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Beilagen: Vaterstädtische Blätter. — Der Familienfreund.
Amtsblatt der freien und hansestadt Lübecd 16. Jahrgang nachrichten für das Herzogtum Lauenburg, die
Beiblatt: Gesetze und Verordnungsblatt ?V —— Fürstentümer Ratzeburg, Lübed und das angren⸗
—— ιαααννNσαεοαασσ — S ——— jende medlenburgische und holsteinische Gebiet.
2und Verlag: Gebrũder —A am. b. S. in Lũbed. — Gelchãfisstele Adreß baus (Koniaste. 46). Ferniprechet —VW— — 9001
A. GEGroße Ausgabe) Dienstaqg, den 20. Juni 1911.
Ausoabe
Abend⸗Blatt Kr. 306.
Erstes Blatt. hierzu 2. Blatt.
Amfang der heutigen Nummer 6 Seiten.
Nichtamtlicher Teil.
Am Montag, dem 26. Juni, vereinigen sich alle zu den
Feierlichkeiten eingetroffenen geladenen Gäste mit dem könig—
ichen Sofe auf der Galaoper im Covent Garden, am
Tage darauf findet eine große Garden-aparty in den
zärten des Buckingham-Palastes statt und am Abend eine
Vorstellung in His Maiesty's Theater. Erst am Mitt—
voch, dem 28. Juni, werden die Gäste des Königspaares
infangen, sich zur Abreise zu rüsten, was Anlaß zu wei—
eren Empfängen und Festessen gibt. Am 29. Juni woh—
ien das Königspaar und die noch in London weilenden
zäste einem feierlichen Gnadengottesdienst in der St. Pauls—
Kathedrale bei, woran sich ein Frühstück bei dem Lord—
NRayor von London anschließt. Daran schließt sich ein
ßesuch des Königspaares in den nördlichen Stadtteilen und
Lororten Londons. Am Freitag, dem 30. Juni, sind
nehr als einhunderttausend Kinder der Londoner Schulen
ßäste des Königspaares im Kristallpalast, und nach der
kückkehr von diesem Kinderfest wird der König im Buckingham—
Palast an die aus den Kolonien nach London gekommenen
Soldaten Erinnerungsmedaillen an die Krönung verteilen.
Am Sonnabend, dem 1. Juli, wird das Königspaar
die Hauptstadt verlassen und sich nach Windsor begeben,
wo neue Feste sich anschließen, wenn auch in kleinerent
Rahmen.
Die Proklamierung der portugiesischen Republik.
Telegramm.)
Lissebon, 19. Juni.“ Die Eröffnungsfeier der National—
»ersammlung ist ohne Störungen unter großem Enthusiasmus
erlaufen. Anwesend waren 192 Abgeordneie. Die von der
dammer verfaßte und verlesene Proklamation besagt:
Die Monarchie ist für immer abgeschafft und die Dynastie
Bragan:a rerbannt. Die Regierungsform Poriugals ist für—
derhin die demokratische Republik. Den Revolutionshelden,
den gefallenen wie lebenden, wird ein bleibendes Andenken
gesichert. .
Der Tag wurde als Na ionalfeiertag gefeiert. Im ganzen
Lande fanden Freudenkundgebungen stat
— — — —— —
abzuwarten, ehe man Bestimmungen träfe, die sehr stark in die
Selbstverwaltung der Städte eingriffen. Es läßt sich zur
Stunde noch nicht übersehen, ob ein solcher Antrag die Mehrheit
des Hauses finden wird, zumal die Negierung lebhast gegen diese
Verschleppungstaktik agiliert. Jedenfalls werden bride Zweck⸗
derbandsgesetze im günstigsten Falle nur eine kleine Mehrheit
finden
Bleibt Stolypin in Deutschland?
MNach verschiedenen Meldungen soll der russische Minister⸗
präsident Stolypin sich mit der Absicht tragen, in diesem
Sommer das deutsche Bad Elster zur Erholung aufzusuchen.
Wie hierzu von diplomatischer Seite verlautet, klingen diese
Meldungen wenig wahrscheinlich. Es ist kaum anzunehmen, daß
Stolypin einen längeren Urlaub im Auslande verbringen wird.
