Wöchentlich 8maur (Wo. itags morgens und
abends, Sonntags morgens) erschelnend. Bezugs⸗
preis für das Vierteljahr 3,30 Mark einschließlich
Bringgeld in Lübeck. Durch die Post bezogen vhn«
Besteügeld 3,30 Mark. Einzelnummern 10 Vig.
V.
*
8
F
— 4 —
* —— 5 4
— —28 57 —A6 ——
* 3 — — —
G — * 4 * *
— J —
1 —
—
Angzeigenpreis (Ausgabe A und B) für die 8gepp.
Zeile 20 Pig. Nleine Anzeigen (Arbeitsmarkt usw.)
B Pig., fur Auswaͤrtige 30 Pfg., f. Geschãftl. Mit⸗
teilungen 1Mk. d. Zeile. Tabellen⸗ u. schwieriger
Satz den Anforderungen entsprechend höher. o 0
Beilagen: Vaterstädtische Blätter. — Der Familienfreund.
Y 3 burg. d.
jen und Hansestadt Lübed .Janragt Nachrichten für das Herzogtum Tauenburg.
—3 ve —Se — *43523 gurftentümer Ratzeburg, Lůbeck und das angren⸗
eid att: ese veende medlenburgische und holpeinische Geblet.
— Drud und Verlag: Gebrüder Soret⸗ G. m. b. S. in Lubed. — Geichäftsstelle Abreß Faus Roniaftr. 46). Fernidrecher 2000 1. 86001.
Abend⸗Blatt Ur. 34.
Qusgabe
. GGroße Ausgabe)
Donnerstag, den 19. Januar 191.
Erstes Blatt. hier⸗ Blatt.
— BZ„22882u————— e ααιαXα
Umfang der heutigac ———
Nichtamtlicher Teil.
Neue Klippen der Reichsfinanzreform.
Lübech, 19. Januar.
Es ist schon länast kein Geheimnis mehr, daß
gelegentlich der notwendigen Krankenkassenreform die Par⸗—
teien der Rechten und mit ihnen natürlich die Regierung
rine Aenderung des heutigen Verwaltungs⸗
systenmns der Krankenkassen durchsetzen wollen.
Die den Arbeitern seither eingeräumte Zweidrittel—
vertretung in den Kassenvorständen soll so viele
Unzuträglichkeiten herbeigeführt haben, daß die
Krankenkassen nur noch als sozialdemokratische
Rekrutierungs-und Versorgungsanstalten anzu—⸗
sprechen wären. Eine Verminderung des Arbeitereinflusses durch
Reduzierung ihrer Vertreter auf nur die Hälfte der Vorstands⸗
mitglieder soll jezt dem vielbemerkten Uebelstande ab—
helfen. Natürlich wurde damit auch eine Herabsetzung
der zu zahlenden Arbeiterbeiträge von zwei Drittel
auf ein Halb, und also eine Mehrbelastung der Arbeit-
deber um ein Sechstel Hand in Hand gehen.
Gegen diese Minderung der Arbeiterrechte haben seinerzeit
die politisch und gewerkschaftlich organisierten Arbeiter aller
VParteirichtungen energisch in Versammlungen und Zeitungen
»rotestiert und dabei selbst vereinzelte Zustimmung bei den
Arbeitgebern gefunden. Infolgedessen hat die Reichsfinanz—
ommission bei der ersten Lesung die Regierungsvorschläge der
Hälftelung abgelehnt und die Drittelung wieder eingesetzt.
In der zweiten Kommissionsberatung hat aber
iun der Regierungsvertreter ein sehr energisches
„unannehmbar“ ausgesprochen, und das Schidsal des
janzen umfangreichen Reformwerles von der Sälftelung
abhängig gemacht.
Natürlich konnten die Fraktionsvertreter in der Kommission,
die früher für die Drittelung gestimmt hatten, in dieser
zrundsätzlich so wichtigen Frage nicht ohne weiteres nachgeben.
Die Beschlußfassung über Hälftelung oder Dritte—
lung ist deshalb ausgesetzt, und die Kommissionsmitglieder
aus dem Zentrum und der Wirtschaftlichen Vereinigung haben
sich eine Besprechung mit ihren Fraktionsgenossen ausdrüclich
vorbehalten. Vielleicht darf man daraus schließen, daß die
Bedenken gerade dieser beiden Parteien gegen die
Regierungswünsche doch nicht unüberwindlich sind. Das
Zentrum freilich wird sich sehr überlegen müssen,
ob es angesichts der kommenden Reichstags-
wahlen seinen zahlreichen Arbeiterwählern gegenüber Zu⸗
geständnifse machen darf.
