Deutscher Reichstag.
GAusfahrlicher Bericht.)
102. Plenarsitzung.
Berlin, den 10. Jannar.
Am Bundesratstisch: Delbrück, Wermuth.
Präsident Graf v. Schwerin⸗Läwinz ecröffnet die Sitzung
Uhr 20 Min-mit solgender Ansprache M. H., ich gestatte mir zu⸗
ächst Ihnen Allen meine besten Wünsche zum neuen Jahre auszu⸗
prechen. (Beifali) Taun aber habe ich leider dreier überaus
chmerzlicher Berust e, au gedenken, die uns während der Weih—
iachtsferien betroffen haben. Zunächst ist in der Nacht vom 283 zum
. Dezember unfen allvberehrter langiähriger Hexrr Präsident, Seine
Fraellen⸗ Graf Baltlest gzem, verstorben. Der Verstorbene ge⸗
sörte zwar nicht mehr dem Reichstage an, aber bei den außerordent⸗
sch aroßen Verdiensten, welche er sich während seiner langiährigen
lnitsfuͤhrung um die Fübrung unserer Geschäfte erworben hat und
»ei der allaemeinen, Beliebtheit, deren er sich erfreute, auf Grund
ner Ünparteilichkeit und einer oft mit dem köstlichsten Humor ge⸗
aarten unveraleichlichen Vebenswürdigkeit, habe ich mir gestattet,
er Witwe des Verstorbenen sofort nach Bekanntwerden der Todes-
rachricht die Anteilnahme des Reichstages telegraphisch auszu—
»rüden. (Beifall.) Ferner hat. da ich leider durch Erkältung ver—
indert war, an der Beisetzung perlönlich teilzunehmen, der zweite
derr Birepräfident im Ramen des Reichstages an der Bahre unle⸗
28 unbergeßlichen Präfidenten einen schönen Kranz niedergelegt.
— Dezemn⸗
ʒer 1016 verstorbenen Herrn Abg Hirschberg, gewählt für den
Wabltreis des Regierungsbezirks Königsbera, dem Reichstag an⸗
Jehörig seit 18908: und endlich des gm 1, Januar d.IJ. ebenfalls, in
iner Heimal verstorbenen Herrn Abg. Schmid-JImmen stadt,
ewählt für den ß. Wabhlkreis von Schwaben. Mitglied des Reichs⸗
ags feit 18883. Sie baben sich zum Gedächtnis der Verstorbenen von
Ihren Pläten erhoben, was ich hiermit konstatiere.
Zur Berlesung gelangt zunächst die Interpellation de,r
o rihrtere en volrrs parten (Rbag, Dr. Ablaß u. Gen:
Ai der Herr Reichskanzler bereit. angesichts der schweren Miß-
tände. die sich aus der Besteueruna von Zündw,aren für
e beleilate Industrie und Arbeiterschaft wie für die Verbraucher
Feben haben, die Aufshebuna des Zündwarzniteuer-
es vbom 18. Iuli1900 schleunnast in die Wege zu leiten 2*
Staͤatssekretär Wermuth erklärt sich zur sofortigen Beant⸗
vortung der Interpellation bereit.
