Full text: Lübeckische Anzeigen 1911 (1911)

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Amtsblatt der freien und hanfestadt Lübed 161. ZknRegang Nachrichten für das Herzogtum Tauenburg, die 
eee eche verorunblatee rrrteegezz Sirttentnwer nmadenurs. dubea und dar unen 
— EE — e eed zende mecllenburgische und holsteinische Gebiet. 
Drud und Verlag: Gebrüder Borchers G.m.b. S. in Lübed. — — 
(Große Ansgabe) Sonnabend, den 14. Januar I91. Abend-Blatt Nr. 25. 
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Preßftimmen — Ppichons Rede üher die 
franzöeüsche auswärtige Politik. 
O Lübeck, 14. Jan. 
Es war nach den lebhaften Preßerörterungen der letzten 
‚wei Wochen eigentlich selbstwerständlich, daß sich die poli— 
ische Neugier ganz besonders auf die Wirkungen 
der Potsdamer Kaiserbegegnung konzentrieren 
nußten. Das galt vor allem in Frankreich. Pichon hat 
iun in einer langen, sehr beachtenswerten Rede, die weit 
iber die Grenzen Frankreichs hinausging, viele Zweifelnde be— 
ruhigen und viele Aufgeregte beschwichtigen können. Nun 
vissen wir auch in Deutschland, woran wir sind. 
Herr Pichon hat klipp und klar festgestellt, daß die 
Potsdamer Entrevue von Frankreich als eine neue und eine 
der festesten Grundlagen des Weltfriedens begrüßt zu werden 
verdiene. Er wies ausdrücklich darauf hin, daß Frankreich 
n den Ergebnissen der Entreoue nur eine Förderung seiner 
eigenen Friedenspolitik erblicken könne und sich in nichts ge— 
chädigt fühle, da sein rein defensives Bündnis mit Rußland 
in aller Jugendfrische und in ungeschwächter Kraft fortbestehe. 
Im Grunde hat man das in Teutschland schon früher ge— 
vußt: denn „es ist von neuem feltgestellt worden,“ sagte der 
neichskanzler in seiner Rede vom 10. Dezember, „daß keine 
der beiden Mächte sich in eine Kombination mit aggressiver 
Spitze gegen den anderen Teil einlassen wird.“ Herr Pichon 
tonnte daher mit gutem Rechte sagen, daß die Punkte für 
Frankreich nichts Ausregendes haben, über die Deutschland und 
Rußland immer im Rahmen der bestehenden Bündnisse) ihre 
Ansichten austauschten. „Aufgecegt haben sich,“ so meint 
die Vossische Ztg., „in Frankreich sowohl wie in den anderen 
rändern der Tripleentente tatsächlich nur diejenigen Elemente, 
eren Programm von der aufrichtig friedlichen Tendenz der 
Politik der Kabinette erheblich abweicht, und die immer nach 
grennstoffen suchen, um da, wo ruhige und reine Luft ist, 
eiin Feuer zu entfachen und Qualm aufsteigen zu lassen.“ 
Die Tägl. Rundschau sührt aus, indem sie den poli— 
ischen Wert der Rede kritisiert: „Pichon hat mit seinen 
Darlegungen zweifellos den Ruf als weitsichtiger Staatsmann 
ind besonnener Diplomat gerechtisertigt. Von seinem Stand— 
punkt aus hätte er gar nicht besser sprechen können. Es galt 
vor allem, die aufgeregte Meinung des französischen Volkes 
du beruhigen. Das dürfte ihm gelungen sein. Friede und 
Erhaltung des Status quo erklärt Pichon für die beiden Grund— 
er seiner Politik. Indem er sorgfältig alles vermied 
n inen en auf das von ihm entworfene glänzende 
* ee hat er in wirksamer Weise alle Vorzüge 
erausgearbeitet und am Schluß in dramatischer Steigerung 
in die franzssischen und russischen Herzen nicht ungeschict ge⸗ 
ührt. Was nun uns Deutsche anbetrifft, so haben wir im 
besentlichen keinen Grund, über Pichons Ausführungen * mit 
lusnahme derienigen über Marokko — unzufrieden zu sein. 
Im ganzen glauben wir, daß die Rede Pichons, die Deutich⸗ 
and gegenüber ein so freundliches und friedsertiges Gepräge 
eigt, allgemein bei uns eine sehr günstige Aufnahme finden 
pird. Es dürfte sodann noch von besonderem Interesse sein, 
ier auch einmal kurz das Urteil der französischen 
ind englischen Presse, soweit es bis jetzt vorliegt, 
ennen zu lernen. 
