Full text: Lübeckische Anzeigen 1911 (1911)

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hecischee 20 
hecische eiden. Zzweites Blat! 
—A Ie —539 J — 58 — 4 
Ausqgabe 44 —3344 
Donnerstag, den 19. Januar 1911. 
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— — 77 * 77 *—* 
Aus den Nachbargebieten. 
Hangestãdte. D— 
Hamburg, 10. Januar. 
GKleine Mitteilungen.) Im Marienkrankenhaus 
vurde eine Knecht aus Wulsdors emgeliefert, der eine schwer 
nfernende Kugel im Salfe hat. Auf die Frage nach 
er Herkunft der Verletzung teilte er zur allgemeinen Ueber⸗ 
Afchung mit, er sei von Zahnschmerzen so gequält worden. daß er 
ver Verzweiflung zum Revolver gegriffen hätte, in der Ab⸗ 
sicht. den Quälgeist durch eine Kugel zu entfernen, vder, wenn 
e den Zahn nicht träfe, sich durch den Zod ein fur alle⸗ 
n egen Zahnweh und ahnliche Miseren des Erdenwallens 
sichern. Dem Aermsten ijt nun das ebne und das andere vor⸗ 
i et; baht vnun auch noch am Halse seinen khugen Einfall. 
Schles wig⸗ Holstein. 
Altona, 19. Jan. Das Gerichtsgefängnis, das 
ich schon sett einer Reihe von dahren als zu lein erwiesen 
Jat, soll durch einen großen Anbau an der Gerichtsstraße er⸗ 
eiten werden. Der Erweiterungsbau soll sir 886 maͤnn⸗ 
ache und 75 weibliche Gefangene Platz bieten. 
Uetersen, 19. Jan. Von einem Irrsinnigen an— 
refallen ind an er Kehle gepactt wurde die 231jährige 
Tochter Martha des Milchhändlers J. Rechter in Appen, als sie 
ich auf dem Wege von ihrer elterlichen Wohnung nach Pinne— 
hera befand. Das große, kraftige Mädchen riß sich los uund ent ⸗ 
riß ihm gugleich seinen Handstodd. Mit diesem schlug sie den 
Angreifer so lange auf den Kopf, bis er bewußtlos liegen blieb 
ind von den von ihr Herbeigerufenen nach 10 Minuten aufge⸗ 
unden wurde. 
Reinfeld, 19. Jan. Der Bund der Landwirte 
zjat Montag in öffentlicher Versammlung die Agitation für die 
ommenden Reichstagswahlen eingeleitet. Es sprach der vom 
Bund der Landwirte im 9. schleswig-⸗holsteinischen Wahlkreise 
rufgestellte Dr. Roesicke. An der Diskussioön nahmen von na⸗ 
tionalliberaler Seite Parteisekretär Trojan und Waltemat, 
Wandsbek, teil, die die Kandidatur Hastedt-Wensin empfahlen. 
Kiel, 19. Jan. Die Ellerbeker Fischer haben in 
der Nacht zum Dienstag einen auten Fang gemacht, während 
die Außenfischer ziemlich leer aqusgingen. Bis gegen 9 Uhr vor⸗ 
mittags lieferten die Ellerbeker 600 Kisten Heringe für die 
Versteigerungen. 
Segeberg, 190. Jan. Der Saushaltsplan der 
Stadt Segeberg füur 1011 schließt in Einnahme und Ausgabe 
mit 268 200 M (im Vorjahre 243 300 M). An Einnahmen sind 
gegen das Vorjahr u. a. mehr angesetzt: für die Schulverwaltung 
und 5800 M, Gemeindesteuern 6000 Me Zinsen und Schulden⸗ 
»erwaltung 7500 M. Bei den Ausgaben ist ein Mehr vorge— 
ehen: für allgemeine Verwaltungskosten 2000 M, Zinsen und 
Schuldenverwaltung fast 18 000 aBt. Schulverwaltung 5000 M 
reisabgaben 1800 M. IJ 
Schleswig, 10. Jan. Protest des Haus⸗ und 
Frundbesitzervereins. In einer von dem Haus⸗ und 
Hrundbesitzerverein einberufenen öffentlichen, zahlreich besuchten 
Persommlung wurde scharfe Kritik geübt an dem von den städti⸗ 
chen Kollegien in geheimer Sitzung gefaßten Beschluß, dem zum 
Bürgermeister in Tondern gewählten Beigeordneten Plewka sein 
disheriges Gehalt durch Zuschüsse von der Stadt Schleswig 
u sichern und seine bisherigen Pensionsansprüche zu garantieren. 
