Full text: Lübeckische Anzeigen 1911 (1911)

Deutscher Reichstag. 
161. Sizung. e.. 
BVerlin, den 1. April. 
Amm Bundesratstische: Delbrück, Wermuth, v. Lindecquist. 
Die zweite Beratung des 
Reichshaushaltsetats 
für 1911 wird fortgesetzt mit dem Spezialetat der Einnahmen 
des Deutschen Reichs an Zölrlen Stenern und' Ge— 
zühren. 
„Die Budagetkommission hat diesen Etat unverändert ge⸗— 
nehmigt, Referent ist der Abg. Dr. Arendt Geichsp.y). Ein— 
zebracht sind hierzu 3 Resolutiouen, die die Verbündeten RKe— 
zierungen auffordern, bei den mit Schweden schwebenden Handels⸗ 
ertrags-⸗Erneuerungsverhandlungen die Interessen der deutschen 
Pflastersteinin dustrie mehr als bisher au waähren. 
Abg. Speck (Hir.): Die Einnahme-Solls find von dem 
Schatzsekretär so vorsichtig eingestellt worden, daß sie wohl für 
— 
zerschiedenen Seiten sind Anträge gestellt worden, die sich mit der 
daas der deutschen Wflastersteiniudustrie beschäftigen. Ich kann 
ie Peinung derer, die mit Rüdssicht auf die schwebenden Ver— 
andlungen die Erörterung diefer Froge durch den Reichstang in 
egenwärtigen Augenblick für inopportun erachten, nicht teilen. 
Vill man für diese Industrie etwas erreichen, so mußß der Reit 
ag gerade jetzt seine Stimme erheben. Es wird mir mitgeteilt, 
)aß in der Marineverwaltung zum Ausbau-von mehrexen Dodeé 
chwedische Pflastersleine bezogen worden sind; es ist das wohl 
zur aus Ersparnisgründen geschehen. Auch sind in dieser Indu⸗ 
trie jetzt Lohnkürzungen, folost Arbeiterentlassungen an der 
agesordrung. Ich darf also wohl erwarten, daß veute selbft 
die — der außersten Linken für diesen Antraa sich erwärmen 
verden. 
Abg. Dr. Brunstermann (Reichop.): Die Gründe für unseren 
Antrag sind bekannt, die Frage aber so bedeutsam und dringich, 
ast ich wenigstens kurz zu Gunsten meines Antrages sprecheu 
nuß. Der Mangel an Kollschutz hat für unfere hennsche Stein 
udustrie schwere Schädigumgen im Gefolge gehabl, micht nuur für 
die Steinbruchbesitzer, sondern, was in beinahe noch höherem 
Naße zu heklagen ist, auch fuͤr die in ihr zahlreich beschäftigte Ar 
heiterschaft. Sehr richtia)) Die Statiftik zeigt klar das Vor—⸗ 
dringen der schwedischen Konturrengze in Deutschland 
Die Einfuhr auf dem Emskanal und dem Rhein hat fich in den 
etzten 5 Jadren allein um das zwei⸗- bezw. fünffache gesteigeri. 
Dus in der Steingewinnung und Verarbeitung angelegte gesamte 
Aktienkapital hat sich nur mit 2 Pat. verzinft, das Kapuel der 
Privatbetriebe daher vermutlicherweise noch geringer. Die Lohn— 
ummen sind von 93,7 Millionen im ZJahre 1907 anf 70,5 Milnonen 
un Jahre, 1003 gesunken, also ein ganz auffälliger Rickäang. Da— 
vei spricht noch mit, daß bei der Lohnsieigerung die anf den 
inaelnen Arbeiter entsallende Lohnsumme etca 30 ptt. höher 
A als vor 10 Jahren., Die Preife für die Belricks materinlien ber 
Steinbrůche — ⏑—— Lasten der 
Sozialgesetznebung find weiter gestiegen. Ist die deuifhe Stein— 
udustrie schen jetzt fast erdrückt, so erscheuit die Zutnnft no 
sruher. Schon jetzt ist die Konturrenzfähiateit Schwedens der 
deutschen überlegen, weil die schwedifche Steinindustrie eine Reihe 
natürlicher Vorteile genießt: leichle Abbanmbnchteit ng 
ci. der Lage der Brüͤcke am Meer billiger Versand 
nach allen am Wasser belegenen Verwendungsstellen dazu villige 
Ixbeitslöhne und eringe soaale Laften. (Sehr richtige 
Schweden liefert nicht nur nach Deutschland, sondern auch na 
Fußland, Holland, Belgien, Eugland, neucrdings fonar 
Auirika, wahrend bisher die Brüche noch in außerordentlich 
orimitiver Weise betrieben werden, gehen die schwedifschen Stein— 
ornchindustriellen jetzt immer mehr dazu über, Neueinrichtungen 
naschineller Natur einzuführen, woben ihnen noch die billig zur 
Verfügung stehende eleltrische Kraft Erleichterungen schafft. 
