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Morgen⸗Blatt Rr. 20.
Beilagen: Vaterstädtische Blätter. — Der Familienfreund.
X 2*Ê
Eroße Ausgabe) *
Donnerstag, den 12. Januar 1994.
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vVoraussetzungslose Wissenschaft und die
Sozialdemokratie.
Zu dieseni Thema hat lürzlich ein Sozialdemokrat selbst
meden Sozialistischen Monatsheften das Wort
rgriffen. Es ist dies der „Genosse“ Maurenbrecher, den
nan allerdings nicht zu den radikalen Anhängern der marxisti—
chen Richtung rechnen darf, sondern der vielmehr in dem repisio—
uistischen Fahrwasser segelt. Ter Gedankengang seiner Aus—
Akrungen ist etwa folgender: Der Glaube an das übermensch-⸗
che Elwas, das die Marxisten in der Hegelschen Schule „Ent—
bidlung“, „Bewegungsgesetz der Geschichte“, oder ähnlich nann—
en, ist gewissermahen ein Stück Religion der Sozialdemokratie.
der echte radikale Marxist hat zur „Entwichlung“ das abgrund⸗
jefe Vertrauen, daß sie mit Naturnotwendigkeit zur sozia—
istischen Gesellschaftsordnung führe. Dies hat die Miassen
on Anfang an fahßziniert, und macht den Massen den Marxis—
nus auch heute noch wertvoll. Gerade der metaphysische Satz
iber diesen eben charakterisierten Sinn des Weltgeschehens ist
uch für die älteren Sozialisten der letzte Grund ihrer Agitation
ewesen. Sie ist auch die tiefste Ursache dafür, daß die Arbeiter—
ewegung ein so stolzes Bewusßtsein ihrer weltgeschichtlichen
Mission hat entfallen können. Alle jene Stimmungen, die in
Festreden. Weihnachtsartikeln und Liedern zum Ausdrud lom—
nen, und die darauf hinauslaufen, daß die Arbeiterbewegung
ie Erlösung der Welt bedeute, haben in jenem Erbstück aus der
Netaphysik Hegels ihren Ursprung.“ „Das Erbjtück selbjt ceber
u beweisen und kritisch sicher zu stellen,“ schreibt Mauren—
recher wörtlich, „dazu hat innerhalb der sozialistischen Thevrie,
oweit ich weiß, überhaupt niemand wieder einen
Zersuch gemacht; es gilt vielmehr als feststehende Wahr⸗
seit, dak der Sinn der Weltbewegungl die Entwicklung des
ßeistes von der Natur zur Freiheit sei. Das wurde einfach über—
sommen und zur Grundlage gemacht für die großhze Begeiste—
ung, die namentlich die erste Periode der Arbeiterbewegung
rug. Jedoch ist es niemals vom sozialistischen Standpunkt aus
elbständig untersucht und von neuem bewiesen worden.“
Maurenbrecher legt sodann des weiteren dar, aus welchen
ßründen diese Formel heute unannehmbar ist und keinen An—
pruch auf objektive und allgemeine Gültigkeit habe. Es sei
icht möglich, üuber Sinn und Ziel der Weltbewegung positiv
ein zutreffendes Urteil zu fällen, weil wir selbst ein Stüdk dieser
Zevregung wären, und weder ihren Anfang noch ihr Ziel noch
en inneren Zusammenhang unter ihren Einzelheiten kennten.
Die Sozialisten müßten aber um der Selbstach—
tung willen voraussetzen, daß der Sieg der Ar—
beiterbewegung im allgemeinen Ziel der Welt—
benegungenthaltensei. „Das ist“, sagt Maurenbrecher
vörtlich, „ein Glaube, ein Wille, und nicht ein wissenschaft⸗
icher Gedanke.“ Somit bleibt von dem Hauptstück des
marxistischen Katechismus auch für den „Genossen“ Mau—
7c*
ernander gehalten — getrost Ihrer Beurteilung anzuvertrauen.
Ich darf die Hoffnung aussprechen, daß alle, die mich und
mein Wirken seit 33 Jahren kennen, es begreiflich finden
werden, wenn ich es vorläufig unterlasse, mich mit einer Sache
zffentlich abzugeben, die mich — und nicht nur mich — nur
aufs tiefste anwidert.“
Zur Stadttheater⸗Krisis in Hamburg. Als neue Bewerber
um das Direktorat des Stadttheaters nennt die Neue Hbg.
