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ausgabe A.
Aus den Rachbargebieten.
Hanßestadte. —8
Hamburg, 12. April. ̃ Richard Vollk. Am Sonntag
starb nach schwerem Leiden der langjährige Vorsteher der
Elbuntersuchungsstation des Hamburger Naturhistorischen
Museums, Richard Volk. Richard Volk war am 4. Sept.
1850 zu Friedberg in Hessen geboren.
Mit dem Bau des Thaliatheaters hat man
jetzt, nachdem die alte Marienthaler Bier halle niedergelegt
worden ist, begonnen. Die Abnahme des Rohbaues soll am
30. Nov. 1911 erfolgen; die gänzliche Vollendung des Theaters
ist auf August 1912 festgesetzt worden. w
Vernünftiges Urteil. Der in den weitesten Kreisen
mit Spannung verfolgte Pro zeß des Schlachtermeisters Kotsch,
Hamburg⸗ Veddel, wegen des über ihn verhängten Boykotts
und der damit verbundenen geschäftlichen Schädigungen gegen
den Vorsitzenden des sozialdemokratischen Fleischergesellen⸗Ver⸗
bandes Deutschlands, Hamburg⸗Altonaer Ortsverwaltung.
Fiedler, und die Verlagsanstalt Auer K Co. Gamburger Echo)
hat nach fast einjähriger Dauer seinen vorläufigen Abschluß
gefunden. Die Hamburger Landgerichts-Zivillammer I hat die
Entschädigungsansprüche des Kotsch dem Grunde nach für be⸗
rechtigt erklärt, und zwar für den Schaden, der nach dem
18. Juni v. J. eingetreten ist. Der beklagten Firma
Auer& Co. wurde die Veröffentlichung weiterer
Boykottierungen als gegen die guten Sitten
verstoßend verboten.
Aeber die Entdedung des Ordensschwindels
wird folgendes berichtet: Eine mit einem Orden irgendeines
Duodezstaates dekorierte Persfönlichkeit suchte an zuständiger
Slelle in Berlin die Genehmigung zum Anlegen dieses Ordens
nach. Groß aber war die Enttäuschung des „Dekorierten“,
als ihm aus Berlin mitgeteilt wurde, daß die vom Ministerium
des Aeußeren angestellten Erhebungen ergeben hätten, daß
das Diplom gefälscht sei. — Bei der Ordensvermittlung. für
die vermutlich eine auf verschiedene Städte verteilte „Gesell—
schaft“ tätig gewesen ist, soll es sich in der Hauptsache um
rufsische und tunesische Orden handeln, die einer
Anzahl Personen in Berlin und Hamburg, sowie einer Altonaer
Persönlichkeit vermittelt worden sind.
GKleine Nachrichten) Verhafteter Schwindler.
Die Kopenhagener Polizei hat der hiesigen Polizei mitgeteilt,
daß sie den seit 12 Jahren gesuchten Schwindler Wellner aus
Hamburg festgenommen hat. Wellner hat sich in Kopenhagen
der Wechselfälschung und des Betruges schuldig gemacht. In
Hamburg hatte er seinerzeit in Gemeinschaft mit einem Ernst
Bahlke einen eigenartigen Trick ausgeführt. Sie hatten leer
stehende Säuser, auf die sie nicht das geringste Anrecht hatten,
zum Abbruch verkauft. Als dann die Abbruchsunternehmer
mit ihren Leuten ans Werk gehen wollten, wurden sie
natürlich von den Eigentümern oder Verwaltern der Häuser
daran gehindert. Man hatte damals die beiden schon ver—⸗
haftet, sie dann aber wieder freigelassen. Sofort hatten sie
das Weite gesucht. Bahlke wandte sich zuerst nach Spanien
und dann nach Afrika, während sein Genosse in Dänemark
Unterkunft suchte. Wellner wird, nachdem er dort seine Strafe
verbüßt hat, nach Hamburg ausgeliefert werden.
Schleswig⸗ Holstein.
Altona, 12. April. Kaiserparade. Der Bau—
firma Peters Söhne ist die Errichtung einer Tribüne für 30 000
Zuschauer zur Kaiserparade am 26. August auf dem Luruper
Exrerzierplatz übertragen worden. — Die Schuhmacher-
innung hat beschlossen, die Forderung der Gesellen anzuerkennen,
so daß auch hier der Streik vermieden wird.
Kiel, 12. April. Erhaltung von Hünengräbern.
