Neueste Nachrichten und Telegramme.
Ddie Verlobung der Vrinzessin Viktoria Luise offiziös dementiert.
W. Berlin, 8. Juni. Die Nordd. Allg. Z3tg. meldet:
Wieder einmal beging eine hiesige Korrespondenz die grobe
Ungehörigkeit, völlig aus der Luft gegriffene Gerüchte über
eine bevorstehende Verlobung der Prinzessin Viktoria Luise
ind zwar mit dem Erbaroßherzog von Meckenburo-Strelitz,
u verbreiten.
Taft über den Eifhuz des Deutschtums in Amerika.
W. Washington, 8. Juni. Präsident Taft sagte in einer
Ansprache an die evangelisch-lutherische Generalsynode: Es ist
innötig, darauf hinzuweisen, in welchem Umfang die Entwick⸗
ung Amerikas durch die lutherischen Deutschen und durch die
Deutschen im allgemeinen gefördert wurde. Die Deutschen, die
im Jahre 1848/49 hier einwanderten, waren Männer von
inabhängiger Gesinnung, Charakterstärke und Ansehen in der
deimat. Sie lieferten Führer, die im Burgerkriege den Nor—
den behaupteten, die Sache der Freiheit aufrecht erhielten und
die Sklaverei ausrotteten. Sie haben eine Geschichte, auf die
ie mit aroßem Stoktz zurückblicken können.
Eine Proklamation Maderos.
W. Mexito, 8. Juni. Madero richtete eine Adresse an
die Bevölkerung, in der er die Hoffnung ausspricht, die mexi—⸗
ranische Revolution werde die Völker in Süd- und Mittel⸗
amerika veranlassen, nach der politischen Freiheit zu trach—
ten. Dann fährt er fort: Der Freiheitsgeist ist noch nicht
befriedigt. Wir alle werden nicht glücklich sein, bevor nicht
die Demokratie auf dem ganzen amerikanischen Festland herrscht.
Die Demrission dez belgischen Kabinetts.
W. Brüissel, 8. Juni. Der König nahm die Demission
des Kabinetts Schollagert an. Eine andere Lösung der Krise,
die durch die Beratung des Schulgesetzentwurfes ausgebrochen ist,
st nicht mehr möglich, nachdem gestern nachmittag in der
Kammer der Führer der Altradikalen, Woeste, das Mini—⸗
terium im Stich gelassen hat, indem er sich gegen die Durch—
zeratung des Gesetzentwurfes in der Spezialfkommission er—
lärte.
Wt. Brüssel, 8. Juni. In der Kammer verkündete der
Ministerpräsident die Demission des Kabinetts ohne Angabe
der Gründe, worauf ihm die Rechte sofort stürmische Beifalls—
undgebungen bereitete, an denen sich der Führer der Alt—
lerikalen, Woeste, nicht beteiligte. Dies veranlaßte die Linke
zu ironischen Hochrufen auf Woeste. Die Kammer vertagte
ich bis nach der Ernemung des neuen Ministheriums. Wie
XX. Siècle meldet, wird der König den Kammerpräsidenten
LTooreman mit der Kabinettsbildung beauftragen.
Wt. Brüsfsel, 8. Juni. Der Präsident der Deputierten⸗
kammer, Cooreman, hat heute nachmittag den Auftrag zur
Bildung des neuen Kabinetts abgelehnt. Der König berief
hierauf den Finanzminister Liebgert des zurückgetretenen Mi—
nisteriums, von dem angenommen wird, daß er geneigt ist,
ein neues Kabinett zu bilden. Die Liberalen und Soztial⸗
»emokraten haben eine Kundgebung an das belgische Volk er—
lassen, in welcher der Sturz des Ministeriums als Sieg der
Opposition gefeiert wird.
Pichon als Zeuge gegen Hamon
W. Paris, 8. Juni. Der Exminister Pichon wurde gestern
in der Angelegenheit Hamon vor dem Antersuchungsrichter
als Zeuge vernommen. Er teilte dabei mit, wie er von den
begangenen Unregelmäßigkeiten Kenninis erhielt und gab Auf—
klärung über die von Hamon veruntreuten Summen, nament—⸗
sich über die für das französische Konsulat in Jerufsaslem
estimmten 200 000 Frs. und über die vom Renntotalisator
ür die französischen Wohlfahrtsanstalten im Orient gestiftete
Summe von 50000 Fers.