Z3tg. den Geh. Hofrat M. Richards, Direktor des Stadt⸗
heaters in Halle, Direktor Coh wmann vom Magdeburger
Stadttheater, Oberregisseur Hans Löwenfeld vom Leip—
iger Stadttheater. Die zwei letzten haben zur Hamburger
Bühne frühere Beziehungen. Alle drei Genannten haben durch
ersönliche Anwesenheit in Hamburg die Ernitbaftigkeit ihrer
Bewerbungen bekräftigt.
Kuümstlernachr ichten. Das Befinden Friedrich
daases ist so günstig, daß der Künstler in den nächsten
Tagen aus der Klinik entlassen werden dürfte. — Agnes
Sorma hat ihr im Neuen Schauspielhaus in Berlin beab⸗
ichtigtes Gastspiel wegen Differenzen mit Direktor Halm auf—
segeben. Barnowsky, der Direktor des Kleinen Theaters
n wWierlin, steht in Unterhandlung wegen Uebernahme des
sdeuen Theaters in Berlin. — Kammersänger Rudolf
Moest vom Boftheater in Hannover hat in einem zweiten
Immediatgesuch den Kaiser nochmals um Entlassung aus dem
Berbande des dortigen Hoftheaters mit Ende dieser Spielzeit
ebeten.
Der Archüologe Geh. Hofrat Dr. Fr. v. Duhn ist zum
Prorettor der Heidelberger Universität für 1911/12 gewählt
worden.
Für den Neubau des kal. Opernhaufes in Berlin werden
m preuß. Etat 581025 Mefür weitere Vorarbeiten und Grund—
erwerbs kosten angefordert.
558 Bei dem Walzerwettbrwerb der, Woche“ erhielt Kapell⸗
meister Siegfried Elsner, Breslau, den 1.. Fri. Fay
Foster, Wien, den 2. und Tonkünstler Philipp Gretscher,
Stettin, den 3. Preis. Eingegangen waren 4200 Kompo⸗
itionen, nach der Vorprüfung kblieben immer noch 8970 übrig,
davon wurden 65 als den Durchschnitt überragend, ausgefiebt
18 kamen von dielen zur nnoeren Wohl
Erstes Blatt. hierzu 2. u. 3. Blatt. —
dUtaRνRMνRνOαοααòXααXααοααæ ααææ XαÄÄααXäÄäà
Amfans der heutigen Nummer 10 Seiten.
— — — — —— — — — —
Nichtamtlicher e.
1870/ 71 in franzoöͤsischem Lichte.
Lübech 12. Januar.
Emile Olivier setzt in dem neuesten Heft der Reyue doe
ieux mondes seine Studien über den deutsch⸗franzoösischen Krieg
ort. Die angenehm⸗ruhige Art, mit der der Verfasser gine
et otudio die historischen Tatsachen jener Jahre revidiert
ind teils aus seinen wertvollen persönlichen Erinnerungen,
eils aus nicht minder interessanten und aufklärenden Mit⸗
eilungen ergänzt, machen seine Aufsätze zu einer lesenswerten
dektüre. Besonders anziehend sind in dieser letzten Arbeit
die Entdeckungen, die er über den Anfang des Krieges ge⸗
macht zu haben glaubt, über jene denkwürdigen Tage vom
28. Juli bis zum 6. August, in denen — und das wird jetzt
von Olivier bestätigt — der ganze Feldzug entschieden wurde.
Die beliebte Anklage von Freund und Feind, Napoleon
zätte den Krieg in unverantwortlicher Weise übereilt, obwohl
zrankreich um diese Zeit gar nicht in Kriegsbereitschaft ge⸗
wesen wäre, so daß der Mangel an Truppen und Ausrustung
ie Erklärung für die unerwartete Niederlage bilde, sucht
ZDlivier zu berichtigen und kommt zu einem etwas? sonder⸗
zaren Ergebnis, dessen Bestätigung noch abzuwarten bleibt.
Er erzählt, Napoleon habe mit ihm über die politische Lage
zesprochen und dabei gesagt: „Nicht, wer den Krieg erklärt,
erschuldet ihn, sondern der, der einen anderen dazu zwingt.
Wir taten alles, was wir konnten, um ihn zu verhindern,
ind ich kann sagen, das Volk allein hat uns unsere Ent⸗
hlüsse diktiert“ In diesen Worten und in der ganzen
blgenden Schilderung erscheint der Kaiser geradezu als ein
Werkzeug in der Hand des Volkes und der Generale. Eine
rübe melancholische Abschiedsstimmung und drückende Ahnungen
erfüllten ihn, als er am 28. Juli nach Metz abreiste, während
e peuple de Paris sich in eine wilde Siegestrunkenheit hinein⸗
chrie. Einen grandiosen Durchzug durch seine Hauptstadt lehnte
stapoleon unter allerlei Ausflüchten ab; Olivier will den
vahren Grund wissen: der Kaiser wäre wegen starker körper⸗
icher Indisposition dazu außerstande gewesen. Sein Arzt
Jabe geäußert: Il a la pierre. Mit fürchterlichen Schmerzen
rrach er von Paris auf. „Er schien aus seiner Residenz zu
liehen, als ob ihn eine Katastrophe getroffen hätte.“ Auf
er Reise wird er umjubelt von dem begeisterungstollen Volke,
und er, der sonst immer so empfänglich war für solche
zuldigung, fährt müde und stumpf, sehnsüchtig nach Ruhe.
