Full text: Lübeckische Anzeigen 1911 (1911)

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Donnerstag, den II. Mai 1911. Abend⸗Blatt Nr. 237. 
Eœ⸗ 
gestellte Schuldfrage. Ver Angeklagte wurde wegen Diebstahls 
und Unterschlagung zu einem Monat und einer Woche Gefängnis, 
verbüßt durch die erlittene Untersuchungshaft, verurteilt. 
Nevstrelitz, 11. Mai. Selbstmordversuch eines 
Irrsinnigen. Ein aus der Irrenanstalt in Strelitz ent— 
prungener Irrsinniger, namens Anton Kowalski, wollte sich 
Dienstag morgen im Glambecker See das Leben nehmen. 
Dder Kranke, der nur mit einem Hemd bekleidet war, hatte 
das gefährliche Wasser schon betreten und wäre ohne Zweifel 
»erloren gewesen, wenn ihn nicht ein Arbeiter zurückgerissen 
zätte. Kowalski wurde in die Irrenanstalt zurüdgebracht. 
cheaterbrand in Edinburg. 
Das größte Varietétheater England,e, das Empire- 
Palace-Theater' in Edinburg, ist, wie schon gemeldet, 
in Raub der Flammen geworden. Das Feuer entstand abends 
zegen 11 Uhr kurz vor dem Schluß der Vorstellung. Das 
Zaus war dicht besetzt, und es ist als ein Wunderltu betrach— 
en, daß nicht noch viel größeres Unheil angerichtet worden 
st. Die nach vielen Hunderten zählenden Zuschauer blieben bei 
Ausbruch des Brandes ruhig und verließen in vollster Ord⸗ 
rung das Theater, dessen Eingänge und Nottüren sofort 
veit aufgesperrt wurden. So entstand die Meinung, daß 
rnemand bei dem Brand umgelommen sei. Leider hat sich 
iese Annahme nicht bestätigt. Als man die Trümmer durch— 
uchte, fand man völlig verkohlte Leichen. Das 
Feuer gewann so rasch an Ausdehnung, daß der ganze Raum 
a fünf Minuten ein einziges Flammenmeer bildete. In eine 
utsetzliche Lage gerieten die Darsteller. Sie hielten sich zum 
rößten Teil in ihren Ankleideräumen auf und konnten sich 
zum Teil nicht mehr rechtzeitig in Sicherheit bringen, da ihnen 
»er Ausweg abgesperrt wurde. Einige wurden ohnmächtig und 
nußten hinausgetragen werden. Wodurch der Brand entstand, 
seht noch nicht fest. Auf der einen Seite wird gesagt, daß ein 
Zzurzschluß entstanden sei, auf der anderen Seite wird be— 
zauptet, daß eine Lampe umfiel und die Kulissen in Brand 
etzte. Es wurde festgestellt, daß eine der Leichen von einem 
Neger stammt, eine andere ist die einer erwachsenen Person 
ind zwei der Verunglückten sind Kinder. Das Theater ist bis 
ruuf die Umfassungsmauern niedergebrannt. Nach unendlicher 
Nühe gelang es der Feuerwehr, den Brand auf den hinteren 
deil des Gebäudes zu beschränken. Schließlich aber flürzte 
ieser ein und begrub mehrere Leute unter seinen Trümmern. 
die Brandstelle wird von Tausenden von Menschen umlagert. 
sach einem weiteren Telegramm wurden als Leichen unter 
ꝛen Trümmern gefunden zwei Mitglieder aus der Truppe 
rafayette Soure und deren Löwe, der in der letzten Nummer 
rustreten sollte. Ferner sind als umgekommen festgestellt zwei 
Mitglieder des Orchesters. In einer weiteren Leiche glaubt man 
inen Theaterarbeiter festgestellt zu haben. 
Das Palace-Theater sollte am 17. Juli vom König Georg 
»on England besucht werden. Bis vor hurzem wurden die 
zofvorstellungen nur im Opernhaus in London abgehalten. 
dönig Georg war jedoch der erste, der diese Erlaubnis auch auf das 
dheater von Sir Herbert Tree und auf das Drury-Lane-Theater 
iusdehnte. Dieser Erfolg der Schauspielhäuser hat die eng⸗ 
ischen Musichalls nicht ruhen lassen. Sie haben sich mit einer 
ingabe an den König gewandt und ihn gebeten, auch die 
Varietétheater durch sogenannte Galavorstellungen hoffähig zu 
nachen. Der König hat sich hierzu bereit erklärt, wenn es 
hmäauch wegen gewisser Umstände nicht möglich war, in Lon—⸗ 
on ein solches Theater zu besuchen. Er wollte aber während 
eines Aufenthaltes in Edinburg der Galavorstellung einer 
Musichall beiwpohnen und wählte das Empiretheater. Es hatten 
ich bereits Hunderte von Künstlern gemeldet, die auf dem 
bBrogtamm stehen wollten. Sir Edward Mohß, der Besitzer des 
Palace-Theaters in Edinburg, beabsichtigte, eine reine Varieté— 
vorstellung zu geben, bei der jede einzelne Art der Varietékunst 
durch eine hervorragende Nummer repräsentiert werden sollte. 
