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Ausc
Große Ausgabe)
Erstes Blatt. hierzu 2. Blatt.
Amfang der heutigen Nummer 6 Seiten.
Nnichtamtlicher Ceil. »3
Die heerschau des hansabundes.
WVon unserem Berliner Korrespondenten.)
Berlin, 12. Juni.
„Selbst die kühnsten Hoffnungen derer, die heute vor
zwei Jahren unter jubelnder Begeisterung den Hansabund be—
zründet haben, sind übertroffen“, mit dieser Feststellung be—
zann der Prasident des Bundes, Geheimer Justizrat Professor
Dr. Rießer, nach kurzen Begrüßungsworten der mehr als
10 000 Erschienenen seine Einleitungsrede für den Ersten Allge—
meinen Deutschen Hansatag. Er bezog die Worte auf die
„gewaltige und schlagfertige Organisation“, die in den beiden
sßerflossjenen Kriegsjahren geschaffen sei. Sie konnten aber
ebenso gut der Riesenversammlung gelten, die sich in dem
größten Saale Deutschlands, dem festlich geschmückten Sport⸗
palast, zusammengefunden hatte. Parterre und Logen und
Tribünen waren überfüllt und ratlos irrten zahlreiche Teil—
nehmer umher, um irgendwo noch einen Stuhl oder einen
jreien Sitzplatz zu erhaschen. Wie aber immer, wenn Menschen
in solchen Massen zu einer Kundgebung zusammenströmen, be—
seelte die Tausende ein begeisternder Glaube an das große
Ziel, dessen Verherrlichung die Tagung galt. Und auch die
hansabundleitung hatte durch das Arrangement der Aus—
chmückung und die Hineinsetzung der Rednertribüne in das
Riesenparterre des Saales alles getan, was zum Gelingen
ver Veranstaltung möglich war. Die schlechte Akustik, die dem
Bund der Landwirte bei seiner Frühjahrstagung in demselben
Raum noch übel mitgespielt hatte, machte sich heute kaum
noch bemerklich. Und selbst die weniger redegeübten Referenten
waren in allen Teilen des weiten Raumes gut zu verstehen.
Aber diese weniger geübten Redner waren durchaus in der
Minderzahl, obwohl man die Auswahl so getroffen hatte,
daß auch der einfache Mann aus der Werkstatt, wie der
aus dem Kontor zu Worte gelangen sollte. Freilich nicht
leder hat die hinreißende Redegabe eines Rießer. Seine
mit hohem Schwung vorgetragene Ansprache riß die Massen
wiederholt zu stürmischen Beifallskundgebungen hin und die
Stellen, an denen er scharfe Selbstkritik am Bunde und an
dem deutschen Bürgertum übte, das „mit unbedingter
Solidarität, mit eiserner Disziplin und mit jener dem geringsten
Arbeiter oft mehr als dem Vertreter des Bürgertums eigenen
ODpferwilligkeit“ sich zur entscheidenden Wahlschlacht rüsten müsse,
anden die lebhafteste Zustimmung. In der Form vornehm,
m Inhalt bestimmt, in der Polemik milde, in der Kritik
reimũtie war diese Ansprache das Meisterstück eines Nifre
Wendelin.
Eine Erzählung a eynten Jahrhundert
von C. Kohlweyer.
60. Fortsetzung.) —1 Machdrucd verboten.)
„Was geht uns der Bann an,“ sagten die anderen. „Um
so günstiger ist für uns die Fehde, denn den Städtern fehlt
der Mut.“
Diese Ansicht verfochten Dietrich Stift und Thomas Stein—⸗
leller. Und wirklich, sie drangen damit allmählich durch.
Die Henninge, Heyne Eichendorf, Hans Ilow, sie legten
iich schließlich fest auf die Meinuna: „Was qgehbt uns der
Bann an?“
Und so kam der große Plan zustande. Müncheberg sollte
bei Nacht überfallen werden, wie's mit Göritz geschehen war.
Alle zur Verfügung stehenden Mannschaften sollten mitwirken.
In die Häuser wollte man Feuerbrände legen. Plündern
und Beute machen dürfe jeder nach Belieben. Wer Gegenwehr
leiste, sollte niedergehauen werden. Wer sich gesangen gebe,
sollte weggeführt werden; das gäbe später reichlich Lösegeld.
