Full text: Lübeckische Anzeigen 1911 (1911)

Fuür das Veutsche Reich betrug die Bevölterungszunahme 
durchschnittlich während der Zählungsperiode 1905/ 10 1,36 606. 
Die höchste prozentuale Zunahme unter den Bundesstaaten 
m Deutschen Reiche hatte im gleichen Zeitraum Hamburg 
nit 2,983 00, die niedrigste das Herzogtum Braunschweig mit 
3,47 90 aufzuweisen. 
»Der Verkehr Lübecks ag dem DibeDrave gaun 1911. 
Tragf. Lad Tragf. dad 
* t 
Im Januar —A 12862 58839 29249 
im Ind dar 46695 24200 34006 16095 
im März 72 629 42792 90 318 52 796 
im April 94 270 49 233. 87 683 48 0566 
im Viai 36 403 s i88 114 300 63 331 
Zus. bis Ende Mal 339 772 177278 387 151 01730 
mithin mehr im 
Jahre 1911 — —* 47379 24 452 
NäEinen Ausflug durch die holsteinische Schweiz und nach 
Kiel unternahmen vom Dienstag bis Donnerstag ehem. Schüler 
der Oberkhasse der landwirtschaftlichen Winterschule Lübed 
unter Führung des Landwirtschaftslehrers Winkler. Die 
Teilnehmer fuhren von hier mit der Eisenbahn nach Pans— 
dorf, von dort gings zu Fuß nach Scharbeutz — Haffkrug, 
woselbst, das Gut Stawedder besichtigt wurde. Uebernachtet 
würde in einem Hotel am Kellersee. Am zweiten Tage gings 
nach Fissau, wo vor allem die Wirtschaft des Hufners 
Schumacher besichtigt wurde. Von hier marschierten die 
Ausflügler am UAglei, Keller- und Dielksee entlang nach 
Ascheberg und reisten von hier mit der Bahn nach Kieb. 
Dort wurde die Kaiserliche Werft, der große Kriegsschiffs— 
neubau „Kaiser“ und das schnellste Kriegsschiff der Welt, 
der Kreuzer „von der Tann“ besichtigt und danach die 
Schleusen und die Verbreiterung des Kaiser-Wilhelm-Kanals 
in Augenschein genommen. — Wie wir hören, sollen in 
iedem Jahre für die Schüler der hiesigen landwirtschaftlichen 
Winterschule derartige Ausflüge stattfinden und vornehm— 
lich der Besichtigung mustergültig betriebener Höfe und Güter 
gewidmet sein. 
SEin Wächter als Lebeusretter. Der Wächter Nr. 5 
der Lübecker Wach- und Schließgesellschaft hörle um 5,30 Uhr 
morgens jemand laut um Hilfe rufen und sah beim Näher— 
kommen einen Mann an der Hüxtertorbrücke im Wasser liegen 
und mit dem Tode ringen. Der Wächter eilte hinzu und er—⸗ 
griff den Mann, wie er wieder auftauchte, beim Arm und 
kommener städtischer Arbeiter brachten den Gerettketen dann 
zog ihn ans Land. Der Wächter und noch ein hinzuge— 
in seine Wohnung, Große Gröpelgrube 18. Es handelie sich 
um den 75sjährigen Arbeiter Dobbertin. 
Leichenfund am Warnemünder Seestrande. In der Nähe 
von Wilhelmshöhe wurde die Leiche eines Mannes im 
Alter von etwa 25—30 Jahren aufgefunden. Die Leiche 
zeigt eine Stichverletzung in der linken Brust und eine von 
dem Biß eines Menschen herrührende Verletzung über der 
rechten Handwurzel. Der Tod muß nach den bisherigen 
Ermittelungen zwischen 892 und 952 Uhr morgens am 8. Juni 
d. J. eingetreten sein. Der Verstorbene hat in der Nacht 
auf den 8. Juni unter dem Namen „Kaufmann August 
Jäger aus Luübeck“ in einem Hotel in Warnemünde zugebracht, 
doch besteht die Vermutung, daß dieser Name nicht der 
richtige ist. Legitimationen sind bei dem Toten nicht ge—⸗ 
funden, ebenso keine Uhr, wohl aber ein größerer Geld. 
betrag. Die Leiche ist mittelgroß, hat dunkles, kurzes, 
hochstehendes Haar, dunklen Schnurrbart mit hochstehenden 
Spitzen und gut erhaltenes Gebiß. Der Erste Staatsanwalt 
in Rostock ersucht um Mitteilung aller zur Aufklärung des 
Sachverhalts dienlichen Tatsachen. 