zum Schluß wurde einstimmig folgende Resolution angenommen: 
Die Versammlung erhebt Protest gegen den am 3. Jan. d. J. 
n geheimer Sitzung gefahten Beschluß betreffend Gehaltsaus⸗ 
Aeich und Pensionssicherung des Beigeordmneten Plewka. Es 
vird beantragt, daß ein Mitglied des Magistrats in einer öffent⸗ 
ichen Bürgerversammlung über die mit dem Beigeordneten Plewta 
zeführten Verhandlungen und über die Gründe der Beschluß⸗ 
assung Aufklärung gibt.“ 
Großherzogtum Oldenburg, Fürstentum Lübed. 
Fr. Eutin, 19. Jan. Der Evangelische Bund, 
Zweigverein Eutin, veranstaltete Mittwoch im Schloßhotel eine 
zffentliche Versammlung, die ziemlich gut besucht war. Pastor 
vers, Lübedh, hielt einen sehr beifällig aufgenommenen Vor— 
⸗ über „Die Borromäus-Enzyklika im Rahmen der Zeit— 
reschichte“. Der erschienenen datholischen Geiftlichteit wurde eine 
—I— 
disrien et 19. Jan. „40 Jahre veutsche 
zlottel!“ Ueber dies Thema hielt vorgestern n der 
iesigen Ortsgruppe des deutschen Vlottenvereins Mar ine⸗ 
hefingenieur a. D. Flagger in Kaähler's Restaurant 
men Vortrag. Der Vortragende, welcher selbst fruher 
uf den damaligen Segellorvetten mehrere Reisen um die 
Velt mitgemacht hat, schilderte eingehend die Anfänge und 
en Werdegang unserer Kriegsmarine, wie man lange Jahre 
m dem starken Holzschiff und späteren Eisenschtff mit voller 
zesegelung und Silfsmaschine als dem Ideal eines Schlacht⸗ 
chiffes festgehalten habe und wie dann hauptsächlich durch 
ie Erfindung des Torpedos die gepanzerten Stahlschtffe 
is m den? heutigen Kolosfen sich allmählich entwickelt 
haben. Auch der Zwedt und die Notwendigkeit des Flotten⸗ 
esehes als grundlegenden Faktor fur den organischen Auf 
au und den heutigen hohen Stand der Schlagfertigkeit 
nserer Flotte fand eingehende Wurdigung. Zu dem in—⸗ 
erefsanten und lehrreichen Vortrage, der durch eine große 
Inzahl vorzüglicher Lichtbilder erläutert wurde, waren außer 
»en Mitgliedern die Mitglieder des Kriegervereins und 
es Mannerturnvereins nebst Damen geladen. Das dicht⸗ 
ꝛesetzte Lokal zeugta davon, wie gerne man der Einladung 
olgt war. 
ef —— — 19. Jan. Gekauft hat Arbeiter Plath 
das Wohnhaus mit Garten der Plathschen Erben für 5300 M. 
