Full text: Lübeckische Anzeigen 1911 (1911)

Taktik wünschen, daß der Hansabund nicht mehr den satzungs⸗ 
gemähen wirtschaftspolitischen Kampf gegen die Uebergriffe 
»es Bundes der Landwirte führe, sondern einen gesetzwidrigen 
Zampf gegen alles, was links steht, aufnehme. Der Hansa— 
zund wird, gestützt auf die begeisterte Zustimmung weiter 
dreise des deutschen Gewerbestandes sein Programm unbe— 
irrt fortsetzen und durchführten. Seine Aktionskraft 
und Geschlossenheit werden durch Ihren 
Schritt nicht gemindert.“ 
Sollten diesem Briefwechsel nicht vielleicht einige persön—⸗ 
iche Reibereien im Präsidium vorhergegangen sein? Wir möch— 
en fast annehmen, daß der ausgeschiedene Landrat Rötger mit 
»er Stellung, die er im Hansabunde einnahm, nicht recht zu—⸗ 
rieden gewesen ist. Sowohl auf dem Hansatage noch sonst,; 
jat man von seiner Wirksamkeit verhältnismäßig wenig ver— 
pürt. Auf jeden Fall ist sein Austritt geeignet, dem Ge— 
deihen des Hansabundes unter Umständen einen empfindlichen 
Schaden beizufügen. 
Der Seeleutestreik gescheitert. 
(Telegramme.) 
Wir brachten bereits gestern abend die Nachricht, daß 
die englischen Seeleute in London Verhandlungen angebahnt 
zätten. Die bis jetzt vorliegenden Drahtmeldungen aus Hol— 
rand lauten ähnlich: 
W. Rotterdam, 22. Juni. In einer gestern abgehaltenen 
Versammlung der ausständigen Seeleute erklärte der Vor— 
itzende, daß der Verband bereit sei, über eine Lohnerhöhung 
inter Beiseitelassung aller anderen Forderungen zu verhandeln. 
Im Amsterdam sind abermals ein paar Dutzend deutscher 
Zeeleute zur Aushilfe eingetroffen und unter dem Schutz der 
Polizei eingestellt worden, wie aus folgender Drahtmeldung 
zu ersehen ist: 
W. Amsterdam, 22. Juni. Heute nacht trafen mit der 
Bahn etwa 30 deutsche Seeleute ein und begaben sich nach 
dem Bureau der Compagnie Royale Maritime. Die Polizei 
richtete einen strengen Ordnungsdienst ein, um Belästigungen 
der Deutschen durch die Ausständigen zu verhindern. Bei An—⸗ 
kunft auf dem Bahnhof wurden die Deutschen von den Aus— 
tändigen ausgepfiffen. Die Polizei machte von ihrer Waffe 
ßebrauch. Einige Personen wurden verletzt. Auf dem Bahn— 
zofe wurde eine Verhaftung vorgenommen. 
Wt. Amfterdam, 22. Juni. Nach einer Versammlung 
der Seeleute versuchten zweihundert Ausständige einen Zug 
zu bilden, wurden aber durch die Polizei verhindert. Die 
Seeleute bewarfen die Polizei mit Steinen, wo— 
cauf diese blank zog. Drei Seeleute wurden verletzt; zwei 
Verhaftungen wurden vorgenommen. 
Wit. Rotterdam, 22. Juni. Im Zusammenhang mit dem 
Seeleuteausstand ereignete sich in der letzten Nacht ein be— 
venklicher Zwischenfall. Die entlassene Mannschaft des 
Ddampfers „Maashaven“ erstieg den Dampfer mit Hilfe einer 
Schaluppe und schlug die Türen des Mannschaftslogis ein, 
im die neue Mannschaft anzugreifen. Erst als die Offiziere die 
Revolver gebrauchten, zogen sie sich zurück. Infolgedessen stellte 
der Polizeikommissar allen Kapitänen, die den Wunsch äußerten, 
nit Karabinern bewaffnete Polizeibeamte zur Verfügung. 
—— 
die herbsttagungen der großen protestantischen 
Verbände. 