Die schlesw.⸗holst. Siedlungs-Genossenschaft hat kürzlich vom
Grafen Reventlow (Criminil), den Hof und das Torf Hö⸗
Zek und das Torf Haßmoor erworben. Durch Eingreifen
des Vereins für Heimatschutz haben sich die Käufer sämtlicher par⸗
zellierten Stellen verpflichtet, die Hünengräber dauernd zu
erhalten. Gerade in jener Gegend sind sehr viele Hünengräber.
— Der Kinderhilfstang ist auf den 10. Juni angesetzt
worden. Der Ertrag wird zum Besten der Säuglingsernährung,
Morgenbespeisung und Ferienkolonien verwendet werden. —
Fine unfreiwillige Fahrt von Kiel nach Kappeln mußten
am Sonnabend vier Kieler Bürger mit dem Dampfer Stadt
Kavpeln machen. Si⸗e hofanden sich in der Restauration, als der
Dampfer (abfuhr, und hatten es versäumt, Jich rechtzeitig an
Land zu begeben. So mußten sie unfreiwillig die Seereise mit⸗
nachen. Abends kehrten sie mit der Bahn nach Kiel zurüch.
Eine Prüfung von Polizeihunden fand auf dem
tädtischen Sport⸗ und Spielplatz statt. Vorgeführt wurden außer
Schäferhunden auch die neu zum Polizeidienst hinzugezogenen
Rassen Rottweiler und Airdaler, die, gut dressiert, sich als vor⸗
üglich geeignet erwiesen. Je drei Hunde der Kieler und der
zamburger Polizei wurden im Absuchen des Reviers, Verfolgen
ind Stellen markierter Verbrecher und Aufsuchen versteckter Ge⸗
zenstände g eprüft. Alle Versuche gelangen. — Irrsinnis
reworden ist ein junges Mädchen, das wegen Diebstahls
zerhaftet worden war, im hiesigen Polizeigefängnis. Die Kranke
nußte zur Irrenklinik übergeführt werden. — Di e Gin bre ch er⸗
„ande, die in der letzten Zeit in der Umgebung der Stadt eifte
deihe Diebstähle ausgeführt hat, ist dingfest gemacht. Es han⸗
relt fich um drei Fürsorgezöglinge und einen Nieter.
Büsum, 12. April. Vier lebende Seehunde er—
zeulete W. Külper Sonnabend auf einer Jagdtour. Einer der—
elben warf ein Junges, das aber sofort einging.
Großherzogtum Oldenburg. Fürftentum Lübed.
Pr. Eutin, 12. April. Die Prüfung für den
Amtsaktuardienst bestanden in Oldenburg von 48 Pruf⸗
iingen 12, darunter Expedient Rönpage von hier.
PFr. Eutin, 12. April. Verkauft hat Schmie demeister
Znabe, Sibbersdorf, sein Gewese an Hufenpächter Bentfeldt,
Zibstin; Postschaffner Ochs, Elmschenhagen, seine zirka 4 To.
— Schlichting, Bujendorf;
Witwe Asmus, Meinsdorf ihr Haus an Bierfuhrmann Abel,
futin. — Verhaftet wurde Dienstag ein Schweizer, der
ich auf dem Beutiner Hof des Hausfriedensbruchs und der
ätlichen Beleidigung schuldig gemacht hatte.
Eutin, 12. April. Einen Aufstieg mit einem
Freiballon unternahm Sonntag früh der Eutiner Aviatiker
khlers; der Wind trieb ihn über den Stendorfer See hinweg,
zis nach Kasseedorf, wo er auf einer Wiese landete.
vz. Malente, 12. April. Was ein Sälchen
verden will, krümmt sich beizeiten. Zwei 14iährige
Inaben aus Eutin wurden auf dem Bahnhof angehalten.
veil sie sich durch Ausgabe von Goldgeld verdächtig machten.
xin Beamter fand bei der Durchsuchung etwa 140 Min Gold
vor, über deren Herkunft die Besitzer falsche Angaben machten
und schließlich, als sie sich festgelogen hatten, jede Auskunft
perweigerten. — Das Geld soll von einem Diebstahl herrühren,
den ein Schulknabe bei einem Krämer in Eutin ausgeführt
zat, wobei ihm 400 Miin die Hände fielen.
Bosau, 12. April. Nie dergebrannt ist die mit Stroh—
dach versehene, von den Arbeitern Hutzteld und Sinz im Torfe
õoutzfeld bewohnte Kate. I
Lauenburg.
Miölln, 12. April. Waldbrand. In Grambek wurden
30 Morgen junge Tamen des Architekten Bach, Hambura. durch
Feuer zerstört.