— ⏑ — 
Hauptversammlung des Bundes deutscher 
Herkehrsvereine. 
Worms, 7. Juni. 
Heute vormittag um 10 Uhr begann im Festsaale des 
Tornelianums die öffentliche Hauptversammlung, zu der sich 
die Abgeordneten und die Wormser Verkehrsvereinsmitglieder 
zahlreich eingefunden hatten. 
Der Bundesvorsitzende, Herr Gontard, Leipzig, eröffnete 
die Tagung mit herzlichen Dankesworten an die Erschienenen. 
Auf seinen Vorschlag werden an den Kaiser und an den Groß— 
Auf seinen Vorschlag werden an den Kaiser und an 
den Großherzog Begrüßungstelegramme gesandt. Freiherr 
um Ehrenvorsitzenden bestimmt, wofür dieser verbindlichst dankt. 
Der Versammlung wohnen die Vertreter der Landes— und 
Stadtbehörden, sowie der Militärverwaltung und der Eisen⸗ 
bahn⸗Direktion bei. Unter den folgenden Begrüßungen sind 
bemerkenswert die Ausführungen des Oberbürgermeisters 
Köhler der der Tagung bis zum Schluß beimohnte, Her 
Redner führte u. a. aus: 
„Die Verkehrsvereine sind hervorgegangen aus dem Be— 
dürfnis der Zeit, und sie sind — das kann offen gesagt 
werden — zunächst lediglich auf materieller Grundlage auf— 
zebaut. Der Verkehr innerhalb und nach den deutschen Gauen 
oll gehoben und damit für das wirtschaftliche Fortkommen 
ver Bewohner gesorgt werden. Aber das Streben ist auch 
von großen idealen Gedanken getragen, — wie könnte das 
in Deutschland anders sein! Durch die Verlehrsvereine wird 
den Deutschen erst recht einmal ihr Vaterland gezeigt! Wie— 
diele Menschen gibt es denn eigentlich, die kaum ihre Vater— 
tadt gründlich kennen und wissen, was sie an Schönheiten, 
andschaftlichen Reizen und geschichtlichen Zeugen birgt! Was 
das Leben in einer Stadt lieb und wert macht, darauf wird 
die Einwohnerschaft vielfach erst durch die Verkehrsvereine auf⸗ 
merlsam gemacht. Wie viele gibt es denn, die weiter hinaus⸗ 
gehen ins Land, um zu sehen, was es Schönes bietet! Sie 
wissen nicht, wie sie es finden, wie sie dahingelangen; sie 
bedürfen der Anleitung und des Rates, und den erhalien 
sie von den Verkehrsvereinen. Noch geringer aber ist die 
Zahl jener, die bestrebt sind, unser schönes großes Vaterland 
lemnen zu lernen. Ja, im D-Zug imn die Großstadt fahren 
und aus dem Zug in den Hotelwagen steigen, das können 
piele. Die Verkehrsvereine aber sagen: Verweile doch am 
Platz, steig aus, sieh dich um, du wirst nicht unbelohnt von 
dieser Stätte weggehen! Unterbrich auch einmal deine Reise, 
wandere abseits in die Täler und du wirst dich hochbefriedigt 
fühlen. Wer den Eingeborenen ihre Heimat zeigen will, der 
ersüctt wahrlich eine groze Aufgabe, und wenn der Bund 
sich von diesem idealen Gedanken weiter leiten läßt, dann 
wird er einen mächtigen Aufschwung nehmen. Was er an—⸗ 
schlaͤgt, das ist die Liebe zur Heimat, und mit ihr gehört 
ihm die Zukunft. Und nicht ousschliehlich materiell gerichtet 
ist das Streben, das den Ausländern unser schönes deutsches 
Vaterland zeigen will; auch unsere herzlichsten Empfindungen 
wenden sich diesem Streben zu. und wir alle wünschen ihm 
relchten Gtftase“ 
Der Bundesvorsitzende Herr Gontard dankte für die 
jerzlichen Worte der Begrüßung und führte dann folgendes aus: 
„Bei der Förderung der deutschen Verkehrsinteressen treter 
ür den Bund mehr und mehr zwei Ziele in den Vordergrund 
ie Zuziehung von Ausländern zwecks Verbesserung der deut 
chen Zahlungsbilanzen und der Ausgleich der Interessen der 
kinzelnen zum Wohle des Ganzen, soweit diese Interessen 
»en Verkehr betreffen und nicht vom Staate geordnet werden 
ollen. Der Zuzug ausländischer Fremden, die im Lande 
aufen, ist unbestritten für die Volkswirtschaft von größter 
zedeutung. Es kann als erwiesen gelten, daß Frankreich einen 
uuten Teil seines Goldschatzes in der Bank von Frankreich und 
ines damit bedingten gleichmähigen Diskonts und allgemeinen 
illigen Zinssatzes der Gold und Tratten auf das Ausland 
ringender Fremden in Paris und an der Riviera verdankt. 
