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359
Amtsblatt der freien und Hansestadt Lübedd
heiblatt: Gesetze und Verordnungsblatt Rtre
ESSS— 206860 6σ
61. Jahrga Vachrichten sür das herzogtum Tauenburg, die
— hrge u Fürsteniümer Ratzeburg, Lübed und das angren⸗
αι jende medlenburgische und holsteinische Gebiet.
OHruck und Verlag: Gebrüder Borchers B.m. b. 8. in Lũbed. — Geschäfisstelle Adreß haus (Königstr. 46). Ferniprecher 9000 v. 8001.
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Ausgabe
3
»0 GGGroße Ansgabe)
Sonnabend, den 22. April 191. Morgen⸗Blatt NUr. 201.
Erstes Blatt. hierzu 2. Blatt
und die Feuilletonbeilage „Der Familienfreund“.
Umfang der heutigen Numme —
Kegierungs⸗ und Parlamentssozialismus
in Frankreich.
(Eine Beleuchtung der innerpolitischen Lage der Republik.)
R. Lübecd, 22. April.
Die jüngsten Offenbarungen des franzö—
sischen demokratischen und dsozialistischen
Parlamentarismus dürfen bei uns in Deutschland nicht
unbeachtet bleiben. „Wiederholter stürmischer Beifall auf der
Linken und der äußersten Linken.“ Das war die Signatur
der Verhandlungen, die in der letzten, vor der Osterpause
abgehaltenen Sitzung der französischen Deputiertenkammer an-—
läßlich einer Fnterpellation betreffend Wieder—
einstellung der entlassenen Eisenbahnange—
stellten stattgefunden haben.
Die gegenwärtige französische Regierung hat längst den
Sorderungen der sozialistischen Arbeiterorganisationen nachge—
geben. Für die Berufung des neuen Kabinetts war gewisser—
maßen die unerläßliche Vorbedingung, daß auf
die Durchberatung der verschärften Streifk—
gesetze, die der ehemalige Sozialist Briand als leitender
Staatsmann, als Ministerpräsident eingebracht hatte, um derent—
willen er sich mit neuen, zuverlässigen Mitarbeitern und Ge—
hilfen umgeben hatte, gänzlich verzichtet wurde. Es
ist nicht mit Sicherheit zu entscheiden, ob dieser Verzicht mit
der eigenen Ueberzeugung des gegenwärtigen Kabinett-
chefs Monis sich deckt, oder ob dieser Staatsmann, indem
er so handelt, nur als Funktionär des Willens der
Kammermehrheit sich fühlt und sich zur Verfügung
stellt. Die Tatsache jedenfalls steht fest, daß der Behandlung
der von Herrn Briand vorgelegten Gesetzentwürfe in den
Kommissionen ein zwar versteckter, aber praktisch doch überaus
wirksamer Widerstand entgegengesetzt wurde. Der neue Leiter
des Ministeriums mußte dem untecr allen Umständen Rechnung
tragen.
Jetzt aber verlangen diese Parteien, die im Prinz'p einen
Erfolg errungen haben und denen anscheinend der Geschmack
bei der Mahlzeit gewachsen ist, noch weit mehr von der
Regierung. Von der Staatsbahnverwaltung haben
die infolge des letzten Ausstandes entlassenen Ange—
tellten und Arbeiter wieder eingestellt werden
müssen. Der Minister der öffentlichen Arbeiten, Herr Dumont,
hat in der Deputiertenkammer versichert, daß diese wieder ein—
destellten Eisenbahner sich tadellos führen, —
ine Bemerkung, die augenscheinlich dazu bestimmt war, darüber
jinwegzutäuschen, daß die Staatsregierung mit dieser Maßnahme
sich selbst in der denkbar schärfsten Weise desavouiert hat.
Außerdem aber wollen die radikal linksstehenden Parteien
jetzt auch noch gegenüber den privaten Eisenbahn—
esellschaften, die in Frankreich über ein erheblich größeres
Verkehrsnetz verfügen, als die Staatsbahnlinien, ihren
Willen durchsetzen. Wiederum ist die Regierung
ofort bereit, den Forderungen dieser Parteien
zu entsprechen. Mit der sehr energisch klingenden Phrase,
an der Kammer sei es, die Regierung zu unterstützen, wenn
ie Waffen fordern werde, hat der Minister- der öffentlichen
Urbeiten eine nicht mißzuverstehende Drohung an die Eisenbahn—
zesellschaften gerichtet. Der Ministerpräsident Monis hat diee
Drohung wiederholt: falls die neu aufzunehmenden Verhand—
ungen nicht von Erfolg begleitet wiren, würde die Regierung
bom Varlament geeignete Handhaben fordern.
