Full text: Lübeckische Anzeigen 1911 (1911)

lNeuefte Nachrichten und Celegramme. 
Verhaftung ruffischer Revolutionãre. 
W. Kronstadt, 26. April. Achtzehn Personen der soge— 
nannten Militärorganisation, der fozialrevolutionären 
Partei angehörend, sind ver haftet worden. Weitere Ver— 
haftungen stehen in Petersburg bevor. 
W. Petersburg, 26. April. Im Zusammenhange mit der 
Entdechung einer Kronstädter revolutionären Verbindung wurde 
in Petersburg bei Mitgliedern der internationalen Esperan- 
tistenliga eine Haussuchung vorgenommen. 2 Herren 
und 2 Damen wurden verhaftet. Im Bureau der Liga be— 
schlagnahmte die Polizei eine Anzahl Schriftstüde. 
Der französische Finanzminister vor seinen Wählern. 
W. Paris, 26. April. Der Finanzminister drückte in 
einer Rede vor seinen Wählern in Ferte-Bernard die Hoffnung 
aus, einige Reformen verwirklichen zu können, so die Arbeiter- 
ruhegehälter, die in Deutschland bereits beständen und in Eng-— 
land gegenwärtig eingeführt würden, ferner die Ergänzungs— 
teuer zur Einkommensteuer, die die französischen Konservativen 
mit solcher Angst erfülle, aber in England seit mehreren Mo⸗ 
naten bereits bestehe. 
— —— — 
Wt. Berlin, 26. April. Der geheime Justizrat, der zustän— 
dige Gerichtshof für Zivilklagen gegen Mitglieder des König— 
lichen Hauses, verhandelte heute die Klage der Opernsängerin 
Emma Heßlshl vom Boftheater in Wiesbaden gegen 
den König von Preußen, als Chef der Boftheater. 
Die Klägerin war von der Intendanz in eine Dißziplinar— 
strafe von 10 Mugenommen worden, weil sie gegen eine mit— 
wirkende Dame sich unangemessen benommen und gegen das 
Bühnenreglement verstoßen hatte. Die Klägerin forderte Rück⸗ 
zahlung und eine angemessene Entschädigung, da sie seitdem 
fast gar nicht mehr beschäftigt war, wodurch ihr künstlerisches 
Fortkommen gefährdet sei. Das Urteil lautete auf Zurück— 
zahlung, im übrigen auf Abweisung der Klage. 
W. Saniburg, 26. April. Der Senat beantragt bei 
der Bürgerschaft die Bewilligung von 1601 200 Mifür die Er— 
weiterung des Strafiustizgebäudes und des Untersuchungs— 
gefängnisses. 
Weimar, 26. April. Die weimarische Staatsregierung hat 
degen den Eisenacher Oberbürgermeister Schmieder 
ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Zurüchzuführen 
ist diese Maßregel auf die von Schmieder in die Wege geleitete 
Gründung des Vereins, der die von der weimarischen Staats— 
regierung verbotene Aufführung der Waiserschen Jesus⸗— 
festspiele durchsetzen will. Die Staatsregierung erblickt 
darin Widersetzlichkeit gegen die Staatsautorität. 
Wt. Kopenhagen, 26. April. Nachdem in Gunslev auf 
der Insel Falster ein Fall on Maul-und Klauenseuche 
festgestellt worden ist, verbot der Landwirtschaftsminister die 
Ausfsuhr von lebendem Vieh sowie Heu und Stroh, zu Futter⸗ 
zwecken bestimmt, aus dem betroffenen Bezirke nach dem übrigen 
Lande und dem Auslande. 
SSSSSS— 
heer und Flotte. 
W. Berlin, 26. April. Reichspostdampfer „Alice“ ist mit 
dem weiteren Teil der im Kiouschougebiet ab gelösten Offiziere 
und Mannschaften auf der Heimreise am 25. April inSouthamp⸗ 
ton eingetroffen und hat am 25. April die Reise fortgesetzt 
Reichspostdampfer „Kleist“ mit dem Rest der im Kiautschou⸗ 
gebiet abgelösten Offiziere und Mannschaften ist auf der Heim— 
reise am 25. April in Penang (Halbinsel Malacca) eingetroffen 
und hat am 28. April die Reise fortgesetzt. „Emden“ ist am 
25. April in Kobe (Japan), Torpedoboot „Taku“ am 25. April 
in Nagasaki und „von der Tann“ am 25. April in Santa 
Cruz de Teneriffa eingetroffen. „Sperber“ ist am 26. April 
dvon Aden in See gegangen und „Grille“ am 24. April in Kiel 
ingetroffen. 