Vas wäre Italien ohne Fremdenindustrie?! Versuchen wir. 
enügende Ausländer herbeizuziehen! 
Bei dem Ausgleich der Verkehrsinteressen im Inland, bei 
enen in der Regel die am Verkehr Verdienenden und das 
zublikum die Gegensätze bilden, soll und kann der Staat 
ur im Notfall eintreten. Andernfalls würden wir hierbei 
in Gesetzen und Verboten zugrunde gehen. Dagegen ist es 
zache des Bundes, alle in Frage kommenden Kreise, also 
inser ganzes Volk darauf hinzuweisen, welche Pflichten ihm 
er Nutzen der Gesamtheit auch im Verkehr auferlegt und daß 
eni Menschen auch beim Reisen nur das nützen kann, wofür 
r Verständnis hat. Viel hilft uns da die Schule und die 
z7chule des deutschen Mannes, das Militär. Dank den 
rdehrern. Dank den Offizieren, die bewalßt oder unbewußt 
em Deutschen das Verständnis für die Anforderungen des 
Vverkehrs vermitteln. Dank aber auch der Presse und allen 
»ie hierbei mithelfen. Etwaige Uebelstände auf einzelnen 
Zerlehrsgebieten werden wir schönungslos aufzudecken haben 
rreilich müssen wir auch deren Ursachen würdigen. Leidet 
um Beispiel die Unterbringung des Publifums in einzelnen 
Städten zu bestimmten Zeiten, so wissen wir, daß die Ursache 
hierfür mit darin zu finden ist, daß zu anderen Zeiten an 
iesen Plätzen nur sehr wenig Verkehr herrscht. Die Abstellung 
der Uebelstände selbst kann in der Regel wohl nur den ein— 
zelnen Verkehrsgruppen selbst überlassen werden. Auch hier 
zilt der Satz: „Jedem das seine“. 
Der Siaat steht uns in dankenswerter Weise zur Seite. 
Ich bin in der Lage, mitzuteilen, daß die hohen Eisenbahn-— 
direktionen beschlossen haben, uns wesentliche 
Mittel, die nach bestimmten Angaben auszugeben sind, zur 
Verfügung zu stellen. Was wir aber ichliezlich er— 
ingen, meine Herren, ist von der Gnergie abhängig, die wir 
etzt anwenden. Deshalb bitte ich Sie herzlich, meine Herren, 
zelfen Sie alle nach Kräften mit zunn Wohle unseres lieben 
»eufschen Vaterlandes.“ 
Ueber den Jahresbericht, der gedrudkt vorliegt, verbreitete 
ich Herr Dr. Seyfert, Leipzig, in kurzen Hinwe'sen und 
hemerkungen. Der Bund ist innerlich durch Zuwachs an 
ieuen Mitgliedern erstarkt. Bedeutende Verkehrsverbände und 
Lereine und sonstige Korporationen, sowie eine Anzahl Einzel⸗ 
nitglieder sind im letzten Geschäftsjahr dem Bunde beige 
reten, so daß heute nahezu alle für den deutschen Fremden, 
»erlehr maßgebenden Vereinigungen hinter dem Bunde stehen 
Die Bundesmitglieder setzen sich zusammen aus 162 Verkehrs— 
oereinen, Stadt⸗, Gemeinde- und Badeverwaltungen, 25 Ver— 
kehrsnerbänden, 8 Schiffahrtsgesellschaften, 11 Verkehrsbureaus 
und Zeitungen, 11 Sportvereinigungen, 12 anderen Verbänden 
und 10 persönlichen Mitgliedern. 
