Ein Hauptbedenken, welches seither in der offentlichen Kritik
zegen den Entwurf geitend gemacht ist, richtet lich gegen seine
Stellungnahme zu der wichtigen Frage der Zulalssung von
Frsobinstinten. Die Bestimmungen, welche der Entwurf nach
rieser Richtung vorsieht, sind betanntlich den Ersatzlassen sehr
wenig günstig und kommen geradezu einer Bestrafung der
Selbsthilfe gieich ¶ Es liegt auf der Hand. daß die privaten
Vensionskafsen wohl durchweg erheblich mehr bieten koͤnnen.
als die allgemeine Reichs versicherungsanstalt des Entwurfs in
der Lage wäre. Solche private Penlionslassen besitzen in
der Regel namhafte freiwillige Zuwendungen. sie werden ehren⸗
anitüch verwallet und haben, deshalb keinen Aufschlag für
Verwaltungstkosten nötig, sie können mit einer höheren Ver⸗
sinsung der gezahlten Prämien und mit einem geringeren
Hesahrentisilo als die staatliche Versicherung rechnen und
brauchen ferner in vielen Fällen Alters- oder Invalidenrente
deshalb noch nicht zu zahlen, weil das betreffende Unternehmen
den Angestellten trotz seiner verminderten Arbeitsfähigkeit häufig
noch an einer geeigneten Stelle beschäftigt. Wie viel mehr
solche Kassen im Vergleich zu der Reichsversicherungsanstalt des
Entwurfs bieten können, dafür nur ein Beispiel: die Pensions—
kasse für Beamte deutscher Privateisenbahnen in Berlin. Diese
Kasse ist im Jahre 1888 auf Veranlassung des preukhischen
Ministers der öffentlichen Arbeiten gegründet worden und ge—
währt Leistungen nach den für Staatsbeamte geltenden Grund—
ätzen. Die Zahl der Versicherten beträgt zurzeit 9000. Die
berlicherten Angestellten und Verwaltungen zahlen an laufenden
Beiträgen je 5,5 00, zusammen also 11 60 vom Diensteinkommen.
Das ist zwar mehr, als die neue Verlicherung vorsieht, in
der die Beiträge für die unteren Gehaltsklassen 5 bis 7 960,
sür die oberen 6 bis 8 600 betragen. Dafür gewährt aber
die Vensionskasse für Beamte deutscher Privateisenbahnen
Pension nach den für Staatsbeamte geltenden Grundsätzen;
das Gleiche gilt von den Witwen- und Waisengeldern. Welcher
gewaltige Unterschied in den Beiträgen und Leistungen zwischen
dieser Pensionskasse und der Reichsanstalt besteht, ergibt sich
aus folgendem Beispiel: Ein Beamter mit 1000 bis 1600 M
Gehalt würde nach einer 10jährigen Beitragszeit bei einem
kinkommen von 1300 Me616 M Beiträge an die Pensions⸗
fasse, 336 Mean die Reichsanstalt gezahlt haben. Er würde
dafür 433,33 MuPension aus der PVensionskasse, dagegen
168 MRente aus der Reichsanstalt erhalten. Das Witwengeld
würde bei der Pensionskasse 300 M, bei der Reichsanstalt
67,20 Mebetragen. Das Waisengeld für jede Halbwaise würde
sich aus der Pensionskasse auf 60 M, aus der Reichsanstalt auf
13, 44 M, für Vollwaisen aus der Pensionskasse auf 100 Mund
rus der Reichsanstalt auf 22, 40 Mebelaufen. Mit jedem weiteren
Dienstjahre vergrößert sich der Unterschied natürlich erheblich
Daß das Fortbestehen dieser bewährten privaten Pensions-
kassen auf irgend eine Weise gesichert und die Initiative der
Unternehmer zu weiteren freiwilligen sozialpolitischen Stiftungen
nicht lahm gelegt werde, liegt daher im eigensten Interesse
der Angestellten. Auch die Unternehmungen, die solche Kassen
errichtet haben, sind an ihrer Erhaltung lebhäaft interessiert,
nsofern die Kassen dadurch, daß sie den individuellen Be—⸗
dürfnissen ihrer Angestellten im weiteren Umfange Rechnung
tragen können, ein Mittel sind, um dem betreffenden Betriebe
einen Stamm anhänglicher Angestellten zu sichern. Den Wünschen
auf Erhaltung dieser privaten Pensionskassen versucht der Ent⸗
wurf dadurch Rechnung zu tragen, daß er „eine Art Rück-
verlicherung“ in Höhe der reichsgesetzlichen Leistungen bei der
