lNeuefte Nachrichten und Celegramme.
Verhaftung ruffischer Revolutionãre.
W. Kronstadt, 26. April. Achtzehn Personen der soge—
nannten Militärorganisation, der fozialrevolutionären
Partei angehörend, sind ver haftet worden. Weitere Ver—
haftungen stehen in Petersburg bevor.
W. Petersburg, 26. April. Im Zusammenhange mit der
Entdechung einer Kronstädter revolutionären Verbindung wurde
in Petersburg bei Mitgliedern der internationalen Esperan-
tistenliga eine Haussuchung vorgenommen. 2 Herren
und 2 Damen wurden verhaftet. Im Bureau der Liga be—
schlagnahmte die Polizei eine Anzahl Schriftstüde.
Der französische Finanzminister vor seinen Wählern.
W. Paris, 26. April. Der Finanzminister drückte in
einer Rede vor seinen Wählern in Ferte-Bernard die Hoffnung
aus, einige Reformen verwirklichen zu können, so die Arbeiter-
ruhegehälter, die in Deutschland bereits beständen und in Eng-—
land gegenwärtig eingeführt würden, ferner die Ergänzungs—
teuer zur Einkommensteuer, die die französischen Konservativen
mit solcher Angst erfülle, aber in England seit mehreren Mo⸗
naten bereits bestehe.
— —— —
Wt. Berlin, 26. April. Der geheime Justizrat, der zustän—
dige Gerichtshof für Zivilklagen gegen Mitglieder des König—
lichen Hauses, verhandelte heute die Klage der Opernsängerin
Emma Heßlshl vom Boftheater in Wiesbaden gegen
den König von Preußen, als Chef der Boftheater.
Die Klägerin war von der Intendanz in eine Dißziplinar—
strafe von 10 Mugenommen worden, weil sie gegen eine mit—
wirkende Dame sich unangemessen benommen und gegen das
Bühnenreglement verstoßen hatte. Die Klägerin forderte Rück⸗
zahlung und eine angemessene Entschädigung, da sie seitdem
fast gar nicht mehr beschäftigt war, wodurch ihr künstlerisches
Fortkommen gefährdet sei. Das Urteil lautete auf Zurück—
zahlung, im übrigen auf Abweisung der Klage.
W. Saniburg, 26. April. Der Senat beantragt bei
der Bürgerschaft die Bewilligung von 1601 200 Mifür die Er—
weiterung des Strafiustizgebäudes und des Untersuchungs—
gefängnisses.
Weimar, 26. April. Die weimarische Staatsregierung hat
degen den Eisenacher Oberbürgermeister Schmieder
ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Zurüchzuführen
ist diese Maßregel auf die von Schmieder in die Wege geleitete
Gründung des Vereins, der die von der weimarischen Staats—
regierung verbotene Aufführung der Waiserschen Jesus⸗—
festspiele durchsetzen will. Die Staatsregierung erblickt
darin Widersetzlichkeit gegen die Staatsautorität.
Wt. Kopenhagen, 26. April. Nachdem in Gunslev auf
der Insel Falster ein Fall on Maul-und Klauenseuche
festgestellt worden ist, verbot der Landwirtschaftsminister die
Ausfsuhr von lebendem Vieh sowie Heu und Stroh, zu Futter⸗
zwecken bestimmt, aus dem betroffenen Bezirke nach dem übrigen
Lande und dem Auslande.
SSSSSS—
heer und Flotte.
W. Berlin, 26. April. Reichspostdampfer „Alice“ ist mit
dem weiteren Teil der im Kiouschougebiet ab gelösten Offiziere
und Mannschaften auf der Heimreise am 25. April inSouthamp⸗
ton eingetroffen und hat am 25. April die Reise fortgesetzt
Reichspostdampfer „Kleist“ mit dem Rest der im Kiautschou⸗
gebiet abgelösten Offiziere und Mannschaften ist auf der Heim—
reise am 25. April in Penang (Halbinsel Malacca) eingetroffen
und hat am 28. April die Reise fortgesetzt. „Emden“ ist am
25. April in Kobe (Japan), Torpedoboot „Taku“ am 25. April
in Nagasaki und „von der Tann“ am 25. April in Santa
Cruz de Teneriffa eingetroffen. „Sperber“ ist am 26. April
dvon Aden in See gegangen und „Grille“ am 24. April in Kiel
ingetroffen.
