Full text: Lübeckische Anzeigen 1911 (1911)

Die Gefetzentwürke betr. die BVexlegung der Landes⸗ 
grenzegegensdas Königreich Bayern an der preußi⸗ 
schen Gemeinde Achberg, Oberamt Sigmaringen sowie an der 
Eisenbahn von Münster am Etein nach Scheidt wurden in erster 
Beratung und zweiter Beratung ohne Debatte angenommen, 
ebenso in zweiter und dritter Beratung die Gesetzentwürfe betr. 
Erweiterung der Stadtkreise Erfurt und Breslau. 
Hierauf begründet Abg. Biereck Ekt.) seinen Anutrag, die Ge⸗ 
—EDV Abgeordneten⸗ 
hause einen Vorschlag über die Ersetzung der in der Geschästs⸗ 
ordnung enthaltenen Fremdwörter durch deutsche Ausdrücke 
zu machen. Auch im Reichstage ist ein ähnlicher Antrag einge⸗ 
bracht worden. Nachdem nun die Geschäftsordnungskommission 
mit dem Antrage v. Brandenstein auf Umgestaltung der Ge⸗ 
chäftsordnung befaßt worden ist, dürfte sie auch dem berechtigten 
Wunsche entfprechen, unsere Geschäftsordnung von unnötigen 
Fremdwörtern zu säubern. 
Abg. v. Ditfurtheu(k.): Meine politischen Freunde sind mit 
diesem Antrag einverstanden, aber sie meinen, daßz, wenn die Ge⸗ 
schäftsordnungskommission einmal mit, dieser Aufgabe betraut 
vird, sie auch ganze Arbeit machen soll und dem Abgeordneten⸗ 
hause Vorschläge über Ersatz der vielfach mangelhaften Aus⸗ 
drucksweise der Geschäftsordnung durch einfache, klare, von 
Fremdwörtern freie Fassung der Vorschriften unterbreiten sollte. 
Fin reines, einwandfreies VSeutsch sollte nicht nur in unserer Ge⸗ 
chäftsordnuug, sondern auch in Resolutionen, in den Kom— 
missions⸗ und Plenarverhandlungen und in den Gesegesvorlagen 
ingewendet werden. GBeifall.) 
Die Abag. Mathis (ul.), Kirsch (83.) und Peltasohn 
«Vp.) sprechen sich für den weitergehenden Antrag v. Ditfurth 
aus. Die beiden letzteren bitten, über das notwendige Maß 
zicht hinauszugehen. 
Abg. Dr. Bell (3.) bittet unter allgemeiner Heiterkeit, gerade 
iejenigen Fremd wörter auszumerzen, deren sich der Befürworter 
)es letzten Antrages bedient hat. 
Der weitergehende Antrag v. Ditfurth wird ange— 
nommen. 
Es folgt die Beratung des Antrags des Abg. Ecker— 
Winsen (natlib.) und Gen. die Regiexuung zu erfüchen, die 
Zchaffung eines 
nordddeutschen Naturschutzbarkes 
durch den Verein Naturschutzpark in der Lüneburger Heide durch 
Bewährung einer laufenden Beihilfe sowie durch die Angliede— 
rung fiskalischer Forsten zu ermöglichen. 
Abg. Ecker-Winsen (natlib.) weist zur Begründung seines 
Antrags, auf die bisherigen Bestrebungen des Vereins Natur— 
chutzhark hin und wendet sich gegen die Bedenken, besonders die 
inanzieller Natur, die gegen den Antrag in der Deffentlichkeit 
zrhoben worden sind. 
Abg. Frhr. v. Wolff-Metternich (Zentr.) erklärt, daß seine 
zreunde, dem Antrag sympathisch gegenüberständen. Etwaige 
inanzielle Bedenken könnten in der Agrarkommission ge⸗ 
drüft werden. 
Abg. Dr. Schepp (Fortschr. Vp.) stimmt dem Antrag voll⸗ 
ommen zu und erklärt sich gleichfalls für Ueberweisung an die 
Agrarkommission. 