Der Kampf gegen die Abgrenzimg des Champagnerbezirks.
W. Paris, 8. Juni. Bei der gestrigen Debatte über die
Abgrenzungsfrage ist deutlich zutage getreten, daß die Mehrheit
»er Kammer für die Abschaffung jeder Abgrenzung ist, und
daß dem Miinisterium leicht ernste Schwierigkeiten erwachsen
önnten, wenn es dieser Stimmung nicht Rechnung trüge.
Jaurès erklärte in der Humanits: Wenn das Ministerium—
dessen Lage durch die Krankheit seines Oberhauptes ohnehin
schwierig ist, nicht in allen großen Fragen einmütig geschlossen
vorgeht, dann tauchen immer wieder Mißhelligkeiten auf. Die
zersetzenden Kräfte nehmen in bedenklicher Weise zu. Die De—
putierten des Aubedepartements Paul Mennier und Bachimont
brachten eine Resolution ein, in welcher die Abschaffung der
Abgrenzung befürwortet und die Regierung aufgefordert wird,
die Verlautbarung des neuen Erlasses über die Abgrenzung
aufzuschieben. Die Resolution gelangt vielleicht schon am Schlusse
der heutigen Kammersitzung zur Erörterung. Die Winzeraus—
schüsse zu Bar-sur-Aube und Bar⸗-sur-Seine nahmen in der
gestrigen Versammlung den Beschlußantrag an, in dem die
Entscheidung des Staatsrates als ungesetzlich demütigend ab—
zelehnt wird, da eine Zoneneinteilung niemals bestand. Fer—⸗
ner werden die Pardamentsvertreter des Bezirks aufgefordert,
ür die Abschaffung der Abgrenzung überhaupt zu sorgen. Zum
Schluß wurden die Winzer ermahnt, sich ruhig zu verhalten.
Wt. Peris, 8. Juni. Im Ministerrat wurde der Inhalt
der Erklärungen beschlossen, die der Finanzminister abgeben
oll für den Fall, daß sich heute die Kammer mit dem Vor—
chlage befassen sollte, die gegenwattig bestehenden Gebiets—
abgrenzunden aufzuhsen. Das Kabinett wird sich danach jedem
Vorschiage dieser Art widersetzen und die Vertrauensfrage
tellen. Die Regierung würde sich aber damit einverstan—
den erklären, daß künftig keine neuen Gehbietsabgrenzungen
mehr vorgenommen werden sollen.
Der türkische Sultan in Salonili.
W. Saloniki, 8. Juni. Die Landung des Sultans und
die Fahrt nach dem Regierungsgebäude verliesen ohne Zwi—
schenfall. Die Fahrt durch die Stadt war ein wahrer Triumph—⸗
zug. Eine unabsehbare Vollksmenge bereitete ihm stürmisché
Dpationen. Die Pracht des kaiserlichen Zuges machte einen
großen Eindruck auf die Massen. Der Sultan war sichtlich
rrfreut; er empfängt nachmittags die fremden Konsuln und
verläßt dann den Konak nicht mehr. Der Sultan beauftragte
aleich nach seiner Ankunft seinen ersten Sekretär, sich zu
Abdul Hamid zu begeben und ihm Grüße zu überbringen.
Erdbeben.
W. Baktu, 8. Juni. Heute fruh 3 Uhr wurde ein 10
Sekunden andauerndes Grdbeben verspürt, durch das mehreré
bäuser beschädigt wurden. wry ⸗
W. Derbent, 8. Juni. Heute morgen um 31. Uhr wurde
hier ein starkes Erdbeben von dret Sekunden Dauer wahr⸗
—VVX
W. Mexito, 8. Junk. Der Umfang des gestrigen Erd—
ebens wurde zunächst nicht in der danzen Stadt bemerkt, da
s sich auf die nördlichen und nordwestlichen Stadtteile be—
chränkte. Aus den umliegenden Städten wurden keine nen—⸗
ienswerten Schäden berichtet. 8
Wt. Mexito, 8. Juni. Das gestrigs Erdbeben richtete
auch außerhalb der Hauptstadt in verschiedenen Teilen Mexikos
Verheerungen an, besonders in Zapotlan, wo viele Menschen
Amgekommen und viele obdachlos sind.