Bunte Chronik. 
Der vergessene Retter. Dortmund, 26. April. 
Das Unglück auf der Zeche „Lukas“ hat noch ein zweites 
Opfer gefordert. Der verheiratete Bergmann Richard Wenzel 
war mit dem Betriebsführer Limberg zur Rettung der Einge— 
schlossenen eingefahren; er wurde betäubt, und bei der Bergung 
Limbergs hat man ihn vergessen. Erst auf Nachfrage seiner 
Frau erinnerte man sich an seine Einfahrt; er wurde gesucht 
und tot aufgefunden. 
Krawalle in Wien. Wien, 26. April. In der 
Nacht zum Dienstag kam es außer den bereits gemeldeten 
Krawallen vor der Radetzky-Kaserne noch zu einem heftigen 
Zusan menstoß zwischen Militär und Zivilisten vor dem Kriegs— 
ministerium in der inneren Stadt am Hof. Dort bedrohte 
ein Artillerie-Unteroffizier Zivilisten mit seinem Seitengewehr. 
Eine Patrouille brachte ihn endlich auf die Wachtstube. Einige 
Minute: später kam der Bruder des Arretierten, ein Zivilist, 
mit einigen Freunden vor die Wachtstube und verlangte die 
Freilassung des Verhafteten. Sie erhielten durch eine ganze 
Schar ron Nachtschwärmern Unterstützung, so daß der Ojfizier 
die Wache ins Gewehr treten ließ. Darauf zog sich die 
Menge zurück. Die Polizei vertrieb schließlich die Ruhestörer 
Schwere Automobilunfälle. Köln, 26. April. 
In Fachbach wurde ein Kind von einem Automobil über— 
fahten und getötet. Die Insassen des Autos fuühren 
davon, ohne sich um ihr Opfer zu kümmern. — Madrid, 
26. April. Auf der Rückkehr von Carrabanchel, wo 
König Alfons die drahtlose Telegraphiestation eröffnet 
hatte, haben der General Marva und drei ihn begleitende 
Offiziere mit ihrem Automobil einen schweren Unfall 
erlitten. Der General und zwei Offiziere wurden 
dabei tödlich verletzt. 
Großfeuer. Enkirch, 26. April. In dem von 
schweren Bränden oft heimgesuchten Moselort Enkirch vernichtete 
Großfeuer vier Wohnhäuser und zwei Scheunen. — Auf 
dem Fabrikanwesen Rehmsdorf des Vereins Chemischer Fabriken, 
Aktiengesellschaft in Zeitz, vernichtete ein Großfeuer in 
der Nacht zum Montag mehrere Lagerhäuser mit gewaltigen 
Vorräten. Der Schaden beträgt, den Zeitzer Neuesten Nach— 
richten zufolge, eine Million Mark. 
Wandsbek, 27. April. Der Hosenrock unter dem 
Schutze von Polizei und Militär. Auf dem Wandsbeker Früh— 
jahrsmarkt erregten zwei Damen, die mit Hosenröcken bekleide! 
waren, ein solches Aufsehen, daß ein fürchterliches Gedränge 
entstand und der Verkehr auf der Straße für Fußgänger und 
Wagen aufgehoben wurde. Die Polizei mußte zum Schutze 
der Hosenrocktträgerinnen einschreiten, und zwei wackere 76er gelei 
tenen sie an die Hamburger Grenze. 
Schwurgericht Lũbeck. 
6. Tag.) 
VLübeck, 26. April. 
Falschmünzer Wilde und Gemnofsen. 
Ein gemeingefährlicher Verbrecher allerschlimmster Art, 
»essen Straftaten gegen das Eigentum und das Leben seiner 
Mitmenschen ganz beträchtliche sind, stand heute in der Person 
des „Agenten“ Emil Erdmann Wilde vor den Geschworenen. 
