Full text: Lübeckische Anzeigen 1911 (1911)

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Neueste Nachrichten und Telegramme. 
Sturz eines deutschen Fliegers. 
W. Mühlhausen, 2. Mai. Oberleutnant Roser vom Feld— 
artillerieregiment in Saarburg, der erst vor wenigen Tagen 
sein Fliegerexamen abgelegt hatte, unternahm heute früh bei 
prächtigem Wetter einen Flug, bei dem er zweimal das Dorf 
Habsheim kreuzte. Beim Nehmen einer Kurve über dem Habs— 
heimer Bahnhof stürzte er herab und wurde bewußtlos auf— 
gehoben. Sein Zustand ist hoffnungslos. Der Apparat wurde 
zertrümmert. 
Ermordung eines spanischen Geistlichen. 
W. Paris, 2. Mai. Eine Blättermeldung aus der spa— 
nischen Ortschaft Metril (Granada) besagt: Der Pfarrer Fara— 
guit wurde, während er von der Kanzel eine heftige Predigt 
gegen die Pfarrangehörigen hielt, von mehreren Burschen 
überfallen und durch Messerstiche getötet. Die Mörder schleiften 
den Leichnam unter dem Beifall der Menge durch die Straßen 
und wurden von der Bevölkerung geschützt, als Gendarmerie 
sie festnehmen wollte. 
Die japanische Südpolerpedition gescheitert. 
Sydney, 1. Mai. Die japanische antarktische Expedition, 
die Neuseeland im Februar verlassen hatte, ist durch Packeis 
und Eisberge zur Umkehr gezwungen worden. Das Schiff mit 
den Expeditionsteilnehmern ist heute hier eingetroffen. 
Wt. Berlin, 2. Mai. Prinzessin Friedrich Wil— 
helm von Preußen ist von einer Prinzessin entbunden wor⸗ 
den. Mutter und Kind befinden sich wohl. 
Wt. Berlin, 2. Mai. Der neue deutsch-schwedi— 
sche Handelsvertrag wurde heute durch den Staats— 
sekretär des Auswärtigen Amts, v. Kiderlen-Wächter, und den 
schwedischen Gesandten, von Trolle, unterzeichnet. Der Wort⸗ 
laut wird morgen in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung 
veröffentlicht. 
Wit. Bern, 2. Mai. Gestern starb Oberst Schäck, der 
Sieger des Gordon-Bennett-Wettfliegens in Berlin 1908. 
W.. Meran, 1. Mai. Der Besitzer des vornehmlich von 
Reichsdeutschen viel besuchten Hotels „Kaiserhof“, Alexander 
Ellmenreich, der Bruder der bekannten Schauspielerin, ist 
destoerben. 
Deutscher Reichstag. 
W. Berlin, 2. Mai. 
Am Bundesratstisch: Staatssekretär Delbrück. 
Präsident Graf Schwerin⸗Löwitz eröffnet die Sizung um 
251 Uhr und heißt die Mitglieder herzlich willkommen. Er 
hoffe, daß alle gut erholt und mit frischen Kräften an die 
gesetzgeberischen Aufgaben herantreten. Vor Eintritt in die 
Tagesordnung macht der Präsident die Mitteilung vom Ab— 
leben des Fürsten zu Schaumburg-Lippe. (Die Abgeordneten 
erheben sich zu Ehren des Verstorbenen von ihren Plätzen.) 
Auf der Tagesordnung steht zunächst die erste Lesung 
eines Einführungsgesetzes zur Reichsversicherungsordnung und 
eines Gesetzes zur Aufhebung des SHilfskassengesetzes. 
Staatssekretär Dr. Delbrükft: Der Entwurf einer Ein— 
führung zur Reichsversicherung hat weder hervorragende wirt 
schaftliche noch politische Bedeutung. Es sollen in ihm nur 
Mittel und Wege gefunden werden, um möglichst einfach und 
leicht der Schwierigkeiten Herr zu werden, die der Wechsel 
der Rechtszustände naturgemäß für die Behörden und Ver— 
sicherten mit sich bringt. Namentlich sind die Termine für 
das Jukrafttreten der Reichsversicherungsordnung darin ent— 
halten. Die Hinterbliebenenversorgung kann 1912 nur dann 
in Kraft treten, wenn die Reichsversicherungsordnung er— 
heblich früher verabschiedet wird; denn umfassende Vorbe— 
reitungen sind für die Hinterbliebenen-Versorgung notwendig. 
