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Beilagen: Vaterstädtische Blätter. — Der Familienfreund.
Amtsblatt der freien und Hansestadt Lübed 61. Jahr Nachrichten für das herzogtum Tauenburg, die
heiblatt: Gesetz und Verordnungsblatt .R ———— rann gürsteniümer Ratzeburg, Lübed und das angren⸗
dαι- ιν⏑— Lc α jJende medlenburgische und holsteinische Gebiet.
Drudt und Verlag: Gebrüder Borchers S.m. b.8. in Lbed. — Geschäftsstelle Aret baus (Königstr. a6). Fernsprecher 800 1. goon.
o Große Ausgabe) Mittwoch, den 19. April 191.
Ausgabe
Abend⸗Blatt Nr. 196.
Erstes Blatt. iorrn
— Umfan
Rlait.
Parlamentarische Ofterarbeit.
WVon einem Reichstagsabgeordneten)—
Die Kommission wegen der Reichsversicherungsordnung wird
die parlamentarischen Ferien nicht ungekürzt genießen können.
Besonders schwer arbeiten müssen die Herren Berichterstatter,
die ihre freie Zeit für Fertigstellung der Berichte verwenden
müssen, die zum Teil sehr umfangreich sind. Der Bericht über
das erste Buch, das den allgemeinen Teil der Versicherungs⸗
»rdnung enthält, umfaßt allein 300 Seiten, und wenn auch
nicht alle sechs Berichte von dem gleichen Umfange sein werden,
so kann doch auf zirka 1000 Folioseiten gerechnet werden.
Das bedeutet für den gewissenhaften Reichstagsabgeordneten,
auch wenn er nicht Mitglied der Kommission ist, noch ein
hartes Stüdd Arbeit, denn die Zeit vom 2. Mai bis zum
2. Juni soll fast ausschließlich der Reichsversicherungsordnung
jewidmet werden. Die Kommissionsberichte geben ein mög—
ichst getreues Bild der Kommissionsverhandlungen und werden
ur Abkürzung der Plenarberatungen — eifriges Studium vor⸗
ausgesetzt — vieles beitragen können.
Die Mitglieder der Kommission treten am Mittwoch, dem
26. April, vormittags 95 Uhr, zur Feststellung der Berichte
usammen. Es sind vorläufig drei Sitzungstage in Aussicht
zenemmen; hoffentlich gelingt es, die Lesung der Berichte
n dieser Zeit zu bewerkstelligen, damit die Drucklegung und
eilans derselben an die Miitglieder rechtzeitig erfolgen
ann.
i
—
verordneten richten soll, die schwedische Hauptstadt im
Beginn des Sommers zu befuchen. Der Vorsclag,
der am 24. d. M. von den Stocholmer Stadtverordneten
derhandelt wird, ist damit motiviert, daß schon seit langer
zeit von beiden Ländern geschätzte Beziehungen zwischen
Deutschland und Schweden bestehen, die auch auf dem Ge—
hiet de Kommunalverwaltung von Bedeutung ge—⸗
wesen sind. Beide Länder haben von einander viel gelernt
und gegenseitig wichtige Anregungen gegeben.
Es ist also ganz verständlich, daß unter den Mitgliedern
der Stockholmer, Kommunalverwaltung der rege Wunsch be⸗
steht, Repräsentanten der Berliner Stadtverwaltung als Gäste
in Stockholm zu sehen.
Das Asylrecht in England.
Minister Churchill legte gestern dem Unterhause ein Gesetz
vor, betreffend eine wirksamere Ueberwachung ausländischer
Verbrecher und zur Verhütung der Verübung von Verbrechen“
durch Ausländer. Wie unseren Lesern noch erinner⸗
lich sein dürfte, gaben im Monate Januar d. J. die
Anarchistenkämpfeim Londoner Verbrecher-und
klendsviertel Houndsditch den Anstoß, endlich
einmal die Asylverhältnisse in England zu regeln. Die Zu—
tände, die damals zutage traten, hatten sich zu einer Art
Weltskandal entwickelt. Mit ihnen soll jetzt durch das neue
Hesetz energisch aufgeräumt werden.