Reichsrersicherungsanstalt zuläßt. Die Kassen sollen die gesetz—
lich vorgeschriebenen Beiträge in voller Höhe an die Reichs—
unstalt abführen, wogegen diese den privaten Kassen die gesetz⸗
lichen Renten für ihre Mitglieder überweisen soll. Die Privat—
lassen sollen also nur als Vermittelungsanstalten, als Beitrags⸗
einziehungs⸗ und Rentenauszahlungsstellen der Reichsanstalt und
eventuell als Zuschußkassen dienen; ihre selbständige Stellung
wird so gut wie aufgehoben. Es lkann keinem Zweifel unter⸗
liegen, daß diese Regelung der privaten Pensionseinrichtungen
gleichbedeutend mit ihrer völligen Unterbindung wäre, ohne
daß der Entwurf dafür einen auch nur einigermaßen be—
riedigenden Ersatz bieten könnte. Wenn die Nachrichten, die
in der letzten Zeit durch die Presse verbreitet wurden, richtig
lind, so wird bereits im Bundesrat der Gesetzentwurf einer
Umarbeitung in dem Sinne unterzogen, daß den allgemeinen
Wünschen entsprechend die Ersatzkassen in einem weitergehenden
Mahe zugelassen werden. Es wäre auch nicht einzusehen,
warum das nicht möglich sein sollte, und daß es im höchsten
Maße erwünscht ist, darüber besteht nur eine Stimme. Es
väre denkbar, die Anerkennung privater Pensionskassen als
selbftändiger Ersatzinstitute von der Erfüllung entsprechender
Normatiobedingungen abhängig zu machen, d. h. insbesondere
zu fordern, daß die Ersatzkassen mindestens die Leistungen der
gesetzlichen Versicherung zu gewähren, daß sie diese Leistungen
durch hinreichende, mündelsicher angelegte eigene Reserven
unabhängig von dem Finanzgebaren des betreffenden Unter—
nehmers selbst, sicher stellen, daß der Arbeitgeber zu ihnen
mindestens in der Höhe der gesetzlichen Beiträge Zuschüsse
leistet, daß die Kassen dem Kaiserlichen Aufsichtsamt für Privat⸗
versicherung unterstellt werden und dah sie insbesondere auch
die Freizügigkeit der Angestellten gewährleisten. Zu diesem
letzteren Zwecke mühte im Falle des Ausscheidens eines Ange⸗
stellten aus der Ersatzkasse derselbe in die Reichsanstalt gegen
Abführung der den gesetzlichen Leistungen entsprechenden
Prämienreserde übernommen werden und dementsprechend wäre
auch der umgekehrte Fall des Uebertrittes eines Angestellten
aus der Reichsanstalt in eine Ersatztasse sowie endlich aus
einer Ersakkasse in die andere 3zu udrneren
Die Sonderbestimmung des Entwurfes erfordert in der vorge⸗
jehenen Form eine außerordentlich umsangreiche, schwerfällige und
teure Organisation. Nicht weniger als 7 neue Instanzen
werden als Organisationsträger der neuen Versicherung ein—
geführt. Die neu zu errichtenden Beamtenstellen werden sich
auf viele Tausende belaufen, und nicht mit Unrecht hat ein
humorvoller Beurteiler gesagt: Wenn man ein Preisaus—
schreiben erlassen würde: Wie können möõglichst viele neue
Beamte in neuen Staalsämtern untergebracht werden, ohne
dah es den Staat auch nur einen Pfeunig josten“, so muhte
der vorliegende Geseheniwurf als bie beste Lösung dieser
Aufgabe gelten. Die Höhe der Verwaltungskosten ist eine
der wesentlichsten Ursachen für das Mißverhältnis, in welchem
die eigentlichen Versicherungsleistungen zu den zu dahlenden
Beiträgen stehen. Di— Verwaltungsorganisation des Ent—
wurfes stellt aber außerdem neue große Anforderungen an
die ehrenamtliche Tätigkeit: man hat die Zahl der in der
neuen Angestelltenversicherung ehrenamtlich zu beschäftigenden
Angestellten und Primipale auf je 12000 geschaht. Sie
chafft ferner eine Fulle neuer, sihwerlich den soiglen Frieden
fördernder Wahlen und bürdet endlich dem Arbeitgeber zu
den durch die Krankenversicherung, Unfallversicherung, Alters⸗
und Invalidenversicherung ihm bereits auferlegten Arbeiten
teue Formalitäten auf.
