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Rusgabc
GGroße Ausgabe) Donnerstag, den 15. Juni 19141.
Erstes Blatt. hierzu 2. Blatt.
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Amfang der heutigen Nummer 6 Seiten.
Nichtamtlicher Ceil.
die gestrige Marokkointerpellation in der
französischen Kammer.
(Telegramme.)
Bei Begründung der Interpellation über die Polizei—
naßnahmen in Marokko erklärte gestern Senator Jenouvrier
m Senat, das vorsichtige Vorgehen des Generals
Doinier sei berechtigt gewesen. Er warf aber der
Regierung vor, daß sie die Kolonne des Generals Toutée zu⸗
rückgehalten habe, statt auf Taza marschieren zu lassen.
Wenn die Verträge Frankreich verpflichteten. Spanien von
einen Absichten in Marokko in Kenntnis zu setzen, so ver⸗
oflichteten die Verträge auch Spanien, die Zustimmung Frank⸗—
reichs zu seinem Vorgehen nachzusuchen. Man hätte den
Zwischenfall von Larrasch verhindern können,
venn man nach Taza marschiert wäre, das den Weg nach
Fez beherrsche. Der Redner schloß mit der Erklärung,
es sei unumgänglich notwendig zum Vorteil aller Nationen
wuf dem wichtigen Wege, der von Algier über Fez nach
Lasablanca führe, Ordnung zu schaffen.
Cruppi ũber die franzöfische Intervention.
Darauf, ergriff der Minister des Aeußern Cruppi das
Wort. Er verteidigte die humane Intervention Frankreichs
n Fez, die mit Zustimmung der zivilisierten Welt
uind der warmen, ständigen Sympathie der Freunde Frank—
reichs unternommen worden sei. Wir gingen nach Fez, fuhr
der Minister fort, nicht nur auf Grund des Polizeiman—
dats, das uns in Algeciras erteilt worden ist, sondern
ruch auf Grund der Rechte, die sich aus unserer Besetzung
Algeriens ergeben, auf die dringenden und wiederholten
Aufforderungen des Sultans, der die Souveränität und
Integrität Marokkos repräsentiert. Frankreich erfüllte
ine Pflicht der Menschlichkeit gegenüber den in
Fez bedrohten Instrukteuren und gegenüber den in Gefahr
zefindlichen europäischen Kolonien. Der Minister erinnerte
daran, wie er Widerstand geleistet habe, als von den
Interpellierenden eine Züchtigung des Zaers gefordert wor—
»en sei, denn er wollte den Brand nicht vorzeitig ent—
'achen. Cruppi erinnerte ferner an die beunruhigenden Be—
ichte des Konsuls Gaillard, die Ermordung der Postläufer
und an die Glückwünsche, die der deutsche Konsul an Boisset
zerichtet habe. Alles dies rechtfertige die Entsendung der
Ersatzabteilung.
Ter Minister erklärte weiter: Respektieren wir die
Algecirasakte. Die ganze Welt gesteht durch die Akte
frankreich eine besondere Rolle zur Ausführung von Re—
ormen zu. Aber wir müssen auch die Integrität
»es marokkanischen Reiches und die Souveräni—
tät des Sultans respektieren. Cruppi siellte fest,
»aß, wenn Frankreich nach Taza gegangen wäre, es ge—
wungen gewesen wäre, die nicht unterworfenen Stämme jen—
zits Taza zu unterwerfen. Das bätte aber geheißen, den
Peg der Eroberung zu beschreiten. Wir konnten also, fuhr
ruppi fort, nicht nach dieser Richtung marschieren, auker
m Falle der unumgänglichen Notwendigkeit. Es war somit
lug, durch das Schaujagebiet vorzurücken. Durch Ieberschrei—
ung der Muluija hätten wir die Algecirasakte nicht verletzt.