In seiner Begründung hob der Minister hervor, daß
in vielen Fällen Fremde, die eines Verbrechens überführt wor—⸗
den wären, von dem Gerichte, das sie abgeurteilt hätte, nich
zur Ausweisung gemeldet worden seien. In dem Gesetz werde
unter anderem vorgesehen, daß Gerichte, die in solchen Fäller
die Ausweisung nicht beantragten, aufgefordert werden wür—
den, die Gründe anzugeben, aus denen sie diesen Teil
»es bestehenden Gesetzes nicht haben in Kraft treten lassen
ßegenwärtig würden Fremde, die nach der Ausweisung zurück—
zekehrt seien, beim erstenmal mit 3 Monaten und im Wieder—⸗
holungsfalle mit einem Jahre Gefängnis bestraft. Das Ge—
jetz schlägt vor, daß diese Strafe auf ein bezw. zwei Jahre
ßefängnis erhöht wird. Churchill betonte dann weiter, Eng
and müsse jeden Mißbrauch des Asylrechts ver—
nmeiden, das es folange denen gewährt habe,
die Zuflucht vor Unterdrüchung und Verfolgunsg
im Auslande suchten. England müsse weiter jede Be—⸗
unruhigung der fremdländischen Bevölkerung
vermeiden, insbesondere der iüdischen, die sich in über—
wiegendem Maße aus friedliebenden und die Gesetze achtenden
Elementen zusammensetze. Diese Leute hätten sicherlich durch
ihr Betragen keinen Anlaß zu solchen Maßnahmen gegeben,
die sie beunruhigen und ihnen Ungelegenheiten bereiten würden.
Die Angft um Heydebrand.
N. Lübeck, 19. April.
Die Kreuzzeitung macht ihrer Angst um das bedrohte
Reichstagsmandat des“ Herrn von Heydebrand abermals in
beweglichen Klagen Luft. Sie meint, es wäre loyaler ge—
wesen, wenn man ihren schönen Artikel „Jjagd auf Heyde—
brand“ gangz oder doch in seinen Hauptstellen wiedergegeben
zätte. Wir bedauern indessen, unsere Leser damit nicht lang⸗
veilen zu können.
Die Nationalliberalen des Wahbhlkreises
Militsch-Trebnitz wurden darin u. a. „ungezogen“ ge⸗
nannt, weil sie die unerhörte Dreistigkeit besitzen, einer so
hervorragenden Persönlichkeit, wie Herrn von Heydebrand, das
Mandat abnehmen zu wollen. Dann folgte eine Reihe Be—
schimpfungen gegen die nationalliberalen Führer und Agitatoren
des Wahlkreises selbst; ohne jede Beweisführung und offenbar
nur darum, weil die Kreuzzeitung keinen Tag vorübergehen
lassen mag, ohne die tiefe Berechtigung des Bismarckwortes
erneut zu erhärten, „wonach jeder, der die Kreuzzeitung hält
und bezahlt, seh indirekt an der Lüge und Verleumdung be—
teiligt. die darin gemacht wird, — an Verleumdungen, wie
die Kreuzzeitung sie ohne die leiseste Andeutung eines Be—
weises zur Schau trägt.“ Auch der gestrige Artikel der
Kreuzzeitung enthält nicht die leiseste Andeutung eines Beweises
für die wenig vornehmen Ausdrücke, die sie gegen die National—
liberalen in Militsch und Trebnitz geschleudert hat. Vielmehr
schlägt sich das Blatt an die Brust und erklärt, noch niemals
sei ein „solcher gehässiger, direkt persönlicher Kampf gegen
den ersten Führer einer großen Partei von einer anderen
großen Partei unternommen worden.“
Nun, vielleicht sieht sich das Blatt einmal den bekannten
Artikel der — Kreuzzeitung vom 4. Okt. 1900 (Nr. 464) an,
in welchem sie, das Hauptblatt einer großen Partei, den
Abgeordneten Bassermann, also den Führer
einer anderen großen Partei, einen Klopffechter
ichimpft und auch sonst mit jenen unanständigen Ausdrücken
angreift. In Militsch-Trebnitz dagegen besteht der „ge
bracht hat. In Militsch-Trebnitz dagegen besteht der „ge—
hässige, direkt persönliche“ Kampf der Nationalliberalen gegen
Herrn von Heydebrand lediglich in der kaum glaublichen „Un—
gezogenheit“, daß sie eine andere Vertretung des Wahlkreises
im Reichsstage wünschen und den konservativen Führer um sein
Mandat erleichtern wollen
Der Termin der Reichstagswahlen.
(Tel.)