Die Pariser Morgenblätter zeigen sich durch 
zichons Erklärungen vollkommen beruhigt. Sie triumrhieren 
berschwenglich, jedoch werden stellenweise auch Bedenken laut 
egen eine allzu optimistische Auffassung der Weltlage. 
Der Petit Parisien schreibt: „Die Kammerrede des 
Ninisters des Aeußern wurde in ganz Frankreich und im 
lusland mit größter Spannung erwartet. Durch seine Worte 
rat Pichon dem Lande die Gewißheit einer diplhoma— 
ischen Stabilität gegeben, die es von seiner Regierung 
uu fordern berechtigt ist.“ 
Der Figaro bemerkt: „Ein großes Kulturland, das 
pie das unserige eine so ruhmvolle Vergangenheit hat, muß 
ur Verteidigung seiner Interessen vor allem auf sich selbst, 
icht aber auf das Bündnis mit anderen bauen. Der Ausbau 
ind die Aufrechterhaltung unserer Militärsraft muß uns daher 
or allem am Herzen liegen.“ 
Die demokratische Presse hebt entzückt die Versicherung des 
iedlichen, aller Angriffslust abholden Charakters der franzö⸗ 
ischen Politik hervor. Pichons Hinweis auf die Notwendig⸗ 
eit weiterer Rustungen findet, außer bei der „Humanité“, 
Ilgemeinen Beifall. 
Die Haltung des verantwortlichen Leiters 
er französischen Auslandspolitik steht aber nicht 
m Einklang mit deutschfeindlichen Treibereien, 
ie während der letzten Tage unter hervorragender Mitwirkung 
es Hauptorgans des Quai d' Orsay, des Temps, vor sich 
egangen sind. Was der Temps zur Aöschwächung des Er— 
ebnisses der Potsdamer Begegnung geleistet hat, verrät nichts 
on der Freundlichkeit, die jetzt Pichon an den Tag legte. 
Ind die Art, wie Variser Blätter die von der Evening Tines 
n Sachen der deutschrrussischen Verhandlungen begangene In—⸗ 
iskretion behandelt haben, unterscheidet sich gleichfalls be— 
rächtlich von dem Standpunkte Pichons. Solche Momente 
nüssen die Wirkung der freundlichen Worte Pichons bei deut— 
chen Beurteilern allerdings abschwächen. 
Auch die englische Presse nimmt in weitem Umfange zu 
Zichons Rede Stellung, indem sie besonders die Teile der 
Rede hervorhebt, die sich mit der Solidität des französisch⸗ 
— — ——— 
hres Vaters werben, und ihr Vater würde noch im Grabe ein 
Betrogener sein? 
„Nie, niemals!“ schrie es in Undines Seele. Jeder, nur 
nicht er. Das war sie der Ehre ihres Vaters, ihrer kleinen 
SZchwester schuldig, daß der Mann die Frau niemals berührte, 
»ie ihrem Vater das Heiligste watr. Mit Schaudern gewahrte 
ie das loketie Spiel Fridruns, die keine Scheu vor dem 
rischen Grabe da drüben auf der stillen Insel zurückhielt, die 
sur an sich dachte und an die Möalichkeit, den Augenblick 
u nützen. 
„Es ist gut, Graf Randolt, daß Sie kommen,“ nahm 
ßräfin Lidwina, die sich zuerst gefaßt hatte, das Wort. 
‚Undine hätte Sie sonst noch un eine Unterredung vor Ihrer 
Abreise gebeten.“ 
.Gräfin Undine kommt meinen Wünschen zuvor,“ entgegnete 
Fraf Reimar, die Greisin artig zu dem hohen Lehnstuhl am 
damin führend. Auch ich hätte mancherlei zu besprechen. Das 
ßeschästliche der Uebernahme habe ich mit dem Berwalter und 
nnspeltor soeben erledigt. Es breibt mir noch, die leßten 
dinweise von Ihnen, Gräfin, zu erhalten, da mir der In— 
oektor sagte, daß Sie in letzter Zeit die Geschäfte Ihres 
Baters geführt, und dann möchte ich noch der Ihrigen per⸗ 
önliche Wünsche ordnen, gnädigste Gräfin.“ 
.Wie lieb Sie sind, Graf Reimar,“ mischte sich die junge 
Witwe in das Gespräch, „und wie wohl das tut nach all den 
chmerzlich aufregenden Tagen. Würden Sie mir gestatten, der 
Unterredung mit Undine beizuwohnen? Undine kennt so wenig 
neine Wunsche und meine Gepflogenheiten, und vielleicht Lonnte 
ch da selber gleich am besten jede Auskunft geben.“ 
Undine sah, wie ein kaum merkliches Spottlächeln Rei⸗ 
nars Lippen kräuselte. Seine Faltung blieb aber tadellos 
zerbindlich, als er erwiderte: 
„Ich bedaure ungemein, meine Gnädigste, Ihren Wünschen 
richt willfahren zu können. Der Wunsch und Wille ves 
ßrafen Marnar Randolt weist, mich in allen Fragen, die 
erührt werden sollen, direkt an Gräfin Undine, seinem ge— 
reuen Anwalt, wie er sagt, dem er das Wohl und Wehe 
einer Frau und seiner kleinen Tochter ans Herz segt. 