Für die Verhandlung waren bei der hinlänglich bekannten 
Weise Wildes, sich durch Simulierung von Tob— 
sucht der Bestrafung zu entziehen, umfassende Vor— 
iehrungen getroffen. Zu seiner Vorführung und Be— 
wachung waren vier handfeste Schutzleute aufge— 
boten. Schon während der Ueberführung von Lauerhof nach 
dem Gerichtsgebäude begann Wilde seine „Geisteskrankheit“ 
durch Schreien und Lärmen hervorzukehren. Im Gerichtssaal 
var die Anklagebank für ihn allein reserviert worden; seine 
)rei Mitangeklagten mußten auf besonderen Stühlen im 
SZaale Platz hehmen. Dann wurde Wilde hereingeführt. 
Als sich die Tür des Untersuchungsgefängnisses öffnete, hörte 
nan bereits Wildes unartikuliertes Brüllen. Von vier Schutz⸗ 
euten zur Anklagebank geführt, widersetzte er sich auf 
das energischste, in die Bank hineinzutreten. Unter An— 
wendung größter Gewalt expedierten die Polizeibe— 
amten in der greulichsten Weise schreienden Angeklagten auf 
jeinen Platz, worauf er trotz heftigsten Sträubens 
oon den Schutzleuten unter Beihilfe einiger Gerichtsbeamten 
an Händen und Füßen gefesselt wurde. Alle Er— 
mahnungen, sich zu beruhigen, ließ Wilde völlig unbeachtet 
Schließlich gab der Vorsitzende, Herr Landgerichtsdirektor Dr 
Menyer den Schutzleuten die Weisung, Wilde den Mund 
zuzuhalten, damit er durch sein Schreien die Eröffnung 
der Verhandlung nicht weiter störe. Doch auch dies Verfahren 
nützte nicht viel, denn sein Schreien klang nun noch un—⸗ 
angenehmer als zuvor. Einem der mitangeklagten Mädchen, wie 
auch einem der Herren Geschworenen fiel Wildes Toben derartig 
auf die Nerven, daß sie den Gerichtssaal verlassen mußten. 
Unter Wildes fortgesetzten Lärmens wurden mit Mühe 
und Not folgende Geschworene ausgelost: Kaufmann Haufs— 
mann, Rentner Lammers, Professor Dr. Zimmermann, Brau— 
meister Lück, Kaufmann Alwert, Buchhändler Schmersahl, Kauf— 
nann Babbe, Oberbahnhofsvorsteher Neuroth, Chefingenieur 
Flügge, Kaufmann Walther, Privatmann Jürs und Privat— 
mann Ottens. 
Einer der zu Geschworenen berufenen Herren erklärte, er 
könne, falls er zum Richteramt berufen werde 
dieses, als befangen, nicht ausüben, da er Wildes 
Schreien nicht anhören könne. Der Vorsitzende ent— 
zegnete ihm darauf, daß das kein Grund sei 
jeine Mitwirkung abzulehnen, denn ein deutscher Mann müsse 
doch wohl noch das Schreien eines Angeklagten ohne irgend— 
welche Zimperlichkeiten anhören können. Der Herr wurde abern 
von der Staatsanwaltschaft als Geschworener abgelehnt. 
Angeklagt sind der Agent Wilde wegen Falsch— 
münzerei, der ehemalige Krankenwärter Fojuth gleichfalls 
wegen Falschmünzerei sowie wege Verausgabung 
falschen Geldes, die Verkäuferinnen Anna Zimmer und 
Elisabeth Zim mer wegen Verausgabung falslchen 
Geldes. Als Verteidiger Wildes fungiert Herr Rechtsanwal. 
Kähler, für den Angeklagten Fosuth Herr Rechtsanwal' 
Brehmer III und für die beiden angeklagten Mädchen 
Herr Rechtsanwalt Dr. Suse⸗-Hamburg. 
Herr Landgerichtsdirektor Dr. Meyer als Vorsitzender des 
Gerichts machte sodann den Versuch, mit dem inzwischen 
wieder entfesselten Wilde zu verhandeln. Da aber der sein 
Toben fortsetzte, wurde er in eine neben dem Gerichtssaal 
belegene Zelle abgeführt. 
Dort verhielt er sich bald ganz ruhig, hörte sich durch 
die etwas offenstehende Tür den Gang der Verhandlung 
an und war ganz vernünftig. Den Polizeibeamten erklärte 
er seinen Wutanfall dahin, daß es ihn geärgert habe, daß 
ihn so viele Leute angestarrt hätten. 