dahin. „Es ist ein schönes Ding um die Begeisterung“, sagte
er zu einem General, „aber manchmal wirkt sie ungemein
ächerlich“ Endlich kommt er abends um die zwölfte Stunde
1 Metz an. Und nun beginnt die verhängnisvolle Woche.
der ohnmachtgleiche Zustand des Kaisers, der ihn zu keiner
cat kommen läßt, teilt sich der Armee mit und lähmt die
zpannkraft. Man weiß, wie gefährlich damals die Lage
ar Deutschland war, das seine Mobilisierung noch nicht be—
adigt hatte, während Frankreich schon mit fast allen dispo—⸗
iblen Truppen hart an der Grenze stand. Ein rascher Einfall
Deutschland und die Franzosen hätten einen gewaltigen
zorsprung gehabt. Mit Statistik und schwerwiegenden Zeug—
ssen sucht Olivier darzutun, daß die Truppen bis aufs
leinste ausgerüstet gewesen seien und der erklärliche Still⸗
and des Heeres einzig die Schuld dafür sei. „In Deutschland
ellt man solche Leute vor ein Kriegsgericht.“ Der ständige
gJechsel der Entschlüsse im Hauptquartier mit seinen fort⸗
Ȋhrenden Befehlen und Gegenbefehlen ruft eine Spannung
ervor, der nie die Auslösung folgte, und bringt eine Nervosität,
ie schließlich in völlige Apathie übergeht. Die Offiziere
issen ihre Frauen kommen, worauf Prinz Napoleon in lako—
ischer Kürze in sein Notizbuch schreibt: „Zuviel Weiber“.
die Korruption aller strategischen Erwartungszustände reißt
n; „das sans⸗gene erreichte einen unerhörten Grad“, be—
chtet Olivier. So verfließen die entscheidenden Tage in
hlimmster Tatenlosigkeit. Die Armee wird durch die latente
rregung mehr aufgerieben, als durch eine Entscheidungsschlacht,
nd leidet an starken seelischen Depressionen. Auch die
Nanßverlomödie von Saarbrücken bringt keine Wandlung,
dapoleon muß sogar mitten im Kampfe das Feld verlassen,
ine Schmerzen sind entsetzlich. (Horriblement“ ist sein
gener Ausdruch) Mit dvem Tage von Saarbrücden schwand
ie letzte Gelegenheit, die undorberéeitete Lage der deutschen
renzländer erfolgreich auszunutzen. Die Rüstungen Deutschlands
aren beendet, die Niederlagen der französischen Defensive
äuften sich in schneller Folge. Olivier zieht die Summe
iner Untersuchungen und meint mit beißender Ironie: „Wie
ber konnte eine Armee, wie die unsere, vom Feinde ver—
ichtet werden, nachdem ihre eigenen Führer sie vorher schon
erraten hatten?“ Den Urauell alles Unheils sieht er aber
n dem kranken apathischen Zustande des Kaisers.
Es widerstrebt dem historischen Gefühl, so grotze Wirkungen
us so kleinen Ursachen entstehen zu sehen. Man wird auch
ier einen mittleren Weg einschlagen müssen, der die ver—⸗
chiedenen Pfade in sich vereinigt und Oliviers Hypothese
venigstens als einen Beitrag zur Erklärung des gewaltigen
Zusammenbruchs ansprechen dürfen.
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der Kieler Cheaterkrieg.
In Kiel hat der Bürgervereins-Ausschuß die
dadtischen Kollegien gebeten, die jetzt eingebrachte Theater—
worlage abzulehnen und die Gegenvorlage des Bürger—
neissers Lindemann anzunehmen. Ter Ausschuß legt seine Stel⸗
ung zur Theater⸗Neuorganisation in folgendem fest: Da das
zroße und immer anschwellende Defizit der städtischen Theater
»ie Mittel der Stadt über ihre Kraft in Anspruch nimmt, so
wäre es gefährliche Schwärmerei und nicht mehr rühmlicher
»dedlismus, die Kunst weiter auf Kosten gesunder Finanz-⸗
erhällnisse zu fördern. Aber auch gegen den unfruchtbaren
Dilettantismus der Theaterkommission will er den
ztandpunkt der Kunst wahren.