Im allgemeinen sollen die günstigeren Bestimmungen Platz 
greifen. So sollen die neuen Bestimmungen, soweit sie 
günstiger sind als die alten, auch für Unfälle angewendet 
werden, wenn die Unfälle vor dem Inkrafttreten der Reichs— 
versicherungsordnung eingetreten sind. Aehnlich liegt es bei 
der Invaliden-Versicherung. Hier sollen die günstigeren Be— 
stimmungen für die ersten 10 Jahre den Versicherten zuge— 
billigt werden. 
Abg. Trimborn (Zir.): Dieses Gesetz greift tief in die 
Verhältnisse und Interessen weiter Kreise der Versicherten ein. 
Es handelt sich hier um ein sehr schwieriges Gesetz. Kom⸗— 
missionsberatung ist notwendig, die Materie sollte an dieselbe 
Kommission verwiesen werden, die die Reichsversicherungsord⸗ 
nung beraten hat. 
Abg. Schicert (kons.)!: Auf die Beamten wie auf die Ver— 
sicherten soll jede möglich Rücksicht genommen werden. 
Abg. Soch (Soz.): Wir bekämpfen das Gesetz mit allen 
Kräften. (Lebhafter Beifall.) 
Staatssekretär Delbrück: Das Gesetz ist nichts als die Kon⸗ 
sequenz dessen, was die Kommission mit überwiegender Ma— 
jorität beschlossen hat. Es soll eine zwechmähßige Auswahl 
und eine zweckmäßige Kontrolle der Kassenbeamten sichergestellt 
werden. 
Abg. Horn (natlib.): Grundsätzliche Bedenken gegen die 
Vorlage haben wir nicht, über die Einzelheiten wird in der 
Kommission zu beraten sein. 
Abg. Behrens (w. Vag.): Wohlerworbene Rechte werden 
wir nicht antasten, Mißstände aber müssen beseitigt werden. 
Die Interessen der Arbeiter stehen nicht auf dem Spiel, höchstens 
die der Sozialdemokraten. 
Abg. Dove (Vpt.): Es muß ein Ausgleich stattfinden 
für die bereits erworbenen Rechte. Vor allen Dingen wäre 
eine Entschädigung für die überflüssig werdenden Beaniten 
nötig. Als Ausnahmegeseß kann ich die Vorlage nicht be— 
zeichnen. 
Abg. Schultz (Rpt.): Die wohlerworbenen Rechte der An⸗ 
gestellten wollen wir nicht beschränken, wir wollen aber ver— 
hindern, daß die Arbeiterschaft durch übertrieben hohe Ge— 
hälter geschädigt wird. 
Abg. Schmidt (Soz.): Ein Ausnahmegesetz gegen den So⸗ 
ialdemokraten ist die Vorlage auf alle Fälie. 
Die Vorlage geht an die Reichsversicherungskommission. 
Es folgt die erste Lesudng des Gesetzes zur Aufhebung des 
Zilfskassengesetzes. 
Staalssekretär Delbrüch: Die Verbündeten Regierungen sind 
der Meinung, daß den vorhandenen Mihständen in den Hilfs— 
kafsen nur durch die Aufhebung des Silfskassengesetzes und 
durch Unterstellung der Hilfskassen unter das Gesetz vom 
12. Mai 1901 betreffend die Aufsicht über die privaten Ver— 
ücherungsgesellschaften begegnet werden kann. 
Abg .Trimborn (Itr.): Im großen und ganzen billigen 
air die heutige Vorlage. 
Darauf wird die Weiterberakunga auf morgen 1 Uhr ver— 
tagt. Außerdem schlägt Vizepräsident Schultz vor, auf die 
Tagesordnung zu setzen: den Einspruch des Abg. Seve— 
ring gegen den ihm bei Gelegenheit der Beratung des Marine— 
etats erteilten Ordnungsruf und Petitionen. 
Abg. Severing (Soz.) gibt eine Erklärung ab, in der er 
darslellt, daß ihm ferngelegen habe, bei seinem Vorwurf gegen 
die Marinerundschau den Staatssekretär treffen zu wollen. 