Zur Begrundung der, Interpellation sagt
Vde. Fadeersortschre Vpt): Ich werde mich trotz des
erklärlichen Linreizes nicht verleiten lassen, eine AllIgemeine
nanzposlitifsche Rede zu halsen. (Bravo!) Es miß
chleuniost etwas dheschehen, den entstandenen Schaden, wenn
Berhaupt noch moͤglich, wieder gutzumachen, der durch diese
Steuer, als deren Vater der Abg. Dr. Roesicke anzusehen ist,
nstcaben ist. Dr. Roeficke meinte, das Volk schreie nach einer
olchen Besteuerung. Jetzt schreit man allerdings in allen Schichten
er Bevoͤlkerung. Die Zündholzarbeiter schreien, weil sie arbeits⸗
werden, die Unlernebmer, weil sie keinen Absatz haben und
Aie Konfumenten, weil sie diese Artikel nicht mehr bezahlen
ineee Die Unlernehmer verlangen eine hohe Besteuerung der
zůndholzerfatzmittel, Aufhebung der Zündholzsteuer oder Ein⸗
n un des Staatsmonopols. Das, ist ein Rotschreit, der an
offnimgslosigkeit grenzt. Der Konsum ist infolge der vielfach
deiciebeen Sparsamfeit und der Verwendung der Ersatzmittel
erart gering geworden, daß dauernd mit einem Konsumrückgang
on 45 Prozent gerechnet werden muß. Dazu kommt, daß die
Broduktion sich durch die gesundheitspolizeilichen Vorschriften
rheblich verteuert hat. Die Entwicklung geht dahin, daß nur
einige große Betriebe weiter produzieren koͤnnen, die dann dem
Lolke die Kreife diktieren. Hier wäre eine prattische Mittelstands⸗
‚olitik zu treiben. Die Zündholzsteuer ist die odiöseste Steuer
hanen Steuerreform, denn das Zümdholz ist in der ärmsten
tte weniger emtbehrlich als im Palast. (Sehr richtigl) Wir
erlangen daher Aufhebung dieser Steuer. Ein Ersatz für den
Steunerausfall wäre durch die Erbschaftssteuer, die heute schon
sehr Anbanger finden, würde, zu schaffen oder durch Sexab⸗
ebung der Branntweinliebesgabe. Eine felbstverständliche Kon⸗
equenz der Zündholzsteuer sollte die Besteuerung der Ersatzmittel
ein. Fort mit dieser ungerechten, unfozialen Steuer! (Bravo!)
Staatssekretär Wermuth: Die Zundiwarensteuer ist vor wen
rachten bereits mehcfach Gegenstand der Erörterung gewesen, so
ruch in der Zuwachssteuer⸗Kommission, wo ein Anirag auf Anf⸗
xebuͤng gegen wenige Stimmen abgelehnt wurde. Soll die heutige
heratüng zu einem praktisschen Ergebnis führen, so wird
eses ein anderes sein müssen, als die Interpellation
gsich vorfteilt denn diese wird dem wirklichen Sachverhalt inner⸗
salb der Zündwaden-Industrie nicht gerecht, sie richtet Angriffe gegen
e Sieuer, läßt aber unbetücksichtigt, daß die gegenwärtigen
zchwierigteiten auf einem ganz anderen Gebiete liegen, nämlich
mier dem Zeichen der Auflssung des Zundholz⸗ Syndikats. Die se
luflosung hat eine wesentliche ee der Preise zur Ursache
ind zur Folge. Vom Standpunkt des Konsumenten aus wüůrde
ieses Sinten nicht gleich betlagenswert erscheinen, dagegen ver—
nögen die Industriellen fich damit nicht abzufinden und
rfangen gesetzgeberische Abhilfe-Maßnahmen. Der Interpellant
cheint mir auch gegenüber der gedruckten Interpelat u eine kleine
Planveränderung vorgenommen zu haben, Indem er die Aufhehung
er Fůndwarensteuer nur als ein Abhilfsmittel neben anderen Maß⸗
egeln hinstellle. Er hat dann allerdings geschlossen mit einem ener⸗
Appell für die Aufhebung der Steuer. Dem gegenüber sobe
ch meinerseits darzulegen, aus we doygy Gründen der
eichstanzler die Aufhebungen cht wird verante
Ioͤrken wollen. Das Für und Wider der 1909 ins Feld ge⸗
uührten Gründe nochmals abzuwägen, ist heute nicht meine Aufgabe,
ch würde daher gewissermaßen keine vierte Lesung (lebh. Zuruf
sints: Dritte! Es hat ja keine erste Lesung gegeben!) jedes ein⸗
lnen Finanzreform Gesehes herbeiführen. Auch der Jñterpellant
at erklaͤrt, dies nicht kun zu wollen, er hat dann aber doch einge
räftige Schlaglichter auf, die Entstehung und Begründung der
Sieuer geworfen. Auch für diejenigen dissentierenden Parteien,
—————— nie in den Gesamtrahmen der Finanzreform
aßle, wird folgende Erwägung w ohne Bedeutung sein:; So—
velt unsere Gesetze sich auf dirtischaftlichem Boden bewegen, stehen sie
inter dem — Interessen, und
dieser Meinungs⸗ und Interessengegensatz macht sich nicht
nur beim Entstehen eines Gesetzes end sondern zieht auch noch
beitere Kreise aber die Stetloteit, unserer Gesese
zebungsarbeit und unseres Wirtschaftslebens
isnt gebieterisch, daß zwischen der Zeit vor und der Zeit nach
»em Zustandel ommen eines Gesetzes ein Unterschied gemacht wird.