Diese Enkwickelung wird das Kapital anreizen, n mehr und 
nehr der Ausbeutung des schwedischen Steinreichtums zu wid⸗ 
mnen. Bei uns steht zudem die Inbetriebnahme der im Bau 
efindlichen Kanale bebor. Der Schutzzoll i ja mit Rücksicht 
arauf gevpfert worden, daß wir auͤf die Einfuhr schwedischer 
Fisenerze angewiesen sind, aber Schweden genötigt, einen viel 
zu großen Wert auf seine Ausfuhr nach 8 —— zu legen, 
zie 26 pPB8t. seiner Gesamtausfuhr und 12 pPgul. feiner Gesamt⸗ 
produktion ausmacht, als daß es nicht in diesem Punkte den 
dentschen Wünschen, wenn sie mit Energie und Rachdruck ver⸗ 
freten werden, nachgeben würde. Das kleine Schweden hat doch 
ein größeres Interesse an einem Handelsvertrage mit uns, ale 
das große Deutsche Reich, das sein bester Abnehmer ist. Zudem 
ällt die Produktion an Granit und Steinwaren bei der Gefamt- 
produktion Schuedens nicht sehr ins Gewicht, kann jedenfalls 
nicht von ausschlaggebender, Bedeutung beim Abschluß eines 
Handelsvertrages fein. Unsere ase ade die schwedisches 
Steinmaterial beziehen, würden bei — eines Schutz⸗ 
zolles, selbst wenn ich das nationalwirtschaftliche Moment aus 
)em Spiele lasse, kaum Nachteile erfahren, denn bisher sind die 
chwedischen Steinindustriellen immer uoch geschäftsmännisch 
zenug gewesen, sich den von der deutschen Konkurrenz geforderten 
Preisen an den verschiedenen Orten anzupasgen, also nach den 
rüstenstädten billiger zu liefern als nach dem inneren Deutsch⸗ 
aud. Ich bitte Sie daher, unseren — anzunehmen, und 
ichte auch an die verbündeten Regierungen die dringende Bitte, 
hm zu entsprechen. Geifall.) 
Abg. Scheidemann (Soze); Den Resolutionen stimmen 
wir nacht zu. Die RPlasterstein-Industrie ist zurückgegangen. 
Aber die Arbeiter wünschen keinen Zoll. Die Unternehmer haben 
die Arbeiter aufgefordert, eine Pefition zu unterzeichnen. Sie 
haben es aber abgelehnt; denn der Steinindustrie geht es glän— 
zend, trotz der Konfurrenz der Asphaltierungsgesellschaften usw. 
Rotwendig ist die Aufhebinig des Zolles auf Kleie, diesem 
wichtigsten Futtermittel. Durch die Ausnutzung, der Einfuhr⸗ 
cheine wird auf, diesem Gebiete der größte Wucher getrieben. 
Die Marineoffiziere dürfen bei ihrer Verpromantierung im 
Auslande nicht vom ßBoll befreit werden. Das deutsche Volk 
nmuß die Kosten für die Marine in Form von Zöllen und Steuern 
tragen, dann mögen auch die Offiziere ihr Scherflein dazn 
beitragen. Durch den Weizenzoll wurde das deutsche Volk he⸗ 
astet mit Béo Millionen Mark, davon flossen in die Reichslkosfrn 
70 Millionen und in die Taschen der Großgrundbesitzer 165 Mil⸗ 
lionen. (Hört! hört! bei den Bei den übrigen Getreide⸗ 
arten ist es noch schlimmer. Die Aufhebung des Identitätsnach- 
weises bei den Einfuhrscheinen hat zu einer, ungeheuren Be⸗ 
asting des Volkes geführt, und das sind die Gelder, die, austatt 
ür die Witwen und Waisen verwendet zu werden, in die Taschen 
der Großgrundbesitzer geflossen sind. Auch bei den Zöllen auf 
Fleisch und sonstige Genußmittel wird die Bevölkerung unge⸗ 
jeuer zugunsten der Agrarier belastet. Das geht auch aus den 
rheimschriften des Bundes der Landwirte hervor. Ein „Vore 
ranuensmann“ Dr. Hahns hat mir das Material gebracht. Ich 
zahm es dankend au, den Neberbringer warf ich aber als einen 
Lumbp zur Tür hingaus. (Heiterkeit.) Danach sollen die KZölie 
er Landwirtschaft nützen. Das ist umvahr, denn nur ein eines 
däufchen Großgrundbesitzer hat den Vorteil davon Möchte 
och endlich dem deutschen Michel bei den lLommenden Wahlen die 
Srhuppen von den Augen fallen, daß er dies Haus einmal gründ— 
ich ausschwefle. (Lachen, Bzeifall b. d. Soz.) 