Zur Deckung der Verwaltungskosten glaubt die Be—⸗
wründung des Entwurfes mit 200 der Prämieneinnahme
uskommen zu können, indem sie dabei auf den Preußischen
zeamtenverein in Hannover (Lebensversicherungsverein a. G.)
verweist. Es wird dabei vergessen oder verschwiegen, daß die
Berhältnisse bei dem Preuhßischen Beamtenverein so wesentlich
mnders liegen, daß fie für die Beurteilung der Verhältnisse
dei der neuen Angestelltenversicherung keinen Maßstab bilden
õonnen. In der Angestelltenversicherung werden die Beiträge
Almonatlich entrichtet. sie differieren je nach der Höhe des Ein⸗
kinkommens des betreffenden Angestellten, in der Lebensver⸗
icherung dagegen handelt es sich in der Regel um äährliche,
daneben auch vierteliährliche Beitragszahlung nach ganz be⸗
timmten Tarifen, ohne daß die Versicherungsanstalt zu prüfen
hat, ob die gezahlten Beiträge der Einkommensklasse des
Angestellten entsprechen. Tritt der Versicherungsfall ein, so
iegt die Sache bei der Lebensversicherung sehr einfach: im
ralle des Todes des Versicherten oder nach Erreichung eines
zestimmten Lebensjahres wird die Verlicherung ausbezaählt
ind die Arbeit hat damit für die Gesellschaft ihren Ab⸗
chluhz gefunden. In der Angestelltenversicherung beginnt bei
kFintritt des Versicherungsfalles überhaupt erst die eigent-
iche Arbeit: das Festltellungsverfahren, ob der Angestellte
ind gegebenenfalls in welchem Grade er berufsunfähig ist.
Es ist daher auch von allen Versicherungspraktikern überein-
timmend darauf hingewiesen worden, daß die in der Be⸗
ründung des Entwurfes angenommenen 290 der Prämien-
innahme zur Dechung der Verwaltungskosten nicht ausreichen
verden.
Auch sonst sind die Berechnungen der Begründung nach
nancher Richtung hin fkalsch. Für die Vermögensverwal⸗
ung rechnet die Begründung mit einer Verzinfung desKapitals
»on 324 0, während die frühere Denkschrift und auch die
u gleicher Zeit jetzt dem Reichstag vorliegende Reichsversiche—
ungsordnung nur mit 306 rechnen. Es muß bezweifelt wer—⸗
den, daß eine 324 oige Verzinsung der Vermögensanlage
inter allen Umständen wird erreicht werden können. Zunächll
vird dem die Bestimmung im Wege stehen, daß 25 00 des Ver⸗
nögens in Reichs- und Staatsanleihen anzulegen find. Da
zie Verzinsung des in solchen Papieren angelegten Ver—
nögens in Anbetracht der zu erwartenden Kursverluste
zuh 0 kaum erreichen dürfte, muß für die reltlichen 78 0
nehr als 324 600 erzielt werden und zwar, wie die Begründung
elbst berechnet, zwischen 3,833 und 4,167 0. Eine solche
zinsrente glaubt die Begründung durch Anlage des Ver—
asösgens in Hypotheken erreichen zu können, indem sie auf
die Lebensversicherungsgesellschaften verweist, die im Jahre
1909 einen durchschnittlichen Zinsfußß von 4,191 690 erwirt⸗
chafteten. Ob aber die von Beamten geleitete Reichsversiche—
ungsanstalt die gleiche Rente erreichen kann, erscheint doch
in hohem Maße fraglich. Zwar stehen den Beamten die
krenamtlich mitwirkenden Angestellten bezw. Prinzipale als
zerater zur Seite, doch glaube ich kaum, daß die Wahlen
eser ehrenamtlich tätigen Angestellten und Prinzipale under
»em Gesichtspunkt erfolgen werden, ob der Betreffende aul
»em Hypothekenwesen besondere Sachkunde besitzt. Die Reichs⸗
»ersicherumgsanstalt wird sich erst neu in die Hypothekenanlage
»raxcis einarbeiten und dabei natürlich Lehrgeld zahlen müssen.