Ahrensbök, 19. Jan. In Kanonsachen schreiben 
Ae Ahrensböker Nachr, daß von dem Vertreter der 299 
zrundbesiher des ehemaligen holsteinischen Amts Ahrensbök, 
dechtsanwalt Dr. Geert Seelig, Hamburg, nunmehr an die 
degierung zu Eutin ein Schreiben, welches gleichzeitig auch 
em Oldenburgischen Staatsmmisterium eingereicht wurde, ge⸗ 
ichtet worden ist. Gleichzeitig erhielten sämtliche Grundbe— 
itzer einen vorgedruckten Protest, welchen sie mit ihrer Unter⸗ 
chrift an die Regierung senden werden. Es sollen jetzt 
oieder Zahlungsverweigerungen stattfinden. In dem an die 
degierung gerichteten Schreiben erklärt der Rechtsanwalt, daß 
eine sämtlichen Auftraggeber auf dem Standpunkt slehen, daß 
»as Verwaltungs⸗Zwangsverfahren in bezug auf die „stehen— 
en Gefälle“, welche auf den Grundstücken der Auftraggeber 
ruhen, in der Weise, wie es bislang auf Grund der alten 
Dldenburgischen Verordnung vom 7. Okt. 1886 geübt worden ist, 
techtlich unzulässig und gesetzwidrig ist. Außer den stets ange⸗ 
ührten Gründen berufen sie sich nunmehr ausdrücklich darauf, 
aß über die Beitreibung rückständiger Steuern und Gefälle gegen 
einzelne säumige Schuldner ein Schleswig-Holsteinisches Gesetz 
im 13. Febr. 1838 erlassen it, welches anordnet, daß die richter⸗ 
ichen Behörden auf die eingegangene Requisition der Hebungs⸗ 
zeamten die erforderlichen gerichtlichen Zwangsmittel nach ge— 
atteter Verhandlungsfrist von 8 Tagen zu verfügen haben. 
Zum Schluß protestiert der Anwalt namens der Auftraggeber 
rusdrücklich gegen die Vornahme »der Androhung von Hand⸗ 
lungen, welche gegründet werden auff die Verordnung vom 
IJ. Okt. 1836. 
Großherzogtümer Medlenburg. 
Rostock, 19. Jan. Zur Feier der Erinnerung 
run die 40jährige Wiederkehr des Tages der Errichtung 
»es Deutschen Reiches veranstalteten Montag der hiesige Krieger⸗ 
erein,d er Deutsche Flottenverein, der Alldeutsche Verband 
ind die übrigen vaterländisch gesinnten Vereine in der Phil— 
armonie einen nationalen Festabend, der sich einer sehr 
ahlreichen Beteiligung zu erfreuen hatte. Außer den Ver— 
inen beteiligten sich am der Festlichkeit Universitätsprofessoren, 
Mitglieder des Rats und anderer Behörden. Generalleutnant 
. D. v. Wrochem aus Berlin hielt die Festrede. 
Boiensdorf, 19. Jan. Beim Ausgraben eines 
Brunnens stieß man auf der Büdnerei Nr. 1, Besitzer Grütz⸗ 
nacher, in etwa zwei Meter Tiefe auf eine ziemlich regelmäßige, 
ius großen Felsen bestehende Steinsetzung. Die Erde in seiner 
Tiefe erwies sich als geröhrter Boden, auch wurde beim Aus—⸗ 
verfen der Erde etwas Kohle bemerkt. Man hat es hier mit 
iner vorzeitlichen Wohngrube zu fun 
Der Moabiter Krawall⸗Prozeß. 
Berlin, 18. Januar. 