Landwirtschaftsminister Frhr. v. Schorlemer: Auf die Einzel— 
)eiten des Antrags werden wir in der Agrarkommiffion ein⸗ 
jehend zu sprechen kommen. Aber gegenüber den großen Be— 
enken, die für die Gründung dieses Raturschußparks nicht nur 
n dem Verein selbst, sondern in der Presse und in diesem Haufe 
jeltend gemucht sind, glaube ich heute schon auf gewisse Be⸗— 
enken hinweisen zu müssen, die einer besonders reichlichen 
Anterstützung dieses Vereins seitens der preußischen Stante— 
zegierung entgegenstehen. Die Ansichten über das in Frage kom⸗— 
mende Gebiet sind nicht ungeteilt. Es handelt sich um eine sehr 
venig fruchtbare Fläche, und es ist nundeftens zweifel— 
jaft, ob es möglich ist, ohne weiteres Eingreifen und ohne um— 
assende Tätigkeit der Forstverwaltung die bisherigen Forften 
veiter in Kultur zu halten. Ferner scheint mir die Finanzie 
ung des Planes eine sehr unsichere zu sein Ein großer 
Teil der Einnahmen ist auf einer Lotterie basiert, deren Geneh— 
nigung vorläufig abgelehnt ist und deren Genehmigung in der 
etzigen Form auch nicht zu erwarten ist. Es würde richtiger sein 
penigstens noch ein Jahr ins Land gehen zu lafsen und gründ 
iche Vorbereitungen zu treffen, um die Finanzierung des Uner 
iehmens nach allen Richtungen ficherzustellen. Von einigen Bun 
desstgaten, so auch von Braunschweig, sind größere Beiträge 
zewilligt worden uͤnter der Bedingung, daß sich Preußen be⸗ 
eiligt. Es werden aber immerhin noch 40000 4 jahrriche 
ichere Beiträge verlangt. Das st eine verhaãltnismaßig 
ehr große Ausgabe und es fragt sich immerhin, ob sie notwendig 
ind, auch gerechtfertigt ist gegenüber den großen Ansorderungen, 
die sonst an die preußische Staatsverwaltung geftellt werden. Von 
der Tierwelt soll besonders der schwarze Storch und eine Art 
kidechse erhalten werden. Wenn zu viel Wuͤd gepflegt wird, 
wiirde das bißchen Fauna, das sich in diesem Bezirt vefindet, 
mwieder vernichtet werden. Außerdem würde in der Umgegend 
Bildschaden eintreten, sodaß doch wieder an den Abschuß diefer 
kdierarten hexaugetreien werden muß. Ich hoffe, daß die Ver⸗ 
handlungen in der Agrarkommifsion die ganze Frage näher klar— 
segen werden und daß wir dem Ziel der Antragfteller, dem ich 
durchaus sumvathisch gegenüberstehe, naher kommen. 
Abg. Lüdicke (freikons.) erklärt, dah er der Tendenz des 
Antrags durchaus sympathisch gegenüiberstehe und dahfeine 
Iree me für Ueberweisung an die Agrarkommission suünimen 
verden. 
Abg,- Hedenrothe(k); Der Wunsch der Antragsteller ist an 
ich durchaus berechtigt, wenn wir qauch die Bedenten nicht ver— 
ennen. Die Kommission wird ja naͤhere Klardeit bringeñ. 
Abg. Hoffmann (Soz.): Hier können wir wirklich einmal 
der Mehrheit beistimmen(Heiterkeit) Es legt aber nicht an 
uns, daß es nicht öfter geschieht. Der Plan muß sofort verwirt- 
licht werden, damit dem Verkauf von Grund und Boden ein 
Riegel vorgeschoben wird. 
EAbg, Eder-Winsen wendet sich gegen die Bedenken des 
38 und erklärt sich mit Kommiffionsberatung einver— 
tauden. 
Der Antrag wird der Agrarkommiffion über— 
wiesen. ⸗ 
Es folat die erste Beratung des Gesetzentwurfs, betr. die 
Feunerbestattung. 