Abg. Ortel (natlib.)z Ich habe entichieden Stellung zu neh⸗ 
nen gegen die neueste Verfügung, die Zollanleitung für die Abserti— 
ng von Vichl und Kleie. Das Siebeverfahren, welches da vorge— 
chrieben ist, ist unzuverlässig und bedeutet nur eine schwere Be— 
äftigung der Interessenten, denen dadurch das Leben außerordent⸗ 
ich fauer gemacht wird. Das Verfahren dührt zu häufigen Nachver- 
ollungen, wobei die Ware ehent. zur Versuchsanstalt nach Verlin 
geschidt werden muß. Der Reichsschatz selretär sollte sich, diese Anlei— 
ung nochmals ansehen und das Siebeverfahren fallen 3 
Abg. Kämpf Jortschr. Vp.): Es gestern vom Grafen Kaniß 
mf 38 erpie der Fortschrittlichen Volkspartei hingewiesen 
vorden, das den Abbau der Schitßzölle enthalte. Wir siehen sämtlich 
inter diesen Programm. Die Herren, rechts) habenghinter den 
ohen Schubzollmauern, die sie ausgerichtet haben, den Blick für die 
Uacmeinen Interessen des Volles verloren. Eine schwere volks wirt⸗ 
chaftliche Schädigung hat uns die Reichsfinanzreform auch in dem 
Scheckstempel gebracht. Die 10 Pfg. für die Empfangsbescheinigung 
ielln eine ungesetzliche Erweiterung dieses Scheckstempels dar, gegen 
ie ich im Namen der Steuerzahler Protest erbeben muß. Ueber den 
och ciugegangenen Antrag des Grafen v. Westarp: „Den Herren 
veichskanaler zu ersuchen eine Regelung herbeifübren“ bei der die 
Talonsteuer dei der Erneuerung abgelaufener Gewlnnanteilscheine 
ind Zinsscheinbogen guch der ausländischen Wertpapiere stets erho— 
»en wird, wenn die Bogen an inländische Besitzer der Wertpapiere 
ausgegeben werden“, äußere ich mich noch nicht, weil der Antrag noch 
eine Begründung erfahren hat. VBie Bestrebüngen auf Einführung 
ines Zollschützes für deutsche Pflästerstesne gegen 
Schweden weisen wir ab. Der Äbg. Speck will sich die Zustim 
mung zu dem neuen schwedischen Händelsvertrag sehr überlegen, 
venn die deutsche Pflasterstein-Industrie nicht geschützt wird. Ueber⸗ 
egen muß sich jeder Abgeordnele jede Abstimmung; aber es kommt 
doch in der Hauptsache darauf añ, danach zu entscheiden, wo die 
rößeren, die allgemeinen Interessen liegen, nicht aber einseitig im 
Sinne einer bestimmten Kategorie von Interessen und Interessenten. 