Bunte Chronik.
Der vergessene Retter. Dortmund, 26. April.
Das Unglück auf der Zeche „Lukas“ hat noch ein zweites
Opfer gefordert. Der verheiratete Bergmann Richard Wenzel
war mit dem Betriebsführer Limberg zur Rettung der Einge—
schlossenen eingefahren; er wurde betäubt, und bei der Bergung
Limbergs hat man ihn vergessen. Erst auf Nachfrage seiner
Frau erinnerte man sich an seine Einfahrt; er wurde gesucht
und tot aufgefunden.
Krawalle in Wien. Wien, 26. April. In der
Nacht zum Dienstag kam es außer den bereits gemeldeten
Krawallen vor der Radetzky-Kaserne noch zu einem heftigen
Zusan menstoß zwischen Militär und Zivilisten vor dem Kriegs—
ministerium in der inneren Stadt am Hof. Dort bedrohte
ein Artillerie-Unteroffizier Zivilisten mit seinem Seitengewehr.
Eine Patrouille brachte ihn endlich auf die Wachtstube. Einige
Minute: später kam der Bruder des Arretierten, ein Zivilist,
mit einigen Freunden vor die Wachtstube und verlangte die
Freilassung des Verhafteten. Sie erhielten durch eine ganze
Schar ron Nachtschwärmern Unterstützung, so daß der Ojfizier
die Wache ins Gewehr treten ließ. Darauf zog sich die
Menge zurück. Die Polizei vertrieb schließlich die Ruhestörer
Schwere Automobilunfälle. Köln, 26. April.
In Fachbach wurde ein Kind von einem Automobil über—
fahten und getötet. Die Insassen des Autos fuühren
davon, ohne sich um ihr Opfer zu kümmern. — Madrid,
26. April. Auf der Rückkehr von Carrabanchel, wo
König Alfons die drahtlose Telegraphiestation eröffnet
hatte, haben der General Marva und drei ihn begleitende
Offiziere mit ihrem Automobil einen schweren Unfall
erlitten. Der General und zwei Offiziere wurden
dabei tödlich verletzt.
Großfeuer. Enkirch, 26. April. In dem von
schweren Bränden oft heimgesuchten Moselort Enkirch vernichtete
Großfeuer vier Wohnhäuser und zwei Scheunen. — Auf
dem Fabrikanwesen Rehmsdorf des Vereins Chemischer Fabriken,
Aktiengesellschaft in Zeitz, vernichtete ein Großfeuer in
der Nacht zum Montag mehrere Lagerhäuser mit gewaltigen
Vorräten. Der Schaden beträgt, den Zeitzer Neuesten Nach—
richten zufolge, eine Million Mark.
Wandsbek, 27. April. Der Hosenrock unter dem
Schutze von Polizei und Militär. Auf dem Wandsbeker Früh—
jahrsmarkt erregten zwei Damen, die mit Hosenröcken bekleide!
waren, ein solches Aufsehen, daß ein fürchterliches Gedränge
entstand und der Verkehr auf der Straße für Fußgänger und
Wagen aufgehoben wurde. Die Polizei mußte zum Schutze
der Hosenrocktträgerinnen einschreiten, und zwei wackere 76er gelei
tenen sie an die Hamburger Grenze.
Schwurgericht Lũbeck.
6. Tag.)
VLübeck, 26. April.
Falschmünzer Wilde und Gemnofsen.
Ein gemeingefährlicher Verbrecher allerschlimmster Art,
»essen Straftaten gegen das Eigentum und das Leben seiner
Mitmenschen ganz beträchtliche sind, stand heute in der Person
des „Agenten“ Emil Erdmann Wilde vor den Geschworenen.