Vizepräsident Schulz: Hä'ste der Abg. Severing schon da— 
mals eine so bündige Erklärung abgegeben, hätte ich keinen 
Anlaß gehabt, den Ordnungsruf aufrecht zu erhalten. 
Abg. Severing: Ich ziehe meinen Einspruch zurück. (Große 
Heiterkeit.) 
wurgericht Lübeck. 
7. Tag. 
VLübeck,“ Mai. 
LSaudfriedenibruch. 
(Fortseßzung der Beweisaufnahm— 
Zeuge Schutzmann Bauer: Es waren in der obe— 
ren Clemenstwiete ungefähr 40 Personen. Vor⸗ 
itzender: Was waren das für Leute? — Zeuge: Mitswillige 
ind auch andere. Als die Leute aus der' Straß vertrieben 
daren, ist alles ruhig geblieben in der Twiete. Im 4 Uhr 
zurde mir gesagt, daß bei Puls geschossen worden i. Als ich 
nich dorthin begab, standen vor dem Hause wa 9 Arbeits— 
villige. Ich forderte die Leute auf, sich zu entfnen. Da 
ief einer: Die Schutzleute sand Bluthu de und 
S„chweine! Der Mann wurde vorhaftet, mußte c er wieder 
aufen gelassen werden, da die Acheitswilligen die in dem 
Pulsschen Lokal Verhafteten befreien wollten. Infolgedessen 
ogen wir blank und vertrieben die Leute. — Zeuge Schutz⸗ 
nann Vogelsang bekundet, daß ein aus der Clemens— 
wiete vertriebener Trupp sich die Beckergrube hinunterbegab 
und aus diesem heraus an der Untertrave geschossen wurde. — 
Vorsitzender: Sind Schlägeresen vorgekommen? — Zeuge 
Ja. Wer aber geschlagen hat und geschlagen worden ist, 
veiß ich nicht. — Zeuge Schutzmann Charles hat in der frag— 
ichen Nacht in der Johannisstrake Posten gehabt. Er hörté 
yon der Straße den Skandal in der Wirtschaft „Ewige Lampe“ 
ind ging deswegen hinein. Er forderie die Leute auf, die 
Wirtschaft zu verlassen. Da sie das nicht taten, ließ er von 
ner Kanzleiwache Hilfe holen. Darauf wurde das Lokal ge— 
äumt, doch drangen einige wieder hinein und zerbrachen ver— 
chiedene Stühle und Gläser und warfen mit Bieruntersätzen. 
Inzwischen war draußen geschossen worden. Darauf wurde 
lank gezogen und die Straße gesäubert. Als die Leute fort⸗ 
iefen, wurde gerufen: „Revolver her!“ Nach einiger Zeit 
erlangte der Wirt Puls Hilfe, worauf ich mich mit einigen 
tdollegen dorthin begab. — Vorsitzender: Wie viel Personen 
varen wohl in der „Ewigen Lampe““ — Zeuge: Etwa 
—DDDD 
zeuge: Nein, es waren auch andere Personen darunter. — 
ztaatsanwalte Dr. Eschenburg: Hat nicht einer gerufen: 
Ist kein Revolver da, um den Schutzleuten einen vor den 
Zopf zu brennen?“ — Zeuge: Das habe ich nicht gehört. 
zeuge ehemaliger Schutzmann Derlin bekundet die Vor— 
zänge bei Luckmann im wesentlichen wie der vorhergehende 
— Zeuge ehemaliger Schutzmann Derlin bekundet die Vor— 
ich gestritten. — Vorsitzender: Sie sagen Arbeitswillige und 
Streikende. Woher wissen Sie das? — Zeuge: Das muß 
nan doch wohl annehmen. In dem Eingang zur 
‚Ewigen Lampe“ lag ein Verwundeter. Er sagte, er 
ei geschossen worden. — Vorsitzender: Wer war der 
Mann? — Zeuge: Wir haben den Mann auf die Straße 
jebracht. Später war er verschwunden. Weiteres kann ich 
nicht sagen. — Angeklagter Cramer: Der da lag, war ein 
zewisser Peter Menzel. — Vorsitzender: Der Mann ist, ebenso 
vie der „wilde Toni“, nicht aufzufinden gewesen. — Zeuge 
Schutzzmann Kitschkel: Puls lam mit dem Angeklagten 
Lramer aus dem Keller und sagte: Dies ist der Mann, der den 
Buschow geschossen hat. Cramer hielt seinen Revolver auf 
dem Rücken. Ich nahm ihm die Waife weg. — Vorsitzender: 
zat Cramer zu Ihnen gesagt: Wenn ich doch noch eine Kugel 
m Revolver hätte, wüßte ich, sfür wen die bestimmt wäre? — 
zeuge: Das erinnere ich nicht. — Vorsitzender: War der 
devolver Cramers noch geladen? — Zeuge: Ja, fünf Kugeln 
varen noch darin. — Angeklagter Cramer bestreitet dies und 
zehauptet, nur noch leere Hülsen im Laufe gehabt zu haben. 