Dann sprach Herr Prosessor Dr. Friedrich, Leipzig, über 
„Propaganda im Auslande“. Er führte u. a. aus: „Der 
Bund drutscher Verkehrsvereine betrachtet als eine seiner 
zourtaufgaben die Steigerung des Fremdenzuzuges nach 
deutschland durch eine wirksame Propaganda im Auslande. 
Am wichtigsten ist die ständige Propaganda, der die Auskunfts— 
tellen des Bundes im Auslande dienen sollen. Der Bund 
zesiizt deren bereits 30 in Schweden, Finnland, Rußtland, 
Transkaukasien, Japan, Türkei, Ungarn, Oesterreich, Italien, 
Belgien, Niederlanden und Großbritannien. Die Zahl der 
uskunftsstellen wird sich mit den Mitteln, die dem Bunde 
»or kurzem von den deutschen eisenbahnbesitzenden Staaten 
vewilligt wurden, weiter vermehten lassen. Vor allem sollen 
iuch in Nordamerika Auskunstsstellen errichtet werden. Die 
Zureaus des Bundes befinden sich in den größten Städten 
»es Auslandes, erteilen Auskunft über deutsches Verkehrswesen 
ind verteilen die Führer, Prospekte usp. der dem Bunde 
migeschlossenen deutschen Landesverbände für Freindenverkehr 
ind der Verkehrsvereine, Stadtverwaltungen, Bäder usw. 
Die Landesverbände müssen Führer durch die ein— 
elnen Landschaften: Harz, Schwarzwald, Vogesen usw. 
chaffen, soweit sie noch nicht vorliegen; für die einzelnen 
Städte. Bäder usw. besteht schon ein reichhaltiges Führer— 
naterial. Das Propagandaheft über ganz Deutschland, mög— 
ichst aber auch die Landschafts- und Ortsführer, müssen in 
eutscher, englischer und französischer Ausgabe erscheinen. Die 
luskunftsstellen im Auslande soilen mit diesem Propaganda— 
aiaterial auch direkt werbend an die begüterten Kreise im 
luslande herantreten. Lichtbildervorträge im Auslande, Artikel 
i wichtigen ausländischen Zeitschriften und Zeitungen, Anzeigen 
n bedeutenden Tagesblättern des Auslandes werden als weitere 
zelegentliche Propagandamittel dienen können.“ — An den 
mit großem Beifall gufgenommenen Vortrag knüpfte sich eine 
furae aber interessante Aussprace. 
usyssßceeee — 
Der Margarine⸗Prozeß in Altona. 
(2. Tag.) 
Die Zeugenvernehmungen zogen sich am zweiten Ver— 
jandlungstage schier endlos in die Länge. Die weitaus 
neisten Erkrankungen haben, wie aus den Zeiugen—⸗ 
yernehmungen hervorgeht, Kinder betroffen, bei den älteren 
Versonen handelte es sich meist nur um schnell vorübergehende 
Uebelkeit. Soweit bis jetzt Aerzte, die die Kranken be— 
jandelt haben, gutachtlich gehört wurden, gewinnt man den 
kindruck, daß keiner von ihnen positiv davon überzeugt ist 
zaß die Erkrankungen dem Genuß von Margarine zugeschrieben 
verden müssen. Man nahm es an, da man in den Zeitungen 
bereits von andernorts vorgekommenen Erkrankungen nach dem 
Genuß von „Backa“ gelesen hatte. 
Erst nach 2 Uhr waren die Zeugenvernehmungen beendet, 
worauf eine kurze Mittagspause eintrat. Allseitig herrschte 
der Wunsch vor, die Verhandluagen noch am Freitag zu Ende 
xu bringen. Nach der Mittagspause wurde mit der 
Vernehmung der Sachverständ aen 
egonnen. 