Der Herbst bringt gewöhnlich drei große bedeutsame Ta— 
zungen evangelischer Vereine. Bekanntlich wird die 24. Ge— 
teralversammlung des Evangelischen Bundes 
zom 5.-8. Oktober in Dortmund stattfinden und unter dem 
ßesichtspunkt stehen: „Die nationalen Aufgaben des deutschen 
Piotestantismus“. Vorher geht die 63. Jahres versam m⸗ 
rung des evangelischen Vereins der Gustavp- 
Adolf-Stiftung, die in Frankfurt a. M. stattsindet, wo 
m Jahre 1845 die Konstituierung des Gesamtvereins und dann 
im Jahre 1877 schon eine Hauptversammlung abgehalten wurde. 
Die diesjährige Tagung weicht insofern von der bisher beob— 
ichteten Ordnung ab, als ein Somtag in die Feier mit 
einbezogen ist, so daß die Verhandlungen am Sonnabend, 
dem 23. September, beginnen und am Montag, dem 25. Sep⸗ 
rember, geschlossen werden. Vom 25. bis 28. September soll der 
36. Kongreß für innere Mission in Stettin zu— 
ammentreten. Von den Fragen, deren Behandlung auf diesem 
Kongreß in Aussicht genommen sind, seien hervorgehoben: 
„Innere Mission und Einzelgemeinde“, Berichterstatter Professor 
). Gennrich-Breslau; „Unsere Stellungnahme zur öffentlichen 
agitatorischen Bekämpfung des Christentums und der Kirche“, 
Professor D. Kühl-⸗Göttingen; „Einrichtung und Förderung der 
ꝛwangelischen Arbeiterinnenvereine“, Frl. v. Feldmann-Hannover 
1. a. Einen bemerkenswerten Fortschritt in den Beziehungen 
»es evangelischen Deutschlands zu den Volks⸗- und Glaubens— 
zenossen in Südamerika bedeutet es, daß der Evangelische 
Iberkirchenrat in Berlin den Generalsekretär des Gustav-Adolf- 
Bereins, Pastor Braunschweig, zum Vertreter der preußischen 
Landeskirche in Brasiiien ernannt hat. Zum Nachfolger hat 
der Zentralvorstand den Pfarrer Geisler an der Nazarethkirche 
in Berlin berufen, der früher in der Diaspora in Bosnien 
ätig gewesen ist. 
Reuesfte Nachrichten und Telegramme. 
Die Spanier in Marokko. 
Paris, 22. Juni. Wie aus Tanger gemeldet wird, teilte 
der gestern in Elksar eingetroffene spanische Oberst Sylvestro 
dem Gouverneur mit, er übernehme nunmehr die gesamte 
Verwaltung der Stadt, die Leitung des Gesundheitswesens 
und die Aufrechterhaltung der Ordnung. Dieselbe Mitteilung 
nachte der Qberst dem französischen Hauytmann Morreau, der 
ich in Budena bei Elksar befindet. Dies alles beweist, daß 
hie Spanier die Besetzung Elksars keineswegs als eine pro— 
oisorische ansehen. 
Zum französischen Liquidatorenskandal. 
WV. Paris, 22. Juni. Nach der Urteilsverkündung im 
Prozeß Duez beschlossen die Geschworenen unter Hinweis auf 
die im Prozeß zutage getretenen Tatsachen, an den Justiz- 
ninister eine Resolution zu richten, in der sie ihr Bedauern 
darüber ausdrücken, daß die Interessen der Armen und Be— 
dürftigen ohne jede wirksame Ueberwachung den gerichtlichen 
Liquidatoren preisgegeben seien, und daß die Notare eben— 
falls ohne jede wirksame Kontrolle Unregelmäßigkeiten, Fäl— 
chungen oder Veruntreuungen begehen könnten. Schließlich 
drückten die Geschworenen den Wunsch aus, es möchten ent— 
chiedene Maßnahmen getroffen werden, um die gerichtlichen 
iquidatoren, Notare und ähnliche Funktionäre einer strengen 
debezaachung seitens des Staates zu unterwerfen. 