bee i Klippe scheint vorläufig allerdings jetzt alũdlich
umschifft zu sein, denn die Kommission hat den vorgestern noch
jo heftig umstrittenen 8 343 mit der knappen Mehrheit von
5 gegen 13 Stimmen angenommen. Bei diesem
Baragraphen handelt es sich bekanntlich um die Organisie—
ung der Landkrankenkassen. Auf Grund der Be—
timmungen des bestehenden Krankenkassengesetzes ist heute be—
reits in einer Reihe deutscher Bundesstaaten eine landesgesetz⸗
iche Krankenversicherungspflicht eingeführt. In Preußen war
venigstens durch ortsstatutarische Bestimmungen die Bildung
von Krankenkassen für einzelne Landkreise möglich. Das war
ijatürlich nur möglich unter Beachtung der allgemeinen reichs
esetzlichen Vorschriften, wonach den Arbeitern ausgiebige Mit⸗
virkung auf die Verwaltung ihrer Kassen zugestanden wird.
der genannte Paragraph der neuen Reichs⸗
ersicherungsordnung will nun allgemein
Landkrankenkassen einführen, aber den Land
irbeitern selbst jede Möglichkeit einer Mitwirkung bei der Ver—⸗
valtung dieser Kassen entziehen. Die Vorstände sollen nicht
gewählt, sondern durch die Organe der Gemeindeverwaltung
ernannt werden. Außerdem sind noch völlig unzureichende
Leistungen vorgesehen, weil angeblich sonst der kranke Land⸗
ibeiter bei Fortbestehen seiner Naturalbezüge durch Aus—
ahlung von Krankengeld besser gestellt werde als der gesunde
dandarbeiter. Die Vertreter der bürgerlichen und
ozialdemokratischen Linken und die Arbeitervertreter im Zentrum
zatten also nicht unrecht, wenn sie diese Be—
immungen eine erhebliche BVerschlechterung der
»hnedies von der deutschen Sozialpolitik üümmerlich bedachten
Landarbeiter nannten.
Bei der Abstimmung über diesen 8 343 war es nun sehr
nteressant zu sehen, daß sich die Arbeitervertreter aus dem
zentrum auf die Seite der Opposition schlugen. Es wurde
ruuch ausdrücklich erklärt, daß das Zentrumg etrennt
abstimmen werde. Wenn man das wörtlich nehmen
dürfte, so wäre trotz des vorläufigen Sieges der
Regierung in der Kommission doch der 8 343 und
amit das Gesamtwerk später im Plenum aufs höchste
refährdet. Es bedürfte zu der geschlossenen Opposition der
Sozialdemokratie, der Fortschrittlichen Volkspartei und der Polen
ur eines erheglichen Bruchteiles des Zentrums, um den
aragraphen zu Fall zu bringen. In Wirklichkeit werden
aber wohl die wenigen Arbeitervertreter im
zentrum nur geringen Juzug von dem demo—
kratischen Flügel ihrer Partei erhalten. Das Zentrum
in seiner überwiegenden Mehrheit wird schließlich doch wohl —
nach dem Umfall in der Konmission zu schließen — die
Wünsche der Regierung höher stellen. als die seiner
zahlreichen Arbeiterwähler.
Demnach würde denn auch das Schicksal des ganzen
e¶
Reformwerkes bei genauerer Prüfung der Stimmung in den
einzelnen Parteien nicht ganz so gefährdet erscheinen,
wie es in diesen letzten Tagen aussah. Schliebßlich werden
sich auch unter den opponierenden Parteien einzelne Vertreter
finden, die den praktischen Wert der Gesamtreform höher
einschätzen, als die noch so schwerwiegenden theoretischen und
praktischen Bedenken gegen einzelne Paragraphen.
zwei Fragen zur Kieler Katastrophe.
25 Mann gerettet (nicht, wie nach den ersten Meldungen,
27), 3 tot! Dieses erschütternde Resultat der Kata—
trophe des Unterseebootes „U. III“ in Kiel läht wohl bei jedem,
der die aufregenden Nachrichten über den Unfall und über die
Rettungsarbeiten mit Anteilnahme verfolgt, zunächst die Frage
auftauchen: Hätten nicht ebensogut wie die 20 Mann im
Vorderraum des Schiffes auch die 3Z wackeren Seeleute
m Bootsturm, nämlich Kapitänleutnant Fischer, Leutnant
Kalbe und der Matrose Rieper, gerettet werden
können?