Wir hatten die politische und rechtliche Möglichkeit, von beiden
Seiten vorzugehen. Aber das war eine Frage der Taktik
ind Opportunität. Wir bauten überdies eine Brücke über
»ie Muluja, die ein ausgezeichnetes Mittel zur Durchdringung
nd Zivilisierung Marokkos bilden rrird. Cruppi erinnerte
n den bewundernswerten Marsch Moiniers und gab bekannt,
oas Moinier unternehmen werde, sobald die Unterwerfung
;on Mekines erreicht szi. Die Regierung werde an den un—
bänderlich getroffenen Maßnahmen festhalten. Wir wollen
eine neuen Gebiete erwerben, sagte der Minister,
ber es genügt nicht, daß unsere Truppen zu—
ückkehren. Denn durch neue Zwischenfälle würden sie nach
Marokko zurückgeführt werden. Wir werden eine scherifische
Irmee schaffen und die Durchführung der Reformen weiter
erfolgen, die Polizei organisieren und die Ordnung sichern,
ind zum Vorteil aller die Autorität des Sultans wieder
zerstellen. Wir werden die Politik der freien Tür
uind der wirtschaftlichen und Handelsfreiheit außrechter-—
„alten. Moinier wird dann die Truppen zurücksühren und
„abei die Taer züchtigen. So werden wir ein Werk vollendet
aben, das den Interessen nicht allein Frankreichs, fondern
»er ganzen Welt dient und so in loyaler Weise unsere Pflicht
rfüllen. Geifall.)
Die Senatoren Gaudin de Villaine und Lamarzelle drückten
iie Ueberzeugung aus, Spanien sei gewaltsam nach
sarokko gekommen und werde gewaltsam dort bleiben,
odaß Frankreich, das auf den Wunsch des Sullans in Marolkko
ei, genötigt sein werde, sich zurückzuztehen. Tiese Lage sei
mannehmbar.
Der Senat genehmigte schließ ich alle Kapitel des Budgets
»er auswärtigen Angelegenheiten, dessen Erörterung sich an
»ie Marokko-Interpellation anschloß. Dann nahm der Senat
urch Handaufheben eine Tagesordnung an, wodurch die
rklärungen der Regierung gebilligt werden.
Ministerzusammenkunst der Dreibundmächte?
Eine Zusammenkunft zwischen Mrinilern der Dreibundmächte
vird von Wien aus angekündigt. Jedensalls will die „Reichs—
»ost“ aus diplomatischer Quelle erfahren haben, daß im Laufe
es Sommers Graf Aehrenthal mit dem Staatssekretär von
diderlen-Wächter und dem italienischen Minister des Aus—
värtigen Grafen San Giuliano eine Zusammenkunft entweder
a Salzburg oder in Ischl haben wmird, während welcher die
nternationale politische Lage, vor allem aber die Balkan⸗— und
Rientfrage, zur Besprechung kommen soll.
Wendelin. 0
Eine Erzählungec nten Jahrhundert *
von C. Kohlweyer.
— Machdruck verboten.)
Es war ein eigenartiges Paar. Der Bischof, damals im
Alter von 55 Jahren, von stattlicher Figur, daneben der —
allerdings für sein Alter hochgeschossene — zehnjährige Knabe,
der Landesherr, auch des Bischofs! Ludwig trug die stählerne,
zeich mit Gold verzierte Ritterrüstung. Von dem Helm nickten die
Federn in den Farben des Hauses Wittelsbach, blau und weiß.
Ludwig sowohl, als auch der V'ischof waren erstaunt, daß
ie von den Behörden der Stadt nicht am Eingang empfangen
vurden.
Ludwig hatte dem Bischof dessen sämtliche Stiftsdörfer weg⸗
genommen. Das half. Ueberraichend schnell fand sich Ste—
»han bereit, den Bann, den er aus eigener Machtvollkommen—⸗
zeit über Müncheberg verhängt hatte, zu lösen.
„Die Ratsherren stehen am Rathause zum Empfange
vereit.“ sagte Graf Günther von Schwarzburg mit feinem
Lächeln.
Am Rathause stieg der Markgraf vom Pferde. Er schritt
die große Freitreppe mit leichtem Schritt hinauf.
Der Graf von Schwarzburg steute vor: „Nikolaus Hentze,
der erste Bürgermeister der Stadt.“
„Ei,“ sagte der Markgraf, „hat mich mein Gedächtnis ver—
lassen? Ich hatte einen anderen Namen im Sinn. Aber lassen
wir das bis nachher.“
Fr wandte sich zu der Menge auf dem Markplatze.
Alles lauschte gespannt.
Der Markgraf begann:
„Ihr lieben und getreuen, auch ehrenhaften Bürger von
Müncheberg! Als euer Markgraf und Herr siehe ich vor euch.
zhr seht mich in großer Jugend. Aber ich trage Schwert und
zepter im Auftrage des deutschen Kaisers, meines Waters.