Man vergegenwärtige sich, was diese
Drohungen bedeuten und was damit den
sisenbahngesellschaften zugemutet wird! Als
»er Streikt ausbrach, der zu einem Generalstreik er—
veitert werden sollte und der einen derartigen Umfang nur
zeshalb nicht annahm, weil die als Ersatz der Ausständigen
serangezogenen militärischen Mannschaften ihre Pflicht taten,
»a war die öffentliche Meinung aufs äußerste
mpört. Sie konnte das Verhalten der Streithetzer und die
»egangenen Ausschreitungen nicht scharf genug verurteilen. Da—
nakls forderte sie stürmisch Sicherstellung
regen die Wiederkehr derartiger Anschläge, durch
ie, so hieß es, die nationale Sicherheit Frankreichs täglich
ind stündlich bedroht würde. Das ist jetzt aber alles
vieder vergessen. Jetzt wird denjenigen, die an jenen
lusschreitungen und Verbrechen aktiv teilgenommen haben, von
en höchsten Vertretern der Staatsgewalt ein überaus günstiges
Lermundszeugnis ausgestellt, und die privaten Unter—
rehmer, die doch jedenfalls sehr genau
vissen, wessen sie sich von den Arbeitern zu
»ersehen haben, gegen deren Wiedereinstellung
rie protestieren, sollen durch Androhung staat-
lhicher Gewaltmittel auf die Knie gezwungen
verden.
Es ist geradezu bezeichnend sür die momentanen Verhält—
nisse, was der Sozialistenführer Jaurss am 17. d. M. auf
ꝛem Landeskongreß der Vereinigten Sozialisten geäußert hat.
‚Gelingt es Herrn Monis“, so führte der Führer des evolu⸗
ionistischen Flügels der französischen Sozialisten damals aus,
„die Bahnverwaltungen zur Wiederanstellung der Eisenbahner
zu veranlassen, so hat der Sozialismus einen großen
nnoralbischen Siea davon getragen. Ist der Wider—
—X
tand der Bahngesellschaften jedoch nicht zu brechen, so können
die Sozialisten nichts besseres tun, als dem Ministerium Waffen
um Kampfe gegen die Privatbahnen zu liefern. So wird eines
»er mächtigsten Außenwerke der kapitalistischen Festung
ingegriffen und vielleicht erstürmt.“
Es sind also einzig und allein die Interessen des ordnungs⸗
eindlichen Sozialismus, die das Kabinett Monis wahrnimmt
ind seiner Politik zugrunde legt!
Bei uns Deutschen wird angesichts dieser Vorgänge in Frank—
eich der Eindruck vorherrschen, daß man hier jetzt zwischen
en beiden Extremen der Staatspolitik, zwischen
zuckerbrot und Peitsche, kläghich hin- und herschwankt
diese im Ungewissen lebende und aufs Ungewisse hinar—
eitende Politik leistet dem parlamentarischen Regime ganz erheb—
ichen Vorschub. Ihre Folgeerscheinungen treten denn auch bereits
n der systematischen Verschleppung der Budget—
zeratung und in dem verspäteten Einsetzen der
Ztaatsgewalt anläßlich der Winzerunruhen deutlich in die
krscheinung. Von ihr muß sich eine aufrechte, in sich gefestete
segierung, eine ungeschwächte Staatsautorität, wie sie in un—
erem Vaterlande besteht, um so wirksamer und wertvoller ab—
seben!
kine unfreundliche Note Mexikos an Amerika.
(CTelegramm.
Aus Newyork wird gemeldet: Die mexikanische Ant-—
dort auf Präsident Tafts Verwarnung ist nichts weniger als
riedlich ja unfreundlich. Es wird darin gesagt, daß die
nexikanische Regierung weder für Grenzverletzungen verantwort—
ich gemacht werden könne, noch an Amerikaner oder ihre Ver—
vandten, die in Douglas getötet oder verwundet wurden,
„chadenersatz leissten werde, da diese sich unnötigerweise selbs
n Gefahr gebracht hätten. Ferner seien die Soldaten, die in
er Richtung nach Douglas feuerten, nicht mexikanische Truppen,
ondern Amerikaner gewesen, die sich den Rebellen angeschlossen
ätten. Die Note sagt weiter, daß während der Schlacht von
lgua Prieta amerikanische Truppen die Grenze kreuzten, mexika—
ische Regierungstruppen entwaffneten, deren Gewehre den Re—
zellen gaben und somit alle Vorschriften der Neutralität miß—
ichteten. Während des Kampfes hätten amerikanische Poli—
isten das Gewehr eines Rebellen gereinigt und ein mexika—
aischer Leutnant sei durch einen Schuß verwundet worden, der
»om amerikanischen Zollhaus abgegeben worden sei. Der an
zer Grenze wachhabende amerikanische Offizier hätte das Ver—
chanzen der mexikanischen Regierungstruppen vereitelt, sieben
merilanische Führer seien als Freunde der Rebellen in Mexiko
elannt.