die Wertzumachssteuer haben wir hier dergestalt verab— 
hiedet, daß 30 pBt. dem Reiche, 40 ptt. den Gemeinden und 10 
zrozent für die Erhebung der Steuer den Bundesstaaten 
afallen sollen, Der Reichstag ist durchaus von der Voraussetzung 
usgegangen, daß die 40 pGöt. den Gemeinden verkürzt zugesührt 
erden sollen, und daß die Bundesstaaten eben für die Ethebung mit 
0 pt. entschädigt werden sollen. Das preußische anssawnen 
egt aber — den Gemeinden die Erhebung auf, das enispricht 
licht dem Reichsgesetz, und ich frage den Schatzsekretär, wie er sich 
u dieser Gesetzesverletzung stellt. Nach dem Zollvereinigimgsvertrag 
on 1867 kann die Erhebung von Steuern suͤr Rechnung der Kom 
aunen nur —* ——— der Konsumtion erfolgen. Fuͤr Elsaß— 
rothringen ist daraus infolge der Bestimmung des Zolltarifgesetzes, 
aß mif 1910 die Erhebung des Octrons aufzuhdren hat, eine« 
roße Unstimmigkeit entstanden. Die Aufhebung des Octrois ist all⸗ 
emein vorgeschrieben. Elsaß⸗Lothringen darf es daher nicht gestallet 
ein, Vinnenzölle re alle möglichen Gebrauchsgegenstände einzufüh— 
en. Wenn diese Verhältnisse bestehen bleiben, würden wir ün der 
Tat innerhalb des Deutschen Reiches allmählich zu den wenig wuün— 
chens werten · Zuständen vor 1867 zurücktehren. 
Reichsschaßsekretär Wermuth: Ich möchte die dringende Bitte 
aussprechen, die Vermutungen über den Abschluß unserer Rechnung 
ür., 1910 aufsparen zu wollen, bis der Abschluß vorliegt. Das 
Zild ändert sich mit ijedem Monat. Auch die Vermutungen, die 
n der Budgetkommission darüber ausgesprochen sind, weichen er— 
oblich ab von dem, was heute gesagt worden ist. Ich glaube, wir 
un aut, ehe wir uns eine Vorstellung bilden, den ziemsich nahe 
eborstehenden Abschluß für März und dann den endaültigen 
jinalabschluß der Reichshauptkasse abzuwarten. Was die Ver— 
baltungskosten der Bundesstaaten anlangt, so darf ich dem Aba. 
?peck nochmals versichern, daß Verhandlungen darüber im Gange 
ind. die Frage ist aber nicht einfach. Es handelt sich bei der Er— 
ebung der Branntweinsteuer nicht nur um die Verhälinifse des 
eiches zu den Bundesstaaten sondern guch um elwaige Ver— 
chiebungen des Verhältnisses der Bundesstaaten untereinander. 
dem Abg. Scheidemann möchte ich erwidern, daß er das Wesen 
mnserer Terifauskünfte, die wir veröffentlichen, nicht gang 
aichtig gufzufassen scheint. Er beklagte sich darüber, dah der⸗ 
irtige Tarifauskünfte in steigendem WMaße jetzt in außerordentlich 
roßer Zahl erteilt würden, und sieht darin eine Art Erschwerung 
ür den Handel. Das Gegenteil ist der Fall. Diese Auskünfte 
xrden vom Handel in hohem Maße begehrt. Wir haben sie ein⸗ 
eführt auf Wunsch des Handels. Sie haben eine gewisse bin— 
ende Kraft und geben dem Handel bei Ergehen einer Abweichung 
„ie Sicherheit, daß er sich bei Abschlüssen nicht verrechnet. Inso 
ern lann ez nur wünschenswert erscheinen, wenn die Zahl diefer 
darifanskünfte steiat. Es bedentet das ein steigendes Entgegen— 
ommen der Verwaltung gegen die Bedürfnisse des Handels. 
benso wenig trifft es zu, wenn der Abg. Scheidemann annimmt, 
s lei wünschenswert, daß die Abfertiagung durchweg, an der 
renuze stattfindet. Die Herren, die mit dem Handel vertraut 
nd werden mir zugeben, daß der Handel selbst den Wunsch hat, 
je Abfertigung in das Innere au verlegen, und daß unsere Ein— 
ichtungen, die wir in dieser Beziehung in vermehrlem Maße zu 
unsten des Handels treffen, von diesem begrüßt werden. Es 
egt das nicht nur im Interesse der Sicherheit der Abfertigung, 
ö»ndern auch im Interesse der Kostenfrage. Die neuen Bestim— 
zungen über die KHollabfertigung von Kleie sind von den beiden 
dednern, die bis jetzt darüber gesprochen haben, nicht richtig auf- 
efatzt worden. Wir waren gezwungen, die Bestimmungen schärfer 
u fassen, weil in der Tat in ganz aroßem Maße Kleie in das 
deichsgebiet eingeführt wurde, welche mehr als den zulässigen 
Nehlgehalt hatte, in einem Falle bis zu 68 pgt. (Hört! Hört! 