RKings um meine geliebte Mark her wohnen meine Feinde.
Es sind eure Feinde. Haltet ihr zu mir, so sieht ihr ein
ür eure eigene Sache. Ich und ihr, wir gehören zusammen.
—chon habt ihr mir gegen den Polenkönig eure Treue bewiesen,
ind meine erste, angenehme Pflicht ist, euch meinen DTank
bzustatten. Ich habe derethalben beschlossen, der Stadt Mün—
jeberg zu verstatten, daß sie künftig gleich der Stadt Frankfurt
„urch mein Land ungehinderte und von Abgaben freie Fahrt
ach dem Meere üben dürfe. Das ist mein erstes Geschenk.“
Lauter Beifall ertönte aus der Menge. Denn die soeben
erliehens Vergünstigung ließ mancherlei Handelsgewinn er—
joffen und war schon längst ein sehnlicher Wunsch der Bürger.
Aber der Markgraf wollte weiterreden und die Bürger er—
mahnten sich gegenseitig zur Ruhe.
Ludwig fuhr fort:
„Als zweites Geschenk meines Tankes für eure mir be—
viesene Treue habe ich bestimmt, daß das Dorf Hoppegarten
amt allen bebauten und unbebauten Aedern, Wiesen, Seen und
vas sonst dazu gehöret, künftig und für alle Zeiten der Stadt
Hüncheberg zu eigen gehöre!“
Wieder ertönte Beifallsrufen, lauter als zuvor. Als darauf
Ruhe eingetreten war, hob Ludwig abermals an zu sprechen.
„Ich erachte aber, das wertvoilste Geschenk, das ich der
Stadt bringe, möchte das dritte sein. Es ist mir nach mancher-
ei Verhandlungen gelungen, den Bischof des Lebuser Landes
u bewegen, den Kirchenbann, den er über diese Stadt verhängt
at, zu Jösen. Das soll jetzt geschehen, ehe wir alles Weitere
erhandeln. Nur ist mein ausdrüdlicher Befehl, daß alle
zefangenen, die sich etwa in dieser Stadt befinden möchten,
in der kirchlichen Feier teilnehmen. Hochwürdiger Herr, waltet
ures Amtes!“
Der Bischof trat vor und rief: .Man läute die Glocken!“
AUnd es währte nicht lange, so fingen erst einige, nach
und nach alle Glocken der Stadt an zu läuten.
Da waren nur wenige, denen nicht die Tränen ins Auge
traten.
Und unter Glockengeläut ordnete sich der Zug in die Stadt⸗
rche, die heute die Menge nicht fassen konnte.
Abend⸗Blatt Ur. 297.
——
Die Wahlen in Gefsterreich.
Es wäre verfrüht, wollte man nach dem Ausfall der bis⸗
herigen Wahlen in Oesterreich bereits ein endgültiges Urteil
über die neuen Parteiverhältnisse im österreichischen Reichs—
rate fällen, so viel jedoch kann man bereits heute behaupten,
daiß die Christlich-Sogialen nicht in der gleichen Stärke in
das Parlament wieder einziehen werden. Das entscheidende
Merkmal des ersten Wahltages ist jedenfalls die Tatsache, daß
er Partei Luegers eine schwere Niederlage zugefügt worden
st. Unerwartet und doch zugleich nicht unvermutet. Denn
dat die Partei letzten Endes mit ihren Wählern nur ein
rivoles Spiel trieb, war in pol—'tisch klarblickenden Kreisen
chon lange bekannt, nur ahnten die wenigsten, daß auch die
reiten Wählermassen sich zu einer solchen Einsicht bereits durch—
erungen hatten. Was die Christlich-Sozialen verloren haben,
onnten die Deutsch-Nationalen gewinnen. Wie weit sie aber
ndaültig das Feld behaupten werden, hängt noch von dem
lusfall der vielen Stichwahlen ab, die noch notwendig sind.
zn Wien selbst können sie in dieser Beziehung beruhigt der
iächsten Tagen entgegenschauen, denn bereits allgemein ist das
Urteil laut geworden, daß die Ghristlich-Sozialen, die ihnen
im Stichkampfe gegenüberstehen, unterliegen müßten. Unter
diesen Kandidaten wäre dann auch Tr. Geßmann, der Minister
1. D. und Erbe Luegers, der dann an sich selbst erleben müßte,
daß das Bündnis mit den Agrariern ihm zum Unheil ge—
worden ist. Eine heilsame Lehre, die nicht nur in Oeiter—
reich allein Anwendung finden sollte. d.)