Für die Verhandlung waren bei der hinlänglich bekannten
Weise Wildes, sich durch Simulierung von Tob—
sucht der Bestrafung zu entziehen, umfassende Vor—
iehrungen getroffen. Zu seiner Vorführung und Be—
wachung waren vier handfeste Schutzleute aufge—
boten. Schon während der Ueberführung von Lauerhof nach
dem Gerichtsgebäude begann Wilde seine „Geisteskrankheit“
durch Schreien und Lärmen hervorzukehren. Im Gerichtssaal
var die Anklagebank für ihn allein reserviert worden; seine
)rei Mitangeklagten mußten auf besonderen Stühlen im
SZaale Platz hehmen. Dann wurde Wilde hereingeführt.
Als sich die Tür des Untersuchungsgefängnisses öffnete, hörte
nan bereits Wildes unartikuliertes Brüllen. Von vier Schutz⸗
euten zur Anklagebank geführt, widersetzte er sich auf
das energischste, in die Bank hineinzutreten. Unter An—
wendung größter Gewalt expedierten die Polizeibe—
amten in der greulichsten Weise schreienden Angeklagten auf
jeinen Platz, worauf er trotz heftigsten Sträubens
oon den Schutzleuten unter Beihilfe einiger Gerichtsbeamten
an Händen und Füßen gefesselt wurde. Alle Er—
mahnungen, sich zu beruhigen, ließ Wilde völlig unbeachtet
Schließlich gab der Vorsitzende, Herr Landgerichtsdirektor Dr
Menyer den Schutzleuten die Weisung, Wilde den Mund
zuzuhalten, damit er durch sein Schreien die Eröffnung
der Verhandlung nicht weiter störe. Doch auch dies Verfahren
nützte nicht viel, denn sein Schreien klang nun noch un—⸗
angenehmer als zuvor. Einem der mitangeklagten Mädchen, wie
auch einem der Herren Geschworenen fiel Wildes Toben derartig
auf die Nerven, daß sie den Gerichtssaal verlassen mußten.
Unter Wildes fortgesetzten Lärmens wurden mit Mühe
und Not folgende Geschworene ausgelost: Kaufmann Haufs—
mann, Rentner Lammers, Professor Dr. Zimmermann, Brau—
meister Lück, Kaufmann Alwert, Buchhändler Schmersahl, Kauf—
nann Babbe, Oberbahnhofsvorsteher Neuroth, Chefingenieur
Flügge, Kaufmann Walther, Privatmann Jürs und Privat—
mann Ottens.
Einer der zu Geschworenen berufenen Herren erklärte, er
könne, falls er zum Richteramt berufen werde
dieses, als befangen, nicht ausüben, da er Wildes
Schreien nicht anhören könne. Der Vorsitzende ent—
zegnete ihm darauf, daß das kein Grund sei
jeine Mitwirkung abzulehnen, denn ein deutscher Mann müsse
doch wohl noch das Schreien eines Angeklagten ohne irgend—
welche Zimperlichkeiten anhören können. Der Herr wurde abern
von der Staatsanwaltschaft als Geschworener abgelehnt.
Angeklagt sind der Agent Wilde wegen Falsch—
münzerei, der ehemalige Krankenwärter Fojuth gleichfalls
wegen Falschmünzerei sowie wege Verausgabung
falschen Geldes, die Verkäuferinnen Anna Zimmer und
Elisabeth Zim mer wegen Verausgabung falslchen
Geldes. Als Verteidiger Wildes fungiert Herr Rechtsanwal.
Kähler, für den Angeklagten Fosuth Herr Rechtsanwal'
Brehmer III und für die beiden angeklagten Mädchen
Herr Rechtsanwalt Dr. Suse⸗-Hamburg.
Herr Landgerichtsdirektor Dr. Meyer als Vorsitzender des
Gerichts machte sodann den Versuch, mit dem inzwischen
wieder entfesselten Wilde zu verhandeln. Da aber der sein
Toben fortsetzte, wurde er in eine neben dem Gerichtssaal
belegene Zelle abgeführt.
Dort verhielt er sich bald ganz ruhig, hörte sich durch
die etwas offenstehende Tür den Gang der Verhandlung
an und war ganz vernünftig. Den Polizeibeamten erklärte
er seinen Wutanfall dahin, daß es ihn geärgert habe, daß
ihn so viele Leute angestarrt hätten.