Das Sebeschiff, Vulfan“ ist bekanntlich seinerzeit zu dem
zestimmten Zwech gebaut und eingerichtet worden, um den
nansöverierenden Unterseebooten als Begleite und Rettungs-
dampfer zur Seite zu stehen. Als die Gefährdung des
‚U. III eintrat, war der „Vulkan“ nicht unter
Dampf, sondern in Reparatur auf der Werft,
obwohl gerade jeßt die Uebungen der Unter see
boots-Flottälsebegonnen hatten. Liegt hierin ein
Versäumnis vor, das drei wackeren Seemännern das Leben
gekostet hat? Denn wäre der „Vulkan“ auf dem Poijsten
gewesen und hätte er nicht zur Unglücksstelle durch andere
DTampfer geschleppt werden müssen, so wäre viel Zeit, ja
dadurch vielleicht alles gewonnen gewesen. Das Leben der
drei im Turm des Unterseebootes Eingeschlossenen hing an
einem Faden, hing vielleicht von wenigen Viertelstunden ab.
Denn als man sie endlich aus dem Turm zog, gaben sie
noch einige Lebenszeichen von sich. Toch es war zu spät, um
zjanz kurze Zeit zu Pät. Die Kieler Katastrophe hat be—
wiesen, daß man doch in der Sorglosigkeit und Kühnheit
der Friedensübungen vielleicht etwas zu weit gegangen ist.
Ueber die Ursache des Sinkens und Kippens des „U. III“ wird
die Oeffentlichkeit aus militärischen Gründen wohl wenig Ge—
naues erfahren. Der öffentlichen' Meinung liegt allerdings
auch weniger daran, die Geheimnisse des Unterseeboots⸗Apparats
uu erfahren. Vielmehr möchte sie die Gewikßheit erhalten,
daß alles geschieht, um Fehler, die hier vielleicht gemacht
worden sind, künftig nach Menschenmöglichkeit auszuschalten,
ind dah der Ruf der besonderen Gründlichkeit und Vorsicht,
den die deutsche Unterseebootstechnit genießt, keinen Schaden
erleidet. Deshalb hätte man gern näheren Aufschluß uüber die
eigentliche Ursache. War es ein Konstruktionsfehler, ein Be—
VCREEDC
ging ein Zittern. Ein wildes Donnern, Wogen und Brausen
war in der Luft. F
Schwer hing der Nebel herab und hüllte alles in ein
wogendes, graues Meer.
In dem einsamen Haus des leinen, weitgestreckten Mar—⸗
schendorfes, dort, wo die Dünen mächtig ansteigen, fast im
Sande vergraben, brannte ein Licht. Es war eine große,
niedere Seemannsstube, aus der es hinausleuchtete in die
türmische, dunkle Winternacht.
Die Wiedingharde, so hießk das Haus, war Elke Thornsen
zu eigen.
Der Alte saß still in dem großen Lehnstuhl am flammenden
Herde, dessen breite Kachelwand sromme Bilder sinnig schmüdten,
und horchte auf den Sonnwendsturm.
Die Scheiben klirrten und die alte rostige Wetterfahne auf
dem moosigen Schilfdach knatterte und stöhnte.
Der Alte legte die Hand ans Ohr.
„Rief nicht die Nebelfrau, Torret?“ fragte er.
„Nein, Großvader,“ entgegnete das junge Mädchen, das,
die Hände um die Knie geschlungen, auf einem niederen
Schemel hockte und in die Hardflammen starrte. „Es ist
der Sturm.“
„Hoiahoi! Jetzt höre ich es ganz deutlich, Dorret. Olaf
ollte an den Strand gehen, zu sehen, ob er nicht helfen kann.
hoiahoi, so rief sie damals auch in der Sturmnacht, als
deine Mutter zugrunde ging.“
„Ihr solltet schlafen gehen, Vader,“ mahnte eine tiefe
Maännerstimme von der anderen Seite des Herdes her, wo Olaf,
der Sohn des Hauses, emsig an einem großen Fischerneß
ridte. „Es ist bald Mitternacht und der Sturm nimmt zu.
Thialda wird euch geleiten.“
Die alte getreue Magd und Hürerin der Wiedingharde
stellte gehorsam ihren Roden gegen die Wand und trat auf
Ekle Thornsen zu. J
Zurüch!“ rief der Alte, gebieterisch die Hand erhebend.
„Was lört ihr mich? Hört ihr nicht die Notschüsse über die
Deiche rollen? Seht iihr nicht die Raketen steigen, die Hilfe—
cuke gellen? Menschen sind an Gefahr, Menschen! Hoiahodi!“
Langgezogen kang der Seemannsruf durch das jtille Ge—
mach. Schauerlich jönte e8 von den Wänden wieder
Die Nebelfrau.
Roman von Anny Wothe.
(2. Fortsetzung.) Machdruck verboten.)