Aus der Vernehmung der weiteren Angeklagten ist nach 
stehendes hervorzuheben: 
Angeklagter ehemaligerKrankenwärterFojuth: Ich habe Wilde 
im Herbst 1909 in der Charitè in Berlin kennen gelernt, wo 
ich als Wärter angestellt war. Wilde spielte dort den wilden 
Mann, was er immer tut, wenn er wegen seiner früheren Straf— 
aten sich vor Gericht verantworten soll. Ich habe mit einem 
Wärter Römisch die Bewachung Wildes gehabt. Wir beide 
ind eines Nachts eingeschlafen und Wilde ist uns entwichen. In— 
'olgedessen bin ich entlassen worden. Einige Tage sräter habe 
ch Wilde in Berlin in der Friedrichstraße getroffen, wo er spa— 
zieren ging. Wilde hat mich eingeladen, mit ihm in ein Restau— 
rant zu kommen. Infolge meiner Entlassung durch seine Ent— 
weichung hat Wilde mir dort 100 Mugegeben. Dieses Geld 
war echt. Dann trennten wir uns ohne jede Verabredung, 
doch gab ich Wilde meine Adresse. Im Novenber 1909 hat 
Wilde geschrieben, ich solle nach Hamburg kommen, er habe 
twas für mich. Ich ging dann auch nach Hamburg, wußte 
damals aber schon, daß Wilde falsches Geld machte. Nach 
inigen Tagen erklärte Wilde, ich solle das von ihm ange— 
ertigte Geld in den Verkehr bringen. Trotz anfänglichen 
Sträubens bin ich darauf eingegangen. Von den verausgabten 
falschen Markstücken mußte ich Wilde 50 Pig. zurüchgeben, 
der überschießende Betrag gehörte mir. Da mir die Geldstücke 
ein zu neues Aussehen hatten, habe ich die falschen Stücke 
jefärbt. Vorsitzender: Sie sollen auch einige Stücke mit ge— 
zossen und darauf Ihr „Meister“ gesagt haben, die Stücke 
eien so schlecht, daß er sie nicht verausgaben könne. Ange— 
lagter: Das muß ich bestrieiten. Vorsitzender: In welchem 
Umfange fabrizierte Wilde falsches Geld? Angeklagter: Er 
gab viel aus; hatte auch schon Beziehungen mit der Anna 
Zimmer. Vorsitzender: Wußte damals Anna Zimmer von der 
Falschmünzerei? Angeklagter: Zu der Zeit wohl noch nicht. 
Vorsitzender: Wollte Wilde Sie nicht in die Falschmünzerei 
inweihen? Angeklagter: Ja, wenn ich mich bewährte in 
»er Verausgabung von Geld. Vorsitzender: Die falschen Mün— 
zen bestanden nach der in Hamburg ausgeführten Analyse aus 
EEBroz. Kuvser. 2 Proz. Blei, 12 Proz. Antimon, 67 Proz. 
zZinn und 17 Proz. Eisen. Sich dann zu Fojuth wendend“ 
Zie haben im April vorigen Jahres an Ihren Bruder ge— 
chrieben, Sie hofften mit zwei Jahren davonzukommen, wo—⸗ 
nit Sie Ihren Leichtsinn hinreichend gebüßt hätten. Ange— 
lagter gibt dies zu und schildert des weiteren, wie Wilde 
hn zur Beteiligung an dem Verbrechen verlockt habe. 
