Full text: Lübeckische Anzeigen 1911 (1911)

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Sonnabend, den 15. April 191. Abend⸗Blatt Nr. 192. 
Ausgabe 
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Aus den Nachbargebieten. 
Hanmfe růdte. 
Hamburg, 18. April. Die Bürgerschaft genehmigte 
hen Reubau eines Lehrerinnen-Seminars und die Errichtung 
eines Instituts für Geburishilfe. 
Die Diamantene Hochzeit feierte Freitag in voller 
Rüstigkeit das hochgeachtete und besonders in Schiffahrtskreisen 
bekannte Ehepaar M. A. Flint. Der Ehemann, der Taucher 
Flint, ist 34 Jahre alt. Frau Flint steht im 82. Lebensiahre. 
Drei Generationen sind in dem Tauchergeschäft und im Werft— 
betrieb der Firmna M. A. Flint, die Flint 1870 gründete, 
tätig. Tem alten, aber an Leib und Seele noch jungen Paare 
wurden im Laufe des Tages viele Glückwünsche und Ueber— 
raschungen zuteil. 
Der Ankauf des Totengrundes bei Wilsede 
genehmigt. Aus Wilsede (Lüneburger Heide) wird mitge⸗ 
leilt, daäͤß der Kaiser die Genehmigung zum Erwerb des dem 
— 
durch den Verein Naturschutznarke. V. in Stuttaart 
erteilt hat. 
Bremen, 15. April. Ein neues ttädtisches The— 
a ter. Wie die Bremer Nachr. errahren, hat Donnerstag die 
Deputation für das städtische Orchester und das Stadttheater 
einstimmig beschlossen, demnächst mit einem Antrage an Senat 
und Bürgerschaft auf Erbauung eines zweiten Theaters bal—⸗ 
digst vorzugehen. Es wird die Bildung einer Gesellschaft mit 
beschränkter Haftung unter Veteiligung des Staats und pri— 
vater Kapitalisten beabsichtigt, die den Betrieb des Stadt— 
theaters, das sich auf das große Schauspiel und die Oper 
zu beschränken hätte, und des neuen Theaters, das für mo— 
derne Schauspiele und Operetten gedacht ist, übernehmen würde. 
Für das neue Theater würden selbstverständlich wesentlich billi— 
gere Eintrittspreise als für das Stadttheater bestimmt werden. 
Die Gesellschaft soll den Betrieb beider Theater für eigene 
Rechnung übernehmen und einen künstlerischen Leiter gegen 
festes Gehalt anstellen, also die beiden Theater nicht ver— 
pachten. Das neue Theater soll auf dem Areal an der Weide 
gegenüber dem Tivoli errichtet, mit den modernsten Einrich— 
tungen versehen werden und etwa 900 Sitzplätze enthalten. 
Ein Bauprojekt ist bereits. von dem rühmlichst bekannten 
Theatererbauer Prof. Littmann, München, ausgearbeitet 
worden. — Straßenbahn. Tie Bürgerschaft hat die An— 
träge auf Herstellung einer Zweiglinie nach dem Industriehafen 
und später bis Grambke, abzweigend beim Gröpelinger Fried— 
hof, die Verlängerung der Holzhafenlinie bis zur Emderstraße 
und der Linie Kaiser-Friedrichstraße in der Wachmannstraße bis 
zur Einmündung der Benque⸗ und Schubertstraße genehmigt. 