W. Berlin, 8. Juni. Heute mittag 1 Uhr fand im
Palais des Prinzen Albrecht die Taufe der Tochter des Prin—
en Friedrich Wilhelm und Gemahlin, geborene PMrinßessin
son Ratibor, statt. Zugegen waren: Der Kaiser und die
daiserin, die hier anwesenden Prinzen und Prinzessinnen des
öniglichen Hauses und die herzoglich ratiborsche Familie. Ober⸗
/ ofprediger D. Dryander vollzog die heilige Handlung. An
„ie Taufe schloß sich ein Frühstück an.
W. Berlin, 8. Juni. Die Wahl des früheren Staats—
ekretärs Dernburg in den Aufsichtsrat der Deutsch-Asiatischen
Bank ist heute erfolgt.
W. Berklin, 8. Juni. Die Wiederwahl des Oberbürger—
meisters Kirschner ist vom König bestätigt worden. J
W. Berlin, 8. Juni. Das Mitglied der Akademie für
Zünste, Architekt Professor Johannes Otzen, ist heute fruh
gestorben.
W. Stettin. 8. Juni. In der heute eröffneten 24. Haupt⸗
»ersammlung des Vereins Deutscher Chemiker wurde die Ver—
eihung der Liebig-Denkmünze, der höchsten Auszeichnung, die
»er Verein vergibt, an Prof. Ehrlich bekannt gegeben. An
Prof. Friedländer-Darmstadt wurde der Duezberg⸗Preis für
Urbeiten auf dem Gebiet der Farbenchemie verliehen. Fried⸗
änder ist der erste Preisträger dieser Stiftung; er erhielt
ugleich die Bayer⸗Plakette. An den Kaiser wurde ein Hul—⸗
nigungstelegramm abgesandt.
Wt. Stettin. 8. Juni. In der heutigen Geschäftssitzung
der Hauptversammlung des Vereins deutscher Chemi—
er wurde Geheimrat v. Brunck-Ludwigshafen a. Rhein zum
Ehrenmitglied ernannt unter Berücksichtigung seiner Verdienste
uim die Fabrikation künstlichen Indigos und des Schwefel⸗
erfahrens des Anhydrids. Die nächste Tagung findet in
freiburg (Breisgau) statt. Die nächste Versammlung, die 25.
es Vereins, soll als besondere Feier im Anschluß an den
nternationalen Kongreß für angewandte Chemie in Newyork
tattfinden. Ferner wird geplant, eine Jubiläumsstiftung, die
»en Zweck hat, Vereinszeitschriften zu fördern, angestellten Che—
nikern Studienreisen, insbesondere den Besuch von internatio—
nalen Kongressen zu ermöglichen.
W. Kiek, 8. Juni. Der Verband der landwirtschaftlichen
henossenschaft der Provinz Schleswig-Holstein ist heute zu seinem
27. Verbandstage zusammengetreten. Etwa 400 Personen sind
»azu erschienen, u. a. Vertreter der Regierung und des preußi—
chen Zentralverbandes.
Wt. Washington, 8. Juni. Der Finanzausschuß des Se—⸗
ates hat den Bericht über den Gegenseitigkeitsver—
rag mit Canada mit einem Zusatzantrag angenommen,
iach welchem die freie Einfuhr von kanadischen Holzstoffen zur
Papierfabrikation versagt wird, bis die diesem Artikel auf—
erlegten kanadischen Ausfuhrbeschränkungen aufgeboben sind,
Wi. München, 8. Juni. Das Landgericht München 1
»erurteilte den Kunsthändler Emil Becker, der in Gemein—
chaft mit dem Amerikaner Elorany den Frankfurter Juwelier
Koch um Juwelen im Werte von 154500 Mubetrog, indem er
inen falschen Scheck ausstellte und dann flüchtete, zu fünf
Jahren Zuchthaus und 2100 MuüGeldstrafe wegen vier Ver—⸗
brechen im Rückfall.
