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Beilagen: Vaterstädtische Blätter. — Der Familienfreund.
Nachrichten fur das Herzogtum Lauenburg, di
gürftenlũmer Ratzeburg, Lübeck und das angren⸗
zende medlenburgische und holsteinische Gebiet.
Drucdd und Verlag: G ebrüder Borchers G.m. b. S. in Lübed. — Geichäftsstelle Adretz haus (Koniastr. ab). Fernsprecher oooo u. —D
Abend⸗Blatt NRr. 220.
Amtsblatt der freien und Hansestadt Lübed 61.
heiblatt: Gesetze und Verordnungsblatt te —Wahtgan
—,,——————— 3— inor marz) ab, befindet ic
ages, lowie in der Stadidibliothek zu Sübeckß.
Ausgabe . (Große Ansgabe)
Dienstag, den 2. Mai 194.
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Erstes Blatt. hierzu 2. Blatt.
—— — rrrrree — — — MEEÆIB
J Amfang der heutigen Num. 6 Seiten.
nichtamtlicher CTeil. —
— —— —
Eine treffende Selbstkritik der Katlosigkeit des
sozialdemokratischen Radikalismus.
Die ganze Ratlosigkeit der jetzt noch herrichenden Rich—
ung in der Sozialdemokratie wird neuerdings vom Partei—
zenossen Dr. Max Maurenbrecher schonungslos bis in alle
Konsequenzen aufgedeckt, wenn er sich folgendermaßen aus—
läßt:
„Die Radikalen wissen selbst nicht, was sie
vollen; sie vermögen nicht mit klaren Worten zu sagen,
vohin sie uns führen wollen. Sie wissen nicht, was
ietunsollen und deshalb machen sie Worte. Sie
nüssen sich und andere über die gänzliche Leere ihres Innern
inwegtäuschen.“ Maurenbrecher verwirft die auch von
ßebel noch empfohlene Taktik des Stimmen—
ählens, der Wählervermehrung und der Organisations—
teigerung. Das feien nur Vorbedingungen für die Ausfüh—
ung eines politischen Vrogramms, nur Mittel, die die Frage
ach dem Ziel nicht ersetzen könnten. Die 50 Abgeordneten,
sie auf Grund von 4 Millionen Wählerstimmen im Reichs—
age säßen, würden „niedergestimmt, vergewaltigt, an die
Vand gedrückt, überrannt, wie das machtlosen Minoritäten
un einmal nicht anders geht“. Auch die außerparlamen⸗
arischen Aktionen, von denen die Radikalen so viel Auf—
ebens machten, seien wertlos. Revolution mit Ergreifung
er Regierungsgewalt, Vertreibung oder Ueberredung des
Militärs, Strabenkämpfe, feien nicht nur in Deutschland, son⸗
ern überall in den Kulturstaaten so unmöglich, daß es
Vahnsinn oder Verbrechen wäre, die Phantasie an solchen
zildern zu berauschen Straßendemonstrationen
vären leeres Schaugepränge und vom Masssen—
treik fei es merkwürdigestill geworden. „Wenn
nan das alles mitangesehen, wenn man es denkend erlebt!
ind daraus gelernt hat, so wird man schließlich dazu
ommen, das ganze Geschrei von den auberparla⸗—
nentarischen Machtmitteln des Proletariats
iur noch für eine einfache Phrase zu halten.“ Dasl
Frgebnis der Maurenbrecherschen Selbstkritik gipfelt in der
Erkenntnis, daß es schon heute eine direkte Aktion für die
Zozialdemokratie in der PVolitik nicht mehr gibt.
sittt das britische Kolonialreich mit seinem unge—
heuren Gebiete von 2814 Mill. Geviertim. und 350 Mill.
kinwohnern einen Jahresetat von 3524 Milliarden
darke und eine Schuld von fast 17 Milliarden
Mark. Davon entfällt auf die selbständigen Kolonien
nit 1824 Mill. Geviertkm. und nur 16 Millionen weißer Be—⸗
vohner ein Etat von 1,7 Milliarden Mark (in Ausgabe
twas weniger) und 102420 Mill. MeSchulden, auf Indien mit
tast 5 Mill. Geviertkm. und gegen 300 Millionen Farbiger
in Etat von 1,4 Milliarden Mark (in Ausgabe etwas
nehr) und ein Schuldbetrag von 5,7 Milliarden, auf die
zronkolonien mit 5 Mill. Geviertkm. und 36 Millionen Ein—
vohnern ein Etat von 366 Mill. Mu(in Ausgabe 377
Millionen) und eine Schuld von 854 Milliarde. Erhebliche
Zzuschüsse von seiten des Mutterlandes — zu—
ammen fast 17 Mill. M — erforberten namentlich
ine Reihe von noch nicht voll entwickelten afrikani—
chen Kolonien, Ostafrika, Uganda, Niassa—
and, Somaliland, Betschuanaland, Nord⸗
rigerien. 4
Frankreichs Kolonien mit 5,8 Mill. Geviertkm.