Wirnister des Innern v. Dallwitz: Wiederholt ist die Frage 
ver Feuerbestattung in diesem Hause erörtert worden. Der ver⸗ 
torbene Abg. Langerhans hat immier wieder die Auffassung ver— 
reten, daß dem Einzelnen das Recht zustehen müsse, darüber Be— 
timmung zu treffen, daß nach seinem Tode anstelle der Erd⸗ 
estattung die Feuerbestattung bei ihm platzgreifen müsse. Seinem 
Autrage wurden regelmäßig Bedenken entgegengehalten, die sich 
eils auf religiösem, teils auf rese e en Gebiete 
)ewegten. Die religösen Bedenken gipfelten darin, daß 
die Erdbestattung eine uralte, durch Jahrhunderte lange Uebung 
geheiligte Sitte sei, deren Ar een Beibehaltuung dem 
Empfinden weiter christlicher Voltstreise und damit der üher⸗ 
wiegenden Mehrheit der Bevölkerung entspreche. Aus diesem 
Hrunde hat man s auch von katholischer Seite gegen die Feuer⸗ 
bestattung ausgesprochen. Die Vertreter der evangelischen 
Landeskirche in Deutschland haben sich im Jahre 1898 auf dem 
risenacher Kongreß dahin ausgesprochen, daß zwar die Erdbe— 
tattung die einzig kirchlich anerkannte Art der Leicheubestattung 
ei, daß aber ein de Gottesgebot und Dogma der 
Feuerbestattung nicht entgegenstehe. Auf, evangelischer Seite ist 
vig die Mitwirkung der Geisslichen an der Feuerbestattung in 
veschräuktem Umfange als zulässig angesehen worden. Auf 
niesen Standwinkt hat ß nun auch in der Hauptsache vor zwei 
Jahren die evangelische Generalsynode gestellt, während sich die 
Vertreter der 8 jüdischen Kreise der 
Feuerbestattung vollkommen ablehnend gegenüberstellen. 
Auch wenn, man die Berechtigung jenes Einwandes vollkomnen 
anerkennt, so kann man meines Dafürhaltens doch daraus nur 
den Schluß herleiten, daß die Staatsregierung die Pflicht hat, da⸗ 
für zu sorgen, daß unter allen Umständen die Feuerbestattung 
ausgeschlossen sein muß in den Fällen, in denen sie den religiösen 
uschgunngen, dem Wunsch und Willen des Veystorbenen wider⸗ 
Pricht. Anders dagegen liegt nach meinem Dafürhalten die 
Frage, ob aus den von lirchlicher Seite geltend gemachten schwer 
wiegenden Grinden auch die fakultative Fenerbestat 
ungefür Andersdenkende,qusgeschlossen bleiben muß 
Diese Frage glaube ich verneinen zu können, denn meines Dafür— 
daltens ist in der Tat nicht abzusehen, warum denjenlgen Sitgats- 
bürgern, die einer kirchlich anerkannten Religionzgemeinschaft 
ucht angehören, oder auch solchen, die zwar einer kirchlich aner⸗ 
kannten Religiöusgemeinschaft angehören, die aber bei dem 
Nichtvorhandensein dogmatischer Bedenken für ihre Person der 
Feuerbestattung, den Vorzug geben wollen, die Möglichkeit per 
chränkt sein soll, nach ihrem Tode über ihren Körper derark zu 
oerfügen, daß dies nhne Nachteile für die Ueberlebenden oder 
ie Allgemeinheit geschehen kann. Man wird darüber nicht hin⸗ 
vegkommen können, daß eine nicht geringe Anzahl von Personen 
vorhanden sind, die teils aus innerer Ueberzeugung, teils aus 
onstigen erheblichen Gründen für ihre Verson der Feuerbestat, 
ung den Vorzug geben. Von diesem Gesichtspunkte aus scheint 
mir der Weg, den die Regierung in der Vorlage beschritten hat, 
richtig zu sein, nämlich die Zulassung der fatultativen Feuer— 
bestatlung in den Fällen, in denen dem Verlangen danach von 
dem Verstorbenen bei Lebzeiten Ausdruck gegeben worden ist. 