Der Antrag, daß für Fahrten auf der Strecke Gröpelingen⸗ 
Burg und auf der Zweigbahn nach dem Industriehafen und 
auf beiden Linien zusammen unter gewissen Einschränkungen 
rein besonderes Fahrgeld von 10 Pfg. erhoben werden 
soll, bildete den Hauptgegenstand der Verhandlungen; der An⸗ 
trag wurde schließlich in namentlicher Abstimmung mit 59 
gegen 55 Stimmen ebenfalls genehmids 
Bremerhaven, 15. April. Erweiterung ves 
Hafens. Seitdem infolge des Anwachsens unserer Fisch⸗ 
dampferflotte der Verkehr im Alten Hafen erheblich zuge- 
nommen hat, hat sich herausgestellt, daß die Breite des Vor⸗ 
zafens nicht mehr ausreicht. Namentlich erweist sich die starke 
Ausbuchtung der nördlichen Kajenmauer als hinderlich, be— 
onders da auch der starke Ebbestrom der Geeste die Einfahrt 
in den Alten Hafen erschwert. Es ist deshalb in Aussicht ge— 
nommen, den ganzen Vorsprung der Kajenmauer vom Pierhead 
his zum Schleuseneingang abzuschneiden. Mit der Zurückher⸗ 
legung der Kaje ist in diesen Tagen begonnen worden. 
Schles wig⸗ Holftein. 
Kiel, 15. April. Der Kaiser verlieh dem Kapt.⸗Lt. 
doltzapfel vom Panzerkreuzer „Friedrich Karl“, der mit eigener 
debensgefahr einen Untergebenen vom Tode des Ertrinkens 
ettete, die Rettungsmedaille. — Gestorben ist, 67 Jahre 
alt, Prof. Dr. Müller, der seit 40 Jahren im hiesigen Gym⸗— 
jasium tätig war, eine in Schul⸗ und Musikkreisen Schleswig- 
zolsteins sehr bekannte Persönlichkeit. — Das Millionen- 
rojekt der Vollkanalisation erreicht in diesem Jahre 
einen Höhepunkt. Bei der neuen Hochbrücke in Holtenau 
vird mit der Antertunnelierung des Kaiser-Wilhelm-Kanals 
»egonnen. Die Anlage erfordert ennähernd “Mill. M und 
'oll in 18 Monaten fertiggestellt sein. Auch der Ausbau der 
zollkanalisation im Kreise Eckernförde beginnt in kurzem. Die 
zermessungsarbeiten sind fast beendet. Es wird ein Truckkanal 
son etwa 1500m bis zum Gute Stift hergestellt. Von dort 
ritt ein Gefälle bis zur Ausmündung in die Ostsee ein. 
ẽ—s bedarf keiner DTruckkraft mehr. Die Fäkalien gehen glatt 
n die Ostsee bei Bülk, wo ein Ausflußrohr, das von einer 
noßen Mole geschützt wird 400m weit ins offene Meer 
zinausgeht. 
Lockstedter Lager, 15. April. Der Bau des Sol— 
»atenheims ist jetzt vergeben worden. Die Eröffnung 
des Heims soll im Frühjahr 1912 erfolgen. Da sich der An— 
'auf eines Nachbargrundstückes als notwendig erwiesen hat, 
ehlen an der Bausumme noch 20 000 M. 
Flensburg, 15. April. Das linke Auge ausge— 
chossen wurde dem 11 Jahre alten Sohn des Arbeiters 
sotie durch einen 13 Jahre alten Spielgefährten, der mit 
einer Windbüchse hantierte. 
Neustadt, 15. April. Niedergebrannt sind Mitt— 
voch abend das Schulmeistersche Haus, sowie die Scheune des 
Ssotels Stadt Hamburg. Durch den herrschenden Nordweststurm 
var der ganze östliche Stadtteil gefährdet. 
Neumäünster, 15. April. Der Verband der 
Pferdezuchtvereine der schlesw.-holst. Geest-— 
ande hielt Mittwoch im Bahnhofshotel unter Leitung des 
andeshauptmanns Grafen Platen-Kiel seinen Verbandstag ab. 