und 3214 Millionen farbiger Einwohner besitzen zusammen
inen Jahresetat von 18814 Mill. Muund eine Schul⸗
»enlast von etwa 500 Mill. M. Die Zuschüsse des
Mutterlandes für seine Kolonien, insbesondere für deren
nikitärischen Schutz, betragen etwa 66 Mill. Mjähr—
ich. Algier, das als französische Provinz verwaltet wird,
und das Protektorat Tunis sind in vorstehenden Ziffern
richt berücksichtigt.
Die holländischen Kolonien mit 2 Mill. Geviertkm.
und fast 40 Millionen Einwohnern haben einen Ebanv
von 329 Mill. Min Einnahme und 373 Mill. Min
LTusgabe und erfordern daher beträchtliche Zuschüsse.
Der Etat des belgischen Kongos mit 2,4 Mill.
Heviertim. und 20 bis 30 Millionen Einwohnern (die An—
jaben schwanken stark) ist für 1911 auf 32,7 Mill. Muver⸗
anschlagt. Belgien lehnt es bekanntlich ab, süur die
üuntwicklung dieser aussichtsreichen Kolonie in nennenswerter
Weise beizutragen und ist daher immer noch auf
tarke Besteuerung und Ausnutzung der Einge—
borenen angewiesen.
Deutschlands Kolonien umfassen ein Areal von
2657 000 Geviertkm. — fünfmal die Größe des Mutterlandes
— mit etwa 11 Millionen Farbigen. Der Jahresetat be—
trägt etwa 7884 Mill. M, der gegenwärtige Stand der
Schuld etwa 148 Mill. M. Die Reichszuschässe sind
bekanntlich bedeutend gesfunken und belaufen sich
rüuer 1911 noch auf etwa 25854 Mill. M.
— — —EW
wie ihre Agnes. Sie hatte von den Ihrigen die Krankheits-—
und Unfallsgeschichte erfahren, nachdem sie sie kurz vorher
nit so warmer Begeisterung von dem iungen Manne hatte
reden hören. Ihre Teilnahme war erregt. Die edlen, sym—
pathischen Züge wurden durch die Spuren des Fiebers kaum
istellt, wenngleich sich der Kranke unruhig umherwarf und
nitunter unverständliche Worte vor sich hinmurmelte. Die
ühlenden Eisumschläge taten ihm sichtlich wohl, ebenso die Eis-—
tüchchen, die sie ihm von Zeit zu Zeit über die fieberheißen
Lippen schob. Gegen Mitternacht wurde er ruhiger und Jaç
eine Weile still da; dann öffnete er die Augen.
„Mutter!“ sagte Gerhard leise. Dann sah er besfremdet
auf das stille Mädchen. das an seinem Bett saß. „Wo bin
ich?“ forschte er.
„Bei uns im Krankenhause,“ antwortete die Schwester
creundlich. Gerhards Blick glitt fragend und prüfend über
»ie Wände des Zimmers und jieine ganze Ausstattung und
zafteten dann an der mädchenhaften Gestalt im blau und
reiß gestreiften schlichten Kleide mit der weißen Schürze und
ver Haube auf dem dunklen Scheitel.
„Sie sind die Krankenschwester?“ fragte er. „Wie heißen
Sie?7?“
„Schwester Agnes,“ lautete die Antwort.
„Agnes? ... Wer ist Agnes? ... Ich habe dech den
Namen erst kürzlich gehört ...“ Er wurde wieder unruhig
ind murmelte noch einmal, wie in seinen Erinnerungen suchend:
„Schwester Agnes — — ich habe Sie zuerst nicht hier gesehen,
iber Ihren Namen muß ich irgendwo gehört haben ...“
Er wollte sich aufrichten, um sie hesser ins Auge fassen zu
önnen.