Wt. Rom, 8. Juni. Raimondo Marra, der heute nach—
mittag zum Ausscheidungsrennen für den Tiberrundflug auf—
gestiegen war, stürzte drei Kilometer vom Flugplatz ent⸗
fernt, anscheinend infolge einer Explosion des Motors, herunter.
Frustarb auf dem Transport ins Krankenhaus.
Wt. Lüttich, 8. Juni. Auf dem Bahnhof Angleur stieß
ein Lokalzug mit leeren Waggons zusammen. Der Zug
entgabeiste. 32 PVersonen wurden teils schwerverletzt.
heer und Flotte.
W. Berlin, 8. Juni. Angekommen: „Otter“ am 7. Juni
in Hankau, „Loreley“ am 8. Juni in Modania und „Grille“ am
7. Juni in Warnemünde. Abgegangen: „Iltis“ am 8. Juni
on Hankau, „Vineta'“ am 7. Juni von Kiel nach Balholmen,
Kaiser Wilhelm II.“ am 6. Juni von Kiel nach Norwegen,
„Grille“ am 8. Juni von Warnemünde nach Saßnitz, das
. Geschwader ist am 7. Juni von Wilhelmshaven nach Hel⸗—
zoland » Fin⸗on gegangen
40. Jahres⸗versammlung des Hanfischen
Heschichtsvereins zu Einbeck in hannover.
Sonderbericht der Lübeciischen Anzeigen.)
IT.
Einbeck, 7. Juni.
Aus den deschäftlichen Sitzungen der diesjährigen Jah—
esversammlung seien folgende Angaben zusammengestellt:
Im vergangenen Geschäftsjahr hatte der Verein durch
kod 19 Mitglieder verloren — unter ihnen den Schatzmeister
»es Vereins, Professor Hofmann⸗-Lübeck. Ausgetreten
varen 11 Mitglieder. Diesem Verlust stehen schon 87 neue
Beitrittserklärungen gegenüber, so daß eine Vermehrung der
Mitglieder zu verzeichnen ist. Die Gesamtzahl beträat gegen—
pärtig 499 Mitglieder.
An wissenschaftlichen Publikationen sind im letzten Jahre
n Band der Beschichtsblätter, die diesjährigen Pfingst—
lätter (Dr. Häpke, der deutsche Kaufmann in den Nieder⸗
anden), ein Band der Abhandlung zur See⸗ und Ver—⸗
ehrsgeschichte Dr. Püschel, Das räumliche Wachstum der deut—
chen Städte) und endlich der 8. Band der 3. Serie der Hanserezesse
earbeitet von Professor Schäfer und Ratsarchivar Dr.
dechen erschienen. Druckfertig liegen folgende Arbeiten vor:
die Danziger Inventare (Prof. Simson) und die niederländischen
znventare (Dr. Häpke). In Vorbereitung sind eine Unter⸗
uchung über die deutsch-spanischen Handelsbeziehungen im 16.
ind 17. Jahrhundert und je ein weiterer Band der Hanse⸗
ezesse und des Hansischen Urkundenbuches.
Die Versammlung bestätigte die Wahl des neuen Schatz⸗
neisters des Vereins, Archivrat Dr. Kretzschmar, Lübeck.
lus dem von diesem vorgetragenen Kassenbericht argab sich,
afßß die Einnabmen und Ausagaben des Vereins im lekten
Jahre mit 19 770 Meubalancierten. Als nächster Versammlungs
ort wurde Wismar gewählt.