Nach dem Geschäftsbericht ist die Zahl der Mitglieder von 
2049 auf 2015 zurückgegangen. 1910 sind 264 Stuten neu 
ingekört, so daß insges. 3736 Stuten in den Stammregistern 
eingetrogen sind. Im Hengstregister sind 581 Hengste ver— 
oichnet Non den eindgetrggenen Ammranisterstufon wmordor 
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zurzeit noch 1885 zur Zucht benutzt. Fur Freidechscheine, erste 
ind zweite Erhaltungsprämien sind von der Landwirtschafts- 
ammer 5940 Muüeingegangen und ausgegeben. Für Fohlen— 
infuhr sind dem Verband Beihilfen aus Staatsmitteln nicht 
ur Verfügung gestellt. Es sind durch die angeschlossenen 
Bereine im ganzen 41 Zuchtfohlen aus Hannover eingeführt; 
die Besitzer haben aus Verbandsmitteln dafür durch die Ver⸗ 
ine als Beihilfe insgesamt 1640 Mäerhalten. Die Verbands⸗ 
asse vereir ahmte 18 676 M, während die Ausgaben 17888 M 
zetrugen. Der Verband verfügte am 1. Jan. d. J. über ein 
Vermögen von 3438 M. Der Voranschlag für 1911 wurde 
n Einnahme und Ausgabe mit 11200 Mugenehmigt. Vor— 
zehältlich der Genehmigung der Landwirtschaftskammer wurde 
eschlossen, in Zukunft weder Freideckscheine noch Erhaltungs⸗ 
zrämien für einjährige Stutfohlen zu verteilen. Die hierfür 
zorgesehenen Beträge sollen als Erhaltungsprämien für drei⸗— 
ährige Stutfohlen Verwendung finden. 
Großherzogtum Oldenburg, Fürstentum Lübek. 
E Schwartau, 15. April. Bauunfall. Auf den 
Saalneubau der Gastwirtschaft „Klein-Mühlen“ brach ein Ge— 
rüst durch und stürzte mit drei Zimmerleuten ab. Hierbei erlitt 
Zimmermann Westphäling einen Beinbruch und mukte nach 
Ldübeck ins Krankenhaus geschafft werden, während die beiden 
übrigen mit leichteren Verletzungen davonkamen. 
K. Ahrensbök, 15. April. Die Einführung des 
z-Ahr-Ladenschlusses ist von den hies. Geschäftsin— 
jabern bei der Regierung für sämtliche Geschäfte beantragt 
xorden. Die Regierung trifft jetzt die nötigen Vorbereitungen, 
im die erforderliche Zahl der Geschäftsinhaber, die zur Stel— 
ung eines Antrages auf Abstimmung oerforderlich ist, festzu— 
tellen. 
BGroßherzogtümer Meclenburg. 
Fürstenberg, 15. April. Die Diamanthochzeit 
eierten Dienstag Rentner Adolf Bümger und Frau in guter 
örperlicher und geistiger Frische. Der Ehemann ist 86, die 
Gattin 84 Jahre alt. Der Großherzog ließ ein Geldgeschenk 
überreichen. 
Güshrow, 15. April. Niedergebrannt ist im Dorfe 
Bölkow die Scheune und das Viehhaus des Erbpächters Schütt 
owie Scheune und Stall des Stellmachers Vonhold. Das Vieh 
des Erbpächters konnte bis auf einen Bullen und eine Starke 
gerettet werden. Man vermutet Brandstiftung. 
Waren, 15. April. Gestorben ist nach kurzem schweren 
deiden, 63 Jahre alt, Gymnasial-Professor Dr. Max Sander 
ierselbst. Der Verstorbene, Kriegsteilnehmer des Feldzuges 
870/71, gehörte lange Jahre dem Vorstande des mecklenburgeschen 
Ktriegerverbandes an, war Mitbegründer des Warener Krieger— 
»ereins und stand bis 1900 als Vorsitzender an seiner Spitze. 
Anlählich der 25jährigen Stiftungsfeier zeihnete der Landes-— 
err seine Verdienste um den Verein wie um das Krieger— 
ereinswesen im allgemeinen durch Verleihung des Verdienst— 
kreuzes in Gold vom Squsorden der Möendischen Kron-— 
Theater. Kunst und Wissenschaft. 
Lübec, 15. April. 
Domkirche. 
Karfreitagskonzert. — „Matthäuspassion“. 
Leitung Serr Kapellmeiste Hermann Abendroth. 