Lauenburg, 12. April. Besitzwechsel. Kaufmann
Adolf Lauenstein, Lüneburg, hat sein Hotel „Stadt Lüneburg“
zierselbst mit dem Haus des Schlachtermeisters Schmutzler, Lüne⸗
burg, vertauscht.
—
vorderte deshalb die Burgervertrerung auf, schon jetzt die vom
Bauamte vorgelegten Plaͤne und Kostenanschläge für den Neubau
der Petribrucke mitzugenehmigen und die dazu erforderlichen
328 780 Mizum außerordentlichen Etat des Bauamts mitzu⸗
ewilligen, damit mit dem Neubau bald begonnen werden kann.
Ddie neue Klaͤppbrüche über die Unterwarnow liegt im Zuge
des Petridamms, die Brückenmitte ist 3600 m von der Ostseite des
Petritores oder 2860 m von der Mitte der alten Petribrücke ent⸗
sernt und überspannt die Unterwarnow in zwei Oeffnungen
bon je 18,5m lichter Weite. Der südlichste Teil ist ie eine
seste Brücke, während der nördliche eine Klappe mit fester Dreh⸗
achse ist. Tie Bürgervertretung überwies die Vorlage der
dafenbaukommission zur näheren Beratung.
Wismar, 12. April. Mit Lysol vergiftet hat sich
ein 18jähriger Kommis aus Schwerin, da seine Unredlichkeiten,
zie er sich seit dem J. März, dem Tage des Beginnes seiner
Dätigkeit in dem Geschäft, hatte zuschulden kommen lassen, auf⸗
zededt wurden.
Rehna, 12. April. Der Senior der Lehrerschaft
des Fürstentums Ratzeburg ist Lehrer Lüth in Falkenhagen. Lüth
erwaltet seinen Dienst daselbst jetzt nahezu 50 Jahre.
—Kleinen, 12. April. Seinen Verletzungen er—
legen im Schweriner Krankenhause ist ein 80iähriger Ar⸗
heiler, der in voriger Woche von einem Wagen überfahren wurde.
Stavenhagen, 92. April. Für die Enthüllung
jes Fritz-Reuter-Denkmals ist das Programm jetzt
estgesetzt; es erstredt sich üUuber die Tage vom Dienstag, dem
II. bis Domerstag, dem 13. Juli. Zu der Feier werden außer
dem Großherzogspaar von Medlenburg⸗Schwerin auch der Groß—
herzog von Medlenburg⸗Strelitz und Herzog Johann Albrecht,
Regent zu Braunschweig, erwartet. Außerdem haben nmiehrere
ruswärtige plattdeutsche Vereine ihr Erscheinen angezeiat.
Luftschiffahrt..
Ein Sẽhenflug Grades. Magdebursg, 11. April.
Ingenieur Hans Grade führte vorgestern hier mehrere
Flüga aus. In 16 Minuten erreichte er die Söhe
von 1450 m.
Toul, 11. April. Zwei deutsche Freiballons,
Effen“ und „Prinzeßsin Viktoria“ sind vorgestern
bend in der Nähe von Toul gelandet. Die Ballons
vurden nach Saarbrücken verladen. Die sieben Insassen
ꝛer Ballons kehrten gestern vormittag nach Deutschland gzu⸗
üch. Auch in der Nähe von Nanch ist ein mit dro
hersonen bemannter deutscher Ballon niedergegangen, defsen
Passagiere heute früh wieder abgereist sind.
Der Nationale Ueberlandilug Kiel-Hamburg⸗Berun soll
laut Beschlutz des Vorstandes des Vereins für Motorluft-
schiffahrt in der Nordmark unterbleiben, wenn der
Verein deutscher Flugtechniker Kiel in den geplanten
nationalen deutschen Rundflug einbeziehen würde. Der Rund—
lug würde ausgezeichnet in das Programm der Kieler
Flugwoche passen. Er fichert ihr die Herkunft einer großen
Anzahl der besten Führer. Als Tag Tag der Ankunft in
Kiel ist Sonnabend der 17. Juni in Aussicht genommen,
und die Tage vom 18. bis 22. würden zu Aufstiegen
in Kiel zur Verfügung stehen. Die Abfahrt erfolgt dann
am 23. Juni. Ob die Verhandlungen zu einem Ahschluß
führen, bleibt dahingestellt.
Ob ein Parseval⸗Luftschiff in diesem Jahre Schleswig⸗
Holstein besuchen wird, ist neuerdings sehr fraglich geworden.