echts.) Das ist daher gekommen, daß dem Ermessen der Voll— 
eamten ein zu großer Spielraum gelassen worden ist. Nun haben 
ich unsere Bestimmungen ausschlicßlich darauf gerichtet, diesem Ex— 
iessen der Jollbeamten engere Grenzen zu ziehen. Es ist nicht 
chtig, daß das Aschengehaltsverfahren beseitigt ist. Es fragt sich 
ur, in welcher Weise der Gehalt ermittelt werden“ muß. 
ier haben wir allerdings dem Ermessen der Zollbeamten engere 
zrenzen gesetzt, haben sachverständige Instanzen hinzugezogen, 
icht nur solche, die aus Interessenten bestehen, sondern wir 
egen besonderen Wert darauf, daß die Ermittelung des Aschen⸗ 
chaltsverfahrens auch Organen der Landesregierungen anver— 
raut wird, um eine gewisse Dezentralisation herbeizuführen, so— 
eit die einheitliche Handhabung es zuläßt und soweit dadurch 
irht etwa wieder dieselben Schwierigkeiten entstehen, auf deren 
Ubstellung wir bedacht sind. Jedensfalls haben wir gehandelt, 
nas darf ich mit aller Bestimmtheit sagen, im Interesse der deut⸗ 
chen Müllerei unter einmütiger Zustimmung der en Land⸗ 
virtschaft, soweit sie sich in dem Votum der deutschen Landwirt⸗ 
chaftskammeru hat zum Ausdruck bringen lassen, und unter tun— 
ichster Schonung des Handels. Diese Schonung werden wir 
em Handel auch künftighin bei der ganzen Handhabung dieser 
ieuen Bestimmungen augedeihen lassen. Hinsichtlich der Zu⸗ 
achssteuer ist es für mich schwer, da die Verhandlungen in 
zreußen schweben, hier eine maßgebliche Aeußerung abzugeben. 
ich bin auch der Meinung, daß das Reich dazu nicht recht kom— 
etent ist. Die Verteilung wird der Landesgesetzgebung vorbe— 
alten bleiben müssen, auf Grund des 8 38 des Reichsgesetzes. 
vas insbesondere die 10 pZt. anbetrifft, die den einzelnen Bun⸗— 
egstaaten zufließen sollen, 4— eht der Wortlaut des 868 dahin, 
iß die Bundesstaaten als —V für die Verwaltung uͤnd 
rhebung der Steuer 10 pgt. bekommen. Bei der Abfassung 
es Gesetzes und bei der weiteren Beratung hat immer die Auf— 
assung bestanden, daß die Worte „als Entschädigung für die 
zerwaltung und Erhebung der Steuer“ als Motiv gelten sollen. 
zie sind die Begründung, weshalb die Bundesstnaten die 10 pgt. 
chalten. Ich glaube nicht, daß das edee dem Maße, wie der 
ibg. Kämpf meinte, in der Lage ist, zu beaufsichtigen, ob und 
uwieweit diesem Motiv nachgelebt wird. Dies wird Sache der 
andesgesetzgebung seit. Ich muß anheimstellen, die dabei gel⸗ 
end zu machenden Juteressen bei der Beratung des preußischen 
zesetzes zur Sprache zu bringen. Ueber den Ortrouin Elsaß-— 
othringen möchte ich mich hier nicht außern. Der Abg. Kämpf 
at selbst durch seine ganz zutreffende Darlegung der Gesetzes⸗ 
estimmungen festgestellt, daß es eigentlich mehr Landessache ist. 
Ib auch Gegenstände des Gebrauchs, nicht nur des Verbrauchs, 
em Oetroi unterliegen dürfen, ist eine Frage, die in mehreren 
zällen jetzt vor elsaß-lothringischen Gerichten schwebt, und soviel 
nir bekannt, hat in einzelnen Fällen das Gericht zu Gunsten der 
iom Abg. Kämpf vertretenen Anschauung entschieden. Hinsicht— 
ich der Quittungsstener kann ich mich auf die eigene Inter— 
»retation des Abg. Kämpf berufen. Er sagte am 8. Juli 1009: 
veun ein Bankier seinem auswärtigen Kunden aus dessen Gut— 
aben 1000 M übersendet und der auswärtige Kunde schreibt 
hmebrieflich eine Empfangsbestätigung, so ist das nach meiuner 
lnsicht auch eine Quittung, und es muß auch dieser Brief ge— 
tempelt werden. Diese Erklärung ist damals von koiner Seite 
estritten worden. Wenn die Verwaltungsbehörden jetzt bis zu 
inem gewissen Grade auf diesem Standpunkt stehen, so wird der 
Abg. Kämpf uns daraus keinen Vorwurf machen können. Was 
chließlich den Schiffsbroviant anlaugt, so ist in der Budgettom⸗ 
nission eine cingehende Auskunft erteilt. Ich will aber wiedex⸗ 
‚olen, daß die Kommandobehörden ansdrüglich vor 1 bis 2 Jah- 
en darauf hingewiesen sind, daß die Bestimmmngen über die 
baabenfreiheit des Mundvorrats eng auszulegen seien, und 
aß, sie nur in geringem Maße zollfrei gelassen werden können. 