8
Die beiden Vereine nahmen am 6. Juni in getrennten
Sitzungen ihre Arbeiten wieder auf. Während im Verein für
niederdeutsche Sprachforschung Dr. Crome-Göttingen von den
riederdeutschen Quellen der Thidreks-Sage berichtete, und Mu—
eumsdirektor Lauffer⸗-Hamburg über die volkstümliche Sitte
der Tätowierung in Deutschland sprach, hörten die Mitglieder
»Res Hansischen Geschichtsvereins einen Vortrag von Privatdozent
Wätgen⸗Heidelberg über das Thema „Holland und Bra—
ilien im 17. Jahrhundert“. In fesselnden Darlegungen führte
»er Redner aus, wie die feindseligen Maßnahmen Philipps II.
von Spanien gegen den holländischen Zwischenhandel mit bra—
ilianischen Waren von den Häfen der pyrenäischenHalbinsel aus
die Holländer bestimmte, zum unmittelbaren Handel mit Bra—
ilien überzugehen und den spanisch-portugiesischen Handel und
tolonialbesitz mit Gewalt zu verdrängen. Diese Aufgabe nahm
ie Niederländische Westindische Companie in die Hand, die 1621
nit einem Kapital von 7 Millionen M, das bald auf 18 Mill.
rhöht wurde, gegründet wurde. Es gelang auch, zunächst das
Zuckerplantagenland Pernambuco zu gewinnen und, namentlich
ils im Jahre 1628 durch den Wegfang der spanischen Silber—
lotte 15 Millionen Mein die Hände der Gesellschaft fielen,
ie Eroberungen weiter auszudehnen. Die besten Jahre des
AInternehmens umfassen die Zeit als der umsichtige und tüchtige
ñsraf Johann Moritz von Hessen-Nassau Generalgouverneur
par (1636— 1643). Aber Mißgunst und die Befürchtung,
Jahann Moritz könne einen eigenen Kolonialstaat gründen, ver⸗
mlaßten seine Rüdberufung. Nun war das Land der starken
zand des Grafen beraubt, inneren Zwistigkeiten und dem neuen
vortugiesischen Angriff preisgegeben. Mit dem Jahre 1654
st der Kampf zu Ungunsten Hollands entschieden, und die West—
indische Companie konnte froh sein, 1666 mit einer Summe von
3 Millionen und Handelsfreiheitsprivileg von Portugal ent—
chädigt zu werden. In dem letzten der Vorträge gab Pro—
essor Feise-Einbeck eine Uebersicht über die Baugeschichte
»er Stadt, in die Feuersbrünste in verhängnisvollster Weise
ingegriffen haben. Ein Rundgang durch die Straßen der Stadi
unter sachkundiger Führung schloß sich an. Namentlich war es
ie Holzarchitektur und Ornamentik der seit dem Brande von
540 neuentstandenen Bürgerhäuser, die einzeln und in ma
lerischen Straßenzügen die Augen der Teilnehmer erfreuten.
Der Nachmittag und Abend waren geselligen Veranstal—
ungen gewidmet, der morgige Tag wird noch einen Ausflug
nach Stadtoldendorf und dem Kloster Amelungborn bringen,
mit welchem die vom schönsten Wetter begünstigte und aufs har—
monischste verlaufene Tagung gewik einen schönen und würdigen
Abschluß finden wird
Buntes Allerlei.
Enihört! Eine unsichtbare Mauer umgibt den stattlichen
duu des Reichsgerichts in Leipzig. Durch diese Mauer
zehen täglich cin und aus: Fleiß, Scharfsinn und Gelehr—
amkeit, aber unerbittlich fand stets, von Anfang an, ver—
chlossene Tore der arme Sinn für die Reinheit, Richtigkeit
ind Schönheit unserer Muttersprache. Taher herrscht inner⸗
zalb der Mauer die Freude an geschraubten und verwicelten
Wort- und Satzbildungen, ein Tintendeutsch, das den Blid
ür die Häßlaichkeit und Fehlerhaftigkeit der oft verspotteten
Juristensprache verlor. Deese Sprachverwilderung setzte gleich
nit dem Tätigkeitsbeginn des höchsten Gerichtshofes ein.