Wollen Sie aber mich bestimmen, Graͤfin?“ wandte er sich 
an Undine. —* — 
—— 
russischen Bündnisses und mit der französisch-britischen Entente 
befassen. Der beruhigende Charalter der Ministerworte wird 
illgemein betont. Man nimmt mit Befriedigung davon 
Zenntnis, daß die russisch-deutsche Verständigung, die gleich 
»em deutsch-französischen Marokko-Abkommen vom Jahre 1909 
iel Staub aufgewirbelt hat, in Frankreich keine dauernde 
zZeunruhigung erzeugte. „Wir können uns über das deutsch— 
ussische Abkommen, so führte eine der Regierung nahestehende 
zersönlichkeit aus, ebenso freuen, wie über das Marokko— 
lbkommen. Wenn die beiden benachbarten Kaiserreiche gute 
zeziehungen unterhalten, kann dies nur der Aufrechterhaltung 
des europäischen Friedens dienlich sein.“ 
Der Tag, an dem diese Rede Pichons am Quai d' Orsay 
tieg, stelilt demnach einen großen Erfolg des französischen 
Ministers dar. Rein äußerlich hatte er dadurch ein glänzendes 
Hepräge angenommen, durch die Anwesenheit einiger hecvor— 
agender Gäste. Es saßen nämlich die Herren Tittoni, 
o. Schön, Is wolski, drei frühere Auslandsmi ilet, neben 
»em türkischen Botschafter Naum Pascha in der 
ersten Reihe der Diplomatenloge, um den wirkungsvollen Aus— 
ührungen des Herrn Pichon zu lauschen. 
Inland und Ausland. 
Deulsches Reih. 
Der Kronprinz in Indicn. Der deu sche Kronprinz wieder—⸗ 
hole gestern seinen Besuch des Nhalbar-Passes, da der erste 
Besuch durch starken Ncebel beeinträchtigt war. Der Ausflug 
var vom schönsten Wetter begünstigt. Vom Fort Landi Kotal 
aus setzte der Kronprinz mit Gefolge den Ausslug, der in mil— 
üärischer Hinsicht überaus interessant war, zu Pferde bis zur 
Srenze von Asghanistan fort. Gestern früh empfing der Kron— 
»rinz de in Pelschawar Jlbenden Deutschen. Am Abend faud 
ie Abre'se nach Halsan Abdul zur Besichligung des dort stehen⸗ 
»en Gurkah-⸗Regiments statt. 
Der neue deutsche Militürbeppimũchtigte in Petersbuarg 
seneralmajor v. Lauenstein, Kommandeur der 
28. Infanterie-Brigade, ist zum Militärbevo'lmäch'igten bei 
zer deutscher Botschaft in St. Petersburg un'er Belassung 
n seiner Stellung als General à Ia svite und Zuteilung zum 
zauptauartier des Kaisers von Rudland ernannt worden. 
». Lauenstein war schon früher in St. Petersburg, und 3war 
als Militär-⸗Attachée, er machte den russisch-ijapanischen Krieg 
auf russischer Seite mit. 
Der Bundesrat hat seine Zustimmung gegeben, daß Bayern 
Jubiläumsmünzen, und zwar Fünf-, Drei— und Irde im ar k⸗ 
tücke mit dem Bildnis des Prinz⸗Regenten Luitposd von 
Bayern, im Betrage von 254 Mill. Meaus Anlaß des bevor—⸗ 
tehenden 90. Geburtstages des Regçenten prägt. Der Bun— 
desrat hat dabei einem Wunsche der Regierung entsorochen. 
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Sie neigte leicht den rotblonden Kopf, über den die 
jlackernden Flammen des Kamins sprühende Lichter warfen, 
and ging mit leichten Schritten zu einer Tür, die sie mit sicherer 
dand öffnete. 
„Wollen Sie bitte hier in mein Zimmer troten, Graf Ran—⸗ 
olt?“ forderte sie ihn auf, in das kleine, von einer rosa 
Lampe erhellte Gemach zeigend, „ich folge Ihnen sofort.“ 
Er schritt mit einer leichten Verneigung, ohne Fridrun mit 
einem Blick zu streifen, an den Frauen vorüber in den Neben— 
caum. 