Bornheim, Vorsitzender des Verbandes deutscher Marga⸗ 
rine-Fabrikanten, bekundete, er würde in keinem Falle ein 
Del verwendet haben, das er nicht vorher auf seine Unschäd— 
lichkeit geprüft hätte Tierart Rämeres Lettey bec Altönget 
zleischbeschauamts, erklärte, er habe physiologische Versuche wohl 
ei tierischen, nicht aber bei Pflanzenfetten gemacht. Der 
deiter des chemischen Untersuchungsamts in Altona, Dr. Lang⸗ 
urth, hat in der von ihm untersuchten Probe ein Gift nicht 
ntdeckt, dagegen sei ein Fremdfett darin enthalten 
zewesen. Bisher seien nur chemische Untersuchungen bei 
Pflanzenfetten Gebrauch gewesen, physiologische, wie sie 
—D— 
Die folgenden Sachverständigen äußerten sich in ähnlichem 
Sinne. Direktor Mergel von den Harburger Oelwerlen be— 
undete, er würde ein ihm unter den gleichen Umständen an— 
ebotenes Oel ebenso wie der Angeklagte ohne Vornahme 
iner physiologischen Untersuchung zur Verwendung gebracht 
zaben. — Dr. Bischof vom Königlichen Institut für Infektions— 
krankheiten in Berlin fand in dem Cardamonsl einen Stoff, 
der von fein zerriebenen Samenkörnern herrühren mußte, und 
hielt die Verwendung des Oels sofort für bedenklich. 
Noch eine ganze Reihe von Sachverständigen äußert sta 
über ihre Untersuchungen der ihnen zugestellten, mit Garda⸗ 
monöl hergestellten „Backa“Proben. Erwähnt sei noch, dal 
nach der Aussage des Medizinalrats Dr. Neidhardt weniger 
von Erkrankungen nach dem Genuß der Margarine, als 
von vorübergehendem Uebelbefinden gesprochen werden müsse. 
Die Vernehmung der Sachverständigen war damit be— 
endet. Die bisher noch nicht vereidigten Zeugen mit Aus— 
nahme von Peter Mohr werden laut Gerichtsbeschluß nach— 
träglich vereidigt. Die Beweisaufnahme war damit geschlossen 
und es hegann das 
Pladoeyer des Staalsamwalts. 
Nach einem allgemeinen Rückblick auf die gesamten Vor— 
zänge, wie sie im Laufe der zweitägigen Verhandlungen zu—⸗ 
age getreten sind, prätisiert der Staatsanwalt seinen Stand⸗ 
»unkt dahin, daß festgestellt werden müsse, daß sowohl die 
Marke „Bacha“ wie auch die Marken „Luisa“ und „Frifcer 
Mohr“ als gesundheitsschädlich zu betrachten seien. Dem 
Angeklagten sei in doppelter Hinsicht eine Fahrlässigkeit bei— 
uumessen. Die größere Fahrläsigkeit habe darin bestanden, 
daß der Angeklagte noch bis Ende November die Marken 
Luisa“ und „Frischer Mohr“ in den Verkehr geschickt habe, 
aachdem die Gefährlichkeit der Marke „Backa“ bercits er— 
kannt war. Der Angeklagte habe sich der fahrlässiten Körper— 
»erletzung schuldig gemacht. Was das Strafraß a betreffe, 
o habe der Angeklagte sich die größere Strafe schon selbs 
zugesügt durch den empfindlichen pekuniären und moralischen 
Schaden, den scin Betrich erlitten habe. Die höchste zu— 
läisige Geldstrafe von 8900 Mesci angeme sen. 
Plädoheur des Varteidigers. 
TDie Schädlichkeit der Marke „Backa“ soll nicht bostritten 
werden, dagegen hält der Verteidiger es für höchst bedenk— 
lich, auch die veiden anderen Marlen als gesundh i sschädlich 
hinzustellen. Bei den sogenann'en Massenerkrankungen in ein— 
elnen Familien sei die Möglichkeit einer suggestsven Wirkung 
nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen; besenders bei 
Kindern sei eine solche Wirkung sehr wohl denkbar. 
Die Fahrlässigkeit des Angeklagten sei in beiden Fällen 
zu verneinen. Der Angeklagte habe genau so geprüft, wie 
er es als NichtChemilker konnte, ese sei der am wenigsten Schuldige. 
Inwiefern den Chemiker ein Vorwurf treffe, wolle er hier nicht 
örtern; der Angeklagte sei kein Mann der Wissenschaft, sondern 
ein Praktiker, er konnte nicht anders handeln, wie er es getanm. 
