte und stöhnen wie ein zu Tode getroffenes Wild? — — 
Mit Sehnsucht erwartete der Hauptmann die Kinder. Er 
zußte ihre fröhlichen Stimmen hören, in ihre klaren Augen 
hen, die weichen Händchen fühlen in seiner „grobhen Sol⸗ 
atenhand“, wie Irmgard heftig sagte. Und es war doch 
ine statke, treue Hand, die dem Weibe Halt und Stütze zu 
ieten vermochte, die sich schirnend üuber Frau und Kinder 
eitete Notft und Soroe ihnen fern haäelt. 
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Es war ein köstlicher Tag! Tas Manöver war beendet, 
Irmgard wollte in ein Mydebad gehen. aber ihr Mann 
agte: 
„Du hast ja deine Sommerfrische bei den Eltern in 
Zchornstätten gehabt, wir bleiben in Berlin!“ 
Nach dem Mandver war der Hauptmann vierzehn Tage 
hei den Schwiegereltern gewesen und hatte sich gemeinsam mit 
hem Baron und Jeinem Schwager Bruno an der Jagd erfreut. 
Ernst und Emmy Ludolff waren nach Berlin gereist und 
kmmy dann noch nach Deep zu ihrer Schwester Margarete, 
wo Frau Ludolff und Willi noch weilten. 
„Es fällt mir schwer, dich allein zu lassen,“ hatte das 
unge Mädchen zu ihrem Bruder gesagt. 
Ernst hatte sie zur Weiterreise gedrängt. 
Er mußte allein sein, um mit dem fertig zu werden; 
vas über ihn gekommen war im traulichen, täglichen Beis 
ammenleben mit Elfriede. Nach dem Asraliede hatte er sich 
neisterhaft beherrscht, kein einziges Mal war er schwach ge— 
worden. Aber das Lied, das ihn verraten, hatte er nie 
vieder gesungen, es vibrierte in seinem Herzen wieder. 
Oft fragte Elfriede sich nach jenem Tage, ob sie sich 
richt geirrt, als sie annahm, daß der stille, ernste Mann 
ie liebte. Sie verwarf diesen Gedanken, er war zu quälend. 
Was sollte werden, wenn er wirklich mit solchen Gefühlen 
an sie dachte? 
Es lag eine große Weichheit, etwas sehr Zartes in der 
Art und Weise, wie sie Ernst behandelte, wie eine stumme 
Abbitte: W 
„Ich kann nichts dafür, vergiß mich, wir dürfen nu 
Freunde sein!“ 
Wie sie ihn vermißte, als er fort war; überall fehlte 
⸗»3ihr Sie hatte für ihn gesorgt. und zu ihrer Freude
	        
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