Die Pflegerin hielt ihn sanft zurüch. „Sie müssen ganz
uhig bleiben, Herr Friesing. Ich bin Agnes Gehre und habe
es meiner Mutter und meinem Bruder Heinz versprochen, auf
Sie achtzugeben.“
Gerhard sah sie an und ein Ausdruch der Beruhigung ging
aber seine Züge. „Das ist gut,“ jagte er befriedigt. „Werden
Sie länger bei mir bleiben?“. 2
„Wenn es der Arzt erlaubt, gern — bis Sie wieder ganz
zesund sind.“
Gesund? Ich? ...“ Er wurde wieder unruhig; die Augen
Was der Reichstag noch zu leisten hätte.
ngo. Lübeck, 2. Mai.
Beute hat der Reichstag seine Arbeit wieder aufgenommen.
Mit einem leisen Unbehagen, so schreibt die N. G. C. werden
die Abgeordneten wieder ihre Koffer gepackt haben, denn ihrer
wartet noch eine Unmenge von Arbeit, und es besteht trotz⸗
dem die Gefahr, daß in den nächsten Wochen nicht viel
Positives erreicht werden wird.
Bedeutungsvolle Aufgaben harren der Erledigung. Da
ist die Reichsversicherungsordnung, dieses Riesenwerk
mit fast 2000 Paragraphen, an dem eine Kommission schon
den ganzen vergangenen Sommer hindurch gearbeitet hat,
ohne etwas Brauchbares geschaffen zu haben. Da ist das
Kurpfuschergesetz, das schon in der Kommission zu den
merkwürdigsten Auseinandersetzungen geführt hat. Hundert—
lausende von Privatbeamten hoffen auf die Erledigung des
Privatbeamtenversicherungsgesetzes. Ganz unge—
wiß ist das Schicksal der elsaß-lTothringischen Ver—
kassungsfrage. Der Schiffahrtsabgaben-Gesetz—
entwurf ist vorläufig so gut wie ins Wasser gefallen. Wann
werden die Heimarbeitsvorlagen zu Ende beraten
werden? Die „neue“ Fernsprechgebührenordnung
ist inzwischen alt geworden, aber immer noch nicht behandelt
worden. Die wichtige Strafprozeßreform kieckt völlig
im Sande. Die Arbeitskammervorlage erscheint immer
noch nicht auf der Tagesordnung. Der schwedische
ßandelsvertrag läuft am 30. November 10911 ab,
der Handelsvertrag mit Japan bereits Mitte Juli.
Im Interesse geordneter Handelsbeziehungen mit diesen beiden
Ländern müssen neue Verträge umgehend vorbereitet werden.
Entsprechende Vorlagen an den Reichstag sind also unvermeid—
lich. Dazu kommen noch verschiedene sehr wichtige Kolonial⸗
sachen, deren Besprechung von der Etatsberatung ausgeschlossen
und auf die Zeit nach Ostern verschoben ist, nämlich die
Diamanten- und die Wollfrage in Südwest-
afrika. Weiter sollen noch mehrere Resolutionen über
Börsenfragen erledigt werden, ferner einige Dutzend
Anträge aller Art — und ein paar Tausend Petitionen.
Das ist das Arbeitsprogramm des sterbenden Reichstages.
Schon für einen neugeborenen wäre es reichlich lang, und
es ist sehr wahrscheinlich, daß von dem jetzigen Reichstag nur
recht wenig von allem oben agenannten erlediat wird
—
Ueber die Finanzen der überfeeischen Gebiete der
wichtigsten Rolonialstaaten
nacht die Tägliche Rundschau in einer ihrer letzten Nummern
m der Hand der neuesten Zahlen sehr interessante Mitteilun—
zen, denen wir das Wichtigste entnehmen wollen, um da—⸗
nit gleichzeitig durch einen Vergleich darzutun, in welchem
Maße die deutsche Kolonialpolitik durchaus als rationell
ingesprochen werden kann.
Nach den Angaben der oben erwähnten Zeitung be—
Ob sie wohl kommen wird?
Roman von Renata Greverus.
(44. Fortsetzung.) Machdruchk verboten.)
Frau Gehre war mit wahrhaft mütterlicher Fuürsorge um
den jungen Mann beschäftigt gewesen. Gerhard hatte sie er—
kannt und dankbar begrüßt, aber zu einem Gespräch über
den Unglüdsfall war es nicht gekommen. Seine Stimmung
war eine äußer't bedrückte. Nur einmal hatte er sich wie
in Angst und Scham der freundlichen alten Frau zugewandt
und leise gefragt: „Wissen Sie auch, wie alles zugegangen ist?“
Frau Gehre hatte ihm erpt und sorgenvoll, aber dennoch
gütig und freundlich zugenickt.