Hält man an dieser Voraussetzung fest, so faͤllt auch die Befürch⸗ 
ung sort, daß die Personen, die ihrerseits an der christlichen Sitte 
jesthalten wollen, in einer Form bestattet werden können, die 
hren religiösen Anschauungen nicht entspricht. Die juristi— 
chen Bedenken gegen die Zulassung der Feuerbestattung be⸗ 
uhen darauf, daß gewisse Verbrechen sich leichter der Verfolgung 
zrch den Staat entziehen können. Diese an sich wohlbegründeten 
Befürchtungen sind bis zu einem gewissen Grade durch die in 
der Vorlage vorgesehene obligatorische Leichenschau in Verbin⸗ 
oung, mit den sonst vorgesehenen Kautelen beseitigt. Ein Miß 
brauch der Feuerbestattung ist durch die Bestimmung ausge 
schlossen, daß die Feuerbestattung nur in den Fällen Platz grei⸗ 
fen darf, in denen sie nachweislich von dem Verstorbenen bei Leb— 
zeiten in zweifelsfreier Form selbst angeordnet worden ist. Den 
vom juristischen Standpunkt aus erhobenen Bedenken gegen die 
Einführung auch nur der fakultativen Feuerbestattung ist durch 
»ie im Entwurf vorgesehenen Kautelen qusreichend Rechnung ge 
ragen, andererseits sprechen praktische Gründe für die 
Zulassung der, fakultativen Feuerbestattüung. Bekauntlich ist 
iese nicht nur im Auslande, sondern auch in angrenzenden deut— 
chen Bundesstaaten bereits eingeführt. Das Verbringen von 
Leichen aus Preußen nach einem anderen Bundesstagt zum 
Zweck der Leichenverbrennung, läßt sich, wie die Verhält— 
üisse einmal liegen, nicht verhindern; unter diesen Um— 
tänden findet tatsaͤchlich jetzt schon die Feuerbestattung in 
Preußen statt, aber die Kautelen, die gegen ein Mißbrauch 
»er Leichenverbrennung notwendig nd fehlen dabei 
Dazu kommt, deß wie dies auch in einer Entscheidung des Ober 
verwaltungsgerichts von 1908 ausgeführt ist, die Fenerbestattung 
mm sich in Preußen schon jetzt gesetzlich nicht verbyten ist, daß mithin 
iediglich die Inenhute der Leichenverbrennung in einzelnen Fällen 
n Ermangelung der Einrichtungen aus polizeilichen Gründen ver— 
indert werden kann. Hieraus ergibt sich, daß eine grundlegende 
dlenderung der bestehenden ipen Bestimmungen über das Be— 
tattungswesen gar nicht erforderlich ist, sondern nur eine Ergänzung 
insoweit, als dies die ee der Feuerbestattung bedingt. Auf die 
Details der Vorlage näher einzugehen, scheint mir jetzt nicht an— 
gebracht, es dürfte besser in der Kommissivn geschehen 
Abg. Graf Wartensleben-Rogäma n(k.!: Der größte Teil 
meinerFreundelehntdie Vorkageab und bedauert, daß 
die Regierung einen anderen Standpunkt einnimmi. 
Abg. Schmitt-Düsseldorf (Ztr.). Wir stehen der Vorlage ab— 
Jehnend, gegenüber. well wir darin einen Borstoß gegen das 
hristeentum sehen. (Widerspruch lints.) Wenn b83 die Heilige 
Schrift nicht ausdrücklich die Verbrennung berbietet, läßt sie uns 
»och in keiner Weise im Zweifel. Der Behaupfung, daß die Fried 
zöfe Fabriken des Teufels seien, die die Luft mit Gestank erfüllen 
ind das Wasser verunreinigen, widersprechen alle hygienischen Er— 
fahrungen. Die kriminalistischen Bedenken gegen die Feuerbe 
tattung bestehen nach wie vor. Wir betrachten die Erdbestattung 
als eine durch das Christentum seit Jahrtausenden geheiligte Sute 
ind daran werden wir festhalten. 