In der heutigen Verhandlung vor dem Schwurgericht nahm 
Rechtsanwalt Heine das Wort zu nachstehender Erkläͤrung: Wir 
zatten die Absicht und auch die Hoffnung, die Beweis— 
zufnahme heute zu Ende zu führen, aber ich weiß nicht, ob 
ies möoglich sein wird nach dem, was sich gestern ereignet 
at. Wenn auch fuür die Herren Geschworenen und Richter 
uristisch nur das existiert, was hier im Saal erdrtert worden 
st, so leben sie doch nicht außerhalb der Welt; sie lesen 
zJeitungen, und es läßt sich gar nicht berechnen, wie auf 
ie lolche Aeußerungen wirken, wie sie gestern im preußischen 
zandtag getan worden sind. Ich rede dabei nicht von den 
reisten, die Wahrheit auf den Kopf stellenden Angriffen 
egen die Verteidigung. Ich beabsichtige nicht, mich mit Herrn 
. Zedlitz auseinanderzusetzen, dessen Worte überall aufge— 
aßzt werden als das, was sie sind, die Aeußerung eines be— 
chränkten Fanatikers. Wohl aber könnte es uns zu neuen 
zeweisanträgen notigen, daß der Minister des Innern 
don den Zeugen, die polizeiliche Ausschreitungen bekundet haben, 
jesagt hat: „die Betroffenen haben die Vorkommnis'se außer⸗ 
rdentlich aufgebauscht, wenn nicht gar zum Teil mit Absicht 
intstellt“ — Vors. LandgerDir. Unger (unterbrechend): 
zerr Verteidiger, die Herren Geschworenen sind doch gereifte 
Männer, die sich durch Vorgänge außerhalb dieses Saales 
n ihrer freien Meinung nicht beeinflussen lassen werden. — 
T.A. Heine: Auch ich habe das feste Vertrauen, aber es 
st die Frage, ob noch eine weitere Beweisaufnahme nötig 
st zur Widerlegung dieser frivolen Verdächtigung der Zeugen. — 
Zors.z Ich muß dringend bitten, derartige Aeußerungen zu 
interlassen, und betone nochmals, daß weder auf uns noch 
uf die Herren Geschworenen Vorgänge, die sich außerhalb des 
herichtssaales ereignen, irgendwie von Einfluß sein werden. — 
st.A. Heine:. Ich will nur, daß die Herren Geschworenen 
licht glauben, daß die Verteidigung solche grundlosen und 
merhörten Verdächtigungen.... — Vors. (unterbrechend, 
nit gehobener, Stimme): Das gehört nicht hierher; ich ent— 
iehe Ihnen das Wort. — R.A. Heine: Dann bitte ich 
im das Wort zu einem Antrage: „Nur für den Fall, daß 
Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit der Zeugen bestehen, bitte 
sich die Herren Geschworenen und das Gericht, die nochmalige 
Vernehmung einer Anzahl Zeugen zu veranlassen, um zu prüfen, 
»b sie einen glaubhaften Eindruck machen“ — Der Ver— 
eidiger nennt eine Anzahl beispielsweise herausgegriffener 
zeugen. — Die weitere Beweisaufnahme verlief sehr eintönig. 
die Weddinakrawalle vor der Strafkammer 
Berlin, 18. Januar. 
In der heutigen Verhandlung begann die Zeugen— 
pernehmung. Der Angekl. Hartmann hat nach dem 
zeugnis mehrerer Schutzleute inmitten einer johlenden Men— 
chenmenge den Polizeibeamten zugerufen: „Verbrecher, Lause— 
ungen, euch müssen wir ernähren“. Der Polizeiwachtmeister 
Beder bekundet, dah der Angeklagte die Warnungen mit 
»en Worten beantwortet habe: „Kommt doch her, was 
vollen denn die Kerls, die Staatsbummler, die Staats— 
erbrecher, die Lumpen“. Als Hartmann festgenommen und 
Jefesselt nach der Wache abgeführt werden sollte, habe 
r zu Becher mit drohender Gebärde gesagt: „Du dickes 
„chwein, ich steche dich über den Haufen, wo ich dich 
reffe“. — Da die Anklage gegen Hartmann auf Aufruhr, 
bergehen gegen 8 116 StGB. Widerstand und Bedrohung 
autet, so ist die Beweisaufnahme uber diesen Fall außer— 
adentlich eingehend. Hartmann behauptet, daß er betrunken 
jewesen sei. Die Schutzleute haben ihn nur für ange— 
runlen gehalten, demgegenüber bekunden mehrere Ent⸗ 
astungszeugen, daß der Angeklagte entschieden betrunken 
jewesen sei; er habe mit ihnen an jenem Abend zahlrefiche 
agen Bier und zu jeder Lage noch sehr starken Schnaps, 
onrmannten „Russen“, d. i. Spiritus mit Zitronensaft, ge— 
trunken. 
Ordonnanzritte 1870/ 71. 