Der Ausschuß geht dann näher auf die bisherige wenig
segensreiche Tätigkeit der Theaterkommission ein. Folgende
Punkte seien hervorgehoben: Zunächst wurde ein reines Pacht⸗
verhältnis abgeschlossen, nach einer Sailon schon wurde zu
inem gemischten Verfahren übergegangen — die Stadt über—
nahm das bisherige Defizit — und nach einer weiteren Spiel.
eit zur vollen städtischen Regie. Die Pacht des Kleinen
Theaters wurde trotz steigender Tpfer fur dine peimiäre Roi-
wendigkeit erklärt. Jetzt sucht man es weiter du verpachten.
gZZut Verbesserung der Theaterfinanzen wurden Gastsprele
n NReumünster eingeführt, man will sie wieder hufgeben.
Ddie Leitung der städtischen Theater wurde zwei Direktoren
bertragen, nach zwei Jahren mußte der Verteag gelost wyer ·
»en. Man hat im Kleinen Theater bei Uebernahme von Sturn
mus dem großen und bei späteren Aufführungen überhaupt
die Preise herabgesetzt und damit sehr schlechte Erfahrungen
zemacht. Die Theaterkommission veranschlagte ursprünglich einen
ährlichen Weberscchuß von 90 000 M. Die Kosten des Fundus
veranschlagte sie auf 125 000 M, tatsächlich betragen sie
400 ooo M. Trotzdem im letzten Jahr der städtische Zuschuß
und eine Viertelmillion ausmachte, wird sich im laufenden
Betriebsjahr das Defizit noch weiter steigern.
Daher bekämpft der Bürgervereins-Ausschuß die Theater-
onmission, da sie jeden künstlerisch selbständigen Direktor nur
deengt und die Leitung dilettantischen Einflüssen ausliefert.
Was soll nun geschehen? Der Bürgervereins-Ausschuß
nimscht: die Ausschreibung der Verpachtung beider städtiichen
Theater mit fester Begrenzung des städtischen Zuschusses, auch
achtweise Ueberlassung des Stadt-Theaters und des Fundus,
leberweisung der kaiserlichen Subvention von 15000 Mund
ne weitere städtische Subvention durch Deckung des Defizits
is zu 50 000 M, unter Festsetz ing der Gewähr eines auf
instlerischer Höhe stehenden Theaterbetriebes.
Der Bürgervereins⸗Ausschutß beschäftigt sich dann noch mit
em Musikverein und widerlegt die Befürchtung, daß
ie gedeihliche Zukunst des Orchesters von der Beibehaltung
er städtischen Regie abhänge. Der Befürchtung, es werde
ich unter den angegebenen Bedingungen kein künstlerisch ernst
u nehmender und kinanziell sicherer Pachtbewerber finden,
ritt der Ausschuß mit der Anzabe entgegen, daß sich vor
ier Jahren unter weit ungünstigeren Bedingungen nicht weniqer
ils 90 Bewerber gesunden hätten.
Der Ausschuß rät daher dringend, dem bisherigen Direktor
IAtto ein lHares Pachtverhältnis anzubieten, oder, wenn er
richt will, unter den anderen Bewerbern den geeignettten zu
vählen. Je eher das geschehe, delto besser sei es.
Kunst und Wissenschaft.
Das Befinden von Wilhelmine Seebach, die Dienstag
nach · dem Mommsen. Sanatorium überführt worden ist, war
Dienstag abend zufriedenstellend. Eine unmittelbare Gefahr
ur das Leben der Patientin besteht nicht. Die Kaiserin
jat der Kranken mit dem Wunsche fur eine baldige Genesung
inen Blumenstrauß überreichen lassen. Ihr Testament
jat die Künstlerin dem Generalintendanten Graf Sülsen⸗Häseler
bergeben.
Hoflapellmeister Riedel erlaäßt in den Braunschweiger
Neuesten Nachrichten die nachstehende Erklärung: „Ich wende
nich an alle, die mich kennen und deren Teilnahme mich zu
öchstem Dank verpflichtet, insbesondere an die Einwohner—
chaft Braunschweigs. Seit 33 Jahren bin ich hier
Ind bin dadurch, wie ich glaube sagen zu dürfen, einer der
zhrigen geworden. In dieser ganzen Zeit habe ich in einer
ffentlicher Beurteilung besonders ausgesetzten Position nur
neiner Pflicht gelebt, die ich nach meinem Gewissen nie ver⸗
etzt habe. Dieses gibt mir das Recht, meine Sache — die mir
oraeworfenen Daͤnge und meine gesamte Versönlichkeit gegen.