Angeklagte Anna Zimmer-Hamburg erzählte zunächst, wie 
ie Wilde kennen gelernt und ein Verhältnis mit ihm be— 
sonnen hat. Er sagte, er wäre Kaufmann und viel auf 
eisen. Ende Dezember 1909 machte ich mit Wilde als seine 
jerlobte Braut eine Reise nach Berlin. — Vorsitzender“ 
Dort soll Wilde Ihnen nun gesagt haben, was er be 
treibe. —. Angeklagte: Schon vor der Abreise nach Berli 
weinte Wilde viel und war mißgestimmt. Warum, weiß 
ich nicht. — Worsitzender: Wilde hatte also hin und wiede, 
auch weiche Regungen. Aber Sie sind mit einem seit Jahren 
von vielen Gerichten als Falschmünzer gesuchten Mann nag 
Berlin gereist. — Angeklagte: Ja, das wußte ich abe 
damals noch nicht. In einem Lokal an der Friedrichstraße weint— 
Wilde wieder. Ich fragte ihn, warum er weine. Da sagt- 
er, mir die Wahrheit über seinen Beruf sagen zu wollen 
Er sei Falschmünzer. Vorsitzender: Haben Sie sich da nich 
von ihm abgewandt? Angeklagte: Nein, ich stand gerad 
bon dieser Zeit an ganz unter seinem Einfluß. Vorsitzender 
Sie wußten aber doch, daß es sehr schwer strafbar ist, falsche— 
Geld zu machen. Das Zusammenleben mit einem solchen 
Menschen muß Ihnen doch peinlich gewesen sein. Angeklagte 
Ich hatte Wilde sehr gern und konnte mich nicht von ihm ab 
wenden. Vorsitzender: Hat Wilde in Berlin viel Geld aus 
zegeben? Angeklagte: Ja. Vorsitzender: Wo blieb er den 
mit dem vielen Kleingeld, das er durch das Wechseln er 
hielt? Angeklagte: Das wechselte er bei Kellnern gegen grö 
ßeres Geld ein. Bei der Abreise von Berlin, »als dort de 
Boden zu heiß unter den Füben wurde, tat er verzweifelt 
warf sich auf den Fußboden, weinte und schlug mit Händer 
und Füßen um sich und verlangte von mir, ich sollt 
mit ihm sterben. Das wollte ich aber nicht. An 
iächsten Tage wollte er auch selbst von diesem Theaterkran 
nichts mehr wissen. — Vorsitzender: Theaterkram ist aller 
dings die durchaus zutreffende Bezeichnung für Wildes Ver 
halten. Nachdem Sie nun von Wildes Geschäft wußten, habe 
Sie auch gesehen, wenn er falsches Geld machte? — Ange 
lagte: Ja. Ich mußte ihm dabei vielfach Schauergeschichten 
vorlesen. — Vorsitzender: Sie sind dann mit Wilde nad 
Bremen, Düsseldorf usw. gefahren. Sie haben anfangs nich 
falsches Geld ausgeben wollen, haben dann aber doch an 156 
Stüche in den Verkehr gebracht. Wie hat Wilde Sie dazu ver 
inlaßt? — Angeklagte: Wilde sagte, wahre Liebe wäre 
rufopfernd, und da tat ich denn seinen Willen. — WVorsitzender 
Wir wollen nun einmal auf den Schlußakt in Niendorf F. O 
rommen. Wie häufig hat Wilde dort Geld gemacht? — Ange— 
tlagte: Einige Male. — Vorsitzender: Hat Wilde dort falsches 
Held ausgegeben? — Angeklagte: Nein, in Lübeck. Ich war 
nicht mit in Lübeck. Da Wilde dort verhaftet wurde, kamen 
ich und meine mich besuchende Schwester in eine mißliche Lage 
Schließlich packten wir die Koffer und reisten ab. In Ham— 
burg wurde der Koffer mit den Falschmünzereigerätschaften be— 
schlagnahmt und ich gestand alles. 
Angeklagte Elisabeth Zimmer (Getzt 17 Jahre alt) ha— 
Wilde Oktober 1909 kennen gelernt. Er machte einen netten Ein— 
druck, da er immer gut bei Kasse war. — Vorsitzender: Wann 
haben Sie erfahren, daß er falsches Geld machte? — Ange— 
klagte: Ich traf ihn eines Abends in angetrunkenem Zustande. 
Da hat er mir alles erzählt. — Vorsitzender: Was sagte 
er dann? — Angeklagte: Er gab mir ein Markstück, fü 
das ich einen Blumenstrauß kaufen mußte. Dann sagte er mir 
daß ich ein falsches Markstück ausgegeben habe. Später wa 
ich mit Wilde und meiner Schwester 14 Tage in Bremen. De 
habe ich wiederholt falsches Geld für Wilde ausgegeben. — 
Vorsitzender: Als Wilde Ihnen sagte, daß er falsches Geld— 
machte zund Sie dieses ausgaben, mußten Sie doch wissen, daĩ 
Sie sich dadurch strafbar machten. — Angeklagte: Ja. Wi— 
meine Schwester, stand auch ich sehr unter dem Einfluß Wildes 
Die Angeklagte schildert sodann das Bekanntwerden Wildes 
mit ihren Eltern, denen gegenüber er sich als Architekt Stiller 
ausgegeben hat. 