Gortseung.) 
Nicht unmittelbar am Feinde und durchaus kampffähig 
war nur noch das 9. Korps. Dieses allein hätte zur Ver— 
lärkung der Besatzung von Orl6ans in Frage kommen können. 
Aber eimnal fiel ihm die Verteidigung der wichtigen Loire— 
ibergänge bei Blois zu, und dann vornehmlich durfte eine 
endgültige Niederwerfung der 2. Loire-⸗Armee vhne Einsatz dieses 
ioch kampfesfrischesten Heereskörpers nicht mit Sicherheit er⸗ 
vartet werden. Wollte aber der Prinz die ganze Armee 
auf Orlséans marschieren lassen, um hier seine eigentliche und 
wichtigste Aufgabe: den Schutz der Einschließung gegen Süden, 
u lösen, so wäre ohne Zweifel General Chanzy hinter ihm 
hdergezogen und hätte seine eben verlassenen drohenden Stel—⸗ 
ungen bei Beaugency wieder eingenommen. Auch das hätte 
in den Augen der Franzosen, ja der zuschauenden Welt, einen 
Erfola der französischen Waffen kbedeutet und hätte die durch 
die unausgesetzten Anfeuerungen der Regierung ohnehin über— 
zitzten Gemüter der Franzosen mit neuer Glut, mit neuen 
boffnungen erfüllt und sie zu neuen Einsätzen in dem Spiele 
im des Vaterlandes Befreiung und um die dem Franzofen 
o unentbehrliche gloire begeistert. 
Ich habe den Prinzen Friedrich Karl bei Düppel und in 
Jutland gesehen und in jugendlicher Begeisterung seine etwas 
in die volltönenden Bulletins des korsischen Eroberers er⸗ 
mnernden Ansprachen an seine Soldaten beim Appell verlesen 
zehört, ich habe ihn gesehen, wie er über die Schlachtfelder 
Bõöhmens galoppierte, aber am liebsten rufe ich mir das 
Bild dieses preußischen Prinzen von altem Schrot und Korn 
ins Gedächtnis zuruck, wie er an dem trüben Wintertage 
mif dem Lehmader bei La Chapelle Vendomoise stand, beladen, 
wer nicht bedrücht von schwerer Verantwortung, und slunden— 
ang verriet keine Miene seines Antlitzes, keine Bewegung seines 
Körpers das, was in seinem Innern vorging. Voller Spannung 
varteten die in seiner Nähe sich aufhaltenden Stäbe auf die 
tutschließbungen des stillen Führers und auch die Truppe, 
die auf die durch den rieselnden Nebel ab und zu hörbaren 
Zanonenschiisse aus der Richtung von Vendome lauschte, schien 
ich der Schwere der Entscheidung bewußt und wartete still und 
eise auf das, was kommen sollte. 
Bald nach 2 Uhr fiel die Entscheidung. Von Vendome 
amen Meldungen, die keinen Zweifel ließen, daß es die 
rranzosen auf keinen Waffengang mehr ankommen lassen wollten 
nd sich zurüczogen. Sie waren am Ende ihrer Kräfte. Ven⸗ 
ome war nach leichtem Gefecht vom 10. Korps besetzt worden; 
ie Kanonenschüsse, die wir gehört hatten, waren auf ab—⸗ 
iehende Kolonnen gerichtet gewesen. 