Budapest, 22. Juni. Der Pesti Hirlap veröffentlicht eine 
Interredung mit dem WMiinisterpräsidenten Baron Khuen— 
zedervary, der zu dem Ergebnis der österreichischen Wah— 
en erklärte, daß sie Bienerths Stellung nicht erschüttert, höch— 
tens erschwert hätten. Die Hauptsache sei, daß durch das Er— 
nebnis der Wahlen die unbedingte Durchführung der Wehr— 
reform im österreichischen Reichsrat gesichert werde. 
Wt. Barcelona, 22. Juni. Bei einer Prozession kam es 
in Albira zu einem Zusammenstoß zwischen Karlisten und Re— 
publikanern, wobei Schüsse abgefeuert und zahlreiché 
Personen verletzt wurden. 
heer und Flotte. 
W. Berlin, 22. Juni. Angekommen: „Sperber“ am 
21. Juni in Torquay (England), „Panther“ am 21. Juni in 
Ddakar, „von der Tann“ am 20. Juni in Southampton, 
„Hohenzollern“ und „Sleipner“ am 21. Juni in Kiel. 
Die Schiffe der Reservedivision, die Linienschiffe „Kaiser 
Wilhelm II.“ und „Brandenburg“, sind von der Sommerreise 
von Norwegen nach Kiel zurückekehrt. 
kieler Woche. 
V. 
Kiel, 22. Juni. 
Der Kaiser besichtigte heute vormittag einige Neue— 
ungen auf der Werft. Gegen mittag empfing er an Bord der 
„Hohenzollern“ den Zentralvorstand des Flottenbundes deut— 
cher Frauen und nahm später militärische Meldungen ent⸗ 
segen. Zur Frühstückstafel beim Kaiser waren geladen: Prinz 
Paldemar, Großadmiral v. Tirpitz, Vizeadmiral v. Heeringen, 
Konteradmiral Henkel und Konteradmiral Schütz. 
Der Chef des Zivilkabinetts v. Valentini ist heute 
norgen nach Potsdam abgereist. 
* un 
Me 
Binnenwettfahrt der 85⸗m⸗R.⸗Klaffe auf dem Kieler Hafen. 
deranstaltet vom Kaiserlichen Jachtklub und vom Norddeutschen 
Regatta⸗Verein. 
(Sonderbericht der Lübeckischen Anzeigen.) 
X Kiel, 22. Juni. 
Die Wettfahrt der kleineren Jachten nahm heute um 9 Ahr 
»ormittags ihren Anfang. In der 83-—m-Klasse gewann „Tai— 
unn“ den ersten Preis (Preis der Stadt Kiel) in 2 Std. 
Min. 9 Sek., den zweiten Preis „Woge“ in 2 Std. 5 M 
35 Sek., den dritten Preis „Doniy XIV“ in 2 Std. 8 M. 32S. 
In der 7—m-Klasse errang „Melusine II“ den ersten Preis in 
2 Std. 4 M. 40 S.; in der 6m-Klasse wurde „Schelm“ 
n 2 Std. 13 M. 21 S. erstes Boot, „Gefion III in P Std. 
14 M. 12 S. zweites Boot, „Windspiel XV in 2 Std. 15 M. 
25 Sek. drittes Boot, „Harald“ IV“ in 2 Std. 17 Min. 59 
Sekunden viertes Boot. In der 5—m-Klasse gewann ,Bajazzo“ 
Hen ersten Preis in 2 Std. 27 M. 40 S., „Titania“ den tzzweiten 
Preis in 2 Std. 29 M. 30 S. Es weht ein Wind won 4 
is 5 m Stärke aus Südwest zu West. 
* 
III. deutsch⸗amerikanische Segelwettifahrt. 
GSonderbericht der Lübeckischen Anzeigen.) 
XKiel, 22. Jun. 
Bei prächtigem Regattawetter wurde heute mittag 12 Uhr 
die Wettfahrt der deutsch-amerikanischen Jachten um den Po— 
al des Kaisers und des Prinzen Heinrich erledigt. Erstes 
ß30ot wurde „Bibelot“ in 2 Std. 37 Min, zweites „Bea— 
»er“ in 2 Std. 39 Min. 34 Sek., drittes „Seehund“ 
in 2 Std. 41 Min. 54 Sek., viertes „Cima“ in 2 Std. 