Vorsitzender: Angeklagter Wilde gibt zu, falsches Geld 
angefertigt und ausgegeben zu haben. Er sagt aber, der 
Kronprinz habe es ihm erlaubt, falsches Geld zu machen, 
da er Beziehungen zu einer Kammerzofse gehabt habe. Wilde 
hat deswegen auch verlangt, daß der Kronprinz als 
Zeuge gehört werde. Von dieser Ausrede hat Wilde indessen 
nur den Gerichten, aber nie anderen Personen gegenüber Ge— 
brauch gemacht. 
Der Gerichtsdiener erhielt darauf den Auftrag, festzu 
stellen, ob Wilde jetzt geneigt ist, dem Gericht Rede und Ant— 
wort zu stehen. Wilde läßt erklären, er wolle jetzt ruhig 
ein. Er wird infolgedessen in den Saal geführt, fängt abe— 
gleich wieder an zu lamentieren. 
Vorsitzender (zu Wilde): Wenn Sie sich ruhig verhalten 
werde ich Ihnen die Handfesseln abnehmen lassen. (Das geschieht 
Wilde redet jedoch weiter vor sich hin) Nun seien Sie sür 
einen Augenblick ruhig! Fangen Sie aber wieder an zu toben, 
werden Sie sofort wieder gefesseit. Ihre Schauspielerei kennen 
wir nun schon zur Genüge; das nützt Ihnen absolut nichts. 
Die sämtlichen drei Mitangeklagten haben ein volles Ge— 
ständnis a bgelegt. Sie haben das falsche Geld gemacht und 
Fojuth, sowie die Mädchen das falsche Geld ausgegeben. 
Wilde erklärt hierauf nichts. — Es folgt darauf die 
Vernehmung des Zeugen Kaufmannes Richelsen, der er— 
'annte, daß bei einem Einkauf in' seinem Geschäft Wilde falsches 
Held ausgegeben hat. Die Aussagen des Zeugen sind am 
Pressetisch völlig unverständlich. Als Leumundszeuge wurd—« 
hierauf noch der Vater der angeklagten Mädchen vernommen 
Sachverständiger Dr. Walter, Oberarzt der Pro 
pinzial⸗Irrenanstalt Neustadt i. H., in der Wilde auf seinen 
Heisteszustand untersucht worden ist, sagte aus: Wilde stamm— 
aus einer Familie, in der Geisteskrankheit in aufsteigender Lini 
oorgekommen sein soll. Sein Lebenslauf ist ziemlich kompliziert 
Er ist aus der 3. Klasse konfirmiert. Er hat mancherlei Be— 
ufe ausgeübt. Beim Miilitär hat er sich gut geführt. Spätet 
jat er in Moabit eine längere Zuchthausstrafe verbüßt. Da— 
nals bot er das typische Bild eines in der Haft erkrankten 
HYlenschen, wurde danach aber wieder völlig gesund. Im August 
905 wurde Wilde entlassen, aber schon im Oktober desselben 
Fahres wegen Ausgabe falschen Geldes wieder verhaftet. Am 
kage nach der Verhaftung bekam er einen Tobsuchtsanfall. 
Später gab er an, das falsche Geld gesfunden zu haben, bestritt 
aber entschieden verrückt zu sein. Nach Verbüßung der Strafe 
ernte Wilde einen gewissen Ladewig kennen, mit dem hat er die 
Falschmünzerei fortgesetzt und wurde erneut in Dresden 1906 
»erhaftet. Er bekam auch hier wieder Anfälle, die aber bald 
vorübergingen. Hier war es auch, wo er einen Brief au eine 
Kammerzofe dier Kronprinzessin fabrizierte. Dann ist die Rede 
pon einem drahtlose Ferngespräche ermöglichenden 
Doppel-Hohlspiegel, den er beim Kronprinzen hinter⸗ 
iegt habe. Die sachverständigen Mediziner stellten aber fest, daß 
Wildes Geisteskrankheit simuliert war; er wurde aber dennoch 
der Siechenanstalt zugeführt. Hier bekam er wieder Anfälle, 
in welchen er behauptete, er habe auf den Wagen des Kron— 
prinzen springen wollen, weil dieser mit seiner Braut, der Zose 
ausgefahren sei. Das Publikum habe ihn vom Wagen ge— 
rissen und gewaltig verprügelt; bald danach sei ihm auch ein 
dom Kronprinzen unterzeichnetes Todesurteil vorgelegt worder
	        
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