Die Parseval-Gesellschaft fordert Preise, die den Abschluß
eines Vertrages zur Veranstaltung von Fahrten in der
Provinz unmöglich machen.
Frankfurt a. M., 11. April. Der von dem Kartell süd⸗
westdeutscher Luftschiffervbereine geplante Zuverläfsig-
leitsflug durch die oberrheinische Tiefcbene ist gesichert.
Von der für Preise aufzubringenden Gesamtsumme von
200 000 Mesind schon 175 000 Magezeichnet.
Der deutsche Ueberlandflug wird voraussichtlich in der
Zeit vom 15. bis 17. Juni auch über Schwerin führen, wo
dann eine Etappenstation errichtet wird, um gleichzeieig wäh—
rend der mecklenburgischen Landesausstellung die Vorführung
von Luftflügen zu veranstalten.
Schwerin, 12. April. Der Bürgerausschuß der Stadt
Schwerin beschloß gestern, für Schwerin als Etappenstation
»es deutschen Rundfluges 1911 um den B. 3.Preis
zon 100 000 Miäzur Aufbringung von Lokalpreisen und zu den
— t 8B800n u sBRmiIIiden
Großherzogtürmer VWedlenburg.
Schwerin, 12. April. Der Großherzog machte dem
Henerallt. z. D. von Haeseler hierselbst zur Erimmerung an den
Jlänzend verlaufenen VBeteranenappell am 17. Juli v. J.
ein Bild mit eigenhändiger. Widmungsinschrift zum Geschenk. —
Frnennung. Generallt. v. Pritzelwitz, beauftragt mit der
Führung des 6. Armeekorps (früher Divisionskommandeur in
Schwerin), ist zum kommandierenden General dieses Armee—
orps ernannt worden. — Die hier verhafteten Boden-
diebe haben sich vorher in gleicher Weise in Lübed betätigt;
der größte Teil der von ihnen in Lübeck gestohlenen Wertgegen—
tbände wurde bei ihnen gefunden. Die Verhafteten sind ein
Zellner Ehlert und ein Schmied Neumann, beide aus Hamburg
lammend.
Rostock, 12. April. Die Hafenbauvorlage ist noch
nicht verabschiedet, doch steht bereits fsest, daß der Neubau
der Petribrücde unter allen Umständen eintreten muß. Auch
oer dafür zu wählende Platz ist bereits durch Rat- und Bürger⸗
heschluß festgelegt. Nach dem Berichte des Bauamts ist es aber
mit Rücksicht auf den Zustand der alten Petribrücde erforderlich,
dast der Meuban nufse kerste heschseuniatft mird Poer Natf
Der pPalmesel.
Eine kulturhistorische Studie.
DTas Herumführen einer hölzernen Eselsfigur in feierlicher
Prozession gehört heute zu den fast vergessenen, bis in das
18. Jahrhundert aber allgemein üblichen Bräuchen der Osterzeit.
Tirol ist das einzige Land, das ihn bis in die Gegenwart fest—
gehalten hat, in dem kleinen Orte Thaur. Da sind am
Palmsonntag alle Häuser festlich mit Weidenkätzchen geschmückt
und nach dem Gottesdienste setzt iich der Umzug zum Kirchlein
in Bewegung. Schulbuben, die Stangen mit holzgeschnitzten
Eselsbildern tragen, machen den Ansang, dann folgt eine
Schar betender Bauern und hinter diesen ziehen 16 nach
Pferdeart vorgeschirrte Knaben an Stricken den Wagen mit dem
Palmesel daher. In einen roten Mantel gehüllt, hält die auf
ihm sitzende hölzerne Heilandsgestalt die Hand zum Segen
erhoben, und beide Figuren sind in Lebensgröße geschnitzt. Un⸗
mittelbar nach der Statue schreitet in Chorroch und Stola der
Priester, dem die den Schluh des Zuges bildenden Schulmäd—
chen, Jungfrauen und älteren Weiber sich anschliehen.