Vielleicht ließe sich durch solchen Ueberfall gar ektreichen, dah
die Stadt um Frieden bäte. Den wolle man ihr großmütig
gewähren, aber nur gegen schweres Lösegeld. Müncheberg müsse
endlich den Schimpf büßen, den es den Tdelleuten angetan
habe.
Die verabredete Nacht kam. Kein Mondonschein leuchtete,
aber es war sternklar.
Einige wenige Bürger, die in der Nähe des Steintors
wohnten, flüchteten ängstlich in ihre Häuser; denn deutlich
hörten sie vereinzelte schaurige Laute und dumpfes Poltern.
Der Teufel ging wieder um. Oder war's die alte Winding?
Um Mitternacht waren die Feinde in die Stadt einge—
drungen. Freilich die Hunde bellten schon lange. Aber das
machten sie öfters so; gab einer das Signal, so heulten die
anderen mit; aus Pflichtgefühl oder aus Vergnügen? Wer
mochte das entscheiden! Laß sie bellen!
Und dann kam das jsurchtbare Crwachen. Der Feuerschein
weckte gleichzeitig mit Ehrhards Hornruf. Die granenhaften
Nachtszenen — wer kann sie beschreihen? Wer ein qgeschärftes
Dienstag, den 13. Juni 1911.
— — — — —— — —
der Massen des gewerbtätigen Bürgertums zu den Fahnen
des Hansabundes.
Die auf Rießer folgenden Redner bemühten sich in der
dauptsache um den Nachweis, daß der Hansabund eine Not-
vendigkeit in unserem gegenwärtigen wirtschaftspolitischen Leben
ei und daß er nichts anderes erstrebe, als die Gleichberechti—
zung aller erwerbstätigen Kreise des deutschen Volkes. Es
virkte fast ermüdend auf die Zuhörer, immer wieder die
Gersicherung zu vernehmen, daß der Hansabund wirklich und
vahrhaftig ein Freund der Landwirtschaft sei und nichts
inderes als die Beseitigung der unerträglichen Sonderbeein—
lussung unserer Gesetzgebung und unseres ganzen öffentlichen
debens durch die Agrardemagogie anstrebe. Aus Nord und
Zzüd, aus Ost und West stinimten die Vertreter von Industrie,
zandel und Handwerk in dieser Veriicherung rührend überein.
Iber was wird es helfen?
Deshalb war es gut, daß der nationalliberale Reichstags-
bgeordnete Stresemann in seiner glänzenden, fast —
rochen vom Beifall begleiteten Rede die Vernachlässigung ves
zürgertums durch Gesetzgebung und Verwaltung an einer Reihe
inleuchtender Beispiele nachwies. Sein Vorschlag, der Bund
»er Landwirte möge einmal eine 'leiner üblichen Frühjahrs-
araden in einem Lokal am Hamburger Hasen abhalten, be—
euchtete kurz und prägnant den ganzen Widersinn der agrari—
chen Wirtschaftsauffassung. Das neue Deutschland der Gegen⸗
zart mit seinem rielig wachsenden Millionendolk und mit
einem stetig steigenden Anteil am Welthandel fsührte er der
zersammlung so plastisch vor Augen, daß man meinen sollte,
uch ein Agrarier, der sich zufällig heute in den Sportpalast
erirrt hätte, müßte von der Unhaltbarkeit der ihm ge—
zedigten Welt- und Wirssanschauungen überzeugt wor⸗
»en sein. Und dann —— Nachweise ber politischen
kinflublosigkeit derjenigen Volksschichten, die in Wirklichkeit
»ie Repräsentanten dieses neuen Deutschlands der Gegenwart
ind: die Nichtberücksichtigung von Industrie und Handel in der
zusammensetzung fast aller deutschen Ersten Kammern, die
nangelhafte wirtschaftspolilische Vertretung des industriellen
deutschlands durch die Botschaften und Gesandtschaften und
Zdonsulate im Ausland, die Vassivität der Behörden gegen—
iber den begründeten Forderungen der Werte schaffenden Kräfte
inseres Volkes. Als er die neueisten Vorgänge bei der Beratung
es Fortbildungsschulgesetzes im Abgeordnetenhause erwähnte,
oie Bestrebungen auf Einführung des Religionsunterrichtes in
diese der Fachausbildung gewidmeten Anstalten und der Unter—
tellung des gesamten fortbildlichen Unterrichtswesens unter
den Kultusminister statt unter den Handelsminitter, da brauste
ninutenlanger Beifall durch die Hallen. Aber nicht minder
ebhaft stimmte man dem Redner zu, als er den Köhler⸗
lauben an die Macht der Eingaben und Petitionen ver—
pottete, der so viele Jahrzehnte die Vertreter von Handel
uind Industrie beherrscht habe. Und als er dann am Schluß
ainor nockendon Nie er ilaameinen nolitischen Mokr-
Gewissen besessen hätte, der hätte sich sagen müssen: das jst
die Strafe für Göritz!