15 Min. 541/3 Sek., fünftes „Tilly XIV“ in 2 Std. 43 Min. 
3 Sek., „Wannsee“ startete nicht infolge Gaffelbruches. 
Der deutsche Rundflug 1911. 
Kieler Fluͤgwoche. 
Kiel, 22. Juni. 
Der Apparat des Fliegers Wiencziers ist noch Mittwoch 
ibend abmontiert und auf einem Güterwagen verladen wor—⸗ 
»en. Die Arbeiten wurden sehr erleichtert dadurch, daß in 
er Nähe des Landungsplatzes sich ein Anschlußgleis der Staats— 
‚ahn befand. Der Apparat ist inzwischen in Kiel AUnge— 
roffen. 
Der Flieger Lange versuchte Mittwoch abend von neuem, 
diel auf dem Luftwege zu erreichen. Lange hatte indessen 
as gleiche Mißgeschick wie vor einigen Tagen, er geriet in 
inen Graben, wobei sich die Achse verbog, außerdem brach 
ver Rahmen. 
Oberingenieur Hirth, der auf dem Rückfluge von Eutin 
bei der Landung in Kiel ein kleines Pilotenkunststück ausge— 
ührt hat, mußte, da ihm das Benzin ausgegangen war, 
einen Apparat „Taube!“ abmontieren, da derselbe aus den 
Knicks nicht leicht zu transportieren war. Donnerstag mittag 
var die „Taube“ wieder fix und fertig in der Halle. 
Das Interesse des Kaisers. 
Der Kaiser verfolgte, wie die Kieler Zeitung berichtet, 
bon Bord der „Hohenzollern“ aus die am Abend veranstalteten 
Flüge mit regem Interesse. Er erkundigte sich noch spät 
ibends, ob die „Taube“ glücklich gelandet sei. Auch die 
Brinzessin Heinrich, die auf dem Sportplatze war, so⸗ 
vie Prinz Waldemar beglückwünschten den Oberingenieur 
zirth zu seinem großen Erfolge. Prinzz Waldemar be— 
vies sein persönliches Interesse an dem Schichal des plötzlich 
ur Landung genötigten Piloten dadurch, daß er sich mit 
einem Adjutanten sofort auf den Weg machte, um dorthin 
u gelangen, wo der Flieger lag. Seinem Eifer wurden nur 
urch die festen Knicks und die vielen Stacheldrähte Einhalt 
eboten. 
d 
Der deutsche Rundflug, der für mehrere Tage durch die 
eichen Ereignisse der Kieler Flugwoche unterbrochen war, hat 
»enn die Zeilen in die Hände der Leser gelangen, heute, 
freitag früh 4 Uhr mit dem Start für die fünfte Etappe 
diel —Lübeck — Lüneburg seinen Fortgang genommen. 
)der Flug auf dieser 147 km langen Tagesstrecke führt zum 
keil über die Lüneburger Heide, die für die Organisation des 
zanitäts- und Nachrichtendienstes recht erhebliche Schwierig— 
eiten bot. Die Flieger werden aber voraussichtlich direkt 
iie Bahnlinie halten, so daß eventuelle Notlandungen durch 
ie Bahnwärter weitergegeben werden können. Falls die Flie— 
er nicht direkten Kurs von Kiel nach Lübeck, das als 
wischenlandungsstation vorgeschrieben ist, und von dort nach 
üneburg nehmen, können sie von Lübeck aus, das über 
Zlön und Eustin erreicht wird, zunächst dem Elbe-Trave—⸗ 
tanal fahren. Sie erreichen dann bei dessen Einmündung 
in die Elbe Lauenburg, von wo aus bereits die Türme Lüne— 
ourgs sichtbar sein dürften. 
Es ist auf dieser Etappe wieder auf eine starke Betei— 
ligung der in Kiel anwesenden Flieger zu rechnen. Es wird 
nach den bis Donnerstag abend vorliegenden Nachrichten von 
Uhr ab der Start von Büchner, Schauenburg, Lind— 
vaintner, Thelen, Wiencziers, König, Rei— 
chardt, Dr. Wittenstein, Laitsch, sowie von Voll⸗ 
möller auf der Sirthschen „Taube“ erwartet. 