„Und doch sind Sie zu mir gekommen?“ murmelte er, —
„und verachten mich nicht?“ 8
Site strich ihm linde über die Wangen und Hände. „Was
reden Sie da? Wir alle haben Sie ja lieb und wollen Ihnen
helfen, damit Sie wieder frisch und gesund werden.“
Heinz hatte die Mutter abgelöst, wenn sie ruhebedürftig
rar, und hatte auch den Freund bei der Ueberführung ins
Krankenhaus begleitet.
Gerhard lag zuerst matt in den weißen Kissen. Aber
an den blassen Zügen begann die Fieberhitze aufzusteigen, und
er warf sich unruhig hin und her. Die Zeit des abendlichen
Rundganges war nahe. Schwester Tora, ein älteres, etwas
stumpf und verarbeitet ausfehendes Mädchen, saß in einem
r Korblehnstuhl am Fußende des Bettes und gab
* ——* Zeit zu Zeit zu tninken, wie er es verlangte.
ah müde und abgespannt aus; dennoch erfüllte sie in
gemohnter Gewissenhaftigkeit ihre üflicht Da offnete sich
achte die Stubentur ‚und eine andere, jungere Schwester trat
herein. Sie legte die Hand auf die Schulter der älteren
Berufsgenossin, deren Augen zufallen wollten vor Müdig⸗
keit, sagte leise und freundlich:
„Eie sind erschöpft, Schwester Dora! Ich sehe es Ihnen
Vnmaer an. Sie solten diese Nacht nicht noch einmal
„Aber was wollen Sie?“ fuhr die Angeredete erschrocken
auf und richtete sich in die Höhe. „Ich werde doch main
Pflicht nicht versäumen. DToktor C
Nachtwache übertragen.“
Die jüngere Schwester sah aufmerksam in das Gesicht des
Tranken. „Er fiebert,“ sagte sie, „es wird große Achtsam—
eit von nöten sein. Sie sind todmüde; ich aber hatte heute
neinen freien Nachmittag und habe mich gehörig ausgeschlafen,
Schwester Dora. So bin ich frisch genug, um Sie abzulösen,
wenigstens für die halbe Nacht. Ich will Doktor Stoltenberg
um die Erlaubnis dazu bitten; er muß gleich kommen.“
Der Arzt in seinem weißen Kittel trat ein. Er grüßte die
Schwestern, sah den Patienten aufmerksam an und fühlte ihm
den Puls. Tann sah er auf die Fieberkurve über dem Kranken⸗
obett und schüttelte mißbilligend den Kopf.
„Wundfieber also doch noch!“ murmelte er. „Wir müssen
Lisumschläge machen. Und hat er Durst, so soll er Eisstückchen
chlucken. Wer hat die Wache?“
„Ich,“ sagte Schwester Dora, die sich beim Eintritt des
Vorgesetzten erhoben hatte. 2*
„Schwester Dora ist sehr erschöpft; sie wachte schon gestern
die halbe Nacht. Wenn ich darf, möchte ich diese Nacht ihre
Stelle einnehmen,“ sagte die jüngere Schwester vortretend,
„ich bin frei.“
„Meinetwegen,“ entgegnete Toktor Stoltenberg und sah
fich mit den etwas kurzsichtigen Augen die Schwester genauer
in. „Ah so, Schwester Agnes,“ sagte er freundlich. „Sollte
»er Kranke sehr unruhig werden und das Fieber sieigen, so
nüssen Sie mich rufen.“ Dann ging er nach einem aber—
maligen aufmerksamen Blick auf den Patienten fort.
Schwester Agnes drängte die ältere Berufsgenossin mit
anfter Gewalt zur Tür hin und versprach, sie zu wecken,
wenn sie nach Mitternacht etwa selbst der Schlaf anwandeln
sollte. Dann setzte sie sich in den Stuhl am Bett so zurecht,
daß sie jede Veränderung im Gelicht des Leidenden wahr—⸗
nehmen fonnte.
Sie hatte mit ihrem Anerbieten zur Nachtwache nicht allein
»er übermüdeten Schwester Dora dienen und helfen, sondern
nuch den dringenden Wunsch ihrer Mutter und ihres Bruders
erfüllen wollen, die ihr heute diesen Patienten besonders
varm empfohlen hatten, da sie sich um Gerhard ernstlich
orgten und alaubten. niemand könne so treu üher ihn wachen,
toltenberg hat mir