Die wehrlosen Männer, die so dürftig gekleidet auf die
Straße liefen — ach, wie viele standen und lagen schon mit
Stricken gebunden da!
Das Geschrei wurde nach und nach so durchdringend, daß
niemand mehr sein eigen Wort verstane. —
Und immer weiter drangen die Feinde vor.
Aber nun kam es doch etwas anders. Die Straße war
gesperrt. Eine Schar bewaffneter Bürger stand da zur Ab—⸗
wehr. Die Klingen kreuzten sich. Pfeile und Wurfgeschosse
ilogen. Der Kampf begann. Und er stand.
Grell leuchteten die brennenden Häuser. Die Straßen
naren eng, die Front der Kämpfer war schmal. Die Muünche—
berger gingen nicht vor zum Handgemenge, sie blieben in
Reih und Glied. Aber sie standen. J
Die Pserde der Edelleute wurden scheu von der gleißenden
Glut, oder sie sanken, von Speeren getroffen.
Da, was war das? Auf die Edelleute und ihre Mann-
chaften flogen Pfeile und Wurfspeere vom Rücken her. Die
letzten wandten sich um. Siehe da, auch hier die Straße
gesperrt. Und auch hier standen die Bürger in geschlossener
Reihe; keiner ging vor.
Doch der schlimmste Gegner waren die brennenden Häuset,
die niemand löschte. Die Hitze in der engen Häuserzeile
ward unerträglich und ermattete schnell die Streiter. Brennende
Balken und Dachstühle, ganze Wände stürzten in die Straße
mitten zwischen die Eindringlinge. Manch einer kam in den
Flammen um, so einer der Henninge. Viele hatten Brand—
vunden.
Das Morgenrot leuchtete auf und das junge Tageslicht.
ẽs schaute verwundert auf wehrlose Gefangene. Wer waren
die? Thomas Steinkeller war's und Dietrich Stift, Heyne
Tichendorf, Hans Ilow, ein Henning und alle die Knappen und
Gutsleute, soweit sie noch am Leben waren.
Die Feuersbrunst war gelöscht. Die Löscharbeiten waren nicht
zroß gewesen. Was einmal brannte, mubte aufgegeben wer—
den, da es doch nicht mehr zu retten war. So begnügte
nan sich, einige neue Brände, die durch Ueberspringen von
Flammen und Funken enfstehen wollfen, qleich im Keime zu er⸗
Ahend⸗Blatt Ur. 293.
J
ιιπαατσ.
pflicht aufforderte, ging es wie ein Gelöbnis der Treue durch
die Massen.
Stresemanns Rede war wohl der Söhepunkt der offiziellen
Tagung. Auch die zahlreichen Reichstags- und Landtagsabge⸗
»sdneten der nationalliberalen und fortschrittlichen Partet
ollten ihr lebhaften und anhaltenden Beifall. Dann
etzte noch eine lange Reihe von Begrüßungsansprachen ein,
zie mit einer für solche Riesenversammlung bewundernswerten
nuhe angehört und freudig entgegengenommen wurden. Es
var eine wohlgelungene Kundgebung, auf die der Hansabund
alle Ursache hat, stolz zu sein.
Freilich im Hintergrund stand immer das Gespenst der
fkommenden Wahlen. Wird der Bund auch in der Wahl⸗
schlacht alle die Hoffnungen erfüllen, die durch diesen Ersten
Deutschen Hansatag wieder neu entfacht sind? Die Gegner
hefürchten und die Freunde hoffen es. Qui vivra. verrat (d.)
Frankreich und Spanien in Marokko.
Angesichts der drohenden Sprache, die die Pariser Prefse
gegen Spanien wegen seines Vorgehens in Marokko führt,
darf nicht vergessen werden, daß die französische Regierungç
»is zum 12. d. M. anscheinend jeden diplomatischen Schriti
zermieden hat, der Frankreich gegenüber Spanien festlegt.
die spanische Marokkoaktion mag zwischen dem französischen
Botschafker in Madrid und den Vertretern der spanischen
Legierung eingehend, vielleicht auch ernst besprochen worden
sein; von einer Note aber, die Frankreich deswegen Spanien
oder den Mächten zugestellt habe, int bis zur Stunde nichts
hekannt geworden. Bei diesem vorsichtigen Verfahren Frank—
reichs versteht es sich von selbst, daß die übrigen Mächte betr.
der spanischen Marokkoaktion Zurückhaltung beobachten.