— Zeuge Schutzmann Schulz1 (hat die ersten Vernehmungen 
der Verhafteten geführt?: Der Angeklagte Cramer war am 
25. September morgens noch auf der Wache und behauptete, 
inschuldig zu sein. Ich begab mich mit Cramer zur 
Maschinenbaugesellschaft hinaus und ließ mir von ihm die 
deute zeigen, die am Abend vorher zur Stadt gewesen waren. 
Ihre Sachen wurden durchsucht und alle gefundenen Maffen 
zeschlagnahmt. Etwa 30 Leute wurden von Cramer als an 
zen Krawallen beteiligt gewesen bezeichnet. Die Leute wurden 
nerhaftet und am nächsten Tage im Gefängnis dem Wirt Puls 
segcnübergestellt. Dieser erkannte Cramer, Lamottke, Weitner, 
Schneider, Stauber und Soder bestimmt als die Haupttäter 
vieder. — Geschworener Oberlehrer Dedekind fragt den 
Zeugen, ob er in Klährens Bett einen Revolver gesunden 
ind welche Aussagen Klähren derzeit gemacht habe. — Zeuge: 
Zlähren sagte, er wisse nicht, wem der Revolver gehöre. Das 
jabe ich nicht geglaubt. Die Verhaftung des Wegener hat 
in Mädchen aus der Clemenstwiete veranlaßt, da er diesent 
in blutiges Messer gezeigt und dazu geäußert hat, woher 
»as komme, könne es sich wohl denken. Wegener habe 
päter behauptet, daß das Blut daher rühre, daß er sich 
elbst mit dem Messer geschnitten habe. — Zeuge Gastwirt 
Puls: Nachts gegen 3 Uhr, ich hatte schon Feierabend 
seboten, kamen noch drei Leute ins Lokal und forderten sich 
in Glas Bier. Ich glaubte, es seien Reservisten. Gleich 
darauf kamen noch vier Mann herein. Um allen Streit zu 
ermeiden, schenkte ich auch diesen vier Leuten Bier ein. 
darauf kamen noch 21 Mann herein. Auch diesen ließ ich 
Bier einschenlken. Als ich 20 Pf. für ein Glas Bier forderte, 
tanden der „wilde Toni“ und Cramer auf und kommandierten, 
as Bier müsse mit 20 Pf. bezahlt werden. Etwa eine Stunde 
aßen die Leute in meinem Lokal. Da ich schon mehcsach 
Feierabend geboten hatte, wollten die Leute schon fortgehen. 