Zugunsten derjenigen, denen die Matthäuspassion noch 
ünbekannt und die sich etwas eingehender mit dem groß— 
artigen Werke befassen möchten, bringen wir eine Wieder— 
holung des Eingangs unserer Besprechung vom Karfreitags— 
konzert aus dem Jahre 1909 unter der Leitung des Herrn 
Professors Julius Spengel. Damals begannen wir: 
„In wenigen Tagen, am 15. April 1909, werden 180 Jahre 
vergangen sein, seit Seb. Bach erstmalig seine „Matthäus— 
passion“ in Leipzig zur Aufführung brachte. An eine so 
tiefgehende Wirkung, wie das großartig erdachte und durch— 
geführte Werk sie in der Gegenwart ausübt, konnte da— 
mals kaum gedacht werden, da der Kantor an der Thomas— 
kirche nur über ein, durch die Zweiteiligkeit der Chöre 
noch geschwächtes Chorpersonal und ein nur aus acht Gesellen 
und einigen Lehrlingen bestehendes Orchester verfügte. Ein 
Jahr hundtert lang, mit dem Hereinbrechen des Epigonen— 
tums (Grauns „Tod Jesu') ist das hehre Werk der Vergessen— 
heit anheimgefallen. Erst 1829, am 12. März, ließ der 
ijugendliche Mendelssohn das Werk zu neuem Leben erstehen. 
Nur sehr langsam verbreitete es sich wieder über Deutsch⸗ 
lands Gaue. In Lübeck war es das Verdienst Gottfried Herr⸗ 
manns, der es 1860 wieder an die Oeffentlichkeit zog. Dann 
erlebte es Aufführungen in unserer Stadt 1861, 1866, 1867, 
1870, 1874, 1878, 1885, 1899, 1907 und 1809. Die „Matthäus⸗ 
passion“ hat vor der „Johannespassion“ den leichter ver— 
ständlichen, einfachen Charakter voraus. Die vielen kurzen 
Ariosi, die meist längeren Arien voraufgehen, sind so aus— 
drucksvoll und so voll von Schönheit, daß ihnen manche 
Arie zum Opfer fällt, damit das ohnehin schon mehrere 
Stunden in Anspruch nehmende Werk nicht noch mehr in 
die Länge gezogen wird. Eine weiche, zarte Begleitung 
ist den meisten Arien zu eigen, die auf das Andachtsbollste 
den wehmütigen Karfreitagszauber widerspiegeln. Wie be— 
“dannt, setzt sich der erste Teil aus drei Bildern zusammen: 
l. Jesus mit seinen Jüngern und die Einsetzung des Abend— 
mahls; 2. Jesus auf Gethsemane; 3. Die Gefangennehmung. 
Ganz besonders tief empfunden und reich ausgeschmücdkt zeigt 
sich im ersten Teile die herrliche Tenorarie mit Begleitung 
des Chores und einer Solooboe „Ich will bei meinem Jesu 
wachen“. Von der schönen Ausführung dieses Tonstückes 
durch die drei Zusammenwirkenden werden alle Zuhörer auf 
das tiefste ergriffen gewesen sein. Allmählich stimmt der Chor 
dann dwieder die Klage an und tönt aus in dem Choral 
„O, Mensch, bewein' Dein Sünde groß“. Der erste Abschnitt 
des zweiten Teiles beginnt mit der Vernehmung Christi 
vor dem hohen Priester. In diesem Abschnitt finden wir 
die schöne Altarie mit Chor „Nun ist mein Jesus hin“, und 
die uns durchaus nicht mehr fremd anmutende nnd sehr 
bekannt gewordene wundervolle Arie, für Alt „Erbarme Dich“ 
mit Solovioline. Der zweite Abschnitt behandelt das Ver— 
zör bei Pilatus. Die Chöre werden immer erregter und 
zipfeln in dem „Kreuzige“; die Kriegsknechte verspotten den 
sßerrn mit ihrem „Gegrüßet seist Du uns“. Die schöne 
Arie für Alt „Erbarm es Gott“ erweitert den Inhalt 
dieses Teiles. Es folgt als drittes Bild die Kreuzigung 
ruf Golgatha, die besonders veranschaulicht wird durch das 
Arioso „Ach Golgatha“. Im vierten Abschnitt (Chor der Hohen⸗ 
niester) tritt besonders die Vaharie hervor. „Am Abend, da 
s kühle ward“, gewöhnlich von dem Vertreter des Heilandes 
elbst gesungen, wenn solches vielleicht auch etwas widersinnig 
rscheinen mag. Der weich empfundene, tieftraurige Doppel- 
zor „Wir setzen uns mit Tränen nieder“ beschließt das monu— 
nentale Werk, das uns eine musikalische Gedankenwelt vorführt, 
»ie nicht wieder erreicht worden ist. Der große Sebastian 
Sach lebt fort als einer der größten Tondichter aller Zeiten; 
nan kann sich heutzutage nicht genug tun in der Liebe und Sorg⸗ 
alt, mit welcher man seine hehren Werke zu Gehör bringt. 