Nach einem uns zugegangenen Telegramm würden sich vor— 
aussichtlich 7 bis 9 Flugzeuge am Start Kiel—Lübeck be— 
teiligen. 
Luftfahrt. 
Wt. Verlin. 22. Juni. Nach einem beim Berliner Verein 
für Luftschiffahrt eingegangenem Telegramm wurde auf den 
Ballon „Berlin“, der am Dienstag in Schmargendorf 
aufgestiegen ist, beim Passieren der russischen Grenze am Mitt⸗ 
woch eine große Anzahl von Schüssen von den russischen Grenz⸗ 
wachen abgegeben. Die Insassen wurden nicht verletzt. Die 
Landung vollzog sich Mittwoch glatt in der Nähe von Senzburg. 
Wt. Samburg, 22. Juni. Der erste Aufstieg des Luft⸗ 
schiffes „Parse val“ erfolgte um 6 Uhr 15 Min.; die 
Rückkehr erfolgte um 6 Uhr 40 Min. Es war eine kleine 
Fahrt zu niedrigen Preisen. Um 8 Uhr fand der zweite 
Aufstieg statt. Nach einer bis 9 Uhr währenden Fahrt landete 
das Luftschiff sehr glatt. An der Fahrt nahmen verschiedene 
Damen vom Kinderhilfstage teil. 
„Parseval VI“ ven Sauburg. Wie der Hansaluftverkehr 
mitteilt, ist am Freitag Lüneburg und am Sonntag Oldenburg 
als Ziel in Aussicht genommen. 
G 
Vermischtes. 
Ein Chitkagoer Sherlock Holmes bei der Krönung. Man 
schreibt aus London: Scotland Yard, die hiesige Kri— 
minal-Polizeibehörde, hat für die Krönungs⸗ 
tage den hervorragendsten und geschicktesten amerikani— 
schen Detektiv aus Chikago kommen lassen, der, wie 
es heißt, die amerikanischen Diebe wie ein Buch kennt und 
zie Verbrecheraristokratie ausstudiert hat. Es ist derselbe 
Detektio, der den gestohlenen Gainsborough nach 25 Jahren 
vieder entdeckt hat. Nun können die stattlichen Reihen eng— 
ischer Peeresses, die aus der Newyorlker Geldaristokratie 
tammen, getrost ihre Juwelen in der Westminster Abtei 
produzieren: ein einheimischer Sherlock Holmes wacht über sie 
Die Kranzler⸗Ecke in Beriin. Zu der von einigen 
Blättern gebrachten Nachricht, daß die Kranzlerschen Erben 
nit der Stadt Berlin wegen Verkaufs der Kranzler-Ecke 
Unter den Linden, Friedrichstraße) in Unterhandlungen 
tehen, deilt der Konfektionär mit, daß ein solcher Verkauf 
zurzeit nicht möglich ist. Der verstorbene Hofkonditor Kranz⸗ 
ler hat die Stadt Berlin und seine Angehörigen zu gleichen 
Teilen zu Erben seines gesamten Nachlasses eingesetzt, so 
daß die Stadt Berlin jetzt auch Mitinhaberin der Firma 
J. G. Kranzler ist. Die Stadt will nun das Grundstück er— 
werben und hat den Kranzlerschen Erben einen Kaufvor— 
chlag gemacht. Diese taxieren den Wert des Grundstücks 
ruf zwei Millionen Mark, was aber Berlin nicht aner— 
ennt. Infolgedessen ist jetzt ein Auseinandersetzungsprozesj 
mhängig gemacht, vor dessen Beendigung ein Verkauf des 
Frundstücks ausgeschlossen ist. Das Grundstück soll zur Ver— 
»reiterung der Friedrichstraße Verwendung finden. Die Firma 
J. G. Kranzler bleibt jedoch auf alle Fälle unverändert be— 
tehen. 
uc. Nutzbarmachung der Sonnenwärme. Zur selben Zeit, 
wo man in den Vereinigten Staaten die Kraft des Win— 
des und der Gezeiten auszunutzen sucht, stellt man seit län— 
gerem interessante Experimente an, die in der Sonnenbe— 
trahlung enthaltene Energie der Technik dienstbar zu machen. 