diese Verordnung ist den Marinebehörden noch im Laufe des 
sannar aus Anlaß eines bestimmten Falles ins Gedächtnis ge⸗ 
ufen worden. Anch weiterhin werden die Finanz- und die Ma— 
ineverwaltung darauf bedacht sein, daß die erwähnten Be⸗— 
timmungen nicht Anwendung finden über das vom Gesetzgeber 
ewollte Maß hinaus. JF 
Abg. Dr. Burchharde (Wirtsch. Vag.): Wir sind in erster Linte 
ür den Ochuß der beimischen Knduftrie, Rn dielenn Sinne haben 
vir die Resolution vorgeschlagen, den Herrn Reichskanzler zu er 
uchen, zum Schutze und zur Förderung der heimischen Stein 
adustrie insbefondere Pflastersteinindustrie) Schweden gegenüber 
geeignte Maßnahmen zu veranlassen. Es ist nicht richtig, daß die 
chwedischen Steine besser seien. Der Abg. Scheidemann ist übe 
die Stinimung der Arbeiter zu dem Zoll schlecht unterrichtet Für 
insere Arbeiter ist der Koll unentbehrlich. Die Löhne der Stein 
irbeiter sind bedeutend gesunken. Sie haben also ein großes Inter 
esse daran, daß unsere Steine gegen Schweden geschützt werden. Au 
die schwedischen Erze find wir nicht angewiesen; es liegen bei uns 
nviele Erzmutungsfeider brach. Dies könnte durch eine Besteuerung 
erhindert werden. Die in der deutschen Steinindustrie investierten 
210 Millionen Mark verzinsen sich doch nur mit 2 pB8t., und der 
Import schwedischer Steine hat sich in den letzten 10 Jahren ver⸗ 
ehniacht. Die Gestehungskosten sind in Schweden bedeutend niedri— 
er als bei uns; die Löhne sind auch billiger, so dommt es. daß 
Schweden billiger liefern kann als Mitteldeütschland. Die Pflaster— 
teineinsuhr aus Schweden würde natürlich bei einem Zoll, zurück⸗ 
ehen, und unsere Aubeiter würden dann wieder mehr Veschäftigung 
inden. Die schlimme Lage unserer Steinindustrie ist umso be— 
zorterlicher, als der Reichtum Deutschlands an natürlichen Steinen 
sebr groß ist. Die deutschen christlichen Arbeiter haben sich ebenfalls 
dringend für einen Zoll auf schwedische Pflastersteine ausgesprochen. 
Die Staatsbehörden sollten in erster Linie die heimische Industrie 
schützen. Daß in der freisinnigen Partei auch hochschutzzöllnerische 
Tendenzen herrschen, beweist der Pfarrer Korell und die Kleine 
Presse in Frankfurt, der Ableger der Frankfurter Zeitung, die in 
dessen Sinne Bauernfang getrieben hat. (Beifall.) 
Abg. Gräfe (deutsche Reformpt.): Die Notlage der deutschen 
Sleinindustrie ist ja längst bekannt. Ihre Erxistenz würde in Frage 
gestellt sein, wenn bei dem neuen Handelsvertrag mit Schweden 
ihre Interessen nicht gewahrt würden. Die deutsche Steinindustrie 
muß unter allen Umständen geschützt werden, wenn sle nicht zu— 
urunde gehen soll. In dieser Industrie sind 86000 Vollarbeiter und 
mindestens ebenso viele Hilfsarbeiter beschäftigt. Schweden unter⸗ 
bietet uns vermöge seiner günstigen Lage am Meere und der billigen 
Arbeitskräfte. Ruch der rückständigste sozialdemokratische Arbeiter 
muß einsehen, daß auch seine Interessen auf dem Spiele stehen daß 
insere Steinbruchindustrie erhalten werden muß. Ohne ie 
nüßte die Indusirie ihren Betrieb im Winter einstellen. Ihr lieg 
veniger an hohen Preisen, als an einem reichen Absatz. Sie 
önnte gut und gerne dreimal soviele Arbeiter beschäftigen, wenn sie 
zenügend geschüßt würde, Sie verdient diesen Schutz ebenso wie 
die Landwirtschaft und die übrige Industrie. Anch wir würden 
em schwedischen Handels- Vertrag, nicht zustimmen. 