Dda kamen der Zimmermann Buschow und Gamp herein und 
orderten ein Glas Bier. Ich sagte ihnen, sie möchten 
»arauf verzichten, damit ich die anderen los würde. Darauf 
jingen beide hinaus. Alsbald sprang Cramer auf und 
solgte ihnen, kam aber sofort wieder herein, rief ein Wort, 
das ich nicht verstand, und sofort liefen alle hinaus nach, 
dem Keller und nach dem Hof. Ich eilte auch in dei 
Keller. Zuerst wurde geworfen. Der Zimmermann Buschow 
hielt sich infolgedessin ein Faß vor das Gesicht. Cramer 
ichng auf ihn, worauf Buschow das vorm Geiicht gehaltene 
Faß hinwarf und in den zweiten Keller flüchtete. Darauf 
schoß Cramer nochmals und verwundete den Buschow. EGleid 
varauf schossen zwei neben mir Stehende gleichfalls. Ich ba— 
die Leute, sie möchten es doch nicht tun, ich sei doch au 
ihrer Seite und hätte ihnen doch nichts getan, und sie wären 
doch ganz unschuldig, da die beiden anderen die Ruhestörer 
zewesen seien und zuerst geschossen hätten. Da gab Schimansk 
den Befehl, in den Keller nicht mehr zu schießen und bald 
danach: „Hände hoch, und aus dem Keller heraus!“ Ich 
zjandelte dem Befehl gemäß und kam mit erhobenen Armen 
ius meinem Keller heraus. Wir gingen darauf alle aus 
oem Keller heraus. Bevor er aber geschlossen wurde, schoß 
Tramer noch einmal in den Keller hinein. Da kam der Mann 
mit der Zither und kommandierte, der Keller solle offen 
bleiben. Als ich aus dem Keller kam, schlug er mich mit seinem 
Instrument vor die Brust. Dann lief ich zur Polizeiwachc 
ind holte Hilfe. Als ich mit Schutzleuten zurückkam, stand 
Lramer auf dem Hofe und lud seinen Revolver. Ich sagte zu 
inem Schutzmann, indem ich auf Cramer zeigte: Der hat ge— 
chossen. Darauf sagte Cramer, ich sei ein Lump; wenn er noch 
ine Kugel im Lauf hätte, wüßte er, für wen sie bestimmt 
ei. Als die Unholde weggebracht worden waren, holten 
vir Buschow aus dem Keller, der am Kopf und an der 
Schulter verletzt war. Erstere Wunde wird von einem Stoß 
oder Fall, letztere von einem Schuß herrühren. Zeuge erklärt 
zum Schluß, daß er die Angeklagten bestimmt als die Täter 
wiedererkennt. Auf Befragen sagte Zeuge noch aus: Als ich 
aus dem Keller kam, lag unten an der Treppe jemand auf 
den Knien und schoß dreimal. Weitner ist derjenige gewesen, 
der ein großes Messer hatte und sagte: Dem da unten müsse 
der Wams aufgeschniltten werden. Es ist auch gesagt worden, 
im Keller liegen zwei Tote. 
Es folgte sodann die Vernehmung einer Reihe von Mäd— 
chen aus der Clemenstwiete, worauf die Verhandlung auf 
Dienstag vertagt wurde. 
8. Tag. 
Lübeck 2. Mai— 
Landfriedensbruch. 
In der heutigen Sizung, an der wieder der Vorsitzende 
der Justizkommission des Senates, Herr Senator Dr. Fehling, 
leilnahm, wurde den Geschwoörenen zunächst ein vom Kriminal— 
schutzmann Rath angefertigter Plan von der Pulsschen Wirt—⸗ 
schaft Annd dem Keller vorgelegt und erläutert. Die Geschwore— 
nen hielten es aber doch für wünschenswert, die Dertlichkeiten 
elbst in Augenschein zu nehmen. Darauf wurde beschlossen, 
diese nachmittags zu besichtigen. Hierauf wurde 
die Zeugenvernehmung fortgesetzt 
und zwar wurden zunächst die Ereignisse in der Klemenstwiett 
wieder erörtert. Von einem Wirt, seiner Frau und verschie— 
denen Mädchen wird u. a. bekundet, daß ein Mann, der sich 
aber nicht unter den Angeklagten befindet, einen Dolch abge— 
zeben und nicht wieder zurückgefordert hat. Die Waffe wurde 
»em Gericht übergeben. Von einem Mädchen wurde über den 
Ingeklagten Wegener, der an den Krawallen nicht beteiligt 
Jewesen sein will, ausgesagt, daß er einmal das Lokal ver— 
lassen hat und mit einer blutenden Hand und einem blutigen 
Messer zurückgekommen ist. — Ueber die Vorgänge im „Uni— 
ersum“ sagte Zeugin Artistin Wagner, die der Schieße— 
ei auf dem Hofe von einem Fenster des zweiten Stockes zuge— 
ehen hat, aus, daß wiederholt gerufen worden ist: Schießt! 
zchießt! — Zeuge Dornburg hat gesehen, daß einer einen 
ßummischlauch in der Hand hatte, als der Krawall in der 
Klemenstwiete losgehen sollte und sagte weiter aus, Cramer 
jat bei Puls ins Gastzimmer gerufen, er sei geschlagen wor— 
den. Darauf sind alle hinausgelaufen. Draußen ist gesag! 
worden, es wird aus dem Keller herausgeschossen. — Ange— 
klagter Cramer hat darauf sofort in den Keller hineingeschossen, 
auch Hünerbein hat geschossen. Angeklagter Cramer bestritt 
diese Aussage, worauf Zeuge erklärte, die Vorgänge im einzelnen 
nicht mehr genau zu erinnern. Angeklagter Cramer behauptet 
sodann noch, daß der Zeuge Dornburg eine angespitzte Feile 
aus der Fabrik mitgenommen und im Keller bei Puls selbst 
mit Flaschen geworfen hat. Angeklagter Hünerbein behauptet 
ferner, daß Dornburg in der Klemenstwiete auch geschossen hat. 