Newyork, 21. April. Der Kongreß drückte dem Präsi—
denten Taft sein Vertrauen aus, der seinerseits versicherte,
nn Mexiko keine Intervention ohne Anordnung des Kongresses
eintreten-lassen zu wollen.
Cheater, Kunst und Wissenschaft.
Neuinfzenierung des „Parsifal“ in Bayreuth. Die Bay⸗
reuther Festspiele werden in diesem Jahre efnen von
den ehrlichsten Bayreuthianern seit langer Zeit geäußerten
Wunsch in Erfüllung gehen lassen. Der „Parsifal“ wird
in einer Neuinszenierung zur Aufführung gelangen; völlig
neu ausgestattet wird der zweite Akt werden, Klingsors Zau—
bergarten wird in ganz neuer Dekoration erscheinen, die nach
Entwürfen Siegfried Wagners von Brücker in Koburs
gemalt wird.
Edyih Walker und das Kostüm der Brünuh Dde. Die
realistischen Bestrebungen moderner Bühnenkunst dringen nun
aus dem Reiche des Wortdramas auch auf dem Gebiete des
nusikalischen Kunstwerkes ans Licht der Rampe: Richard Wag—
ners Walküren, vor allem die Brünnhilde, sollen aus dem
Bannkreis des Mythus in das Liht realistischer Wahrscheinlich⸗
leit gerückt werden. Brüssel wird es vorbehalten sein, bei
den bevorstehenden Aufführungen des „Ringes“ diese erste
cealistische Brünnhilde zu sehen. Edyth Walker, die jetzt ein
Gastspiel in London absolviert hat, verriet englischen Inter—⸗
viewern die nahende Revolution in der Wagnerdarstellung.
„Ich reise direkt nach Berlin, um ein neues Kostüm für die
Brüsseler „Ring“-Aufführungen zu bekommen, wo ich die Brünn⸗
hilde singe. Ich habe den traditionellen wehenden roten Mantel
und das weiße Kleid der Brünnhilde abgelehnt. Es ist ein ab—
surder Gedanke, daß eine wilde Walküre, die auf schäumendem
Rosse durch die Lüͤfte fegt, ein fleckenloses weißes Gewand
trägt, das an den Nähten sauber abgesteppt ist! Meine neue
Brünnhilde Tvwenn die Einzelheiten auch noch Geheimnis
sind — wird das tragen, was eine alte skandinavische Kriegerin
wahrscheinlich getragen hätte. Atalante ging nicht mit wehen⸗
den Röcken auf die Jagd.
Dextsche Wagner⸗Festip'ele in Brüssel. Die deutschen
Wagner-Festspiele in der Opera Royal in
Brüssel begannen Mittwoch mit einer vortrefflich
gelungenen Aufführung von „Lohengrin“ untet
»er musikalischen Leitung von Otto Lohse (GKöln),
er von dem Publikum des ausverkauften Hauses enthusiastisch
vegrüßt wurde. Alle Rollen waren durch deutse Kräfte
zervorragend besetzt. Die gesamte Aufsführung war muster—
zültig, das Publikum begeistert. Es folgen „Tannhäuser“ und
der „Ring des Nibelungen“.
„Künftlurheim'“, Vrreinizung denscher Vohn»ncang hꝰ rger.
Dem Jahresbericht für das Geschäftsijahr 1910 entnehmen
vir folgerHe Abschlußziffern: Einnahmen und Ausgaben ba—
ancieren im Gesamtbetriebe mit 82 723,24 M. An Kranken—
Sterbe⸗ und Unterstũtzungsgeldern wurden gezahlt 21076,97
Mark. Aus Veranstaltungen, zu denen der bekannte und beliebte
zünstlerheim-⸗Gesindeball in der Philharmonie zählt, resul⸗
ierten im vergangenen Geschäftsjahre inklufive eines Legats
non 5400 M 29 720,71 M. Mit dem im letzten Jahre erzielten
Keingewinn von 43765,97 Miist das Gesamtvermögen auf
67319,15 Mugestiegen. Das „Kuünstlerheim“ zählie am
Jahresschlusse 1554 Mitglieder, die Krankenkasse 1304. Wie
ius den für die bevorstehende Generalversammlung vorliegen—
»en Vorstandsanträgen zu ersehen ist, von denen wir die Einfüh—
ung einer Wöchnerinnenunterstützung besonders hervorheben,
egt die Verwaltung die Mehreinnahmen nicht „zur toten Hand“,
ondern sie bleibt ständig bemüht, die Leistungen der Kranken—
asse auszudehnen.