Weitere telegraphische Meldungen besagen:
Paris, 12. Juni. Nach einer Meldung, die als offiziös
angesehen wird, verständigte die französische Regie—
rung die Signatarmächte der Algecirasakte, daß sie den
Maßnahmen der spanischen Regierung in der Gegend
»on Eltsar ihre Zustimmung verweigere.
Köln, 12. Juni. Zum neuesten Stand der marokklanischen
Frage erklärt. die Kölnische Zeitung anscheinend offiziös, daß
die französische Regierung Mahnungen zum Maßhalten an die
ranzösischen Zeitungen gerichtet habe. Die Annahme, daß
Deuischland hinter Spanien stehe, sei unzutreffend. In Ber⸗—
iin sei man mit Spaniens Verhalten nur insoweit befaßt
gewesen, als Spanien in Berlin, wie auch wohl bei den anderen
Mächten, von der vollzogenen Besetzung Mitteilung machte
und diese, ähnlich wie Frankreich, mit der Unsicherheit und
dem Schutz der eigenen Untertanen begründete. Ebenso sei
odie Versicherung abgegeben worden, daß man es nur mit
einer vorläufigen Besetzung zu tun habe, eine Versicherung,
zie von Deutschland einfach zur Kenntnis genommen wor—
—r
An
stiden. Etwa zwanzig Häuser waren io zerstört; freilich hatten
ie meist nur ein Erdgeschoß und waren klein. Auch die Hinter⸗
zebäude waren fast alle gerettet, so daß die betroffenen Bürger
rnicht gänzlich ohne Unterkommen waren.
Mit lautem Geschrei wurden die Gefangenen nach dem
Marktplatz geschleppt. Sie waren wohl alle von dem Aus—
nang ihres Fehdezuges überrascht und boten mit ihren mutlosen,
om Rauch geschwärzten Gesichtern, mit ihrem zerzausten Haar
uind ihren im Kampfe zerrissenen Gewändern einen bejammerns-
verten Anblick. Es gab unter der begleitenden Menge Ent—
üstete genug, die ihren Zorn an den Gebundenen durch
Büffe und Schläge ausließen.
Der Lärm der Menge war unbeichreiblich, die lauten Zurufe,
oweit sie nicht Schimpf- und Schmähreden waren, einigten
ich in dem bereits fertigen Urteil, daß sämtliche Gefangenen
am Galgen gehenkt werden mühten, und zwar sofort. Ja—
einige Uebereifrige wollten dazu erst gar nicht den Galgen—
hügel, der vor der Stadt lag, benutzt wissen, und schleppten
schon Balken herbei, um die Hinrichtung aleich auf dem
Markte vorzunehmen.
Marquardsdorf und der Erbrichter konnten sich von der
Freitreppe des Rathauses aus kein Gehör vor der Meng«e
derschaffen. Einer der lautesten Schreier war Nikolaus Hentze
der von dem Ritter gar keine Notiz nahm und sich aufspielte,
als wäre er selber schon der erste Bürgermeister.
Der Versuch Hans Richters, des Erblehnsrichters, die Ge
jangenen in die Ratsstube schaffen zu lassen, um dort gegen
sie zu verhandeln, mißlang völlig.
Endlich hatten die Mahnungen des Bürgermeilters zur Ruhe
doch einigen Ersolg.
„Bürger!“ rief er, „ihr bedürft alle der Ruhe nach dem
Zchrecken dieser Nacht. Die Gefangenen, die den Frieden unserer
Stadt gestört haben, werden ihre Strafe nach Recht und Geset
»ekommen. Die Gerichtsverhandlungen —,“
„Keine Verhandlungen!“ schrie die Menge durcheinander
„An den Galgen! Aufhängen! Sogleich!“
Es dauerte wieder eine geraume Weile, bis einigermaßen
Ruhe eintrat. Als das geschehen war, wandte sich plötzlich
Nikolaus Hentze an die Volksmasse.
Bürqgqer!“ schrie er. laßt euch euer Recht nicht nehmen