Zu dem Streit in der Presse, wann die laufende Reichs—
tagsperiode ihr natürliches Ende findet, ob am 13. De—
ember, dem Tage der Auflösung von 1907, oder am 21. Jan.,
dem Tage der Neuwahlen von 1908, wird von den Regie—
rungsstellen vorläufig keine Stellung genommen. Man läßt
die Frage offen und erklärt sie als strittig. Wie man hört,
soll zwischen Ostern und Pfingsten über den Ter—
min der Neuwahlen entschieden werden, also dann,
wenn sich übersehen läßt, was alles einer Herbsttagung etwa
noch vorbehalten bliebe. Dann wird auch die Frage des gesetz⸗
lichen Endtermins der laufenden Veriode gelöst werden.
Das gaftliche Stochholm.
(Von unserem Korrespondenten.
d. Stocholm, 18. April.
Die Vorbereitungskommission der Stockholmer Stadtver—
ordneten hat in Vorschlag gebracht, daß die Stockholmer
Stadtverwaltung eine Einl adung nach Berlin an die
Mitglieder des Berliner Maagistrats und dieStadf—
Ob sie wohl kommen wird?
Roman von Renata Greverus.
G3. Fortsetzung.) Machdrud verboten.)
Nach dem gemeinsamen Nachmittagskaffee wurde meistens
ein Spaziergang gemacht. Wenn Karl nicht die Zeit dazu
hatte, so. machte es Gerhard aufrichtige Freude, die alte
Rätin bei ihren Besorgungsgängen zu begleiten. War hernach
Karl in seine Arbeit vertieft, so pflegte Gerhard ein gutes
Buch zu lesen, wozu er als vielbeschäftigter Kaufmannsge—
hilfe nicht die Zeit und Gelegenheit gefunden hatte, oder er
suchte seine Noten hervor und spielte und sang am Klavier.
Die alte Rätin hörte ihm gern zu, und ihr zu Liebe lernte
und sang er manches altmodisch gewordene Lied, das sie aus
dem eigenen, halbvergessenen und dennoch wohlgehüteten Noten-
vorrat hervorholte. Von Gerhards weicher und doch voll—
tönender Stimme gesungen, erklangen die alten Lieder ihr
doppelt reizvoll; denn neben dem gegenwärtigen Genuß klang
für sie auch der ganze Zauber ihrer Erinnerungen, die ganze
Begeisterungsfähigkeit ihrer Jugend daraus wieder.
Abends ging die alte Dame früh schlafen; dann saßen
die Freunde noch ein paar Stunden zusammen, arbeitend,
lesend, oder in behaglicher Ruhe Zwiesprache haltend. Kari
vermied es, von irgend etwas mit Gerhard zu reden, was
das harmonische Gleichmaß seiner Stimmung hätte stören mögen.
Freilich bemerlte er, daß er oft, vom Budche fortblidend,
wie abwesend vor sich hinsah, und daß er troh der allmahlich
frischer gewordenen Färbung der Wangen plötzlich hager und
verfallen aussah. Er ließ ihn dann eine Zeitiem, gewähren, bis
A— Aufmerken und
Antworten zwang; oder er erbat sich irgend einen kleinen
Dienst oder eine praktische Auskunfi von ihm, dem allezeit
Silfsbereiten und Rüchsichtsvollen, und lentte ihn so unmerklich
in die Gegenwart mit ihren Interessen zurück. Briefe, die ihn
hätten aufregen können, belam Gerhard glücklicherweise nicht,
und von seinen Zukunftsplänen mit dem sensiblen Kranken —
denn das war Gerhard immer noch — zu sprechen. hielt der
Freund noch für verfrüht.
Auch von Liesbeth wurde nicht gesprochen. Ab und au
kam eine ihrer Freundinnen, um sich nach ihr zu erkundigen
und mit höflicher Angelegentlichkeit nachh dem Befinden der
ilten Tame zu fragen. Dann hieß es, Liesbeth gefalle es
ehr gut in Emden und in dem alten, interessanten Kaufmanns—
ind Patrizierhause der Familie Garbrecht; aber sie denke doch
zereits ans Heimkommen trotz des Protestes ihrer dortigen
aeuen Freunde.
Einmal hatte die alte Rätin einen längeren Brief der
Tochter in Karls und Gerhards Beisein durchgelesen und
war dabei unruhig und nachdentlich geworden. „Sie scheint
zicht recht zu wissen, was sie will,“ sagte sie endlich halblaut.