Das Hallesche Mufitfest 1911 am 20. und 21. Mai, das
n seinem Programm jetzt definitiv festgestellt ist, bringt aus—
hließlich Werke von Beethopben. Am ersten Tage wird im
5—tadttheater von Halle a. S. ein Sinfoniekonzert vom Ber—
iner Philharmonischen Orchester (Dirigent Eduard Moerike)
rusgeführt. Der zweite Tag bringt eine Kammermusik-Matinee
und abends im Stadttheater die Aufführung der Missa Solem—⸗
nis (Dirigent Ferdinand Loewe-Wien). Der Chor ist aus
100 Personen zusammengesetzt.
Beim 2. Leipziger Bachfest, das vom 20. bis 22. Mai statt⸗
indet, werden in der Kammermulsik-Matinee unter andern die
moll⸗Violinsolosonate und die Goldbergvariationen aufge—
ührt werden. Solisten in diesem Konzert sind u. a. Carl
Flesch und Max Reger.
Von dun Bühnen. In München ist Prof. Hermann Busch⸗
zec, der ausgezeichnete Vorstand des Kostümwesens im Hof⸗
bheater, gestorben. — Nachdem der Obersthofmeister Fürst Mon—
enuovo das Ansuchen der Hofopernsängerin SelmaKurz
um Enthebung von ihrem Vertrag mit der Wiener Hofoper
n
glei,alls abgelehnt hat, ist der Zwischensall Kurz-Gregoe
erledigt. — Trude Tandar, die kürzlich bei der Jahres.
prüfung der SPebachschule eine Seebach-Medaile erhielt, wurde
ruf drei Jahre als Heroine für das Stadttheater in
Mainz verpflichtet. — Kapellmeiste Dr. Walter Rabl
Wien) geht auch im kommenden Winter wieder an das Königl.
Theater in Madrid, um dort „Tristan“, „Nibelungenring“
ind die in Madrid seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehenen
Meistersinger“ zu dirigieren. — Max Reinhardt beginnt
in 21. April im Lustspiel-Theater zu Budapest ein auf
ehn Tage festgesetztes Gastspiel. — Direktor Haller vom Ham—
urger Carl⸗-Schultze-Theater wird im Berliner Lessing—
heater während der Monate Juni und Juli Kurt Küch-—
ers „Sommerspuk“ zur Aufführung bringen. — Der
angiährige Leiter des Königsberger Stadttheaters, Hofrat Adolf
Barena, ist vom Großherzog von Hessen zum Geh. Hofrat
rnannt worden. Varena stammt aus Mainz und beging kürzlich
ein fünfzigiähriges Künstlerjubiläum. — Direktor Nor dau
dom Kasseler Residenztheater errichtet dort ein Freilicht—
iheater.
Hermann Wolf-Ferrari hat soeben Text und Musik einer
neuen Oper „Der Schmuck der Madonna“ vollendet. Diese
Uraufführung findet an der Wiener Hofoper statt.
144. Jahresversammlung der Deutschen Shakespeare-Gesell⸗
chaft. Wie alliährlich im April lädt Weimar auch diesmal wieder
die große Gemeinde der deutschen Shakespeare-Kenner und
Verehrer zur festlichne Jahresversammlung der
Deutschen Shakespeare-Gesellschaft Sonntag,
»en 23. April, dem Sterbetage ihres großen Schutzpatrons.
Die Festsitzung am Sonntag vormittag im Saale der Armbrust—
Schützengesellschaft wird diesmal ihre Bedeutung erhalten durch
»en Festvortrag des Generalintendanten a. De Ernst v. Possart
„Der Stil der Darstellungl und die Aufgabe der Schauspiel-
unst“. Als künstlerische Eröffnung soll am Vorabend, Sonn—
ibend, den 22. April, abends 722 Uhr, im Hoftheater eine
Shakespearekomödie in Szene gehen, welche im üblichen Spiel⸗
lan seltener auftaucht. Neuanmeldungen zur Mitgliedschaft
ber Teutschen Shfakespeare-Gesellschaft nimmt die Langenscheidt—
sche Verlagsbuchhandlung, Schöneberg, Bahnstraße 2030,
ntgegen.