Abg. Lieber (nl): Wir stimmen der Vorlage zu und 
defürworten Kommissionsvermeisung. Wichtige staatliche Gründe 
prechen nicht für die —— der Feuerbestattung. Da das 
Oberverwaltungsgericht enischieden hat, daß die Ier atn 
rnicht verboten ist, so muß die Ira Anheinich geregelt werden. Die 
ninalstisoen Bedenten werden durch die vorgeschriebene Leichen⸗ 
schau erledigt. 
Abg. Sr. Schrock (st.): Mit der Verwelsung der Vorlage an 
ine Kommission sind wir einberstanden. Fuͤr einen Teil meinet 
Freunde it es sehr schwer, der Vorlage nicht grundsätzlich entgegen⸗ 
utreten: sie werden deshalb in der Kommifsion die Gründe für die 
Zulassung der Feuerbestattung genau prüfen. Wir werden an der 
hristlichen Anschepung festhalten und wollen die Feuerbestat⸗ 
Fungnurals Ausnahme zulassen. 
Abg. Dr. Pachnicke (Vpt.): VDie Rede des Abg. Dr. Schmitt 
jat uns mittelalterlich angemutet. Die kriminalistischen Bedenten 
verden durch die Begründuͤng der Vorlage geradezu schlüͤssig wider⸗ 
egt. Religidse Bedenlen sind ebenfalls nicht gerechtsertigt. Wir be⸗ 
zrüßen die Vorlage als einen, wenn auch nur kleinen ulturel⸗- 
en Fortschritt. 
Abg. Dr. Mizerski (Pole): Ein gläubiger Katholik kann einer 
olchen Vorlage nicht zustimmen. 
Abg. Hoffmann (Soz.): Für uns ist die Feuerbestattung keine 
Prinzipienfrage, Es werden religiöse Gründe gegen die Feuer. 
»estattung angeführt. Aber selbst jiin Alten Testament sind Fälle von 
vLeichenverbrennung verzeichnet. (Zuruf des Abg. Dr Schmitt: 
Im Notfalll) Die Angelegenheit muß reichsgefsehlsch gere— 
Jelt werden. 
Abg. Müller-Koblenz (Itr.): Die Ausführmgen des Ministers 
lassen eine Erklärung darüber vermissen, warum die Regierung ihren 
Standpunkt in dieser Frage vollständig geändert hat. Die krinni 
nalistischen Bedenken sind durch die Begründung der Vor— 
lage nicht beseitigt. 
Minister v. Dallwitz: Wir erkennen durchaus an, daß gegen 
die kriminalistischen Bedenken entsprechende 
Kautelen gefunden werden mußten, die einen Mißbrauch der 
Feuerbhestattung zur Verschleierung von Verbrechen kaum mehr 
möglich machen. Wir alauben in der Vorlage nach der Richtung 
so weitgehende Kautelen getroffen zu haben daß diese Befürch 
ungen heseitigt sind, insbesondere durch die Bestimmung, nack 
der der Verstorbene selbst das Verlangen nach der Feuerbeflatiun 
bei Lebzeiten nachweislich selbst ausgesprochen haben munß 
leber etwaige andere Kautelen, die diefe Befürchtumgen voll 
kommener beseitigen können, werden wir uns in der Kommiffior. 
auterhalten können. Der Vorredner behauptet, daß die Regierung 
den Entwurf nicht aus sachlichen, sondern aus politifchen Grum 
den eingebracht habe. Das ist absolnut unzutreffend. Der Anlaf 
liegt darin, daß sowohl das Abgeornetenhaus wie dos Herren 
haus im vorigen Jahre die frühere ablehneude Haltung verandert 
jzaben; das Abgeorduetenhaus und das Herrenhaus haben im 
horigen Jabre Petitionen, über die sie früher zur Tagesordnung 
ibergegangen waren, der Regierung zur Erwänung üͤberwiesen 
Die Regierung hatte dadurch Veranlaffung, zu erwaͤgen, ob mich 
ein Eingehen guf die Sache berechtigt erscheinen künnte. Das iß 
ein sachliches Moment. Sodann trat der Gesichtspunkt in den 
Vordergrund, daß an den Grenzen Preußens und uͤmgeben von 
orenßischem Gebiet sich die Krematorien entwickelt haben und daß 
atsächlich eine große Anzahl von Personen aus Preußen zur Ver 
zrennung dorthin übergeführt wurden, ohne dah Kaumelen geger. 