Der Zeuge wurde wegen Verdachts der Mittäterfschaft nicht ver⸗ 
idigt. — Zeuge Wirt Luckmann, Besitzer der „Ewigen 
dampe“, sagte u. a. aus: Als die Leute in drei Trupps 
»on 10 bis 12 Mann hereinkamen, pflanzten sie sich gleich vor 
zem Büfett auf. Ich sagte deswegen zu dem in der Nähe 
tehenden Zimmermann Buschow, er möchte doch aufpassen, daß 
richts geklaut werde. Die Leute bestellten sich dann warme 
Würste, beschwerten sich, daß meine Preise so hoch seien und 
zeschmierten meiner Frau die Bluse mit Senf. Als Buschow 
hon einem der Leute geschlagen wurde, ließ ich das Lokal räu— 
nen. Auf einen scharfen Pfiff kamen die Leute wieder herein— 
zestürmt und dann ging die Verwüstung los, so daß ich von 
der Polizei Hilfe erbat. — Zeuge Kellner Beckmann (bei 
Puls) bekundete, er habe gleich, als die Leute hineingekommen 
eien, den Eindruck gehabt, daß sie es auf Streit abgesehen 
jehabt hätten und erzählte dann die Vorgänge wie der Wirt 
Puls. Weiter sagte Zeuge aus, 10 bis 12 Schüsse gehört zu 
haben, und daß keiner von den Leuten während des Krawalls 
im Gastzimmer geblieben sei, sondern alle auf den Hof hin— 
uusgelaufen seien. — Zeuge Buchdruckher Potenberg hat 
uuf einen Freund gewartet und auf einem Gang durch die 
Klemenstwiete sei er von einem ihm unbekannten Mann nieder⸗ 
zeschlagen worden. Er hat drei Wunden am Kopfe davon—⸗ 
Jjetragen und ist eine Zeitlang besinnungslos gewesen. Wer 
hu geschlagen hat, kann er nicht angeben. Herr Dr. med. Hed⸗ 
zinga hat festgestellt, daß die Schläge mit einem stumpfen 
Instrument ausgeführt sein müssen. — Zeuge Zimmermann 
83uschow berichtet über die Vorgänge in der „EwigenLampe“: 
Ich stand mit dem Wirt am Büfett und sagte, als die Leute 
ich an dieses herandrängten: „Hier muß man aufpassen, daß 
nichts geklaut wird“. Der Wirt bat mich dann aufzupassen, daß 
nichts entwendet werde. Das tat ich, und dadurch bekam ich 
nen Wortwechsel mit dem Angeklagten Cramer, der mich ins 
Hesicht schlug, worauf sich dann die weiteren Krawalle ent— 
wickelten, wobei mit Biergläsern geworfen und draußen auch 
zeschossen wurde. Ich blieb wohl noch gut anderthalb Stun— 
en im Lokal, worauf ich mit dem Zimmermann Gamm fort— 
zing. Wir wollten noch im „Café Central“ ein Glas Biet 
rinken, wurden aber, da wir keine weiße Wäsche trugen, nicht 
„ineingelassen. Deswegen begaben wir uns nach Puls. Als 
ch hineinkam, erkannte ich gleich die Gesellschaft wieder. — Vor⸗ 
ißender: Warum gingen Sie denn nicht gleich wieder weg? 2 
Jeuge: Ich wollie mir keine Blöße geben. Während ich mid 
n der Nähe der Bühne hinsetzte, sprach Gamni mit Puls. Wir 
gingen dann wieder hinaus, um den Abort aufzusuchen. Aut 
dem Flur erhielt ich einen Schlag ins Genick, worauf mein Hut 
zur Erde fiel. Ich wandte mich gegen den Augreifer, der so. 
fort wieder ius Gastzimmer zurückkief. Ich nahm schleunigst
	        
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