Der amerikanische Ingenieur Brush hat sich, wie man weiß, 
mit der Verfolgung derartiger Ideen besonders beschäftigt. 
Er konstruierte eine sehr sinnreiche Windmühle, welche die 
ein Haus mit Licht versorgende Dynamo treibt; dabei ist 
für die Zeiten der Windstille die Aufspeicherung der 
Elektrizität in Akkumulatoren vorgesehen. Die Sonnenenergie 
wird auf folgende Weise „in Dienst genommen“: Brussh 
erbaute einen parabolischen Spiegel von 5 m Durchmesser, 
der selbst hinwiederum aus 1788 kleinen Spiegeln besteht; 
diese konzentrieren das Sonnenlicht auf einen Kessel, der 
Dampf zu 12 Atmosphären liefert. Nach ungefähr einer 
Stunde intensiver Sonnenbestrahlung kann die mit dem 
Dampfkessel verbundene Maschine in Tätigkeit gesetzt wer— 
den. Die Kosten dieser Anlage sind übrigens bis jetzt noch 
io hoch, daß sie als unrentabel bezeichnet werden muß. 
uc. Denutsch. Der 1863 zu Bern verstorbene berühmte 
Mathematiker Jakob Steiner stammte aus einer armen Bauern⸗ 
amilie in der Schweiz, lernte erst mit 14 Jahren in der 
seimatlichen Dorfschule schreiben und hütete als Junge das 
Vieh. Nach seinem Aufenthalt bei Pestalozzi und Studium 
n Heidelberg wurde er mit 25 Jahren Privatlehrer der 
Mathematik zu Berlin, wo er sich anfänglich kümmerlich mit 
Privatstunden durchschlagen mußte. Aber sein Ruf wuchs schnell, 
o daß er 1834 Professor an der Universität und Mitglied 
»er Alademie der Wissenschaften wurde. Als er einst zit 
euner Hofgesellschaft geladen war, saß ihm schräg gegenüber 
in hoher Würdenträger, dem die Anwesenheit des Gelehrten 
jöchst überflüssig erschien. Um ihn zu ärgern, fragte er 
iber Tisch: „Sagen Sie mal, mein lieber Professor, ist es 
denn wirklich wahr, daß Sie als Knabe die Kühe auf die 
Weide getrieben haben?“ „Jawohl, Exzellenz“, antwortete 
Steiner mit vollster Seelenruhe, „und seitdem besitze ich 
die unschätzbare Gabe, jedes Rindvieh schon von weitem 
zu erkennen!“ 
Verbredsejagd. Aus Eintrachthütte wird unterm 21. Juni 
nemeldet: Als heute nachmittag der Pfarrer und die beiden 
Heistlichen von Eintrachthütte bei Tische saßen, betralen zwei 
Individuen das Pfarrhaus. Einer der Kaplane öffnete die 
dür und fragte nach dem Begehr. Hierbei wurde er gewahr, 
daß einer der beiden Männer einen Revolver bei sich trug. 
Er ging in das Zimmer zurück und meldete dem Pfarrer, 
dak die beiden Männer ihn zu sprechen wünschten. In 
diesem Augenblick schossen die beiden auf die Geistlichen. Diese 
schlugen die Tür zu und riefen um Hilfe. Der Kutscher, 
der die Rufe hörte, bieß die Hunde los. Außerdem kam 
Volk und Polizei herbeigeeilt. Die Banditen ergriffen hier— 
nuf die Flucht und wurden sofort verfolgt. Bei der Ver— 
solgung feuerten Polizei und die beiden Banditen aufeinander. 
hierbei wurde ein Polizist an der Hand verletzt und einer 
»er Verfolgten am Kopfe. Schließlich wurden beide festge— 
tommen. Sie verweiagerten iedoch die Auskunft üher ihre Per— 
onalien.
	        
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