Hleich eine der ersten Entscheidungen brachte in einem einzigen
Zatze von 112 Wörtern jene bekannte Begriffsbestimmung
es „Eisenbahnunternehmens“. Und fsast jedes weitere Urteil
eiligte in seinen Gründen stelzbeinige Satzungeheuer, deren
ibgehackte Schwänze dann regelmäßig zu dreien oder vieren
iachklappten. Der alte Papierstil schuf in der Folgezeit Worte
vie beklagtischerseits“ und „gehausssucht“. Von
fehlsamen“ Ansichten in „vorwürfigen“ Fragen., deren Prüfung
nan sich „unlerzüglich“ machen nmü's⸗, wurde geschreben. Andere
Wortverdrehungen folgten. Dann gab es eine ganze Jeit
lang nichts zu tadeln. Und schon wollte man der Hoffnung
villig Gehör schenken, daß auch in die Erkenntnisse des Reichs—
gerichts eine einfache und volkstiümliche Sprache, wie sie allein
dem höchsten Gerichtshofe würdig ist. Eingang gefunden
abe. Diese Hoffnung hat nun das Reichsgericht
unichte gemacht, indem es in einer der neuesten Entscheidungen
das schöne Wort „enthört“ schuf. Der Senat en'schied, daß
er Beklagte mit seinem Antrage „enthört“ werden müsse,
weil er den Antrag nicht rechtzeitig in der gehörigen Form
jestellt habe. „Enthört... es ist unerhört!“ bemerkt das
Berliner Tageblatt sehr richtig dazu.
nge. Berliner Bilder. — „Tout⸗Berlin.“ Wenn eine Vre—
niere, ein Wohltätigkeitstee, ein Baßar stattiand, lesen wir oft, das
Tout⸗Berlin“ anwesend war. Das joll besagen, daß die obersten
reise der Berliner Gesellschaft die Teilnehmerschaft des Feltes bildeten;
der es sollte doch wenigstens soviel heißen. In Wirklichkeit bedeute!
die Festitellung der Tatsache, daß „Tout-Berlin“ sich aus diesem oder
enem Anlasse ein Stelldichein gab, etwas ganz anderes. Es bedeutet,
—L——
md Anschauung gute, tonangebende Gesellschaft der Hauptstadt des
Deutschen Reiches, die zugleich die Haupistadt Preußens ist, zusammen⸗
etzt. Nämlich: der Hof mit allem, was ihn umgibt, das Militär, die
Diplomatie, das Beamtentum und das kaufmännische Patriziertum.
Festgefügte Zirkel, zu denen man sich nicht zurechnen kann, wenn man
uicht dazu gehört. „Tout⸗Berlin“ liegt „outside“ davon. Es ist eine
Imschreibung von Berlin W, oder richtiger noch, von Berlin WW.
ind umfaßt alles, was sich zeigt und um jeden Preis beachtet sein
vill. „Tout-Berlin“ ist das junge, zugewanderte Berlin, das gar
eine Berliner Vergangenheit und, zu großem Teile, eine sehr unsichere
Berliner Zukunst hat. Was strebt und speluliert, mit Literalur,
Zzunst und Sport kokettiert, viel Geld — mit mehr Berechnung, als
es den Anschein hat — ausgibt, die auffallendsten Toiletten trägt und
internationale Bildung, die nicht immer mit den Schullenntnissen im
Finklang steht, zu markieren bemüht ist. Kurzum, es sind die Empor⸗
ekommenen von geitern und die Emporkommenden von heute. Kraft
ind Können steckt in ihnen, aber noch viel mehr Wollen und Wünschen.
Ind auch viel ungewollte Komik. Sowie sie sich vordrängen, um eine
zffentliche Rolle zu spielen, tritt der Gegensatz zwischen ihrem Einjt
und ihrem Jetzt hervor und schafft ihnen leicht einen Ruf von anderet
Art, als sie erhofften. Ein Beispiel für viele. Björnson kam nach
Berlin. Zu seiner Aufnahme bildete sich, was sich in solchen Fällen
in Berlin immer bildet: ein Komitee. Und in diesem Komitee saßer
elbstversiändlich neben Leuten von Kultur auch Leute aus „Tout⸗
Berlin“. Von diesen hatte einer den Empfang und die Bearlukunt
des großen standinavischen Dichters übernommen. Erst aber holte er
ich Rat bei einem Freunde mit der vorsichtigen Erklundung: „Sagen
A DDDD
hauer, nicht wahr ?“ ... Buchstäblich wahr. So ist „Tout-Berlin“
Es ijst, glücklicherweile, noch länast nicht in dem Sinne wie es o
ubchte:! Ganz⸗Borlin.