Der gestrigen Aufführung in unserer altehrwürdigen Domtirche 
var es nicht beschieden, eine nechte weihevolle Stimmung in 
ans wachzurufen. Vor allen Dingen muß man sich erst von 
illen irdischen Schlacken befreien, d. h. das Technische voll— 
ommen beherrschen, ehe man den dramatisch so beseelten Chören 
lusdruck zu verleihen vermag. Das war gestern leider nicht 
der Fall, woran vielleicht die letzten vier von den Probediri— 
jenten abgehaltenen Uebungen schuld gewesen sein mögen. Gerade 
die letzten Proben sind wichtig für den Gesamtchor, von 
»em sich immer wieder eine gewisse Zahl minder musikalisch 
Begabter abziehen läßt, die keine Uebung eines so schweren 
Werkes entbehren können. Auch dürfte es sich der Gesamt⸗ 
virkung wegen doch sehr empfehlen, die tüchtigsten Kräfte alle 
nach vorn zu ziehen, wie es die Anordnung in größeren Städten 
und auf allen Musikfesten ist; wir sahen Damen, die uns 
ils sehr tüchtige Sängerinnen bekannt, ganz im Hintergrunde 
lehen. Chor und Orchester wandelten vielfach ihre eigenen Wege; 
die Einsätze kamen oft recht unpräzise, nicht von den Einzelnen, 
aber um desto bemerkbarer war das Nachhinken der anderen. 
Hleich dem ersten Doppelchor Kommt ihr Töchter, helft mir 
llagen“ mit dem Cantus firmus „O Lanim Gottes“ fehlte es 
in Gewalt des Ausdrucks, wie auch den dramatisch so bewegten 
Volksmassen trotz der numerisch größeren Zahl von Sängern 
und Sängerinnen die rechte Energie fehlte. Wir erinnern an 
die Szenen: „Sind Blitze, sind Tonner in Wolken verschwun— 
»en“, „Laß ihn kreuzigen“, „Sein Blut komme über uns“ und 
hen die ganze Wut des Volkes ausdrückenden Ausruf „Barra-⸗ 
am!“ Wir haben die Matthäus-Passion unzählige Male mit— 
zesungen und stehen vollständig innerhalb der Sache. Sehr 
vohlklingend waren die Choräle, allen voran „Wenn ich ein— 
nal soll scheiden“, dem ein wundervolles Pianissimo vom An⸗ 
ang bis zum Ende gewahrt blieb. Auch das „Wahrlich, dieser 
jt Gottes Sohn gewesen“ war sehr klangschön. Eine gewisse 
Monotonie im Ausdruch wie sie den Chören zu eigen war, 
jatte sich auch der Solisten bemächtigt, bis auf einen: Herrn 
an Ewayk, dessen wundervoll abgeklärte Leistung als 
Clristus aber um desto heller erstrahlte. Dieser vornehme Künst⸗ 
ler und edle Sänger fand gerade den richtigen Ausdruck für den 
anit duldenden Schmerz des Erlösers; da war nirgends ein Zu— 
»iel, doch aber ein schwaches subjektives Empsinden des 
Menschen sohnes für die ihm zugefügten Veiden. 