RKeichserbichaft und Wissenschaft.
Zustizrat Bamberger zeigt im demnächst erscheinenden
Heft 24 der „Grensboten“, wie hervorragende Lehrer
der Volkswirtschaft und der Staatswissenschaft übereinstimmend
zu der Auffassung gelangt sind, daß die unbegrenzte Ver⸗
vandienerbfolge zugunsten der Gesamtheit eingeschränkt werden
nüsse. Außer den Philosophen John Stuart Mill, Hegel
und Trendelenburg. außer den Nationalökonomen Adolf
Wagner, Gustav Schmoller und J. Conrad sind folgende Ge—
ehrte für eine Erbrechtsreform im Sinne Bambergers ein—
jetreten: F. J. Stahl, Baumeister, Baron, Bluntschli, H.
». Scheel, Bernhöft, W. v. Blum, H. Kömpe, M. Sehring.
Bamberger schließt:
„So hat die Wissenschaft in ihren namhaftesten Vertretern
in Uebereinstimmung mit der öffentlichen Meinung ihren Wahr—
pruch gefällt. Sich darüber hinwegsetzen hieße Macht und
Wert der geistigen Arbeit im politischen Leben der Nation
interschätzen. Aufgabe der Regierung und der Volksvertretung
wird eine gründliche, stetig fortschreitende Besserung der Fi—
das Erbrecht des Reiches zu sorgen. Durch diese Maßregel
vird eine gründliche, stätig fortschreitende Besserung der Fi—
ianzen gewährleistet. Innerhalb einer kurzen Frist ist die
Ibstoßung der ganzen Reichsschuld möglich. Daß dies zur
ztärkung der Finanzlage Deutschlands, zur Erhöhung seiner
Zewegungsfreiheit und zur Sicherung des Friedens beitragen
wird, das ist nicht zu bezweifeln.“ (6.)
2
Nach dem ergreifenden Gottesdienst gab der Markgraf Be—
sehl, daß alle nach dem Marktplatz zurückgehen sollten.
Jetzt ergriff der Bischof zuerst das Wort. Er forderte in
venigen Worten auf, so sich jemand von Herzen gedrungen
ühle, seinen Tank für die Ereignisse des heutigen Tages
»adurch zu bekunden, daß er der Kirche Geschenke oder Ver⸗
nächtnisse stiften wollte, der sollte sich melden.
Es meldete sich auch eine kleine Zahl von Männern und
Jrauen, die größere und kleinere Geschenke zu machen ver—
prachen.
Zuletzt trat, auf zwei Stöcke gesltützt, ein gebrechlicher
Greis vor. Das feingeschnittene Gesicht umrahmten lange
veiße Locken und ein langer, weißer Bart. Es war Dietrich
Fritze.
„Ich bin ein alter Mann,“ sagte er, „und stehe am
Rande des Grabes. Ich freue mich, daß meine Gebeine in
zeweihter Erde ruhen dürfen. So vermache ich jetzt der
Kirche unserer Stadt ein Schock Silberpfennige und nach meinem
Tode mein Haus und meinen Grundbesitz mit allem, was drin
und drauf ist. Nur dine Bedingung stelle ich.“
„und die lautet?“ fragte der Vischof.
„Daß man nach meinem Tode die Gebeine meines ge—
iebten Kindes von Ilow hierher holt und sie neben mir
zestattet; und daß man für mich und — meine — Beate
— einige Seelenmessen liest.“
Mit Schluchzen und tränenerstidter Stimme hatte er die letzten
Worte gesprochen. Alle waren tief bewegt, und der Bischof
gab seine Zustimmung kund.
„Und nun habe ich Anlaß, heute Gericht unter euch zu
zalten,“ sprach Ludwig. „Ich denke, wir können uns fkurz
rassen. Führt die gefangenen Ritter uid ihre Mannen vor!“
Vor der Freitreppe war durch Truppen ein freier Raum
ibgesperrt. In diesen führte man die Edelleute samt ihren
Begleitern.
„Ihr Ritter und edelgeborene Herren,“ redete sie Ludwig
an, „ich hatte euch durch meinen Vogt gebieten lassen, daß
die Fehde ruhe, bis wir Herr unserer Feinde geworden lind,