Aus der Vernehmung der weiteren Angeklagten ist nach
stehendes hervorzuheben:
Angeklagter ehemaligerKrankenwärterFojuth: Ich habe Wilde
im Herbst 1909 in der Charitè in Berlin kennen gelernt, wo
ich als Wärter angestellt war. Wilde spielte dort den wilden
Mann, was er immer tut, wenn er wegen seiner früheren Straf—
aten sich vor Gericht verantworten soll. Ich habe mit einem
Wärter Römisch die Bewachung Wildes gehabt. Wir beide
ind eines Nachts eingeschlafen und Wilde ist uns entwichen. In—
'olgedessen bin ich entlassen worden. Einige Tage sräter habe
ch Wilde in Berlin in der Friedrichstraße getroffen, wo er spa—
zieren ging. Wilde hat mich eingeladen, mit ihm in ein Restau—
rant zu kommen. Infolge meiner Entlassung durch seine Ent—
weichung hat Wilde mir dort 100 Mugegeben. Dieses Geld
war echt. Dann trennten wir uns ohne jede Verabredung,
doch gab ich Wilde meine Adresse. Im Novenber 1909 hat
Wilde geschrieben, ich solle nach Hamburg kommen, er habe
twas für mich. Ich ging dann auch nach Hamburg, wußte
damals aber schon, daß Wilde falsches Geld machte. Nach
inigen Tagen erklärte Wilde, ich solle das von ihm ange—
ertigte Geld in den Verkehr bringen. Trotz anfänglichen
Sträubens bin ich darauf eingegangen. Von den verausgabten
falschen Markstücken mußte ich Wilde 50 Pig. zurüchgeben,
der überschießende Betrag gehörte mir. Da mir die Geldstücke
ein zu neues Aussehen hatten, habe ich die falschen Stücke
jefärbt. Vorsitzender: Sie sollen auch einige Stücke mit ge—
zossen und darauf Ihr „Meister“ gesagt haben, die Stücke
eien so schlecht, daß er sie nicht verausgaben könne. Ange—
lagter: Das muß ich bestrieiten. Vorsitzender: In welchem
Umfange fabrizierte Wilde falsches Geld? Angeklagter: Er
gab viel aus; hatte auch schon Beziehungen mit der Anna
Zimmer. Vorsitzender: Wußte damals Anna Zimmer von der
Falschmünzerei? Angeklagter: Zu der Zeit wohl noch nicht.
Vorsitzender: Wollte Wilde Sie nicht in die Falschmünzerei
inweihen? Angeklagter: Ja, wenn ich mich bewährte in
»er Verausgabung von Geld. Vorsitzender: Die falschen Mün—
zen bestanden nach der in Hamburg ausgeführten Analyse aus
EEBroz. Kuvser. 2 Proz. Blei, 12 Proz. Antimon, 67 Proz.
zZinn und 17 Proz. Eisen. Sich dann zu Fojuth wendend“
Zie haben im April vorigen Jahres an Ihren Bruder ge—
chrieben, Sie hofften mit zwei Jahren davonzukommen, wo—⸗
nit Sie Ihren Leichtsinn hinreichend gebüßt hätten. Ange—
lagter gibt dies zu und schildert des weiteren, wie Wilde
hn zur Beteiligung an dem Verbrechen verlockt habe.