Fridrun umschloß plötzlich, ehe Undine folgen konnte, mit 
hren beiden Händen Undines Arm mit eisernem Griff. Tief 
zruben sich die feinen Fingernägel der jungen Frau in den 
Arm des Mädchens. 
„Hüte dich,“ zischte Fridrun ihrer Stieftochter zu. „Hüte 
dich, aus albernem Stolz hier unser aller Stellung zu unter—⸗ 
graben.“ 
„Und was wuünschest du, was ich tun soll?“ 
„Alles daran setzen, daß unsere Rechte hier ungeschinälert 
die alten bleiben. Ich habe weder Lust, hier meine Wohnung 
auszugeben, noch sonst meine Gewohnheiten zu ändern. Richte 
dich danach.“ 
„Und du würdest, um dir diese Aeußerlichkeiten zu erhalten, 
zern jedes Opfer, das gewünscht wird, bringen ?“ 
„Natürlich, sowert ich es vermag. Aber abgetan will ich 
nicht sein. Nicht in die Rumpellammer, in einem Hause, wo 
ich herrschen will. So, und nun geh und mach das gefälligst 
dem Grafen Reimar klar. Er wird sich bescheiden lernen.“ 
Ein dunkler, seltsamer Blick traf Fridrun aus Undines 
Augen, die ohne ein Wort der Erwiderung vorüberschritt und 
durch die dunkle Tür, die zu ihrem Arbeitszimmer führte, 
verschwand. 
Die Greisin saß kerzengerade in dem hohen Stuhl und 
sarrte mit ihren hellen und doch totden Augen in die Flammen. 
Es war jetzt ganz dunkel im Zimmer. Nur das Feuer im 
Kamin verbreitete noch einen matten Lichtkreis. 
Draußen raste der Frühlingssurm um das Haus und das 
Meer grollte und murrte mit dumpfem Laut. 
„Bist du mir noch böse, Mutting? Sei doch wieder gut. 
Ich wuhzte ja vorhin gar nicht, was ich alles sagte. Ich bin 
Die Rebelfrau. 
Noman von Anny Wothe. .a 
(8. Fortsetzung. MMachdruck verboten.) 
Wie silberne Glocken klang das Lachen der jungen Frau, 
das so seltsam zu den Trauergewändern paßte. 
„Wie du alles tragisch nimmst, Mutter, es war doch nicht 
jo gemeint,“ schmeichelte Fridrun mit einem lieblichen, un⸗ 
chuldsvollen Lächeln um den roten Mund, den sie jetzt demütig 
bittend auf die dürre Hand der Greisin schmiegte, während 
ihr Auge aufleuchtend den soeben eintretenden Grafen Reimar 
grühte. „Natürlich will ich alles tun, wie du es wünschest. 
Sei nur wieder gut mit mir.“ 
Zögernd, zweifelnd schüttelte die Greisin das bekümmerte 
Hesicht. Undine aber sah in taunender Empörung auf die 
unge Frau, die jetzt so ungemein lieblich und kindlich zu dem 
rafen trat und wehmütig sagte: 
„Großmutting hat mich geschotten, bester Graf. Ich ver— 
diene es duch. Ich bin noch immer ein solcher Kindskopf 
wie damals, als Sie mich einst lannten. Wissen Sie noch? Was 
varen das für schöne Zeiten, und wie traurige, entsetzliche sind 
nun für mich heraufgezogen.“ 
Sie tüpfte mit dem Spitzentaschentuch ihre heißen Augen 
ind fuhr dann mit fußer Stimme fort: 
„Alle sind so gut zu mir, Sie auch, Graf, und ich bin 
0 undankbar. Ich will mich aber gewiß bessern, wenn Sie 
in wenio Geduld mit mir haben wollen. Es ist ja alles so 
urchtbar schwer für mich, so unsagbe schwer.“ 
Sie schluchzte leise in ihr kelnes Tuch und schien es nicht 
uu bemerken, daß das Antlitz des Grafen Reimar inmer eisiger 
ind unnahbarer wurde. 
Eine aber sah es, Undine! Mit glühenden Augen starrte 
ie ihn an. War es möglich, was plötzlich wie eine Er— 
euchtung durch ihre Seele ginge Toß Graf Reimar der Mann 
war um dessen Willen ihr schöner, tolzer Vater an der Seite 
nr Frau, die ihn betrog darben nuhtee Wan Graf Reimar 
anen der Fridrun einsi verschmähte, und den sie hatte 
den W als sie ihren Vater zum Gatten wählte? 
— an Nun war Fridrum frei, und der Mann da, dem 
alle weichen muhßten. der konnte kommen und um die Witwe
	        
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