Ferner ist noch zu berücksichtigen, daß bis zu 28 90 des Ver—
nögens mit Zustimmung des Reichskanzlers in Unterneh—
nungen angelegt werden können, die den Privatbeamten zu—
zute kommen, also für gemeinnützige Zwecke, für Genefungs—
eime, Lungenheilstätten usw., und daß aus derartigen Kapital⸗
tnlagen eine Verzinsung von nur 2 bis 3 90 gezogen werden
ann. Es ist also mehr als fraglich, ob der für die Ver—
nögensverwaltung angenommene Zinsfutz von 315 660 in der
Braxis wirklich wird erreicht werden.
Auch in anderen Beziehungen sind die versicherungstech—
rischen Unterlagen in höchsftem Grade mangelhaft und an—
fechtbat. Ich muß es mir versagen, die insbesondere in
den Verhandlungen des Vereins für Versicherungswissenschaft
am 15. Februar d. J. nach dieser Richtung hin erfolgten und
aum zu widerlegenden Bemängelungen hier im einzelnen
uu wiederholen. Als Beispiel will ich mr erwähnen, daß zur
Berechmung der Invaliditätswahrscheinlichleit Zahlen benutzt
ind, die aus den in den Jahren 1868 bis 1884 erfolgten
Beobachtungen an dem Nichtfahrpersonal der deutschen Eisen⸗
zahnen gewonnen sind. Uebersehen oder verschwiegen ist hier—
»ei wieder, daß es sich bei dem Nichtfahrpersonal der deut—
chen Eisenbahnen um vor ihrer Anstellung ärztlich unter—
uchte und gesund befundene Versonen handelt, während sich
inter den Angestellten bekanntermahßen vielfach Personen be—⸗
inden, die ihrer schwächlichen Gesundheit wegen weder im
Beamtenstande, noch im Handwerkerstande, noch beim Militär
»der sonst haben ein Unterkommen finden können.
Sie sehen an diesen wenigen Beispielen, daß die rech—
nerischen Unterlagen des Entwurfs in so vielen Beziehungen
er Kritik nicht standhalten, daß damit auch alle auf sie
estüüzten Berechnungen und die daraus gezogenen Folgerungen
usammenfallen. Aber der 8178 des Entwurfes hat diese
Uöglichkert schon mit Bedacht vorausgesehen, er sagt: reicht
es nicht, so zahlt ihr entweder mehr, oder ihr bekommt
weniger. In der deutschen Privatversichering ist durch Schaf
ung des Kaiserlichen Aufsichtsamtes für Privatversicherung dafür
esorgt, daß leiftungsunfähige Institute nicht errichtet werden.
dier wird aber gesetzlich statuiert, was von der ganzen deut⸗
chen Privatversicheruna und deren Aufsichtsbehörde bekämpft
vird.
Zum Schluß möchte ich nicht unerwähnt lassen, daß die
18 gröhten deutschen Lebensversicherungs-Gesellschaften an den
Bundesat eine Eingabe gerichtet baben, in welcher sie dafür
intreten, daß an Stelle der geplanten Zwangsversicherung ge⸗
zesetzlich nur ein Versicherungszwang ausgesprochen werde, und
n welcher sie ferner das Anerbieten machen, sich zusammen⸗
uschliehen und gemeinschaftlich eine Angesielltenversicherung
inter wesentlich günstigeren Bedingungen, als der Entwurf sie
borsieht, ins Leben zu rufen, und zwar, was die Hauptsache
st. ohne die Aufnahme in die Versicherumg von einer äͤrzt⸗
ichen Untersuchung abhängig zu machen. Ob dieses Aner—
bieten im jetzigen Zeitpuntt noch irgend welche Aussicht hat
con der Reichsregierung ernstlich geprüft und erwogen zu wer⸗
den, bezweifle ich. Denn darüber darf man sich keinen Täuschun—
zen hingeben: das Schichssal des vorliegenden Entwurfs wird
nicht durch sachliche Erwägungen, sondern durch politische
Gründe bestimmt. Die Parteien des Reichstages wollen aus
dieser Vorlage ein politisches Geschäft machen, sie spelulieren
darauf, durch die Verabschiedung des Entwurses sich die Stim⸗
nen der Privatangestellten für die lommenden Reichstagswahlen
u sichern. Alles drängt dahin, dab der Entwurf noch durch
ven jetzigen Reidssag zum Gesetz erhoben wird, und die Re—
jierung will sich diesem allgemeinen Drängen nicht entgegen⸗
tellen. Die Absichten der Reichsstagsparteien hat mit brutaäler
Dffenheit der Reichstagsabgeordnete Dr. Potthoff gelegentlich
der vorhin erwähnten Verhandlungen des Vereins für Ver—⸗
icherungs wissenschaft zum Ausdrud gebracht; er sagte: „Zeigen
Sie bitte dem Reichstage oder der Regierung einen besseren
Weg, um die Wunsche der Privatbeamten in einigermaßen
veitgehendem Maße in besserer Weise jetzt binnen Jahresrist
rfüllen zu können, als auf dem grundsätzlichen Weg. den die
Denkschrift hier geht. Nicht wahr, so liegt doch die Sache?