Die Tatsache, daß vaere zu Stande gekommen ist, dinn gleich⸗
eitig die Forderung in sich, daß nunmehr praktisch erprobt werden
nuß, ob die Voraussehungen zutreffen, auf denen es beruht. Man
ann ein Gesehß nicht oͤhne weiteres mit der Wurzel ausreißen, ehe
8 fest Wurzel geschlagen hat. Jedem gae muß eine
Schönzeit,gegében werden, in der es sich ein⸗ und aus⸗
eben kann. Es würde in an Grade gefährlich sein, wenn man
ereits im Anfang die Wirk amkeit eines Gesetzes uin deswillen
tören wollte, weil der Meinungs⸗ und Inleressengegensatz fortdauert.
Es wäre auch gar nicht einmal im Interesse der betreffenden Er⸗
verbszweige gelegen, wenn man sie in ihren Vorausberechnungen,
nittels deren sie sich dem Gesetz — suchen, fortdauernd
tören wollte, namentlich nicht, wenn man in ihnen Hoffnungen er⸗
veckte, die sich nicht verwirklichen lassen. Man kann auch nicht die
Bedeutung eines Vnhe der Vollsvertretung nur dann aner—
ennen, wenn der Beschlu der eigenen Meinung entspricht. Auch
ie Verbündeten Regierungen haben die besondere Aufgabe, sich dafür
inzusetzen, daß nicht Gesetze, die eine im einzelnen 23 aus⸗
earbeltete Durchführung erheischen und einen großen Apparat in
hewegung setzen, um deswillen täglich hin⸗ und herhbewegt werden,
veil sie Gegenstand prinzipieller Meilnungsverschiedenheiten sind.
risn dies zu im allgemeinen für Gesetze wirtschaftlicher Art, so gil⸗
8 in — besonderem Maße für Steuergeseße
Jedes Steuergesetz enthält einen Eingriff in Rechts— und Inter—
ssensphären, der vermieden werden würde, wenn nicht das Inieresse
er Allgemeinheit höher stände. Sind derartige Eingriffe an sich
merwünscht, weil sie notwendigerweise immer Nachteile mit ich
zringen, so wäre es dergeu verhängnisvoll, wenn man mit ihnen
1perimentieren wollte. Erst ein Sieuerobjelt anfassen, dann, wäh—
end es sich noch der Steuer anzubequemen sucht, es wieder los⸗
e umd auf, ein anderes greifen, wäre so Ziem⸗
ich das unglücklichste, was der Sieuergesetzgeber tun könnte.
Dder Vorteil unserer gegenwärtigen Finanzlage beruht ja a4weifel⸗
'os darin, daß wir die Aufwendungen und die zu ihrer Befriedi—
zung ersorderlichen Mittel einigermaßen genau übersehen können.