Tie herrlichen Abendmahlsworte wie das „Eri, Eli, 
ama asabthami“ können kaum ergreifender und heiliger 
viedergegeben werden. Herrn v. Eweyl war auch 
das schöne Baßsolo zugefallen, das öfters vom Alt über— 
iommen wird: „Am Abend, da es kühle war“. Wenn es 
ruch aus dem Munde des Heilandes als etwas widersinnig 
erklingt, so söhnten wir uns mit diesem Umstande gerne aus, 
»a der Künstler ein wundervolles Stimmungsbild uu schaffen 
vußte. Der hier bereits bestens eingeführte Sänger, Herr 
Wormsbächer aus Hamburg, war für die Partie des 
fvangelisten, eine der schwersten im Tenorfach, gewonnen wor— 
»en. Er löste seine Aufgabe mit großer musikalischer Sicher— 
eit und Reinheit der Tongebung. Zu Anfang zeigte die 
ztimme ein leichtes Flackern, das aber sehr bald verschwand 
ind wohl lediglich auf Befangenheit zurückzuführen war. Nur 
erjenige, der die Passion genau kennt, weiß, welche enorme 
zchwierigkeiten die Partie des Evangelisten bietet, und wird 
arum Herrn Wormsbächer seine hohẽ Anerkennung nicht ver— 
agen. Die schwere Stelle: „Und ging hinaus und weinte 
itterlichs“, war voll rührenden Ausdrucks. Der Sopran der 
zrau Eva Bruhn aus Berlin mutete etwas spröde und 
läsern an, auch wurde der Ton des Oefteren durch die 
Stirne genommen. Die Künstlerin schien noch etwas unsicher 
in ihrer Partie zu stehen, auch verfiel sie bei ihren Arien 
in eine gewisse Gleichmäßigkeit des Vortrages, die denselben 
ticht zu eigen sein darf. „Blute nur, du liebes Herz“, und 
‚Aus Liebe will mein Heiland sterben“ muß warm empfunden 
ein. Letztere Arie wurde ganz herrlich von den englischen 
dörnern begleitet. Warum Frl. Anna Hardt mit ihren 
zrachtvollen Stimmitteln so zurückhielt, haben wir nicht ver⸗ 
tanden, daß die Stimme noch ganz anderer Machtentfaltung 
ähig ist, zeigte uns ab und an ein einzelner Ton. Wenn 
ine Altst:mme sich irgendwo entfalten kann, so ist es in den 
AUrien „Erbarme dich“ mit obligater Geige (von Herrn 
donzertmeister de Ruyter-Corver sehr anschmiegsam be— 
zleitet und „Erbarm' es Gott“. Wir erinnern uns, einen 
vie großen Ton die Schweriner Künstlerin Frau Minor-Alken 
zier entwidelte. Frl. Hardt hat die Fülle der Tongebung. 
nöchte sie sich künftig dessen erinnern. Die Stimme der 
Sängerin hat eine gute Schule durchgemacht, der Ton ist sehr 
zleichmäßig gebildet, die Aussprache gut und die Tongebung 
zein. Das stimmungsvoll gesungene „Ach, Golgatha“ verfehlte 
eine Wirkung nicht. Herr Nizze, Lübeck, hatte, wie schon 
rüher, sich zur Uebernahme der kleineren Baßpartien bereit 
jefunden, sie kamen präzise und sicher zur Ausführung. Leider 
tanden er sowohl wie die Magd“ etwas weit im Hinter⸗ 
runde, was aber, ihrer choristischen Mitwirkung wegen, wohl 
nicht abzuändern war. Beim Herrn Domorganisten Ley wär 
die Mitwirkung der Orgel in stets kunstlerisch bewährten 
dänden. Mit großer Sachkenntnis fügte er sich dem Riesen⸗ 
verke ein M Stiehl
	        
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