Luftige Ecke. 
Damkbarkeit. „Nun, was grüßt du deinen Nachbar 
'o höflich?“ — „Aus Dankbarkeit.“ — „Wieso?“ — „Warum 
'oll ich ihm nicht sein dankbar! Vor vier Wochen hab' ich ge— 
nacht Bankerott, und de Leut' hab'n nur gesprochen von 
mir. Vor acht Tagen hat er Pleite gemacht: jietzt reden se von 
ihm, und ich hab' mei“ Ruh'!“ 
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Aus den Nachbargebieten. 
Hanfestãdte. 
Samburg, 11. Mai. Lohnbewegung im 
Handelsgärtnergewerbe. Der Vorstand des Allae⸗ 
Feinen deutschen Gärtnervereins hatte die Arbeitgeber einge⸗ 
laden, sich an Beratungen über eine Aufbesserung der Löhne 
uind Regelung der Arbeitsbedingungen zu beteiligen. In einer 
Versammlung der Handelsgärtnergehilfen teilte der Bericht⸗ 
erstatter mit, daß auf diese Einladung nur von einem Arbeit⸗ 
geber eine Antwort erfolgt sei. Nach längerer Aussprache 
zelangte folgende Entschliehzung zur Annahme: „Die Ver⸗ 
sammlung nimmt mit Entrüstung (!!) Kenntnis von der ab⸗ 
lehnenden Haltung der Arbeitgeber, mit uns über die Regelung 
der Lohn⸗- und Arbeitsverhältnisse zu beraten. Ehe sie jedoch 
den äußersten Schritt unternimmt und den Streik proklamiert, 
peauftragt sie die Organisationsleitung, noch vorher persönliche 
Verhandlungen mit den einzelnen Arbeitgebern zu versuchen. 
ESollte auch dieser Schritt erfolglos bleiben, so sollen die 
Arbeitgeber mit aͤllen gesetzlichen Mitteln gezwungen (1) werden, 
unsere bescheidenen Forderungen anzuerkennen. Die Versamm⸗ 
hung verspricht ferner, mit aller Energie für die Ausbreitung 
des Allgemeinen deutschen Gärtnervereins tätig zu sein, denn 
nur durch eine starke Organisation ist eine Verbesserung unserer 
Lage möglich.“ 
Mißhandlung eines arbeitswilligen Solz— 
arbeiters. Von einem Ueberfall im Bureau des 
Holzaubeiterverbandes im Gewerkschaftshaus wird dem 
Hba. Frdbl. aus Arbeitgeberkreisen des Holzgewerbes berichtet. 
Danagch ist ein Arbeitswilliger, der in Wandsbek Arbeit ge— 
funden hatte, von Streilkposten angehalten und überredet 
worden, Hamburg wieder zu verlassen. Als er sich im 
Verbandsbureau die versprochenen Zehr⸗ und Reisekosten habe 
abholen wollen, sei er beschimpft, zu Boden geworfen und 
mißhandelt worden. Der Ueberfallene hat gegen die Schuldigen, 
deren Namen bekannt sind, Anzeige erstattet. Sehr ver— 
nünftig! 
Schrecklicher Tod. Ein Brandunglück ereignete sich 
in der Parkallee. In der Wohnung einer alten 80jährigen 
Dame in der Parkallee entstand ein kleines Feuer dadurch, 
daß eine Petroleumlampe umfiel und den Teppich in Brand 
setzte. Die alte Dame wollte den kleinen Brand, der schließlich 
von selbst erlosch, beseitigen, dabei zog sie sich aber so schwere 
Verletzungen zu, daß sie nach wenigen Stunden starb. 
Bergedorf, 11. Mai. Ein Blitz schlug gestern in 
den Bohrkopf der Erdgasquelle in Neuengamme ein, 
vodurch das Erdgas entzündet wurde. Mehrere 
Feuerwehren eilten zur Brandstelle und es gelang ihnen, das 
Feuer zu löschen. Die HSolzbekleidung des Bohrkopfes ist 
durch die Flammen unerheblich beschädigt. 