den Mißbrauch gegeben waren. Es mußte also erwogen werden 
ob nicht zweckmäßigere Verhältnisse geschaffen werden könnten da 
durch, daß in kriminalistischer Beziehung die erforderlichen Kaum 
elen getroffen wurden. Der Hauptigrund der Regierung zur 
Zinbringung der Vorlage war aber in der Tat die Absicht, eine 
Art Toleranz denjenigen gegenüber zu üben, die es nach 
hrer Ueberzeugung für richtig halten, sich verbrennen zu laffen 
Es kommt nicht in Frage, ob diese Ueberzeugung richtig ist ick 
tehe persönlich nicht auf diesem Standpunkt. aber ich habe da— 
Hefühl, daß die Regierung nicht richtig handeln würde, wenn sie 
ie Möglichkeit dauernd ansschlösse, dafz Personen, die anderer 
Ansicht ind, ihrer Ueberzeugung über die Art der Beflattung 
laen könnten. Das sind die Gründe für die Einbrnigun der 
Vorlage. 
Der Entwurf wird einer KRommission von 14 Mit— 
iedern überwiesen. —83 
Die Tagesordnung ist erledigt. 
Nächste Siteung Donnerstag 11Uhr: Dritte Lesung des Etats. 
Schluß 423 Uhr 1 
—— 
——2— 
Die Bank. 
Von Jean Gerandoux. 
Deutsch von M. Dvering. 
Hätte Polyte Rigollet Neigung für irgend ein aunderes Ge— 
werbe gehabt, so wäre er zweifellos ein musterhafter Beanmter 
geworden, denn er verfügte über die beiden wichtigkken Eigen⸗— 
schaften eines solchen: das stolze Bewußtsein seiner Wirde und 
die liese Libneigung gegen die Veränderung. Seit nahezu zehn 
Jahren rührte er sich nicht von seiner Bank auf dem „Pont des 
Aris“, die er fich zur Ausübung seines Berufs als „Blindge⸗ 
borener“ erwählt. Tatfächlich war er auch mit verklebten Augen 
zur Welt gekommen, deren Licht er erst am dritten Tage erblickt 
halte Seine Bank war für ihn, was der Varlamentssitz dem Ah- 
eordneen. Woche aus, Woche ein saß Polyte auf seiner Bank, 
die er einmal im Jahre frisch anstrich. An dem Tage, da die 
Farbe brocknen mußte, blieb er einfach aufrecht stehen und drehte 
in Umbängeschild auf die andere Seite, auf der die Warnung: 
Frisch gestrichen“ zu lesen war. Ninette Langouri, der „Frau 
bhue Beine“ die den Schauplatz ihrer Tätigkeit wie ein Hemd 
e gelang es nicht, Polyte aum Palais Royal binüber zu 
oclen. 
NHinette,“ belehrte sie der Weise, „Du darsst getrost umher⸗ 
ehen. Du weißt nicht was es heißt, die Beine au ermüden. 
diul keunft nicht das wohlige Gefühl, sie ruhig hängen zu lassen, 
uch wenn fie nicht ermüdet sind! Wo Du auch sein maast, bist Du, 
fozufagen, auf einer rollenden Ebene. Du kannst selbst den Mont⸗ 
ae hinablommen, obue Dich Deiner Stützen zu bedienen. Ab⸗ 
hesehen davon, nehnie ich auch nicht gern Almosen von Leuten. 
die mir fremd sind. Und die Wohltäter lieben den Wechsel auch 
nicht ESie ziehen es vor — Ninette, Du mußt grüßen. das ist der 
Mademsedirettor! — sie ziehen es vor, ihre fünf, Centimes den 
hneu bekannten Armen zu geben als anderen — die des Getdes 
bleueicht auch bedürfen, Alfo auäle mich nicht weiter, Ninette: 
ch bin auf meiner Bank, und hier bleibe ich!“ 
Kleinlaut valb befiegt, entsernte sich Ninette,. Den jrei ge⸗ 
wordenen Plas nahm agleich darauf ein altes Mütterchen ein. 