Einer solchen Annahme stehen Rücksichten auf die innere Politik
entgegen, die sich in letzter Zeit immer schwieriger für den
Ministerpräsidenten gestaltet haben. So lange dieser in der
Lage ist, in Rußland selbst Erholung zu finden, wird er Ruß—
land zaum verlassen. Auch ist an Stellen, die darüber unter—⸗
nichtet sein müßten, von einer Reise Stolypins nach Teutschland
nichts bekannt. Sollte es aber zu einem neuen Aufenthalt
des russischen Kaiserpaares in einem deutschen Bade (Friedberg
bei Nauheim) kommen, dann ist es nicht unmöglich, daß
Stolypin den Zaren bei einer etwaigen Begeg—
nung mit Kaiser Wilhelm begleitet. Bekanntlich
war schon im vorigen Jahre davon die Rede, daß er an der
Begegnung zwischen Kaiser und Zar teilnehmen würde. DTamals
befand sich an seiner Stelle sein Schwager, der neuernannte Mi—
nister des Auswrtigen Sossonow.
Neue Betriebs⸗Ordnung für den Kaiser-Wilhelm⸗Kanal
Der Kaiser⸗Wilhelm⸗(Nord⸗Ostsee⸗Kanal hat vom Kaiser⸗
lichen Kanalamt in Kiel eine neue Betriebsordnung erhalten.
Sie tritt an Stelle der Betriebsordnung von 1901. Abgesehen
»on den Beschränkungen, die für die Unterhaltung des Kanals
zetroffen sind, dürfen Schiffe aller Nationen den Kanal bei
Tag und Nacht befahren. Fremde Kriegsschiffe und Kriegs⸗
'ahrzeuge dürfen in den Kanal nur nach vorgängiger, auf
iplomatischem Wege zu erwirkender Genehmigung einlaufen.
Segelschiffe, die den ganzen Kanal durchfahren wollen, unter⸗
iegen dem Schleppzwang. Nur ausnahmsweise dürsen Segel—
chiffe sich bei mehr als halbem Winde der Segel bedienen,
indeirnfalls müssen sie treideln. Vom Lotsenzwange befreit
ind nur die Segelschiffe, die dem Schleppzwang nicht unter—
liegen, und kleine offene oder halbgedeckte DTampf- und Motor—
boote, sowie Ruderboote. Genauere Vestimmungen sind über die
Lotsenpflicht, die Vorbereitung für die Kanalfahrt, das Ein—
laufen und Durchschleusen, die Fahrt durch den Kanal, die
allgemeinen Verbote, besonderen Vorkommnisse, das Auslaufen,
das Schleppen usw. getroffen. Beigefügt sind ein Signalver—⸗
zeichnis und die Tarife.
Inland und Ausland.
—AD
Der deutsche Kaiser in einer Zwangslage. Nun muß also
wirklich auch der deutsche Kaiser noch ähnlich wie Herr von
Beihmann-Hollweg gegen konservative Vorwürfe wegen Ver—
jandlung mit einem sozialdemokratischen Arbeiterführer ver—
ceidigt werden. Es ist zwar ein englischer Sozialdemokrat,
mit dem er sich bei einem Frühstück in London unterhalten
hat, und das ist nach der treuherzigen Versicherung der offi—
ziösen Nordd. Allg. schon ein wesentlicher Entschuldigungs—
zrund. Aber nach derselben Quelle ist die Einladung an
herrn Macdonald auch nicht vom Kaiser, sondern vom
britischen Kriegsminister ausgegangen. Der Vorwärts be—
hauptet, die deutsche Botschaft in London sei das Karnikel.
Jedenfalls versichern jetzt die konservativen Blätter im
krauten Verein mit der Zentrums-Germania, der Kaiser
habe aus einer Zwangslage gehandelt. Na a so! d.
Dauͤe Besteuerumg der verten Wagen lasse soll nach zuver⸗
lässieen Informationen von der Regierung geplank wer—
fremd sein, warum ich dich sprechen will. Ich denk', du hast
dir die Sache überlegt und gibst dem Friedrich Gothard dein
Jawort.“
„Nie, Vater, nie aus freien Stücken! Sie wissen, daß ich
einem anderen Treue gelobt.“
„Hoho, Fränze, so weit sind wir noch nicht! Seit wann
ist es denn in einer guten Bürgerfamilie Sitte, daß sich die
Tochter ohne Wissen der Eltern einem Manne anverlobt? Das,
was ihr euch in einer Stunde, wo die Liebe euch beiden die
Köpfe verdreht, versprochen, hat ohne der Eltern Einwilligung
gar keine Gültigkeit. Das weiß der Bresicke so gut wie du.“
„Vater, machen Sie uns nicht unglüchlich — wir lieben
uns. Lieber mit ihm hungern und betteln gehen, als im
Glanz und Wohlleben an der Seite dieses Trinkers Gothard!“
rieß Franziska flehend.