Es habe sich um eine besonders schöne Ware gehandelt, die nocqh 
dazu, wie ihm der Agent ja versichert hatte, von „einer hohen 
Behörde“ besonders empfohlen war. Hätte der Angeklagte auch 
uur den geringsten Verdacht gegen die Marken „Luisa“ und 
„Frischer Mohr“ gehegt, so hätte er sicherlich auch diese beiden 
ofort aus dem Verkehr ziehen lassen. Er habe in jenen Tagen 
das Menschenmöglichste geleistet. Der Vorwurf, der Angeklagte 
zabe sich in jenen gefahrvollen Tagen nicht genügend um seinen 
Betrieb gekümmert, sei hinfällig, er habe genügende Vertretung 
gehabt, selbst habe er sich naturgemäß fast ausschlieblich mil 
der Racka“«Angelegenheit beschäftigt. 
Das Urdeil. 
DTie Straflammer füllte gestern ahend kurz nach 11 Uhr daa 
Urteil. Mohr wurde wegen fahriässiger Körperverletzung in 
Idealkonkurrenz mit Vergehen gegen das Nahrungsmittelgeset 
zu einer Geldstrafe von 700 Mark, eventuell für je 
10 Mueinen Tag Gefängnis, und in die Kosten des Verfahren 
erusta Der Z1nmalt hatte 900 MeGelditrase beantragt. 
Neueite Nachrichten und Telegramme. 
Die 50⸗ Jahrfeier der Fortschrittspartei. 
W. Berlin, 9. Juni. Auf der Feier der Fortschrittspartel 
zeleuchtete Abg. Kämpf die Wirtschaftspolitik im letzten Jahr 
ehnt und forderte zum Kampf gegen das Hochagrariertum ung 
um Selbstvertrauen für den Wahlkampf auf. Geh. Justizrat 
Dove mahnte, die individuellen Interessen zurückzusetzen 
zustiztat Gyßling-Königsberg wies darauf hin, daß die 
WViege der Fortschrittspartei in Oftpreußen stand, der neue 
Pahlkampf müsse zur Rückeroberung der alten Heimat führen. 
der Führer der Reichstagsfraktion, Wiemer, führte aus, 
die Partei sei stolz, als erste die deutsche Fahne entfaltet 
u haben, er habe es Bülow nicht vergessen, daß er ver— 
uchte, als konstitutioneller Staatsmann zu regieren. Kopsch 
iberreichte dem Geheimrat Träger eine Plakette mit dem 
Bildnis des Geehrten in Gold und verlas die Glüdwunsch 
depeschen. Sodann fand ein Kommers unter Struve⸗s Lei 
tung statt. 
W. Hagen, 10. Juni. Die Grundsteinlegung zu 
dem Richterturmm fsand gestern nachmittag in Anwesenheil 
der Reichstagsabgeordneten Cuno und Müller, sowie des Lande 
taasabaeordneten Bielstein statt. 
Der deuifch-iapanische Handelsverirag. 
W. Verl'n, 10. Juni. Behufs Erörterung der deuisch— 
japanischen Handelebeziehungen, ist der wir!schaftliche Ausschuh 
zum 13. Juni einberufen. 
Ein wahnsinniger Automobelführer. 
W. Dessanu, 10. Juni. Während ciner Spazierfahrt wurde 
in einem von ihm selbst gesteuerten Automobil ein Fuhr— 
herr wahnsinnig. Ohne sich um die Verletzten zu kümmern, 
überfuhr er mehrere Personen; er wurde schließklich angehalten 
und in eine Irrenanstalt überführt. 
Neue Aussichten auf die Befresung Richters. 
W. Salonikt, 10. Juni. Eine sieben Mann starke Gen— 
armenabteilung, die sich nach der Entführung des Ingenieurs 
Richter mit dem Abstreifen der Umgebuung des Klosters Spal— 
nos beschäftigte, stieß auf drei Hirten, als plötzlich ein⸗ 
ierte bewaffnete Gestalt auftrat. Ta dieser Verdächtige ent 
liethen wollte, schossen ihn die GHendarmen nieder. Der Tote 
vurde als Mitglied der Bande festgestellt, die Richter entführte. 
die Gendarmen arretierten die drei Hirten. Bei dem Ver— 
hör in hem Kloster Spalmos am Meisetn der Mönche ⸗»rat*
	        
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