Die trug eine hübsche, weiße Haube, neue Holaschuhe und ein 
schier inruriofes Halstuch, das sie sorafältig azurechtstrich, bevor 
fie die Hande gemachlich im Schoße faltete. Als sie nach Verlauf 
In tiner Viertelstunde noch keinen Laut von, sich gegeben, er 
ftnele Polyte das Gespräch; denn, saate er sich, das Weib ist 
schwatzhaft, man muß sie nur ermutigen, J 
Eine bequeme Bank, nicht wahrꝰ Sie ist fest gefügt'! / 
Sie Alue blickte ihn an, erwiderte aber nichts. „Das Weib ist 
mißtranisch. dachie Polyte, und sie hat recht. Man kann im 
ersten Augenblick nie wissen, an wen man gerät.“ 
Es ist vorzügliches Holz, wie man es heutzutage nicht mebr 
verwender⸗, ertlarie ex freundlicher und schlua mit der Faust 
kraͤftig gegen die Rücklehne. 
Enssehßt fuhr die Alle auf, warf ihm einen wütenden Blick 
qu, schwien aber, wie auf den Mund gesallen. Polypte saate ietzt 
Nehls mehr, denn einer seiner Wohltäter näherte sich und öffnete 
seine Börse. — 
„Da!“ Polytes Muimd, statt sich aum freundlichen Grinsen 
uu verziehen, blieb ffen. Verart erschrak fein Eigentümer. Das 
Heitstud des Wohltaters war in die Schürze der Alten geglitten. 
Ich — ich bin der Blindel!“ stotterte Volyte. 
Das löste der Alten die Zunge: 
Eeien Sie friedlich!“ forderte sie. „Die Bänke find für alle 
— nicht für den Herrn allein da! Ich habe mich entschlossen, jett 
inf dieser Bruͤcke zu betteln. Meine Familie haust bier unten.“ 
Polyte fagte michts, aber er dachte um so mehr. Er sann auf 
Mitick und Wege, um sein Feld zuxiickzuerobern. Er hatte ein 
RKecht darauf, ja, mehr noch! Er fühlte es, er hatte die Pflicht, 
jeinen Arbeitsplat“ au verteidigen. 
Bevor er das Enteianunasverfahren einleltete, aab er — 
genau wie der Stagt — einige Tage Frist. Eine ganze Woche 
ng begnügte er sich damit, anstatt, wie gewohnt, in die Seine 
u spucken, im Halbtreis um die Bant berum zu spucken und nach- 
nitlags, gegen vier Uhr, ein tüchtiges Stück übelduftenden Käses 
uszuwidein und neben sich auf die Bank, au legen. Aber die 
Nile bieb unverdrofsen fihen, tat, als vb sie güchts von den Ab⸗ 
chreckunasversuchen ihres Nachbars merke. Ja, sie lächelte sogar 
ein hexenhaftes Lacheln — jedesmal, wenn ein Mildtätiger sie 
und ihren Hund, der neben ihr auf der Bank thronte, für Kom⸗ 
hagnons des Blindgeborenen“ hielt und ihr den Sou mit den 
Worten zuwarf: „Arme Blindel“ 
Epndlich entschloßz sich Polyte, ihr sein Ultimatum in der Form 
eines Nagels zu versesen, den er eines Morgens in aller Frühe 
ꝛon unten her in die Bank schlug. Die Alte riß sich auch richtig die 
Haud, mit der sie sich aum Hinsetzen ausstützte, wund. 
D da müssen Sie sich aur Ader lassen,“ riet der „Blinde“, 
Mitleid heuchelnd. 
Sie ließ sich aber nicht zur Ader und starb trotzdem nicht au 
Blutvergiftung. 
Am folgenden Tage erlebte VPolyte beinahe einen Triumph. 