denn nicht die deutsche Steinindustrie geschützt würde. 
der Freisinn bleibt 33 wie wir gehört haben, auf seinem 
ilten, verbleichten, zerfetzten Freihandelsprogramm stehen. Geiter⸗ 
eit rechts.) Auch wir würden für den schwedischen Handelsvertrag 
aicht stimmen, wenn kein deutscher Pflastersteinzoll eingeführt wird 
das Wohl von Hunderttausenden sieht auf dem Spiele. 
Abg. Wallenborn (Ztr.): Auch wir ersuchen durch die von uns 
heantraote Resolution den Reichskanzler, zum Schutze der be⸗ 
drohten heimischen Steinindustrie 33— Pflasterstein⸗ 
industrie) wirksame Maßnahmen zu treffen.“ Welcher Art die Ver⸗ 
nn der wirklichen Arbeiterintereffen ist, wie sie die Herren 
Sozialdemokraten wahrnehmen, das konnte man recht deutlich aus 
der Stellungnahme des Herrn Scheidemann erkennen, der von der 
Rotlage, in der sich infolge der schwedischen Konkurrenz gerade die 
Steinarbeiter in den verschiedensten Gegenden Deutschlands be⸗ 
finden, gar keine Notiz nimmt. Diese Notlage ist lediglich eine 
Folge der Zollfreiheit für Pflastersteine. 
A Graf Kanitz — Herx Gothein hat sich für den schritt⸗ 
weisen Abbau der Schutzzölle erklärt. Damit hat er sich auf einen 
freihändlerischen Standpunkt gestellt. Andererseits wird vielfach 
in der Oeffentlichkeit behauptet, daß der Freisinn sich zum Schutz⸗ 
zoll pongehtt habe. So hat vo in diesen Tagen in einer Versamm— 
ung in Pillkallen der Generalsekretär der nationallibheralen Partei 
cür Ostpreußen erklärt, der Freisinn sei n Schutzzoll über⸗ 
gegangen, Fone, nur in dem —* daß er den Schutzzoll als not⸗ 
wendiges Uebel hinnimmt, während die Nationalliberalen ihn als 
Segen ansehen. Es wäre nun doch sehr interessant, von dem Frei⸗ 
sinn etwas Authentisches darüber zu hören. Wie weit soll dieser 
Abbau gehen? Etwa bis zur Aufhebung der Wirkung? Ich wäre 
dem — Kämpf sehr dankbar, wenn er seine Bemerkungen nach 
dieser ß vervollständigen würde. Er meinte, der gegen— 
mãrtige Moment wäre der denkbar schlechteste, die Frage des 
ergone hier im Reichsstage zu exörtern, denn die schwe— 
dischen Verkragsverhandlungen schwebten. Das ist richtig, die 
ichwedischen Unterhändler sind seit einigen Monaten und wohl 
noch jetzt hier, aber gerade e ist die Verhandlung erwünscht, 
damit ůüber die Stimmung des Reichstages in einer der wichtigsten 
hierher gehörenden Fragen kein Zweifel besteht. Ich will nur noch 
erwähnen, daß es sidy nicht nur um die Pflasterstelue handelt, son⸗ 
dern auch um das ganze Steinmetzgewerbe. Wenn man gesagt hat, 
der Zoll ist für unsexe Industrie entbehrlich, er nützt unserer Indu⸗ 
strie nichts, so erwidere ich darauf, dann kann er Schweden auch 
nichts schaden. Hätten wir den Zoll von 20 Pfg. nicht abgeschatri 
und hätte sich die Einfuhr aus Schweden in demselbeu Maße 
vollzogen, so hätten wir für unsere Reichskasse eine Einnahme 
von 922 000 A für 1908 gehabt, die wir also dr die Abschaffung 
des Zolles verloxen haben. Wenn wir nus auch in günstigereũu 
neeen Verhaãltnissen befinden, so wäre eine solche Suͤmme 
och sehr willkommen. Die Zahl der Arbeiter, die in der 
Pflastersteinindustrie beschäftigt sind, läßt sich aus der beruf⸗ 
lichen Gewerbestatistik nicht ermitteln. Ich bin zu dem Er— 
gebnis gekommen, daß in der ganzen Sieinwareninduftrie un— 
Jeführ 150000 Arbeiter in Veutschland beschäftigt werden. 