Gräfin Fridruns lodiger Kopf wurde durch die Türspalte
sichtbar. Befremdet, mit fast entletzten Augen starrte sie auf
das Paar, das noch immer ganz selbstwerloren verharrte und
zar nicht wußte, daß es sich bei den Händen hielt.
„Komm nur herein, Fridrun,“ forderte Undine sie auf, und
es schien Reimar, als klänge ihre Stimme kalt und hoch—⸗
mütig. „Ich habe mich soeben mit Graf Randolt verlobt.“
Ein gellender Schrei klang von der Tür her, und mit
pumpfem Fall stürzte Fridrun zusammen.
Einen Augenblick senkten sich Undines und Reimars Augen
kest ineinander.
„Die war es!“ schien einer in des anderen Augen zu lesen,
»ann aber schritt Undine gelassen zur Tür.
„Es hat nichts zu sagen,“ bemerkte sie ruhig. „Es ist
einer von Fridruns gewöhnlichen Anfällen, die sich immer bei
Heinen seelischen Erregungen einstellen.“
Sie spritzte ihr energisch ein wenig Wasser ins Gesicht
ohne allzuviel Rüdsicht auf die braune Lodenpracht zu nehmen,
und Fridrun schlug dann auch bald die Augen auf, verstört
nd zweifelnd um sich bligend.
Aber Graf Reimar fand ihr Auge nicht. Er hatte still
das Zimmer verlassen.
„Ist es wahr?“ schrie sie plötzlich auf. „Du, du hast
as8 gewagt?“ — J
„Ja,“ sagte Undine eisig. „Ich habe mich zu eurem, vor
aMem zu deinem Besten soeben verkauft.
Und ohne Fridrun weiter Rede zu stehen, ging sie aus
dem Zimmer, die Füße waren ihr bleiern schwer.
Fridrun sah ihr verstört, zweifelnd nach. Dann aber
—X wie wahnsinnig auf und ihre Hände tief in die
zraune Haarflut grabend, jammerte lie:
„Verloren! Wieder verloren durch dieses niederträchtige,
ernlose Geschöpfh, das nur da ist mir das Leben ar Last
und Qual zu machen, aber ich woill mich rächen, schrecklich
Achen. Ich kenne meine Macht und seine leude Schwäche.
—A
Und obgleich die Fühe sie kaum trugen, schwankte sie doch
jerüber nasch dem Speisezimmer. Er mußte ja gleich zum
Tee erscheinen, da wollte sie ihm dann noch ein paar passende
Worte zu der unpassenden Verlobung in einem Trauerhause
agen. *
Aber so lange sie auch wartete, weder Reimar noch Undine
amen zum Tee. UW——
Undine saß am Bettchen ihrer kleinen Schwester und starrte,
die Hände verzweifelt gefaltet, m das rosige Kindergesichtchen,
das lächelnd auf den weißen Kissen schlummerte. Wie ein
doldener Kranz lagen die blonden Locken auf dem Bettchen
um das zarte Antlitz der Kleinen, an deren seidenen Wim—
pern noch eine glänzende Träne hing.
„Lorl,“ flüsterte Undine bang. „Lorl, höre mich, Lieb—
ling. Für dich muß es sein. Du wirst reich, du wirst
zRücklich sein, wie es unser Vadding so sehr gewünscht, und ich
werde im Dunkeln stehen, ganz. im Dunkeln.“
Das Kind lächelte im Schlaf und griff mit seinen Neinen
rosigen Händchen in die Luft.
„Lorl will eine Krone haben,“ flüsterte sie im Schlaf.
„Lorl will Märchen spielen. Lorl will alles haben. Lorl
braucht alles.“ w BFb
Erschreßt nahm Undine das RNinderköpfchen zwischen ihre
hände. aeh et it e J
Das unheilpolle Erbtell der Mutter. Alles haben, das
vollte Fridrun auch. Dieses Kind die rechte Bahn zu führen,
hres Vaters Herzblatt dem unheilvollen Einfluß der Mutter
ernzuhalten, seine reichen Anlagen so zu entwickeln, vaß Lorl
in tüchtiges und brauchbares Wienschentkind wurde, das war
vohl ein zerbrochenes Leben wert.
Inbrünstig kühte sie das zarte Händchen des Kindes.
Undine war jetzt ganz ruhig geworden. Grabesdumpfschluchzten
die Wellen herüber von dem weiten Meer. Der Sturm heulte,
und es war Undine, als fähe da drüben auf der starren
Klippe, die so gespenstig aufragte, im Mondennebel eine grin⸗
ende Gestalt. Das war der Tod. Er lachte wohl über
hre gestorbene Jugend.
41 e .
Ter Swurm raste. Mit dumpfem Brausen donnerten die
Mooen au deu Eneand Dach die sturmerprobten Dünen