NRit der Aufhebung der Steuer allein ist es
„och nischt getanzes muß Ersatz geschaffen wer—
»en. Das hat der Vorredner ganz richtig anerkannt; aber es
jenügt doch nicht, daß eine einzelne Vartei erklärt, auf welchem
—K
ute Recht jeder Partei, bei jeder sich darbietenden Gelegenheit
iie Grundsätze zu erörtern, nach denen sie Steuern zu bewilligen
ereit sein würde. Aber hier handelt es sich um einen ganz be—
timmten, bei der Stenerkasse eingehenden Betrag, und hier ist es
as Recht der Reichsfinanzverwaltung, Sicherheit dafür zu ver—
ingen, daß dieser Betrag ihr auch wieder zufließt. Diese Sicher—
rit hat mir — der Interpellant wolle es mir nicht verübeln —
eine Darlegung nicht gegeben. (Sehr richtig! rechts und im
zentrum.) Wir wissen aus der Etatsverhandlung, daß wir jeder
dühewaltung bedürfen, um den Etat jetzt und in den kommenden
ahren in Gleichgewicht zu halten. Entbehren können wir dabei
inen auf der Kreditseite stehenden Posten. Von der Zünd-
olzsteuer nun darf ich behaupten, daß sie sich genau in-⸗
nitten des Uebergangszustandes befindet, dessen
lusgang nach allen Regeln der Gesetzgebungskunst erst ab⸗
ewartet werden muß. Dieser Prozeß würde sich vielleicht
eichter vollziehen, wenn der Steuer nicht ein ganz ungewöhnliches
Naß von Leidenschaftlichkeit und Verstimmung entgegengebracht
ↄäre. Die Aeußerungen in meiner ersten Etatsrede hat der
interpellant doch etwas mißverstanden. Die Verstimmung ist
um größten Teil darauf zurückzuführen, daß hier das der Ällge⸗
neinheit zu bringende Opfer sedem einzelnen deutschen Reichs⸗
ngehörigen in vollster Unmittelbarkeit vor Augen geführt wurde,
iehr als bei irgend einer anderen Steuer. Daher der ebenso
achdrückliche Widerhall im Volk. Kann diese Stimmung wohl
ie bessere Charakterisierung erfahren, als sie sich durch die Be—
haffung von Ersatzmitteln und durch die starke Vorversorgung
elbst gegeben hat? (Zustimmung.) Ein mir vorliegender amt⸗
cher Bericht aus neuester Zeit bestätigt dies in vollem Maße; er
agt, es bereite dem Publikum eine Freude, wenn es die Zünd—
arensteuer mit Hilfe utomatischer Ersatzmittel um—
ehen kann. Das geschieht denn auch vielfach mit dem vollen Be⸗—
»ußtsein, daß man sich dadurch ein erheblich größeres
pfer auferlegt, als durch den Gebrauch der mit Steuern be—
steten Zündhölzer. Aehnlich war es auch mit der Vorversor—⸗
ung, Anch sie ist vielfach von den Kreisen ausgegangen, die
onst eine Pfennigrechnung nicht nötig zu haben vermeinen, und
ie sich für gute und wohltätige Zwecke freiwilllg weit größere
pfer auferlegen. Aber hier war es zu verführerisch, dem Fiskus
nmal zu zeigen, daß man ihm zuvorzukommen wisse. Dabei
nd auch unsere Hausfrauen nicht ganz unbeteiligt, deren
esonderer Stolz es bekanntlich ist, keine Gelegenheit zu billigen
inkäufen sich entgehen zu lassen. (Heiterkeit. Man öat bei der
zündwarensteuer auch nicht beachtet, daß sie ein Bestandteil unse⸗
er Reichssteuergesetzgebung geworden ist. und somit anch dazu
ient, den großen Aufgaben des Reiches gerecht zu werden. Eine
ast, wie sie in anderen Ländern seit langem getragen wird. In
rrankreich besteht die Zündholzsteuer seit 1871 und erfordert
uf den Kopf der Bevölkerung 60 8 für das Jahr. Bei uns be—
rägt die Belastung vorläufig für 1910 und 1911 nur 23 3und sie
vird im Beharrungszustaude etwas mehr als 303 betragen. Es
st von Interesse, daß, bei Beratung des froneüsischen
vesetzes ein Argument verwendet wurde, das im
Zommer 1909 hier ein wenig ironisch behandelt ist.