Angeklagte Anna Zimmer-Hamburg erzählte zunächst, wie
ie Wilde kennen gelernt und ein Verhältnis mit ihm be—
sonnen hat. Er sagte, er wäre Kaufmann und viel auf
eisen. Ende Dezember 1909 machte ich mit Wilde als seine
jerlobte Braut eine Reise nach Berlin. — Vorsitzender“
Dort soll Wilde Ihnen nun gesagt haben, was er be
treibe. —. Angeklagte: Schon vor der Abreise nach Berli
weinte Wilde viel und war mißgestimmt. Warum, weiß
ich nicht. — Worsitzender: Wilde hatte also hin und wiede,
auch weiche Regungen. Aber Sie sind mit einem seit Jahren
von vielen Gerichten als Falschmünzer gesuchten Mann nag
Berlin gereist. — Angeklagte: Ja, das wußte ich abe
damals noch nicht. In einem Lokal an der Friedrichstraße weint—
Wilde wieder. Ich fragte ihn, warum er weine. Da sagt-
er, mir die Wahrheit über seinen Beruf sagen zu wollen
Er sei Falschmünzer. Vorsitzender: Haben Sie sich da nich
von ihm abgewandt? Angeklagte: Nein, ich stand gerad
bon dieser Zeit an ganz unter seinem Einfluß. Vorsitzender
Sie wußten aber doch, daß es sehr schwer strafbar ist, falsche—
Geld zu machen. Das Zusammenleben mit einem solchen
Menschen muß Ihnen doch peinlich gewesen sein. Angeklagte
Ich hatte Wilde sehr gern und konnte mich nicht von ihm ab
wenden. Vorsitzender: Hat Wilde in Berlin viel Geld aus
zegeben? Angeklagte: Ja. Vorsitzender: Wo blieb er den
mit dem vielen Kleingeld, das er durch das Wechseln er
hielt? Angeklagte: Das wechselte er bei Kellnern gegen grö
ßeres Geld ein. Bei der Abreise von Berlin, »als dort de
Boden zu heiß unter den Füben wurde, tat er verzweifelt
warf sich auf den Fußboden, weinte und schlug mit Händer
und Füßen um sich und verlangte von mir, ich sollt
mit ihm sterben. Das wollte ich aber nicht. An
iächsten Tage wollte er auch selbst von diesem Theaterkran
nichts mehr wissen. — Vorsitzender: Theaterkram ist aller
dings die durchaus zutreffende Bezeichnung für Wildes Ver
halten. Nachdem Sie nun von Wildes Geschäft wußten, habe
Sie auch gesehen, wenn er falsches Geld machte? — Ange
lagte: Ja. Ich mußte ihm dabei vielfach Schauergeschichten
vorlesen. — Vorsitzender: Sie sind dann mit Wilde nad
Bremen, Düsseldorf usw. gefahren. Sie haben anfangs nich
falsches Geld ausgeben wollen, haben dann aber doch an 156
Stüche in den Verkehr gebracht. Wie hat Wilde Sie dazu ver
inlaßt? — Angeklagte: Wilde sagte, wahre Liebe wäre
rufopfernd, und da tat ich denn seinen Willen. — WVorsitzender
Wir wollen nun einmal auf den Schlußakt in Niendorf F. O
rommen. Wie häufig hat Wilde dort Geld gemacht? — Ange—
tlagte: Einige Male. — Vorsitzender: Hat Wilde dort falsches
Held ausgegeben? — Angeklagte: Nein, in Lübeck. Ich war
nicht mit in Lübeck. Da Wilde dort verhaftet wurde, kamen
ich und meine mich besuchende Schwester in eine mißliche Lage
Schließlich packten wir die Koffer und reisten ab. In Ham—
burg wurde der Koffer mit den Falschmünzereigerätschaften be—
schlagnahmt und ich gestand alles.
Angeklagte Elisabeth Zimmer (Getzt 17 Jahre alt) ha—
Wilde Oktober 1909 kennen gelernt. Er machte einen netten Ein—
druck, da er immer gut bei Kasse war. — Vorsitzender: Wann
haben Sie erfahren, daß er falsches Geld machte? — Ange—
klagte: Ich traf ihn eines Abends in angetrunkenem Zustande.
Da hat er mir alles erzählt. — Vorsitzender: Was sagte
er dann? — Angeklagte: Er gab mir ein Markstück, fü
das ich einen Blumenstrauß kaufen mußte. Dann sagte er mir
daß ich ein falsches Markstück ausgegeben habe. Später wa
ich mit Wilde und meiner Schwester 14 Tage in Bremen. De
habe ich wiederholt falsches Geld für Wilde ausgegeben. —
Vorsitzender: Als Wilde Ihnen sagte, daß er falsches Geld—
machte zund Sie dieses ausgaben, mußten Sie doch wissen, daĩ
Sie sich dadurch strafbar machten. — Angeklagte: Ja. Wi—
meine Schwester, stand auch ich sehr unter dem Einfluß Wildes
Die Angeklagte schildert sodann das Bekanntwerden Wildes
mit ihren Eltern, denen gegenüber er sich als Architekt Stiller
ausgegeben hat.