„Sie fragt, ob wir einer Verlängerung ihres dortigen Auf—
enthaltes zustimmen würden; der Regierungsrat würde er⸗
vartet, und es ständen mehrere Feste bevor, die sie durchaus
nitmachen solle.... Uebrigens fragt sie auch eingehend nach
Ihnen, Gerhard, nach Ihrem Ergehen und Ihren Plänen.“
Sie atmete tief auf und schwieg eine Weile. „Was soll ich
ihr nun raten?“ fragte sie dann hilflos.
„Laß sie gewähren, Mutter,“ sagte Karl ziemlich kurz. „Lies⸗
beih ist alt genug, um selbst für sich zu entscheiden.“
„Gewiß, mein Sohn, aber ich werde nicht mehr klug
aus ihr; der ganze Entschluß zu dieser Reise kam mir so
unerwartet; sie kannte doch Fräulein Garbrecht nur ober—⸗
flächlichh. Manchmal dachte ich, irgend etwas ganz Beson⸗
deres triebe sie dorthin, — oder von hier fort, von dem wir
nichts wissen. Ich weiß nicht, was ich daraus machen soll.“
Karl überlegte bei sich, ob es denn möglich sei, daß die
Mutter keine Ahnung von der Tochter innerer Zerfahrenheit
und Unschlüssigkeit habe. Sie sah trotz der Seufzer so un⸗
besorgt aus und schien auch vor Gerhard so gar kein Geheim⸗
nis aus ihren Gedanken über Liesbeth zu machen, daß Karl
sie tatsächlich für völlig ahnungslos halten mußte. Glüd⸗
licherweise las er auch in Gerhards Zügen keinerlei Erreaung,
als die Mutter fortfuhr:
„Es scheint mir aber doch, als wenn sie lieber bald
heimkäme.“ F
Abends, als die Freunde allein waren, war Gerhard
hweigsamer als sonst. Karls gelegentliche Anreden blieben
eine ganze Weile unbeachtet. Dann sagte er plötzlich ganz
unpermittelt:
„Ob sie wohl kommen wird?“
Karl sah ihn beinahe erschrocken an. Der Ton, in dem
er die Worte sprach, und der weiche, träumerische, beinahe
schwermütige Ausdruck, der plötzlich wieder da war, rührte
und beunruhigte ihn zugleich. „Laß sie doch!“ bat er in
herzlichem Tone.
„Ich lasse sie ja auch,“ sagte Gerhard ruhig. „Aber
saß du mich doch auch ruhig nachdenken. Hätte es nicht
dielleicht doch noch schön werden können? Wäre sie vielleicht
nicht doch noch gekommen?“
„Wer, Gerhard?“
„O, du weißt es nicht? Sie, die Liebe, die alles versteht,
alles teilt und trägt; die Liebe, wie meine Mutter sie hatte,
die nicht nur genießen, sondern vor allem helfen will. Ob sie
wohl kommen wird, Karl, — diese Liebe?“
„Später vielleicht, Gerhard, alter Junge. Erst mußt du
vieder ganz gesund werden. Rege dich nicht auf! Spiele mir
ieber etwas vor; das hilft mir jo angenehm über die unauf⸗
chiebbaren Korrekturen der lateinischen Extemporalien meiner
Tertianer hinweg, bei denen mich sonst der Menschheit ganzer
Jammer anfaßt.“
Gerhard war gleich bereit. Er lspielte eine Beethovensche
Sonate gut und mit Ausdruck, anders konnte er überhaupt
nicht spielen; aber doch war heute etwas Kühles, Eisiges in
leinem Vortrage. Nachdem er noch eine Weile diese oder
sene Melodie des Stückes hatte nachklingen lassen, stand er
auf, suchte zwischen den Noten und stellte dann das Preyersche
Lied vor sich hin. Mit unendlicher Weichheit schlug er die
ersten fragenden Töne der Begleitung an und sang dann
angsam und leise das ganze Lied durch. Karl mußte in seiner
Arbeit innehalten; er hatte Mühe, die Bewegung niederzu—⸗
wingen, die beim Gesange über ihn kam, und er fürchtete sich
heinahe vor dem, was nun kommen möchte. Aber als Ger—
hard geendet hatte, sah er sich ganz ruhig nach Karl um,
aickte ihm freundlich zu und schloß dann gleich darauf das
Klavier.
„Wemn du noch länger zu arbeiten hast, Alter, so gehe
ich noch eine Weile an die Luft,“ sagte er. Karl war es
zufrieden.
Geagen Abend brachte der Vostbote zwei Briefe, die Ger—