*s ist dies die Einschränkung des leichtsinnigen Umgehens mit
zündhölzern und damit der Feuersgefahr. Die Feuerversiche—
ungsgesellschaften bedienen sich diefes Arguments, wie Sie wis⸗
en, bereits seit langen Jahren, und aus meiner früheren
raxis kann ich erklären, daß es nicht ganz vhne Einwirkung auf
ie Reichsverwaltung geblieben war. Infofern kann man sagen,
aß das Gesetz von 1909 nicht völlig unvorbereitet und unerwar⸗
et gekommen ist. Eine gewisse Wirkung hat die Steuer sicher—
6 gehabt: eine Einschränkung des Verbrauchs. In den Wirt⸗
haften wie im Haushalt gebt man mit den Zündhölzern sehr
el konomischer um. Damit hat man auch bei Berechnung der
vͤrträge gerechnet. Was die Zündholzindustrie jeßt noch
rückt, sind unzweifelhaft die Folgen der Vorversorgung von
909. Der Vorredner hat dies als unmöglich bezeichnet, es wird
ber durch die Statistik bewiesen. Nach den Angaben der Zünd⸗
olzindustriellen, die wir nachzuprüfen in der Lage waren, stellt
h die, Berechnung folgendermaßen: Vor Einführung der
teuer betrug die Gesamterzeugung 233 000 Kisten, die Einfuhr
egen 3000, die Ausfuhr 10000 Kisten, mithin verblieben für die
lersorgung des Inlandes eiwa 226 000 Kisten. Bei Einführung
er Steuer hat man den dauernden Rückgang des Verbrauchs
af 25 vH. geschätzt. Danach würden wir mit einem Jahres⸗
edarf von rund 168000 Kisten zu rechnen haben. Es sind aber
iden ersten 12 Monaten nach Inkrafttreten der Steuer, also
om 1. Oktober 1909 bis zum 30. September 1910, bereits ver⸗
euert 96 900 Kisten. Danach müßten durch die Vorversorgung
nersten Jahr 72 000 Kisten gedeckt sein. Somit haben wir
llerdings noch jetzt und voraussichtlich im nueeee 1911
nit den Folgen der Vorversorgung zu rechnen. Viele In
olzindustrielle schätzen die Vorversorgung noch erheblich höher
in. Es wird von vielen Fällen berichtet, in denen der Einkauf
ir mehrere Jahre ausreichte. Auch die Lage der Arbei—
er ist durch die Vorversorgung stark beeinflußt. Ich habe noch
eute bei uns eingegangene Eingaben gelesen, in denen die Arbei—
er dieses anerkennen. Vor dem Inkrafttreten des Gesetzes wur⸗
en natürlich mehr Arbeiter beschäftigt, die nachher nach der star⸗
n Vorversorgung wieder entlassen werden mußten. Uns wird
on allen Seiten berichtet, daß die meisten Arbeiter in anderen
idustrien, im Baugewerbe und in der Landwirtschaft, über⸗
iegend weibliche und jugendliche Arbeiter, bereitwillig wieder
zerwendung gefunden haben. Nun ist es auch richtig, daß an
nzelnen Orten besondere Mißstände entstanden sind. Ein wenig
bertrieben werden diese aber doch aufgefaßt. Von einer Hun⸗
ersnot kann nicht die Rede sein. Auch die Bayrische Regierung
zat festgestellt, daß die überwiegende Zahl entlassener Arbeiter
inderweit ohne Schwierigkeit hat untergebracht werden können.
sch bestreite auch nicht, daß in Thüringen einzelne nicht unerheb⸗
iche Schwierigkeiten eingetreten sind. Aber ein mir vorliegender
mitlicher Bericht besagt, daß jede Fabrik dort unter Zurücksetzung
hrer ftändigen Kunden seinerzeit die starke Nachfrage zu befrie⸗
igen gesucht hat, wenn ich auch anerkenne, daß das Ausland
nerheblich höherem Grad bei der Vorversoxr;
ung verdient hat. Doch sind auch dem Zwischenhandel
edeutende Erträge zügeflossen, und dann hält die Industrie jetzt
ehr viel geringere als früher, Der Rebergang dauert
ben bei der Zündholzsteuer noch fort. Wir haben von allem
lnfang an damit gerechnet, daß ein solcher Uebergang stattfin⸗
en würde, und deshalb fiür 1910 nur 15 und für 1911 nur etwa
6 Millionen, austatt 28 Millionen im Beharrungszustand, ein⸗
eseht. Die 18 Millionen für 1910 werden aller Wahrscheinlich⸗
eit nach voll oder wenigstens nahezu eingehen. Nun hat die
zorversorgung von 120000 Kisten einen Steuerausfall von 18
Nillionen ergeben. Vergleichen Sie damit den Zustand in
crankreich nach Eintritt der Steuer von 1871 bis 1874. Dort
varen 16 Millionen Franes als Beharrungszustand angenom—⸗
nen, es gingen aber im ersten Jahr nur 48 Millionen ein, und
1s darauf alsbald die Steuer um erhöht wurde, stieg bis
874 der Steuerertrag nur auf 10 Millionen Francs. Wenn jetzt
rst 13 Monate, nach Erlaß der Steuer deren Aufhebung, be⸗
intragt wird, so muß dieser Antrag meines Erachtens be⸗
ründetwerden mit,einer Aenderung des Tat,—
efstandes, der mit der Steuer im Zusammenhang steht und
er bei Erlaß der Steuer nicht vorausgesehen werden lonnte.