Die Sitte des hölzernen Esels dürfle bis ins 4. Jahr⸗
hundert zurlidreichen. Bei dem schon frühzeitig herrschenden
Bestreben, die Vorgänge der heiligen Schtift durch theatra-
lische Darstellungen zu versinnbildiichen, wird sie sich all-
mählich ausgebildet haben, um im Mittelalter allgemein üblich
zu werden. Die Ansicht mancher Gelehrten, die den Brauch
in Zusammenhang mit einem indischen Kultus oder der ein
Frühlingsfest darstellenden Eselsprozession der Perser bringen
wollen, hat wenig Wahrscheinlichkeit für sich. War doch der
Gedanke. das Grautier. das mehrfach in das Leben des Erlose
ꝛingriff, auch bei diesem Erinnerungsfeste eine Rolle spielen
u lassen, besonders naheliegend. Nicht nur bei der Geburt des
zeilandes sollte der Esel zugegen gewesen sein, sondern auch
ie Jungfrau Maria auf der Flucht nach Aegypten getragen
aben. Auch das alte Testament ließ ihm alle Ehren ange—
eihen, so wurde Bileans Esel die Gabe der Rede verliehen,
ind der Held Simson verschmähte es nicht, den Kinnbacken
»es Tieres als furchtbare Waffe zu gebrauchen, mit der er
OOo Philister erschlug. Der Prophet hatte geweissagt: „Siehe,
»ein König kommt zu dir, sanftmütig, und reitet auf einem
sbsel und auf einem Füllen der lastbaren Eselin“. Wollte man
ilso den Einzug Christi realistisch darstellen, so konnte man von
»er Mitwirkung einer Eselsfigur unmöglich absehen.
Die ältesten uns erhaltenen Palmesel, die jetzt als kultur⸗
istorische Merkwürdigkeiten und auch ihres oft künstlerischen
Wertes wegen zumeist in Museen Unterkunft gefunden haben,
tammen aus dem 14. Jahrhundert, den aus späterer Zeit
ahlreicher vorhandenen Exemplaren nach muß aber die Sitte
n den beiden folgenden Jahrhunderten ihre höchste Blütezeit
zehabt haben. In manchen Orten kam das Amt, den Palm⸗
esel zu führen, bestimmten Gewerben zu, so im Tübingen
d»en Bädern und Metzgern. In Schwäb. Hall zogen sogar
ztadttnechte und Büttel den Herrn Jesum in die Kirche, was
der 1489 an der Prozession teilnehmende König Max dermaßen
ibel vermerkte, daß die Stadt beschloß, den Palmesel künftig
zurch zwei Ratsherren führen zu lassen. In anderen Orten
zesorgten auch Bürgermeister und Gemeinderäte dies Geschäft,
und bald galt nicht allein mehr das Ziehen des Palmesels,
sondern auch sein Berühren, durch das man sogar Vergebung
xr Eanden au erlangen qlaubte. fur beilkräftia und wunder—
— — ——— — — —
wirkend. Nachdem sich der Aberglaube der Figur bemächtigt
zatte, wurde sie mit der Zeit immer mehr zum Gegenstand
son allerlei Mißbrauch und Unfug. Am schlimmsten artete die
SZache in' Frankreich aus, wo man schließlich förmliche Esels⸗
este feierte, bei denen das religiöse Moment vollständig ver—⸗
chwand, indem man weltliche, von nachgeahmtem Eselsgeschrei
egleitete Lieder sang und allerlei unwürdige Possen trieb.
Bermutlich sind derartige Vorkommnisse nicht ohne Einfluß
ruf das spätere üble und verächtliche Renommee des Esels
eblieben, denn seit dem 17. Jahrhundert begegnen wir dem
Palmesel“ bereits als Schimpfnamen. Meistens bezeichnete
nan tölpelhafte und ungeschictte Menschen damit, aber auch
eichtfertigen Weibern wurde er beigelegt.
Obwohl man sich in Deutschland nach längerer Zeit be—
nühte, die Palmeselprozession streng nach der Ueberlieferung
in den Evangelien zu gestalten, sahen sich Kirche und welt—
iche Obrigkeit wegen der Ausartung einer einst frommen
Sitte schließlich veranlaßt, dem Unsug ein Ende zu machen.
Auf geisilichen und weltlichen Befehl wurden die meisten vor—
jandenen Palmesel vernichtet oder verstümmelt, woher es
ommt, daß viele der in unseren Museen oder unter den Dach⸗
zöden alter Kirchen aufbewahrten Exemplare gewaltsame Be—
chãädigungen aufweisen. Strenge Hirtenbriefe räumten völlig
nit der Unsitte auf, und so dürfte von dem eingangs er⸗
ahlten, in Thaur bis heute üblichen Brauche abgesehen, der
etzte Palmesel in deutschen Landen sich wohl 1820 öffentlich
zezeigt haben, bis zu welchem Jahre er noch in Ehrending
hei Baden in der Palmsonntaas⸗Prozession mitgeführt wurde.
BRD.