Bremen, 11. Mai. Todesfall. Joh. Georg Wolde, 
Teilhaber des Bankhauses Schultze K Wolde, das sich vor eini⸗ 
gen Jahren mit der Diskontogesellschaft in Berlin fusionierte, 
iss im Alter von 65 Jahren gestorben. — Der Marga— 
retentag hat hier Mittwoch einen großartigen Verlauf 
genommen, wie die Veranstalter und auch die vielen, vielen 
Mithelferinnen ihn sich gewiß nicht haben träumen lassen. 
— Die streikenden Straßenbahner, etwa 380 Mann, 
peranstalteten Mittwoch einen Demonstrationszug durch 
die Stadt. Am Domstor trat ihnen ein Polizeiaufgebot ent⸗ 
gegen, das den beabsichtigten Weiterzug nach dem Marktplatz 
verhinderte. — Ein grausiger Fund wurde in der Nacht 
zum Mittwoch auf dem Bahnkörper des Güterbahnhofes ge⸗ 
macht. Neben dem Geleise wurde die Leiche des Hilfslade— 
meisters Tewes gefunden. Ihm war der Kopf vom Rumpf 
getrennt. Es ist anzunehmen, daß der Verstorbene von dem 
Güterzug, der 12 Uhr 45 Min. nach Osnabrück abäing. über— 
fahren worden ist. 
Bremerhaven, 11. Mai. Rettungsmedaille. Bei 
dem Brande des großen D-Schuppens im Handelshafen zu 
Geestemünde in der Nacht zum 18. Febr. wurde, wie damals 
jemeldet, der Feuerwehrmann Metz, der unter das einstürzende 
Dach geraten war und schwere Verletzungen erlitten hatte, 
vom Landrat Rademacher mit eigener Lebensgefahr aus dem 
brennenden Trümmerhaufen herausgeholt. DTem Landrat Rade— 
macher ist für diese Tat jetzt vom Kaiser die Rettungs- 
medaille am Bande verliehen worden. 
Bũcherbesprechungen. 
Gedichte von Wilhelmine Funke. Leipzig, Fritz 
Edardt. 
„Um Gotteswillen keine neuen Gedichte!“ Der Ruf ist jetzt 
geradezu das Feldgeschrei geworden, nicht nur für die Mehr— 
heit der Berufsrezensenten, sondern überhaupt für die meisten 
literarisch interessierten Persönlichkeiten. Und das Wort „Frauen⸗ 
lyrik“ hat noch einen ganz speziellen Beigeschmack. Freilich 
ist schwer gesündigt in Deutschlands Landen, „der liebe Leser“ 
und sein weibliches Gegenstüch wurden zeitweilig fast ertränkt 
in Gedichten, und speziell die Frauen tobten sich förmlich 
in lyrischen Orgien aus — aber — diese Sünde des deutschen 
Gefühlslebens ist so alt schon, wie die moderne deutsche 
Poesie, ebenso alt die Klage darüber, und doch tauchen immer 
wieder aus dem Wuste der Allzuvielen künstlerische Persönlich— 
Teiten von prächtiger Eigenart auf und finden willige Ohren, 
ihr Leid und ihre Freude aufzunehmen und im Herzen zu 
bewegen. Und unter den Namen von gutem Klange ist doch 
auch so mancher Frauenname! Und diese Frauen haben nicht 
alle nur ihren Geschlechtsverwandten etwas zu sagen, hier 
und da schlägt eine starke, herbe Akkorde an, die auch im 
männlichen Herzen vollen Widerhall finden. 
Wilhelmine Funke hat nicht vielerlei zu sagen, und manches, 
was sie sagt, ist allzuoft schon vorgebracht, ist, möchte man 
sagen: erledigt. Zuweilen aber wedt sie Melodien, die aus 
einer großen, feierlichen Diefe kommen und schlicht und formen⸗ 
rein anschwellen und ausklingen. Tann gelingen ihr Gedichte 
im Rahmen kurzer Vierzeiler, über denen bei aller Plastik 
doch der echte Morgenduft künstlerischer Anschauung schwebt. 
Wilhelmine Famle spricht gern von stillem Bescheiden, das 
deben Vyr zi abendlich liegen. aber auch im veraoldenden 
Wunderglanz des schwindenden Tagesgestirns. Wilhelmine 
Funkes sprachliche Begabung ragt hoch über den Durchschnitt 
zinaus, und ihre Phantasie, wenn auch nicht weittragend, schenkt 
hr doch oft eigene Bilder und Gleichnisse. 