zine solche Aenderung ist aber nicht eingetreten. Soweit
ie Sleuer in Betracht kommt, befinden wir uns noch im Ueber⸗
—D— liegen
uf ernem ganz anderen Gebiet. Die Zündholze
ndustrie klagt nicht erst seit Einführung der Steuer. Sie hat
hon früher Kartellierungsversuche in starkem Maß unternonz⸗
ien, weil ihr die Preise zu niedrig erschienen. Sie hat geboffit,
nit Hilfe diefes Gesetzes und insbesondere mittelst der Kartellie—
ung ihre Preise in einer für die Produzenten annehmbaren
zöhe halten und regeln zu können. Wenn ihr das nicht sAun
en ist, so i nicht die Stener daran schuld, sondern die innere
ineinigkeit der Industrie. Bereits 1904 war unter den Fabri⸗
inten der Sicherheitszündhölzer eine Konvention gebildet wor—⸗
en und daäneben eine gemeinschaftliche Verkaufsstelle.
Iber schon damals war eine Einigung unter den Industriellen .
u erzielen. Die Konvention umfaßte nur 60 Prozent der beteili
en Fabrikanten und die Verkaufsstelle, der noch nicht einmal ale
Ritglieder der Konvention angehörten, löste sich am 1. April 190
vieder auf. Nach Inkrafttreten, der Steuer, haben dem, Syndik,
litweise 82 Prozent aller beteiligten Fabrikanten angehört, abe⸗
as Eyndikat litt hon vornherein unter dem Wettbewerb der nicht
yndizierten Fabriken. Trotzdem diese die verschwindende Min
erheit bildeten, setzten sie ebenso viel ab, wie sämtliche syndizierte
abriken zusammen genommen. Das konnte natürlich das Syndika
icht ertragen; dieses erkannte, daß es sich nur halten könne, wenn
lindestens 95 Prozent aller Beteiligten ihm angehörten, und be
duop diese Außenstehenden, nach Tunlichkeit heranzuziehen und
leichzeitig die Reichsverwaltung um die Begründung eines Zünd.
olzmonopols und einer Ersatzmittelsteuer zu ersuchen. Da es nic
elang, die Außenstehenden heranzuziehen, so löste sich am 25. N
ember 1910 das Zündholz-ESyndikat auf. Angesichts dieser Sach
ige kommt nun die Zündholzindustrie durch die Interpellation
ine ganz eigengrtige Sitnation. Ihre Lage wird dadurch nich
erbessert, und sie hat deshalb in ihrer offiziellen Zeitschrift eine,
ahren Notschrei gegen die Interpellation und gegen die Aufhebunj
er Zündholzwarensteuer erhoben. (Sehr richtig!) In der Zei—
hrift für die Zündwarenfabrikation wird dargelegi, durch die Wi—
eraufhebung der Steuer würde die Industrie wirtschaftlich völlit
uiniert, der Handel, und die Arbeiterschaft auf das Schwerste ge
hädigt werden. (Zustimmung.) Ich will nicht darn beitragen, die
zituation noch zu exschweren. Die Industrie weist darauf hin, da
nan neuerdings in den Ländern, die das Monopol haben, gegen di,
rsatzmittel ersesansen sei. Italien hat die Feuerzeuge mit 1.
rancs und Frankreich noch vor wenigen Tagen mit 440 Franc
oll espt Ich habe mir natürlich angelegen sein lassen, auch di
a brikanten der Exrsatzmittel selbst über diese Anregun
ngehend zu befragen. Diese bestreiten, daß die Befürchtungen de
zündholzindustriellen in so hohem Maße Npesieh Sie — di
donkurrenz der Ersatzmittel nur auf etwa 22 Prozent des gesan—
en Absatzes und berufen sich darauf, daß diese bereiis vor dem Er
aß des Zündwarensteuer⸗Gesetzes einen nicht unbedeutenden 20
etragen hatien. Die Zündhölzer würden sich durch die Ersatzmitte
icht vexrdrängen lassen, diese seien, soweit sie besser seien, zu teuer
amentlich mit Rücksicht auf die Kosten der Reparatur und der In.