„In deinem Alter solltest du schon vernünftiger sein. Es
zungert und bettelt sich nicht so leicht, wenn man immer an
»ollen Töpfen gesessen hat. Bei Hunger und Not fliegt die
Liebe gar schnell zum Fenster hinaus. Auch ist ein Mann
noch kein Trinker, der gelegentlich mal über den Durst triukt.“
„Ich würde den Gothard hassen, Vater, wenn ich sein
Weib werden müßte, und dann wehe ihm und mir!“ Dabei
flammten ihre Augen wieder auf, und wie eine verzehrende
Flamme flackerte es darin.
Aber die Gressenaugen ersaßten nicht mehr, was aus dem
Blich sprach, und das Greisenherz war den Jugendgefühlen zu
sehr entrüdt. Die Vatersorge für die Zukunft seines Kindes
stand allem voran.
„Nun, das laß dir sagen, ich wünsche diese Heirat mit dem
Friedrich Gothard, und mein Wort gilt! Ich kenne die Welt
und das Leben — von Gefühlen lebt man nicht! Und nun
geh' und richte dich danach.“
Er hatte sich dem Fenster zugewandt, als er sprach, er
wollte nicht noch einmal in dunkeiflammende Augen sehen.
Ta ertönte hinter ihm ein Auischrei, so erstidt und ge—
puält, daß es dem alten Mann ordentlich ins Herz schnitt.
Als er sich umdrehte, war der Platz leer — Franziska hatte
die Stube verlassen.
„Sie wird sich dreinfinden man muk ihr nur JFeit lasson
das Programm der Krörurasfeierlichkeiten
Heute empfängt das Königspaar die Mitglieder der
remden Missionen und wohnt dem großen Balle bei, den
die britische Aristokratie in der Albert-Hall gibt, und zu
dem der König und die Königin wie alle geladenen Gäste
m Trachten aus den Dramen und Lustspielen Shakespeares
erscheinen. Am Mittwoch werden andere Abordnungen am
Hofe empfangen, und am Abend wird ein großes Gala—
diner um das Königspaar im Schlosse alle Mitglieder
der fremden Missionen und die Vertreter der Kolonien unter
dem Vorsitze und auf Kosten des Herzogs von Connaught
pereinen. Am Donnerstag geht der feierliche Krö—
nungsakt vonstatten, und am Freitag erfolgt der feier—⸗
liche Umzug des Königspaares in der City und im südlichen
Stadtteile Londons. Am Abend findet bei Sir Edward
Grey im Ministerium des Aeußern ein Bankett statt,
an dem der König und die Königin teilnehmen. Sonn-—
a bend ist der Tag der großen Flottenschau im Hafen
von Spithead, und am Sonntag vird die königliche
Familie der Stadt Pyrtsmouth einen Besuch abstatten
Ueber das Schicksal des Zweckverbandsgefetzes
rfahren wir: Die Slimmung der neuen Fraklion des Herren—
hauses gegen das allgemeine Zweckverbandsgesetz ist sehr un—
nünstig für dieses Gesetz. Die Oberbürgermeistergruppe will
einen Antrag heute bei Beratung dieses Gesetzes einbringen,
der dahin geht, das bllgemeine Zweckverbandsgesetz an die
Kommission zurückzuverweisen mit der Tendenz, die Verhand—
ungen zu verschleppen und dieses Gesctz vorläufig nicht zu
»erabschieden. Man ist der Meinung, daß das allgemeine
Hesetz keine dringende Noiwendigkeit ist und man besser täte,
erst die Erfahrungen mit dom Große-Worlinar Am⸗knorhonde
Aus gärender Zeit. !
Roman von SHedwig Kaboth.
(2. Fortsetzung.) Machdruchk verboten.)
Und wie in der Familie, so auch im Staat überall
Rebellion. Man wollte eine andere Verfassung haben! Auf
einem Thron zu sitzen, war gar leine so einfache Sache mehr.
Aber die Regierungen gingen mit eiserner Strenge vor und
war den Demagogen, wie man die Leute nannte, tüchtig auf
den Fersen. Ueberall wurden Kaussuchungen gehalten, und
wenn man etwas Verdächtiges sand, wurde kurzer Prozeß ge—
macht. Die jungen Leute wurden eingesperrt, kamen auf
Festungen oder in sonst sicheren Gewahrsam.