Gedichte wie: „Am anderen User“ prägen sich ungewollt 
in, um dem geistig Ruhenden einmal zutraulich die Hand 
tuf die Schulter zu legen und ihm ein paar Vulsschläge lang 
erslehend zur Seite zu sein. 
„Die Plastik“. Ill. Zeitschrift für die gesamte Bild-— 
jauerei und Bildnerei. Heft 4. Berliner Sondernummer. 
NRünchen, Georg D. W. Callwey. Aus dem Inhalt: 
Als bei Lepke in Berlin die Sammlung Lanna versteigert 
vurde, erregten die fabelhaften Preise allgemeines Aufsehen. 
dem Kenner sind solche Rekordpreise nichts Neues; seitdem die 
imerikanischen Multimillionäre als Käufer bei den europäischen 
Zunstauktionen aufgetaucht sind, haben die Preise für Werke 
der Kunst wie des Kunstgewerbes eine solche Höhe erreicht, daß 
ie nicht mehr im Verhältnis zum Kunstwert der Objekte 
lehen. Wenn hier auf diese Eischeinung hingewiesen wird, so 
jeschieht es deshalb, um einmal daran zu erinnern, welche 
S„ummen dadurch der Kunstförderung lebender Künstler ent⸗ 
ogen werden. Nun ist es ziemlich aussichtslos, die privaten 
Mittel, die für solche Objekte angelegt werden, etwa für den 
Ankauf von Schöpfungen lebender Künstler nutzbar zu machen. 
Etwas anderes aber verdient erwogen zu werden. Ob nämlich 
nicht der Staat, der ja ebenfalls für seine Museen bei solchen 
Auktionen als Käufer auftritt und dieselben getriebenen Preise 
ahlen muß, nicht besser daran täte, statt um teures Geld 
oft einige wenige Objekte zu erstehen, diese Summen zu einer 
mtensiveren Förderung lebender Künstler zu verwenden? Vom 
Standpunkt des Kunsthistorikers oder des Museumsbeamten 
nag eine solche Anschauung lästerlich erscheinen. Aber man 
VC 
überlege einmal: auf der Auftion Lanna erwarb der bayerische 
Sztaat für seine Sammlungen cin Buchsbaummedaillon und 
in Nußholzmedaillon zusammen um zirka 28000 M, für 
ine Summe also, die genügt hätte, um einer Reihe von 
Zünstlern ein Jahr sorgenfreies Schaffen zu ermöglichen. Bei 
einer solchen Förderung der zeitgenössischen Kunst würden auch 
reitere Kreise mehr von den Summen haben, die der Staat 
ür Kunstzwecke ausgibt. Für ein Buchsbaummedaillon inter⸗ 
ssieren sich nur die Kunsthistoriker und die Sammler. Gerade 
ür den modernen Plastiker, der unter allen Künstlern die 
chwierigsten Schaffensbedingungen hat, würde eine Verwirk— 
ichung dieser Anregung von Bedeutung sein. 
Moderne Kunst. Berlin W. 57. Rich. Bong. Heft 17. 
lus dem Inhalt: 
Wemn sich die Preise hervorragender Gemälde nach dem 
Tode ihrer Meister stets in aufssteigender Linie bewegt haben, 
o fand ein außerordentliches Emporschnellen erst zu der Zeit statt. 
ils das kaufkräftige Amerika auf den Kunstmarkt trat. An 
iese für Europa bestehende Gefahr, die ihm allmählich seine 
öchslen Kulturwerke zu entführen droht, mahnte kürzlich aufs 
eue der Verkauf von Rembrandts Gemälde „Die Mühle“, das 
inen Preis von 2 Millionen Mark erzielte. Demgegenüber 
var der Preis von Thomas Gainsboroughs „Miß Linley und 
hr Bruder“, der 800 000 Mebetrug, bescheiden. Es ist nun 
igenartig genug, sich im Gegensatz hierzu die Lage zu ver— 
egenwärtigen, in der Rembrandt seine „Landschaft mit der 
MRühle“ malte. Die glückliche Epoche seines Lebens war vor—⸗ 
ber und die Zeit der Not für ihn angebrochen. Ueber dieses 
khema finden wir in dem neuesten Heft einen mit künstlerischen 
Abbildungen versehenen Aufsatz. Ferner illustrierte Aufsätze 
ber den Tiermaler Alfred Wesemann, Fritz v. Uhde und Friedrich 
zaase, sowie den Beginn einer Erzählung von Olqa Woblhbrück 
Die von der Müuhble“
	        
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