andhaltung, und die schlechteren Ersatzmittel feien so minderwertig
aß lie rihgent nicht konfurrieren könnten, Ich glaube nun aller
ings, daß die Ersatzmittelfabrikanten den Wert hrer Äriikel et
„as zu niedrig einschätzen. (Zustimmung.) Ich habe den Eindrud
aß vorläufig die, Exsatzmittel leineswegs im, Rückgange begrüfe
ind, im Gegenteil scheint das Weihnachtsgeschäft ungewöhnlich lei
aft zu sein. Jedenfalls können wir an den Behauptunge
er ündholz-Induftriellen nicht vollständig vorübergehen, sonder
nüssen sie vielmehr eingehend prüsen. Ueber das Zündholzmonop,—
ann, ich hier natürlich im Rahmen der Interpellation nicht grüm
ich sprechen. Gestreift ist die Frage schon im Sommer wöe
us der Mitte dieses Hauses. Im Auslande besteht bo
zündholzmonopol, teils in der Form des reinen Staatz
nonopols, teils in der Form des Betriebsmonopols,
er Form der Verpachtung,, an eine Betriebsgesellschan
hon großer Bedeutung ist hierbei die Gestaltungder Preife
Im April und Mai 1909 betrugen die Preise bei der damaligen
donbention 73 bis 75 . für die Kiste, die Nettopreise 66 M. Nad
kintritt der Steuer betrugen sie 95 bis 97 A, die Nettopreise durch
J—— 88 4. Daraus aeht hervor, daß nach Eintritt der Steuer
ie Preise nicht nur um den Betrag der Steuer, sondern noch dar
ber hinaus emporgeschnellt sind. Die Fabrikanten begründen die
iit dem arößeren Risiko und den vermehrten Unkosten. Im Einze
erkauf aoe das Paket Zundhölzer 80 Pfennige. Nur in de
barenhäusern, namentli chin Berlin, werden für das Patet 25 Pf
enommen. Eine Aufhebung der Steuer kann am allerweniaste
nit Rücksicht auf die kleinen Fabriken in Betracht kommen, Wen
h eine Krisis in der Zündholzindustrie entwickein würde, so würd
e unzweifelhaft sich dahin vollziehen, daß ein Teil der kleinen Fo
riken ein⸗ oder in größere aufaehen würden. Wir müssen auf die,
jeinen Fabriken Rücksicht nehmen. Es ist mir von den kleineren
abriken eine Anzahl von, Zuschriften zugegangen, die sich, auf dat
ringenste gegen die Aufhebung der Steuer wehren. (Hört! Hörth
zine Aufhebung der Zündholzfteuer würde vom, wirtschgftlichen Ge—
ichtspunkte, aus höchst schädlich sein. und die kleinen Fabriken di⸗
etzt schon in den lehten Zügen liegen, würden unterliegen. Jä
—
ufdemrischtigen Wegezst. (Zustimmung.) Ich gebereit
aillig zu. daß der Staat die Pflicht bat, in allen diesen Tengen
achsam zu sein, nicht nur aus eigenem Interesse, weil unter Um
üänden das Erträanis der Steuern sinkt, sondern guch mit Rükcsid
uf die von der Steuer neuerdings betroffene Industrie. Nur alau—
H, daß es nicht angeht, auf vorübergehende Erscheinungen dauern—
zntschließungen au aründen. (Beifall.)
Abg. Dr. Müller-⸗Meiningen (fortschr. Va.). beantragt *
prechung der Interpellation. Diese wird beschlossen.)