Ddeyr Reichstag hat im äußersten nur noch 1 Jahr weniger
14 Tage Zeit. Der Reichstag soll noch die Reichsversicherungs⸗
sdnung und die Privatbeamtewersicherung machen. Wenn
er nicht verzichten will, muß er einen Weg haben, der sofort
zangbar ist. Das muß ich doch mit aller Entschiedenheit
agen: ich sehe momentan keinen anderen Weg, der in diesem
Reichsstag noch zu einem Ziel führen könnte.“
Es erscheint mir im höchsten Maße zweifelhaft, ob die An—⸗
zestellten sich bei den kdomnmenden Reichssstagswahlen in ihrer
Stellungnahme irgendwie dadurch werden beeinflussen lassen,
»b der Entwurf noch vorher Geletz wird oder nicht. Ich
Naube nicht, daß darum aus dem Kreise der Angefstellten auch
rur eine sozialdemokratische Stimme weniger abgegeben werden
wird. Bereits ein Größerer, Fürst Bismarck, hat sich bekannter⸗
maßen seinerzeit bei der Schaffung der Arbeiterversicherung
in diesem Punkt verrechnet: die Versicherten sind dadurch nicht
zufriedener, sondern unzufriedener geworden. Und auch von
em vorliegenden Entwurf fürchte ich, daß er durch die Ge—
ingfügigkeit seiner Leistungen im Verhältnis zur Höhe der von
hm geforderten Beiträge eher in weiten Kreisen lebhafte Un⸗
zufriedenheit hervorrufen wird.
Aber gesetzt den Fall, es gelänge, durch die schleunige Ver⸗
abschiedung dieser Vorlage die politische Stellungnahme der
Angestellten bei den nächsten Reichstagswahlen zu beeinflussen!
Ist das Kaltül der Reichstagsparteien richtig? Wir haben es
mit rund 2 Millionen Angeltellten zu tun, von denen nach
Abzug der weiblichen Angestellten ind der im nichtwahlberech
siigten Alter Stehenden rund 1 Million wahlberechtiete Ange—
ltellte übrig bleiben. Von dieser Zahl ist ferner ein erheb⸗
icher Abstrich zu machen mit Rüchsicht auf die recht beachtens—
verte Ziffer der erklärten Gegner der Sonderversicherung. Auf
zer anderen Seite stehen jedoch zund 1 Million Arbeitgeber,
deren politischer Einfluß zum mindesten gleich hoch bewertet
werden muß.
Aber wie die Verhältnisse einmal liegen, und nach den
Versprechungen, die so ungefähr von allen Parteien dem
dauptausschuß gemacht worden sind, kann man nicht erwarten,
»ie Mehrheit des Reichsstages noch umzustimmen. Die einzige
Hoffnung muß darauf gesetzt werden, daß die öffentliche Kritik
der Regierung das Gewissen schärft zur richtigen Erkenntnis
der für die Zukunft unserer Sozialpolitik geradezu ausschlag⸗
gebenden grundsätzlichen Bedeutung des Schrittes, den sie hier
zu tun im Begriff steht.
dermischtes.