Rechne ich bhiervon die Hälfte auf die Pflastersteininduftrie, so sind 
das 75 000 Menschen. Es muß sich also eine Notlage für die— 
jenigen Distrikte ergeben, in denen die Pflastersteinindustrie vper— 
breitet, ist. Das ailt besonders auch von Sachsen. Der Aba. 
Giese hat mir mitgeteilt, daß mehrere tausend Arbeiter in seinem 
Wahlkreise von dieser Industrie leben. Aus den östlichen Pro— 
pinzen wird der Wunsch nach zollfreiem Eingang der Steine aus— 
gesprochen. Demgegenüber betone ich das Prinzip des Schutzes 
der nationalen Arbeit. Jeder Schutzzoll wird an irgend einer 
Stelle lästig empfunden, aber es handelt sich um das Gemeinwohl. 
Ich lege keinen Wert auf langfristige Tarifverträge überhandt, 
iber da wir durch andere Handelsverträge bis 1917 gebunden sind, 
so erscheint es mir wünschenswert, daß wir auch mit Schweden 
bis zu diesem Zeitpunkt au einer Verständigung gelangen. Aller- 
dinas wünsche ich auch, daß der Vertrag nicht Bestimmungen ent- 
hält, die seine Unnahme im Reichstage aufs Höchste erschweren 
aͤnd gefährden. GBeifall.) 
Abq. Lehmann⸗Wiesbaden (Soz.): Bei der Herabsetzung des 
Breunkontingents prozentual au versahren, ist verfehlt. Dadurch 
verden die kleinen Brenner geschädigt zu Gunsten der Großbe— 
triebe. Vielen kleinen Brennereien wird dadurch die Existenzfähiq— 
keit genommen. 
Aba. Vonel (natlib.); Die Notlage der Steinindustrie datiert 
von der Aufhebung des Schutzzolles her. Man hat diesen preis— 
gegeben als Kompensation sür die Eisenerze, damals aber hat man, 
wie wir jetzt wissen. die Verhältnisse nicht genügend überschauen 
können; es bestand keine Klarheit über die Wünsche, die man in 
Schweden bezüglich der Einführung einer Großeisenindustrie hegte. 
1906 war ein Jahr des industriellen Aufschwungs, wo allerdings 
bei uns ein flarker Bedarf, an Eisenerzen herrichte. Aber 
Deutschland ist, das ei,senreichste Land Europass, 
die jetzt gis feftgestellt, gelten kann. Man brauchte nur die, Mosel 
un kanalifiecen, um diesen Eisenerzichatz nußbar zu machen. In Zu⸗ 
unst wird die schwedische Konkurrenz noch arößer jein, weil man 
rt erst in neuester Zeit angefangen hat, zu 
naschinellen Eiunrichtungen überzugehen, die maun ander⸗ 
värts längst hat. Die Nötlage besteht in den ver⸗ 
hiedensten Gegenden und in, allen Zweigen der Steinindustrie. 
Lielfach ist in hechgelegenen Gegendein mit mientwickeltem Ver⸗ 
ehr an den Absats der Steine gar, nicht zu denken, so an den 
Abhängen des Westerwaldes, ebenso im Kreise Wittgenstein; 
rgend etwas jür die Erleichterung des Verkehrs muß da ge⸗ 
chehen. Nicht' nurde Besitzer dieser Steinbrüche haben sich au 
en Reichstag um Schitz gewandt, sondern auch die Arbeiter aus 
einer großeu Reihe solcher Betriebe. Die deutsche Steinindustrie 
st in der Tat notleidend, das hat auch der preußische Landes⸗ 
isenbahnrat, bereits 1008 anerkannt. Schweden ist in einem 
Naße auf die Ansdehnung seiner Pflastersteinindustrie bedacht, 
aß nnr noch ein deutscher Einfuhrzoll, nicht etwa eine Fracht⸗ 
rmäßigung uns helfen kann. Ich schuͤche mit dem Grafen Kanitz 
nit dem Wunsche, daß in den schwedischen Handelsvertrag keine 
Bestimmungen hine nkommen möchten, die die Annahme dessel— 
cn dem Reichstage irgendwie erschweren.
	        
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