Abtg. Graf, v. Oppersdorf (3.): Ich stimme dem Interpella«
en darin zu, daß der herrschende d ehe Notstand kein
orübergehende Erscheinuma ist, die Beseitioung ist aher
icht das allein wirksame Mittel. Dr. Roesicke ist nicht der Vater
jeser Sleuer. Vater der Steuer,ist.der Freisinn (Wider
ruch, Die Verieugnuug der Vaterschaft ändert nichts an den
Zerwandtschaftsverhältnis. (Heiterkeit. Dr. Osann befürwortett
as Monopol und freisinnige Organe traten für die Zündholzsteue
in. Die Voreinfuhr betrug mehrere hundert Wagaons, da äist di
dachwirkung noch lange zu, verspuren eine derartig radikale Forde
ung, wie die Steuerauf.löstuna sollte man daher nicht zetßz
ch om fiessen. Schon vor der Reform befand sich die Zündholp
ibustrie in einer gewissen Depression. Dazu lamen noch die vper
härfte Gewerbeaufsicht und andere Auflagen der Gesetzagebung. Dat
aben auch die Interessenten und selbst liberale Blätter ganerkann:
der Handel hat deann rechtaeitig gut eingedeckt, die Judnstrie hat
emals eine gute Presse gebobt. Jedenfalls trägt der Reichstag in
einer Gesamtheit die Verantwortung für die Steuer. Neuerdinge
aben auch Behörden, wie die Erfurter Eisenbahndireltion. auf eint
parfame Verwendung der Zündhölzer hingewirkt. Der e
er Induffrie ist gict *7 groß gewesen Der Hapdelnt
ann den durch das Gesetz geschaffenen Notstand, noch für sich aus
enutzt,e Der Zeitpunkt einer Abschaffung des, Gesetzes müßte do—
weifellos festgelegt werden mit Uebergangsbestimmungen, die ein.
ene Schädigung der Industrie verhindern würden. Die ganze Frage
ird am besten in der Budgelkommission eingehend erörtert werden
zielleicht Jaßt sich hier guch eine bessere Apahan an den rdiht
inden. Jedenfalls müssen wir zi ger Ibge einzelner
TR
lee 3 ni: Ich hatte nicht geglaubt, daß die Frag
der Finanzreform heute noch einmal aufgerollt werden würde
vir haben feinerzeit die Finanzreform im Ganzen Abgelehut, abg
ne Hitwirkung zur Verbessexung der einzelnen Vorschläge u
ersfagt. Wir baben damit einen durchaus lovalen Standpun
Atreten. Auf diesem Standpunkt steben wir auch gegenüber der
zündholzsteuergesetz. Wir, können, uns dem Begründer de
Mmterpellatlon nicht anschließen, wenunner gemein
at, daß die anf diefem Gebiete herborgelretenen Mihstände nid
nders veseitigt werden können als durch eine Aufhebung de
nddoizsteunergefehes. Die Zündholzwarenindustrie hat ja selbs
lari, daß sie ruiniert werden würde, wenn das Gejetz aufgeno
en würde. Namentlich der arme Teil der Bevölkerung, der F ern
uͤndwarenindustrie beschäftigt ist, wüvde schwerlich eine auder
interkunft finden und würde sich schwer entschließen, inzeiner gqu
eren Gegend eine Arbeitsgelcgeuheit zu suchen Von aller
euern hat die Zündwarensteuer, alle Kreise de
zolkes am meisten erbittert, Nicht nur Private, aua
aatliche Behörden haben ihren Bedarf, auf lange Zeit hingus vr
er Ausführung des Gesetzes gedeckt. Eine weitere Folge des J
tzes war die Zunahme der Errs atzmittel. Infolgedessen
ine Einschränkung der Produktion der Züiudwaren eingetrete
dazu kommt, daß das Gefetz selbst an verschindene w an
seün leidet, so nbezug auf die Stundung der Steuer, die
ingentierung usw., die kleinere Fabriken vor den großen bn
ihbgt. Eine Folge des Gesetzes war die Einschränkung
ixbeiterzahl und die Berschlechterung Oér, bnavgza
ältnisfse. Von 6000 Arbeitern wurden 20 entlassen. vh
iesem Gebiete haben die Arbeitgeber dieselhen Jutereisen wie 9
rbeiter. Die jetzigen bestehenden Mißstände beruhen nicht enw
nf der wirtschaftlichen Entwicklung, sondern sie sind pegnde
—D Aenderun a
esetzlichen Veitunmnngen auf gesetzliche m Wekonnene
endin. Nuch meine Freunde wären bereit, die Zindholzite
»urch die Erbschaftssteuer zuersetzen, allein
usfichtslos, für diefen Gedanken jetzt hier eine Mehrhei