Was nun? Eine energische Verfolgung des weichenden 
Feindes konnte auf den grundlosen Wegen der erschöpften 
ind hungernden Armee kaum zugemutet werden. Und doch 
däre eine solche das einzige und sichere Mittel gewesen, die 
ose gefügten und durch die Kämpfe, Märsche und Biwals der 
etzten Zeit noch mehr gelockerten Verbände der jungen Armee 
chanzys gänzlich zur Auflösung zu bringen. Aber wichtiger 
rschien zur Stunde die Sicherung von Orlé6ans gegen den 
»rohenden Anmarsch Bourbakis. Prinz Friedrich Karl gab 
ungesäumt dem 8. Armeekorps den Befehl, so schnell wie möglich 
nach Orléans zu marschieren. Um 8 Uhr nachmittags setzte 
iich die Divisiton in Bewegung. Der Marsch ging zuerst auf 
imergründlich tiefen Feldwegen, durch viele Dörfer, immer im 
zickzack in östliche Richtung, um die große Straße Blois— 
)xléans ungefähr beim Städtchen Mer zu erreichen. Es 
jurde früh dunkel, zu essen hatte es seit dem Frühstück 
seute morgen nichts gegeben. Der Nebel hatte sich in einen 
eise rieselnden, durchdringenden Regen aufgeiöst. Jedermann 
dar durchnäßt. Mühselig und langsam schleppte sich die 
Marschkolonne durch den bodenlosen Lehm. Der komman⸗ 
ierende General ließ den Truppen sagen, bei Mer werde er 
ine Proviantkolonne aufstellen, aus der solle Brot und Brannt⸗ 
hein gefaßt werden. Endlich, endlich war die Chaussee er⸗ 
eicht. Jeder freute sich auf die versprochene Labung und 
zachte, nun werde der Marsch kbequemer werden. In Mer 
rafen wir die 88er. Sie hatten an der Straße Halt gemacht 
und gerade waren die Kommandos vom Empfang bei der 
Proviantlolonne zurückgekehrt. Sie brachten die mitgenom— 
nenen Kochgeschirre mit Schnaps gefüllt mit, das Brot war 
alle geworden, es hatte beines gegeben. Da gossen die Leute 
die Kesselaus; sie sagten: ohne Brot wollen wir keinen Brannt⸗ 
wein trinken, sonst können wir nicht marschieren. Das Gepäck 
wurde wieder aufgenommen und die müden Fühe setzten sich 
wieder in Bewegung. 
Hatten wir gehofft, auf der Chaussee werde nun leichter 
marschiert werden können, so war das ein Irrtum gewesen. 
Zinen viertel Fuß hoch stand der dide Schlamm auf der Straße. 
die Steinschütrung war durch den viele Wochen langen ununter⸗ 
brochenen Verkehr der französischen Truppen wie unserer 2. Armee 
boltständig auseinander gefahren und zerwühlt. Tiefe Schlag— 
öcher brachten die Marschierenden zu Fall. Allenthalben lagen 
»ie Kadaver gefallener Pferde umher, die niemand aus dem 
Wege geräumt hatte. Zerbrochene Wagen, Gewehre, Tornister 
ind anderes Gerät lagen im Wege und hinderten den Marsch. 
dann kamen in der tiefen Dunkelheit stundenlang endlose 
Zagagen⸗, Proviant- und Munitionskolonnen, sowie die von 
Zivirfuhrleuten unter militärischer Aufsicht gelenkten Planwagen 
»er Fuhrparkkolonnen des 10. Armeekorps entgegen, auch wohl 
zerirrte Wagenzüge anderer Armeekorps. Die Straße war oft 
ollsiändig verstopft. Dann mußten unsere Regimenter stunden⸗ 
ang in Reihen oder zu einem in den halb mit Wasser ange⸗ 
üllten Chausseegräben marschieren. Ein Teil der Division 
vählte die parallel mit der Chaussee laufende Eisenbahn; 
»as Stolpern über Schwellen und Schienen und das tiefe 
Linsinken in die durchweichte Kiesschüuttung im Dunkeln war 
ruch keine Vergnũgungspromenade. Aber weiter, immer weiter, 
der Weg nach Orléans war noch weit. Spät in der Nacht, 
wischen 2 und 3 Uhr, trafen die Regimenter in ihren Quar— 
ieren zwischen Mer und Beaugency ein. Zu essen gab es nichts, 
»enn diese Gegend war eben noch der Schauplatz tagelanger 
Kämpfe gewesen. Wie sie waren, warfen sich die Leute 
ruf die Dielen der Massenquartiere; so konnten sie doch einmal 
ie müden Glieder recken und die schmerzenden Füße ausruhen. 
«Forksetzung folgt.)
	        
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