Ein Geifteskranker entkleidete sich mitten auf der Brücke und W 
ursachte dadurch eine Menschenansammlung. Polizisten und Neu⸗ 
zierige umdrängten ihn, bevor ein Wauen zur Stelle aeholt war. 
Auch die Alte hatte dem Schauspiel nicht aus der Ferne zuschauen 
mönen. Als sie auf ihren Platz zurückkehren wollte, fand sie ihn 
durch Ninette besetzt, die Polyte schleuniast herbeigeholt hatte. 
Gleich einer Sphinx hockte die „Frau ohne Beine“ auf der Baul 
und alotzte den Polizisten an, der ihr barsch zurief: 
„Hinunter mit Ihnen! Man klettert nicht auf die Bänke!“ 
g bin nicht auf die Bank getlettert,“ verteidiate sich Ninette. 
Der Hüter der öffentlichen Ordnung ließ sich indessen nicht 
belehren. Er nahm Ninette einfach in seine Arme und setzte sie 
zaterlich auf den Erdboden. Ueberrascht entfernte er sich dann so⸗ 
gt mit langen Schritten. Die Alte blieb Mitinbaberin der 
Am darauf folgenden Mittwoch war Volyte bereits vor 
Sonnenaufgang zur Stelle. Und während die Morgem öte die 
Seine rosig überhauchte, strich der „Blinde“ seine Bank mit 
Purpurfarbe an. 
Kaum war das geschehen, da kam die Alte. Achtlos setzte sie 
ich, um sofort mit einem Schreckensruf wieder aufzuspringen. 
Jammernd wandte sie ihre Rückseite den vorübergehenden Ar⸗ 
heitern zu und zeigte ihnen auch den Teil ihres Hundes, mit dem 
er gleichfalls ahnungslos, in gewohnter Vositur, die Bank gedrückt 
ne de in nd wier ꝛö auf die 
War seite gedreht, stand wie ein höhnisch garinse Wachs· 
dild vor seinem Operationsfeld. * ndes waths 
„Trotz seines äußeren Gleichmutes hatte der hilosoph 
Polyte doch eingesehen, daß es nur eine Möalichkeit ii 
dieser Klette zu entledigen: Er mußte sie heiraten! Vielleicht wai 
er dann auch nicht völlig Herr seiner Domäne — doch das wa 
x jetzt ebeuso wenig. Aber die Konkurrenz war er dann wenig 
dethed And di Bank 710 Bank blieb sein! 
Vierzehn Tage, später lasen die Vorübergehe 
Nicde Ir antigenden Anschlaa: gehenden an der 
„Der Blinde und die Taube sind h 
abwnng ud heute, zwecks Eheschließung, 
. Die ersten drei Wochen des Honiqmondes verstrichen in köst⸗ 
lichem Frieden. Volyte blieb ganz allein auf e Vnen — 
er lid beim Sinken der Nacht gemächlich ausstreckte. 
er kein Glück ist beständia! Wer sich einmal mit der 
Frauen eingelassen, der ist ihnen lebenslänglich verfallen, bese 
als wäre er den Gendarmen oder Wucherern in die Hände ge— 
vaterei Fobptg erte daran alauben. 
Eine hönen Morgens war seine Baunk von einem 
weiblichen Wesen besetzt. Das hübsche Ding bot dn — 
ätern als Dauk für ihren Son zierliche Veilchensträußchen dar. 
Warum kam diee nicht zuerst?“ grollte Polyte heimlich. 
WWwohyl kann man im Cxistenztamuf mit der Frau konkurrieren 
—aber mit dex Schönheit nicht. Der Blinde nahm an jenem 
Tage nur einen Sou ein; am solgenden noch weniger, und am über—⸗ 
iächsten streckte er die Waffen und räumte das Feld. 
Wieder bewahrheitete sich das Sprichwort: „Wunden, die 
ꝛas Weib schlägt, vermag das Weib zu heilcul“ Num war es die 
Frau Polytes, die ihren Plats auf der Bank wieder einnahm und 
er Veilchenhandlerin das Leben so schwer machte, daß diese in 
donkurs geriet und gerwungen war, sich einem guderen Borui⸗ 
Azuwenden
	        
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