Vorsitzender: Angeklagter Wilde gibt zu, falsches Geld
angefertigt und ausgegeben zu haben. Er sagt aber, der
Kronprinz habe es ihm erlaubt, falsches Geld zu machen,
da er Beziehungen zu einer Kammerzofse gehabt habe. Wilde
hat deswegen auch verlangt, daß der Kronprinz als
Zeuge gehört werde. Von dieser Ausrede hat Wilde indessen
nur den Gerichten, aber nie anderen Personen gegenüber Ge—
brauch gemacht.
Der Gerichtsdiener erhielt darauf den Auftrag, festzu
stellen, ob Wilde jetzt geneigt ist, dem Gericht Rede und Ant—
wort zu stehen. Wilde läßt erklären, er wolle jetzt ruhig
ein. Er wird infolgedessen in den Saal geführt, fängt abe—
gleich wieder an zu lamentieren.
Vorsitzender (zu Wilde): Wenn Sie sich ruhig verhalten
werde ich Ihnen die Handfesseln abnehmen lassen. (Das geschieht
Wilde redet jedoch weiter vor sich hin) Nun seien Sie sür
einen Augenblick ruhig! Fangen Sie aber wieder an zu toben,
werden Sie sofort wieder gefesseit. Ihre Schauspielerei kennen
wir nun schon zur Genüge; das nützt Ihnen absolut nichts.
Die sämtlichen drei Mitangeklagten haben ein volles Ge—
ständnis a bgelegt. Sie haben das falsche Geld gemacht und
Fojuth, sowie die Mädchen das falsche Geld ausgegeben.
Wilde erklärt hierauf nichts. — Es folgt darauf die
Vernehmung des Zeugen Kaufmannes Richelsen, der er—
'annte, daß bei einem Einkauf in' seinem Geschäft Wilde falsches
Held ausgegeben hat. Die Aussagen des Zeugen sind am
Pressetisch völlig unverständlich. Als Leumundszeuge wurd—«
hierauf noch der Vater der angeklagten Mädchen vernommen
Sachverständiger Dr. Walter, Oberarzt der Pro
pinzial⸗Irrenanstalt Neustadt i. H., in der Wilde auf seinen
Heisteszustand untersucht worden ist, sagte aus: Wilde stamm—
aus einer Familie, in der Geisteskrankheit in aufsteigender Lini
oorgekommen sein soll. Sein Lebenslauf ist ziemlich kompliziert
Er ist aus der 3. Klasse konfirmiert. Er hat mancherlei Be—
ufe ausgeübt. Beim Miilitär hat er sich gut geführt. Spätet
jat er in Moabit eine längere Zuchthausstrafe verbüßt. Da—
nals bot er das typische Bild eines in der Haft erkrankten
HYlenschen, wurde danach aber wieder völlig gesund. Im August
905 wurde Wilde entlassen, aber schon im Oktober desselben
Fahres wegen Ausgabe falschen Geldes wieder verhaftet. Am
kage nach der Verhaftung bekam er einen Tobsuchtsanfall.
Später gab er an, das falsche Geld gesfunden zu haben, bestritt
aber entschieden verrückt zu sein. Nach Verbüßung der Strafe
ernte Wilde einen gewissen Ladewig kennen, mit dem hat er die
Falschmünzerei fortgesetzt und wurde erneut in Dresden 1906
»erhaftet. Er bekam auch hier wieder Anfälle, die aber bald
vorübergingen. Hier war es auch, wo er einen Brief au eine
Kammerzofe dier Kronprinzessin fabrizierte. Dann ist die Rede
pon einem drahtlose Ferngespräche ermöglichenden
Doppel-Hohlspiegel, den er beim Kronprinzen hinter⸗
iegt habe. Die sachverständigen Mediziner stellten aber fest, daß
Wildes Geisteskrankheit simuliert war; er wurde aber dennoch
der Siechenanstalt zugeführt. Hier bekam er wieder Anfälle,
in welchen er behauptete, er habe auf den Wagen des Kron—
prinzen springen wollen, weil dieser mit seiner Braut, der Zose
ausgefahren sei. Das Publikum habe ihn vom Wagen ge—
rissen und gewaltig verprügelt; bald danach sei ihm auch ein
dom Kronprinzen unterzeichnetes Todesurteil vorgelegt worder