C.K. Sinter den Kulissen von Monie Carlo. Von Opfern
der Spielhölle von Monte Carlo erfährt die Oeffentlichkeit
fast nie etwas, weil die Beamten des „Cercle des Etrangers“
pvon Monte Carlo die zuverläfsigsten Reporter und Preßagenten
der Welt sind. Wenn ein Spieler eine größere Summe ge—
winnt, so macht das sofort die Runde durch die Presse
aller Länder, wenn eine belannte oder berühmte Versönlich-
leit das Kasino betritt und einige hundert Francs davon
trägt, weiß das zwei Tage später die ganze Welt, die aber
nie etwas davon erfährt, wieviel Menschen als vermögende
Leute nach Monte Carlo kamen und als ruinierte Existenzen
ꝛie Riviera verliehßen. Als kürzlich der amerikanische Stahl—
sönig Charles Schwab einen Tisch der Bank serengte, gingen
noch am selben Abend die Telegramme nach allen Weltrich—
ungen ab. Sie erzielten eine prompte Antwort: denn am
iächsten Tage erhielt der Milliardär, der in einer Laune
0 000 Frs. ristiert hatte und das Dreifache gewann, aus
einem Heimatlande mehr als 60 Kabeldepeschen, in denen
Bekannte und gute Freunde ihn beschworen, seinen Nuf nicht
uu gefährden; das Vertrauen der Ge'schäftswelt zu ihm könne
rschüttert werden, er möge nie mehr an den Spieltisch
zehen. In Amerika machte die Nachricht von der „Spiel—
eidenschaft“ des Stahlksnigs solches Aufsehen, daß die
Aktionäre des Trult daran dachten, ihn abzusetzen. Schwab
»ehauptet, dah man die Bank jederzeit sprengen könne, wenn
nan mehr Geld bei sich habe, als das Kapital des einzelnen
Spieltisches betrage. Bekanntlich eröffnet jeder Crouvier an
jedem Tische das Spiel mit einem Kapital von 100 000 Frs.
ind es ist der Ehrgeiz jedes Spielers, wenigstens
inmal die Bank gesprengt und einen Tisch für den Rest der
Nacht außer Tätigkeit gesetzt zu haben. Der Stahlkönig hatte
mn dem Tage, da er ins Kasino ging, 142 000 Franks ge—
vonnen, aber sein Glück verblaßzt neben dem des britischen
Artilleriehauptmanns Bower. Er soll in einer Saison fünf
Millionen Franls gewonnen haben. Der Captain hatte sich
nit fünf Freunden zusammeugetan, die alle am selben
Tisch Platz nahmen und auf genau dieselbe Weise spielten. Keiner
etzte je mehr als 1000 Frs., aber wenn sie gewonnen hatten,
ießen sie die Summe stehen, bis das Maximum erreicht war.
Die Teilnehmer nannten das ihr „System“; jedenfalls waren
sie vom Glüd begünstigt und haben einmal an einem Tage
echsmal die Bank gesprengt und sechs Spieltische
ußer Gesfecht gesetzt. Natürlich wurden auch
Bowers Gewinne sofort als Reklame für das Kasino bekannt
zemacht, und bald war der britische Hauptmann der Empfänger
Jahlloser Bettelbriefe. Zuletzt mußte er sich in Monte Carlo
eine Sekretärin engagieren. Aber sjosche Glücksfälle sind natürlich
ganz seltene Ausnahmen, und die Behauptungen, daß auf ein
gewomenes Vermögen in Monte Carlo zwanzigmal soviel rui—
nierte Exiltenaen entfallen. *2 n'st zu widerlegen.
Lustige Ecke.
Aus den Fliegenden Blättern. Geistes—
gegenwart. „Ja, meine Herren, kaltblütig muaß der
Mensch sei““, renommierte der Förster Gamsbichler am Slamm—
tisch. KKomm' i“ da amal in a“ Mordswetter 'nei', mitten
m Holz draußen. I hab' mir g'rad' a' Pfeif'n Tabak
ystopft, mirk aber, daß i koa Feuer hab'. Halt, hab' i mir
denlt, hängst d' Pfeif'n an a' alloastehende Ficht'n hit. J—
geh' a“ paar Schritt z'ruck und hod' mi' am Boden hi'.
I hab' no' net bis sechse 'zählt, auf amal tuat's an Krach
— der Blitz hat in 'n Baam ei'g'schlag'“ — und wia i'
„islimm. hat d' Pfeif'n scho' brennt aaꝛ. — Wenn Sie's
iet glaub'n, meine Herren — 'n sen Baam kann i' Eahna
heut' no' zeig'n.“ — Nicht so schlimm. „.... Du
wirft doch den Bader, der dich den größten Gauner im Ort
geschimpft hat, verllagen?“ — „Is net so arg — unfer Ort
hat ija bloh zweibundert Einwohner!“