Meist waren es ja auch die jungen Brauseköpfe, die
Studenten, die eine neue Zeit heraufbeschwören wollten. Und
da hatten sie dann ihre Strafe, wenn sie mitten aus dem
Studium und der Jugendlust herausgeholt wurden und den
hellen Sonnenschein und die Freiheit draußen mit den düsteren
Mauern der Festung oder des Gefängnisses vertauschen mußten.
Freilich hart war's, und besonders auch für die Eltern. Denn
was wurde wohl aus so einem Sohn, den sie aufgehoben?
Wer kann's wissen! Schließlich kamen sie nicht so bald
wieder. Wie manche sollten schon jahrelang eingesperrt sein,
und wieviel schöne Jugend und Arbeitskraft ging da verloren!
Aber frei wurden sie doch sicher wieder! —
Und wenn nicht? Plötzlich überlief es den alten Mann
siedend he“. Er hatte ja auch Söhne, die da drauben in der
Welt Studenten waren, und wenn sie zu den Ferien kamen
und Kommilitonen mitbrachten, wie den Halmer und den
Möllner, da wurde viel krauses Zeug geredet. Ja, der
Möllner war sicher einer von der neuen Sorte, und sein zu⸗
künftiger Schwiegersohn Halmer hatte auch den einen Abend
Worte fallen lassen, in denen ein großer Tadel gegen die Re—
gierung lag, aber sofort geschwiegen, als sein ältester Sohn
Erhard ihn so eigen angesehen.
Mein Gott, daß ihm das erst jetzt einsiel! Und er
hatte seine Söhne ziehen lassen, ohne sie ernstlich zu ver—
warnen und mit seinem ganzen Vaterzorn zu bedrohen, wenn
sie mit der neuen Zeit din—oen
Seine frischen Söhne sollten ihm nicht hinter die Kerker—
mauer und dort blaß und hohlwangig werden, dafür werde
ꝛx sorgen. In seiner Familie sollte sein Wort gelten, das wollte
er ihnen gründlich zeigen, und gleich heute sollte seine älteste
Tochter merken, was das Vaterwort war. Sie würde Friedrich
Gothard nehmen, er duldete in seiner Familie keine Rebellion.
Indem trat Franziska ein und blieb an der Tuür stehen.
Der Stadtmüller hielt in seiner Promenade inne und
drehte sich mit einem Ruch um. WB
Da stand Franziska an die Türpfoste gelehnt, die Augen
zu Boden geschlagen mit heftig atmender Brust, das liebliche
Gesicht wie in Rosengluten getaucht.
Ehe der Stadtmüller Worte fand, liefen seine Augen über
die ganze Figur des Mädchens hin, und ein Gefühl des Stolzes
chwellte seine Brust.
Was war das Mädchen schön! Das reiche, blonde Haar,
in dicken Zöpfen um den feinen Kopf gelegt, thronte wie eine
Soldlast über der blendend weißen Stirn. Wie eine Kirsche,
o schwellend rot lagen die Lippen aufeinander, und über der
einen Nase wölbten sich dunkle Brauen, die aus eines Malers
Pinsel zu stammen schienen.
Sie schlug die Augen plötzlich voll auf und sah ihren Vater
in. Einen Moment senkte der Stadtmüller den Blick, so groß
trahlten ihn diese herrlichen Augen an. Es war fast wie ein
Feuerstrom, der aus den dunkelblauen Tiefen kam.
So hatten ihn einst die Augen ihrer Mutter angesehen,
als er mit dem festen Entschluß in die Zadelmühle gekommen,
die ehrbare Witwe zu freien. Sie hatten ihn damals in seinem
Entschluß wankend gemacht. Und wenn er sich das auch nicht
nal selbst eingestanden und nie später zugegeben hätte, er
jatte sich trotz seiner zweiundfünfzig Jahre sterblich in die
chöne Josepha verliebt und war seinem Herzen gefolgt. Hier
bei seinem Kinde ließ er das Recht des Herzens nicht gelten,
ꝛt wollte es unter seinen Willen zwingen.
Beinahe hätten ihn diese Augen ein zweites Mal in seinem
Leben wankend gemacht. Das dunste nicht sein! Er war
richt mehr der reiche Stadtmüller von damals, er war der
Aternde, sorgenreiche Vater, der seinen Kindern einen warmen
Platz im Leben sichern wollte, ehe er daraus schied.
„Na. Fränze. tritt nur näher herzu Es wirhd dir nich